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CORREOS/055: Nicaragua - Klärungen und Durcheinander


Correos des las Américas - Nr. 156, 22. Dezember 2008

NICARAGUA
Klärungen und Durcheinander

Von Dieter Drüssel


Wäre da nicht der Oberste Wahlrat, die Sache wäre klar: Die Rechte weigert sich, die für sie niederschmetternden Resultate der Gemeindewahlen vom 9. November anzuerkennen und setzt einen international koordinierten Plan zur Destabilisierung der sandinistischen Regierung um. Je mehr Aspekte des "Verwirrspiels" bekannt werden, desto weniger sollten Linke in den Chor der Rechten einstimmen. Aber auch nicht einfach in Viva-Rufe auf den FSLN ausbrechen.


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Es gehört zum ABC der Kontrolle von Wahlvorgängen, dass nicht nur die an den einzelnen Wahltischen für die konkurrierenden Parteien abgegebenen Stimmen gezählt werden, sondern auch die ungültigen und die Leerstimmen. Das Total dieser Stimmenkategorien muss mit dem Total der am Wahltisch benutzten Wahlzettel übereinstimmen und dieses wiederum muss, zusammen mit der Zahl der nicht benutzten Wahlzettel, exakt mit der Zahl der an den Wahltisch gelieferten Wahlzetteln korrespondieren. Stimmen die diversen Totale auch nur um einen Wahlzettel nicht überein, stimmt etwas nicht.

Von der ersten Bekanntgabe von Teilresultaten an beschränkte sich der Oberste Wahlrat (CSE) darauf, nur die die einzelnen Parteienergebnisse am Wahltisch, im Wahllokal, in der Gemeinde, im Departement und landesweit anzugeben. Noch schlimmer: War es bis rund Mitte November noch möglich, auf der Homepage des CSE diese Resultate bis hinunter auf den einzelnen Wahltisch anzuklicken, wird man seither mit einem Stimmentotal für die einzelnen Parteien auf Gemeinde- und Departementsebene abgefertigt. Das ist in der Tat sehr seltsam - eine Verschlechterung der Informationspolitik des CSE mitten in der seit dem 9. November tobenden Auseinandersetzung um die Frage Wahlbetrug oder nicht.

Wir haben von FSLN-Leuten vergeblich eine Erklärung für dieses Verhalten des CSE erbeten. Solange der CSE dazu keine Transparenz schafft, ist der Verdacht auf ein Deckungsmanöver für einen Wahlbetrug nicht von der Hand zu weisen. Es wäre andererseits nicht das erste Mal, dass der CSE mit Faulheit und Inkompetenz "brilliert". (Drei seiner Magistraten sind vom FSLN, drei von der rechten "liberalen" Partei PLC und der Präsident, Roberto Rivas, wurde Ende der 90er Jahre von Kardinal Obando durchgedrückt. Wie dieser war Rivas früher ein glühender PLC-Fan und tendiert heute mehr zum FSLN). So schafft es dieses Gremium, bis heute (und in alle Zukunft) keine definitiven Schlusszahlen für die Präsidentschaftswahlen 2006 zu präsentieren - und damals war Wahlbetrug kein Thema.


Unsichtbare Akten

Wenn der CSE so unrühmlich agiert, ist es Zeit, sich die Argumente jener anzuschauen, die einen "kolossalen Wahlbetrug" beschwören. Da stossen wir allerdings bald auf Probleme: Assoziieren wir mit dem Begriff "Argument" etwas, das logisch und überprüfbar wäre, können wir nur sein Fehlen feststellen. Noch am Wahltag etwa hiess es, die legalen VertreterInnen des PLC seien von den einzelnen Wahltischen, aus den Wahllokalen und zuletzt noch aus dem CSE-Zentrum verjagt worden, wo in der Wahlnacht die "arithmetische Überprüfung" stattgefunden hat (dabei wird nur die rein arithmetische Stimmigkeit der Resultate geprüft, ohne später zu erfolgenden Einsprachen der Parteien vorzugreifen). Das Problem mit dieser Darstellung: Die Akten vom Wahltisch über die munizipale Wahlbehörde bis zur zentralen "arithmetischen Überprüfung" sind von den PLC-VertreterInnen unterzeichnet worden. (Die an den Wahlen beteiligten Parteien entsenden VertreterInnen in die Wahlbehörden von der Ebene des einzelnen Wahltisches bis zur zentralen Resultateausrechnung im CSE, welche die Akten mit den jeweiligen Resultaten firmieren und davon Kopien zuhanden ihrer Parteien erhalten).

Eduardo Montealegre, der rechte Bürgermeisterkandidat von Managua und Verlierer in den letzten Präsidentenwahlen gegen Daniel Ortega, behauptet, aufgrund seiner Akten klipp und klar nachweisen zu können, dass in Managua er und nicht der "sandinistische" ehemalige Boxweltmeister und Somozafreund Alexis Argüello die Bürgermeisterwahlen gewonnen habe und landesweit der PLC klar vor dem FSLN rangiere. Nun, entweder sind seine Leute zum Teufel gejagt worden und er hat keine Akten oder eben umgekehrt. Das Problem mit Montealegres Akten: Niemand ausserhalb seiner Entourage hat sie je zu Gesicht bekommen, schon gar nicht der CSE. Mit einer Ausnahme: An einer Pressekonferenz vom 11. November wedelte dieser Mann, einer der Hauptprofiteure beim grössten Finanzbetrug in der Geschichte des Landes, mit 2 Wahltischakten für Managua von 2200 herum - nicht wirklich ein stringenter Beweis für einen Wahlbetrug.


"Der Botschafter wünscht ..."

Es ist unumstösslich: Mit den Akten als Beweisstück klagt eine Partei fehlerhafte oder betrügerische Resultate an. Dafür dienen diese Dinger und dafür schreibt das Wahlgesetz klare Prozeduren vor. Stattdessen schrieen Montealegre und das Mediengros noch am frühen Abend des Wahltages von Betrug und organisierten gewalttätige Demonstrationen. Schon am Tag nach den Wahlen betonte Kristin Steward, Presssprecherin der US-Botschaft, bezugnehmend auf Aussagen von Robert Wood vom State Department bezüglich vieler Meldungen über Unregelmässigkeiten bei den Wahlen: "Der Botschafter wünscht, dass die Stimmen in aller Ruhe ausgezählt werden" (El Nuevo Diario, END, 11.11.08). Einige Tage später betonte die "Mesa de los cooperantes", der Zusammenschluss der Botschaften und Entwicklungsagenturen aus dem imperialistischen Norden (auch die DEZA ist dabei) "ihre wachsende Besorgnis ... über das, was verschiedene Sektoren des Landes als Mangel an Transparenz und Unparteilichkeit bei der Durchführung des jüngsten Wahlprozesses betrachten" (La Prensa, LP, 19.11.08). Peter Röhlinger, Vizepräsident der Friedrich-Naumann-Stiftung (deutsche FDP), wusste seinerseits, dass es "einen mehrere Monate gut vorausgeplanten Wahlbetrug gegeben hat" und dass Ortega "ein Tyrann" geworden ist, "der nichts als seinen eigenen Vorteil sucht" (LP, 25.11.08). (Ortega entspräche mithin dem Idealbild des von seiner Stiftung promovierten homo economicus).

Noch einen Zacken legte die EU-Aussenkommissarin Benita Ferrero-Waldner zu: Freie und faire Wahlen seinen das A und O der Demokratie, habe sie den nicaraguanischen Aussenminister Samuel Santos aufgeklärt, und das beinhalte "den gewissenhaften Respekt für die Stimmabgabe der Nicaraguaner... Wenn dies eine Nachzählung der Stimmen, eine Revision oder sogar eine Wiederholung des Wahlprozesses bedingt, ist die Kommission willens, die nicaraguanische Regierung dabei mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterstützen, und das habe ich Samuel Santos telefonisch mitgeteilt" (dpa in Radio La Primerísima, RLP, 26.11.08). Vor wenigen Tagen hat Washington die Infrastrukturzahlungen der "Millenium Challenges Corporation" wegen "Wahlunregelmässigkeiten" suspendiert und ein Vorstoss berüchtigter CIA-kubanischer Abgeordneter im US-Repräsentantenhaus (Ros-Lehtinen, Díaz-Balart) verlangt den Rausschmiss Nicaraguas aus dem regionalen Freihandelsabkommen mit den USA (darüber liesse sich diskutieren ...). Der französische Botschafter Thierry Fraysse versicherte, dass die für 2008 geplante Entwicklungshilfe der EU kaum mehr ausbezahlt würde. Zudem seien bisher von der Gruppe für Budgethilfe (EU, Weltbank, skandinavische Länder, Schweiz u.a.) erst $12 Millionen der geplante $115 Millionen ausbezahlt worden (END, 3.12.08). Schon zwei Tage zuvor hatte Präsident Daniel Ortega geäussert, die Massnahmen des Budgetboykotts würden von Venezuela ausgeglichen. Ortega:" Sie werden uns nicht einschüchtern. Die EU hat nicht bezahlt. Das ist ihre Entscheidung. Wir werden nicht auf die Knie gehen, damit sie uns Geld geben ... Sowohl die USA wie Europa haben Gesetze gegen die MigrantInnen erlassen und wollen nicht, dass wir Nica s nach Europa gehen. Aber sie kamen in unsere Länder, ohne jemanden um Erlaubnis zu bitten, sie kamen, um zu töten und die Reichtümer zu rauben. Was sie uns geben, ist nichts als eine historische Schuld mit unseren Völkern" (RLP, 1.12.08). Was Thierry Fraysse sensibel japsen liess: "Wir haben keine historische Schuld mit Nicaragua. Das ist eine Phantasie" (END, 3.12.08).


Die "Leichen" der Rechten und die Phantasmen der "Linken"

Soweit die zunehmend aggressivere internationale Kampagne, in deren nationalem Chor die Unternehmerverbände und die Bischofskonferenz (minus der minoritäre Obando-Flügel) eifrig mitsangen, nicht zu reden von den meisten grossen Medien. In der ersten Phase wurde sie national angeheizt mit Strassenunruhen zuerst seitens der Liberalen, danach der Sandinistas. Montealegre hatte wiederholt zu Demos aufgerufen. Zwei Tage nach den Wahlen etwa kam es zu Zusammenstössen in Managua, für rechte Massenblatt El Nuevo Diario Anlass zum Aufhänger: "Krieg in den Strassen" (END, 12.11.08). Eine friedliche Demo besorgter liberaler StaatsbürgerInnen sei aus Gebäuden der sandinistischen Gemeindeverwaltung unter Beschuss genommen worden, ein Mann sei gestorben und ein kleines Mädchen, das mit Mama und Papa auf der Demo war, schwebe in Lebensgefahr. In diesen Tagen berichteten die rechten Medien wiederholt von Toten bei Strassenunruhen, doch stets fehlten die Leichen. Tatsächlich gab es bei der erwähnten Demo einen schwer Verletzten, ein Sandinist, der von den liberalen Schlägertruppen, den "besorgten Staatsbürgern" der Desinformation, erwischt worden war. Es sieht tatsächlich so aus, dass die Gewalt zuerst von den Liberalen ausging, worauf dann sandinistische Gruppen in der folgenden Nacht mit einem Angriff auf die Wahlkampfzentrale von Montealegre antworteten. Eine rechte Demo in León (wichtige Stadt im Westen, von welcher die Liberalen ziemlich absurderweise behaupten, sie ebenfalls gewonnen zu haben) kam erst gar nicht zustande - die liberale Wagenkarawanne aus Managua wurde schon ausserhalb Leóns zum Umkehren gezwungen und die Polizei beschränkte sich auf die Verhinderung eines allgemeinen Gewaltausbruches. Einen zumindest vorläufigen Abschluss der Demos und Gegendemos brachte ein sandinistischer Grossaufmarsch in Managua am Tage einer angesagten und völlig verunmöglichten Demo der Rechten, welcher an vielen Orten der Stadt Strassensperren errichtete. Die frühere Guerillakommandantin Mónica Baltodano, derzeitige Nationalparlamentarierin für die Allianz um das MRS (eine rechtssandinistische Gruppierung), bezeichnete AFP gegenüber dieses sandinistische Vorgehen als "faschistoid", getragen von "Strassenbanden". In einer persönlichen Mitteilung betonte sie überdies, dass solche auch an anderen Tagen anzutreffenden sandinistische Gruppen z.B. Studentinnen sexuell belästigten und generell für ein Klima der Angst sorgten.

Wir tun gut daran, solche Aussagen nicht von vornherein als Propaganda abzutun. Doch es ist auch nicht zu übersehen, dass auch die "linken DissidentInnen" des Sandinismus einen Trip weit nach rechts angetreten sind. Schon zwei Tage nach dem Regierungsantritt von Daniel Ortega sprach Mónica Baltodano von einer neuen Diktatur. Es ist beileibe keine Ausnahme, etwa Vilma Nuñez vom Cenidh (Menschenrechtsbüro) von der Regierung Ortega sagen zu hören: "Dies ist die grausamste Diktatur, die wir [je] erlebt haben" (END, 12.10.08). Solche Aussagen sind schlicht zum Kotzen. Es spricht auch Bände, wenn Julio López, ein bekannter Exponent der "linkssandinistischen Dissidenz", im TV-Kanal 12 Montealegre kritisiert, weil er, statt die historische Gunst der Stunde zu nutzen und sich an die Spitze der zu Recht gegen den Wahlbetrug aufbegehrenden Volksmassen zu stellen, sich als Mann der Bourgeoisie erwiesen und die Massen nach Hause statt in den Kampf geschickt habe. Das sind linke Erklärungsmuster für rechts. Warum solch herausragende Menschen wie Julio López diesen Kurs steuern, entzieht sich meinem Verständnis. Welche Kränkungen, welche Verbitterung da vorausgegangen sind, geht vielleicht nur die Betroffenen etwas an.


Warum etwas beweisen, wenn es das Internet gibt?

So also das "Ambiente": internationale Einkreisung, permanente Desinformation in den meisten Massenmedien, Generierung eines Klimas des Kampfes gegen Terror und "evidenten" Wahlbetrug. Nur: Das alles (bisher) ohne einen stichhaltigen Beweis für einen Wahlbetrug. Als der CSE für das besonders umstrittenen Resultat von Managua eine Nachzählung anordnete, weigerte sich Montealegre, daran teilzunehmen. Dies ist ein faktisches Eingeständnis der Wahlniederlage. Der Finanzgangster veröffentlichte seine "Beweise" (angebliche Urnenresultate) im Internet, statt mit den Akten in der Hand an der Nachzählung teilzunehmen. Daran hatten sich neben dem FSLN drei weitere Parteien, alle von der Rechten, darunter Montealegres ehemaliger Hausverein ALN (eine Abspaltung vom PLC) mit ihren Akten beteiligt. Drei der sieben CSE-Magistraten sind altgediente PLC-Politiker, von denen zwei klar die offiziellen Resultate mittragen und der dritte sich hütet, Montealegres Siegesbehauptungen zu übernehmen. (Für einen Skandal sorgte vor wenigen Tagen der liberale CSE-Magistrat Herrera mit seinen Aussagen, wie führende PLC-Politiker, die öffentlich den Betrug anprangern, ihm gegenüber die Niederlage unumwunden anerkannten.)

Die rechte Allianz - vom PLC bis zu den "linken" Ex-Sandinistas - "begründete" ihren Boykott vor allem damit, eine Nachzählung müsse international und national beobachtet werden. Tatsächlich hatte der CSE weder die OAS, noch die EU oder das Carter-Center zur Wahlbeobachtung eingeladen, auch nicht die nationalen Organisationen Ética y Transparencia (EyT) und IPADE, die sich beide als Wahlbeobachtungsstrukturen der Zivilgesellschaft präsentieren. Zur Frage der internationalen Beobachtung lautete das Argument, Nicaragua sei, wie etwa Mexiko oder die USA, in der Lage, Wahlen ohne paternalistische Führung von aussen zu organisieren. Zudem seien die OAS und das Carter-Center in der Vergangenheit als eindeutig befangene Akteure aufgetreten. Eingeladen wurden hingegen die nationalen Wahlbehörden von Lateinamerika und der Karibik, deren rund 200 Delegierte den Wahlen vom 9. November übrigens ein positives Attest ausstellten.


Amigos des Imperiums

EyT, Mitglied bei Transparency International, ist jenes Gremium, das bei den skandalösen Vorgängen der Wahlen 1996, als das Fernsehen etwa die Bilder vom tumultartigen "Versorgen" von Wahlzetteln im CSE-Zentrum ausstrahlte, voller Freude ein Unbedenklichkeitszeugnis ausstellte. Die FSLN-Zeitschrift "El 19" veröffentlichte Angaben, wonach EyT vom National Democratic Institute (NDI) für den Zeitraum von Juli 2006 bis Juni 2007 $1.1 Millionen erhalten hatte und fast eine weitere Million Dollars mehr für die Periode von September 2006 bis Juni 2007 von Casals & Associates (El 19, 9.10.08). Das NDI gehört zu den vier Vertragspartnern der staatlichen US-National Endowment for Democracy. Casals ist ein ausgelagerter Apparat verschiedener US-Regierungsinstitutionen, der etwa in Bolivien in die Finanzierung des faschistischen Separatismus involviert ist. Das IPADE, ein anderer Schlager für Washingtoner Regierungsfinanzen, wird vom International Republican Institute (IRI, Pendant zum NDI) auf seiner Homepage als "Partner" aufgeführt, "der in verschiedenen Gemeinden an einem Projekt zur Beobachtung der Lokalregierung arbeitet", das den Leuten ihre Stimmentscheidung erleichtern soll (IRI: Advancing Democracy in Nicaragua). Mit dem vom IRI organisierten Nicaragua-Besuch des ehemaligen mexikanischen Präsidenten Vicente Fox im August 2008 begann die heisse Etappe der Denunziation des CSE als eines Instrumentes der "Diktatur" Ortegas, die ausgerechnet Fox einbrachte. EyT, die angekündigt hatte, mit über 30.000 BeobachterInnen ausserhalb der Wahlzentren zu beobachten (??), von denen es allerdings kaum mehr als ein paar hundert gegeben haben dürfte, wusste ihr Verdikt vom Wahlbetrug am 9. November mit präzisen Stimmenzahlangaben zu untermauern - ohne je anzudeuten, wie sie diese erlangt hatte.

Solcher Art also die Beobachtung, ohne welche Montealegre nicht zu einer Nachzählung antreten möchte. Es ist klar: Den Rechten geht es nicht um eine irgendwie seriöse gemeinte Überprüfung der Resultate, sondern um die Destabilisierung der ungeliebten Regierung Ortega. Das Verdikt vom Wahlbetrug soll weniger untermauert als eingehämmert werden.


Fundamentalismus gegen Unterwerfung?

EyT und IPADE stehen für eine reale Destabilisierungskampagne via international finanzierte NGOs. Doch das Angriffsobjekt, die Regierung Ortega, rekurriert zu seiner Verteidigung auch auf schweinische Momente. Vor den Wahlen hatte ein Verfahren gegen eine Kommunikations-NGO, CINCO, geleitet vom Ex-Sandinisten und Oligarchiespross Carlos Fernando Chamorro, der journalistischen Stimme der "Geldgeber" des Landes, und eine feministische NGO, Movimiento Autónomo de Mujeres (MAM), zu reden gegeben. Im Kern geht es dabei um die Anschuldigung der Staatsanwaltschaft, dass Mittel verschiedener europäischer staatlicher und privater Geldgeber (darunter auch die DEZA) via die legal eingetragene CINCO an das "illegale", also nicht als NGO registrierte MAM kanalisiert worden seien, welches damit Kampagnen gegen die Regierung und für die Wiedereinführung der Abtreibung mit medizinischer Indikation finanziert habe. Das rechtliche Hickhack interessiert nicht, wohl aber der politische Gehalt. Das MAM, trotz seines Namens keine Bewegung, sondern eine NGO, wird von MRS-nahen Feministinnen geleitet, darunter auch von der bekannten Sofia Montenegro, die ebenfalls in der CINCO-Leitung sitzt. Auch Montenegro ist weit nach rechts abgewandert: Im salvadorianischen rechtsextremen Blatt El Diario de Hoy warnte sie beispielsweise Mitte Oktober die SalvadorianerInnen, nur ja nicht den FMLN zu wählen, um nicht von der Demokratie in die Diktatur zu fallen wie die Nicas... CINCO, MAM und andere NGOs sind klar integriert in ein rechtes internationales Finanzierungsnetz - von der USAID über die europäischen Botschaften bis zu den deutschen Parteistiftungen. Dazu bringt die sandinistische Zeitschrift El 19 immer wieder Informationen (el19digital.com).

Die nicht verdrängbare Erkenntnis aus vielen Vorfällen ist, dass die Regierung von Daniel Ortega und seiner Frau Rosario Murillo in ihrem Kampf gegen die Destabilisierungsstrategie auch eine erzreaktionäre Politik versteckt. Auch wer diese kennen lernen will, lese den von Murillo herausgegebenen "El 19". So unbestreitbar eine Reihe enorm positiver sozioökonomischer Reformen dieser Regierung sind, so wahrscheinlich eine reale Demokratisierung auf lokaler Ebene scheint, so unübersehbar ist ein schmieriger theokratischer Zug, der sich vor allem, aber nicht nur, in der Abtreibungsfrage manifestiert. An einem Treffen mit evangelischen Predigern (die katholische Hierarchie hatte sich bis auf den Obandoflügel schon ins antisandinistische Lager verabschiedet) charakterisierte Murillo die Arbeit ihrer Regierung ganz unbefangen so: "Wir unterstützen die Arbeit Gottes" (Agenturberichte, zitiert in RLP, 21.10.08). Und ihr Ehemann steuerte bei, dass "uns" die Finanzkrise "sagt, dass dies [die Börsenvergötterung] nicht der Weg der Menschheit ist und Gott straft sie, denn er liess diese berühmte Wertschriftenbörse explodieren" (idem.). Und AIDS ist die Strafe Gottes für vorehelichen Sex usw. Im "El 19" vom 2. Oktober 08 lesen wir etwa im Rahmen der Auseinandersetzung mit den Feministinnen, die sich gegen das per totalem Abtreibungsverbot ausgesprochene Todesurteil von gefährdeten Frauen und Mädchen wehren, vom "Geschäft mit der Abtreibung", von den Feministinnen von CINCO als Frauen, " die ohne als Frauen zu leben, die Kindsmorde in ein unmoralisches Geschäft verwandeln" (während die reale Situation in vielen Frauenhäusern immer drückender wird!).. Es reicht nicht, auf Beziehungen politischer und finanzieller Art von Sofia Montenegro zur US-Botschaft und USAID hinzuweisen, nein, es braucht meistens noch die Aufklärung, dass sie die "Schwester eines ehemaligen somozistischen Guardias" ist - als ob die politische Spaltung nicht quer durch viele Familien verlaufen wäre, als ob dies in den 80er Jahren ein Hindernis gewesen wäre, ihr wichtige Funktionen im sandinistischen Pressewesen anzuvertrauen!


Die BeterInnen

Die gleiche Zeitschrift nimmt die Feministinnen in ihrer Ausgabe vom 16. Oktober erneut aufs Korn, die antreten "mit einer offen gegen die Kirchen, gegen die religiösen Menschen und gegen Gott selbst gerichteten Linie, der beschuldigt wird, sich für den Höchsten Patriarchen zu halten". Rosario Murillo, die sich in New Age-Gedichten durchaus als Tochter der Mondin verstanden hat, versucht in der gleichen Nummer, den antifeministischen Ansatz als Schutz einheimischer Frauen darzustellen: "Europäische Regierungen und Agenturen haben Millionen von Dollars 'investiert', um Gewalt und Tod in Nicaragua zu fördern, mit Programmen, die sich auf die Abtreibung als 'Notwendigkeit' und als Menschenrecht der NicaraguanerInnen beziehen ... Millionen für die Abtreibung in einem Land, das sie zerstört und hungrig zurück liessen - das ist purer Zynismus ... Krieg gegen die ungeborenen Kinder ... Jedes Mal, wenn wir von reproduktiven Rechten reden hören, von AIDS-HIV, von Unterstützung für die sexuelle Diversität oder verschiedene sexuelle Optionen, müssen wir wissen, Schwestern und Brüder, Compañeras und Compañeros, dass sie in Wirklichkeit von etwas anderem reden ... Einem Volk von sexuellen 'Rechten' zu erzählen, das sie im Elend zurück liessen, ist mehr als Hohn ... Die Korruption kennt keine Vergeben Gottes". Dieses eigentümliche Gemisch aus Bigotterie und Kritik an realen Mechanismen der Unterwerfung - Abtreibungen und Zwangssterilisierung von Frauen gehören zur kolonial-sexistischen Bevölkerungspolitik - setzt die "Chayo" in der nächsten Nummer fort (30.10.08) fort: "Die Nicaraguanische Verfassung anerkennt die Rechte von Allen, ohne Unterscheidung nach Rasse, Religion, Ideologie oder sexueller Orientierung. Aber das Recht auf eine andere sexuelle Option darf man nicht mit dem Aufzwingen von Theorien und Fahnen jener verwechseln, die diese Optionen haben und sie für Millionen von Frauen verallgemeinern wollen, die das Recht haben als solche zu leb en"! (Immerhin konzediert Murillo in der gleichen Nummer, dass das Problem von bei der Geburt sterbenden Müttern angegangen werden müsse. Das Gesundheitsministerium hat auch schon Aborte bei schwer gefährdeten Frauen angeordnet).

Die sandinistischen Propagandagruppen, welche die von Murillo geleiteten Volksräte an die grossen Strassenkreuzungen aussenden, nennen sich rezadores, BeterInnen. Nicht ganz unverständlich, teilt uns Mónica Baltodano mit, sie befänden sich in den Händen von zwei "Geistesschwachen" (Ortega und Murillo). Doch das Mittun bei der imperialistischen Rechten ist kein Dreck besser. Hoffen wir, dass die Andeutungen von Compas drüben wahr werden, wonach sich eine an den realen sozialen Fortschritten orientierende kritische Strömung im FSLN herauszuschälen beginnt. Dringend nötig wäre sie, gegen die Stündeler in den eigenen Reihen und die massiv aggressiver werdenden historischen Feinde der Emanzipation.


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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 156, 22. Dezember 2008, S. 11-14
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Februar 2009