Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


AUFBAU/603: Frauensolidarität - Allein machen sie dich ein


aufbau Nr. 100, März/April 2020
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

FRAUENSOLIDARITÄT
Allein machen sie dich ein


"Teile und Herrsche": Ein alter Spruch, der im Kapitalismus zur Perfektion getrieben wird. Das gilt auch für das Verhältnis zwischen den Geschlechtern - und für die Frauen untereinander. Aber gerade im Frauenkampf ist die konkrete Erfahrung der Solidarität spürbar. Entfaltet sie sich, ist sie von revolutionärer Sprengkraft.


(agf) Mit der Entwicklung der Produktivkräfte schreitet auch die Arbeitsteilung zügig voran. Um alle Produkte zu erhalten, die wir zum Leben brauchen, sind wir auf die Arbeit von Menschen auf der ganzen Welt angewiesen. Man könnte also behaupten, dass wir immer mehr vernetzt, immer mehr vergesellschaftet sind. Diese Vergesellschaftung ist im Alltag aber kaum wahrnehmbar. Im Supermarkt kaufe ich über meinen Lohn vermittelt, was ich brauche, ohne Bezug dazu, wessen Arbeit drinsteckt. Die Produkte unserer Arbeit werden über den Markt vermittelt, wo wir im Tauschhandel die menschlichen Beziehungen die dahinter stehen nicht mehr wahrnehmen. Sie sind nunmehr versachlicht, verdinglicht, entfremdet. Ideologisch wird die Verschleierung der vergesellschafteten Produktion durch den bürgerlichen Individualismus unterstützt. Grenzen zwischen Ländern, Kulturen oder Religionen werden gezogen und zueinander in Konkurrenz gesetzt. Diese Erfahrung der Konkurrenz ist existentiell: Als Lohnabhängige sind wir vereinzelt auf dem Arbeitsmarkt und es wird uns täglich vermittelt, wir müssten uns gegen andere behaupten und durchsetzen.


Sie wollen Zwietracht säen

Als Frauen erfahren wir dieses allgemeine Verhältnis der Konkurrenz nochmals speziell. Patriarchale Strukturen verschärfen die Spaltung der Frauen untereinander. Als Frauen in der bürgerlichen Gesellschaft sozialisiert zu werden bedeutet, früh zu lernen, dass es die männliche Anerkennung ist, die frau wertvoll macht. Gleichzeitig erleben wir, dass das Weibliche systematisch entwertet wird. Zum Beispiel war der Beruf "Sekretär" bis Mitte des 19. Jahrhunderts ein angesehener Männerberuf. Heute sind es fast ausschliesslich Sekretärinnen und der Beruf hat massiv an Ansehen verloren. Frauen sind nicht Kraft ihres Menschseins wertvoll, sondern weil eine andere Instanz, der männliche Blick, ihnen Wert zuschreibt oder eben nicht. Von allen Seiten wird vermittelt, dass einer Frau Anerkennung zukommt, wenn sie von Männern begehrt wird und als attraktiv gilt. Dazu kommt die reaktionäre Einteilung in Hure und Heilige, was einer Spaltung zwischen aufmüpfigen und gehorsamen Frauen entspricht. Alles was nicht dieser patriarchal definierten Rolle entspricht, wird abgestraft. Die heilige Mutter hat monogam und unterwürfig zu sein, um im Bürgertum dem 'Familienoberhaupt' die Sicherheit zu geben, seinen Besitz seinen leiblichen Kindern zu vererben. Dem Proletarier, der nichts zu vererben hat und den gesellschaftlichen Verhältnissen entsprechend ein Nichts ist, kommt immerhin noch der Besitz am Körper seiner Frau zu. Der patriarchale Zugriff auf den Frauenkörper ist auch heute noch ein Kampfplatz. Angriffe auf das Recht auf Abtreibung, als besonders offensichtliches Beispiel dafür, haben von reaktionärer Seite weltweit Aufwind.

Aktuell sehen wir eine Flexibilisierung der Lebensentwürfe, was zum Teil eine Befreiung aus Rollenzwängen bedeuten kann. Die gewonnene Freiheit ist aber trügerisch, denn sie hat auch immer den Anforderungen des Marktes zu entsprechen. In neoliberalen Marktstrukturen muss die Ware Arbeitskraft jederzeit und flexibilisiert verfügbar sein, da kommen flexible Lebensentwürfe gerade recht. Die Widersprüchlichkeit, welche die gewonnene Freiheit mit sich bringt, lässt sich am modernen Bild der Mutter deutlich erkennen: Sie hat selbstlos und fürsorglich zu sein, aber auch arbeitstätige Powerfrau, die dazu noch sexy und jung geblieben ist. Sich diesen Anforderungen zu entziehen braucht viel Energie und ist ein schwer einlösbarer Anspruch. Dazu kommen die Sozialen Medien und die Dauerpräsenz der Werbung, die uns heute statt der Religion und konservativen Familienstrukturcn ständig mit den Anforderungen, wie frau zu sein hat, konfrontieren. Instagram und Co. bombardieren uns mit Bildern, was wie konsumiert werden soll und wie der entsprechende Körper dazu auszusehen hat.


Revolution versus Rollenzwang

Im Frauenkampf versuchen wir zu erkennen, was es heisst, im patriarchalen Kapitalismus Frau zu sein. Von Geburt an werden uns gesellschaftliche Rollen als Frau oder Mann zugeschoben. Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und die Funktionen, welche in der kapitalistischen Produktionsweise den Frauen zugeschoben wird, bilden die materielle Grundlage für die herrschenden Geschlechterverhältnisse. Die Rollen sind kulturell dermassen überformt und beladen, dass ein Leben grundlegend davon geprägt ist. Für die, die nicht in die Schublade 'Frau' oder 'Mann' reinpassen, wird's ungemütlich.

Für uns ist klar, dass es nicht darum gehen kann, dass einige wenige Frauen die Privilegien der Herrschenden teilen können. Der Frauenstreik am 14. Juni zeigte eindrücklich, wie im Frauenkampf alle Bereiche des Lebens in den Blick geraten. Es geht um Lohngleichheit, um die Aufhebung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, um Aufwertung und Kollektivierung von Sorgearbeit, die Frauen stellen sich dem Sexismus und der sexualisierten Gewalt entgegen. Nimmt man all diese Forderungen zusammen wird deutlich, dass es eine proletarische Revolution braucht.

Um den Weg des Widerstands zu beschreiten gilt es, die Konkurrenz, die das herrschende System unter uns immer wieder sät, zu überwinden. Um eine kollektive Gegenmacht aufzubauen, können wir besonders im Frauenkampf auf bereits bestehende Fähigkeiten *zurückgreifen. Wenn wir FLINT-Räume schaffen (Frauen, Lesben, Intersexuelle, Nonbinäre, Trans), wo Männer keinen Zugang haben und wir uns im Fraucnkampf eigenständig organisieren, dann entsteht die Erfahrung von Solidarität, Aufmerksamkeit und Anteilnahme. Im Alltag unter Freundinnen und als Genossinnen in der politischen Arbeit ist die Fähigkeit zur Kommunikation von besonderem Wert. Wenn wir uns austauschen über unsere Erfahrungen und diese analysieren, gelangen wir schnell zur Erkenntnis, dass diese sehr ähnlich sind. In einer Gesellschaft, welche in ihrer Grundstruktur auf Vereinzelung und Zerstörung sozialer Beziehungen zielt, liegt entsprechend auch eine individualisierte Perspektive auf die eigenen Probleme nahe. In der Arbeit, der Familie oder in der Beziehung, ist es meine Schuld oder Angelegenheit, wenn ich Probleme habe. Wenn ich als Mutter mehrfachbelastet bin und nicht mehr mag, bin ich eine Rabenmutter. Diese Probleme sind keine individuellen, sondern eng mit gesellschaftlichen Strukturen verbunden und somit ähnlich denen vieler Frauen. Diese Erkenntnis verbindet, schafft Bewusstsein und spendet Kraft, im Alltag wie auch für die politische Arbeit. Die NiUnaMenos-Bewegung oder auch die Diskussion im Zuge von #metoo zeigen beispielsweise, welche Kraft aus dem kollektiven Austausch gemachter Erfahrungen entsteht. Dabei machen wir die Erfahrung von Sensibilität und Fürsorge, aber auch Kampfbereitschaft und kollektiver Stärke, nicht weil das der 'Natur der Frauen' entspricht, sondern weil eine bestimmte geschichtliche Phase die Voraussetzung dafür geschaffen hat. Gerade weil den Frauen die Aufgabe zugewiesen wird, sich um die Reproduktion des konkreten Lebens zu kümmern, liegt auch das Bewusstsein nahe, das nicht gleich Wille zum Herrschen, zum Dominieren, zum Unterwerfen ist, sondern eine Fähigkeit zur Kooperation und Solidarität. Fähigkeiten, die in allen Menschen angelegt sind, welche aber im Kapitalismus verstümmelt werden, denn sie sind von revolutionärer Sprengkraft. Frauen- und FLINTräumen kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Normalerweise von patriarchalen Strukturen zurück gebunden, ermöglichen uns diese, unser Selbstbewusstsein und unsere Stimme zu entwickeln. Im Kollektiv machen wir die Erfahrung, dass wir uns von Rollenzwängen befreien können, dass wir nicht Konkurrentinnen, sondern Komplizinnen sind. Es ist die Erfahrung real existierender Keime einer neuen Gesellschaft. Andere Beispiele, wie die philippinischen oder indischen Maoistinnen, oder die Kämpferinnen in Rojava, zeigen eindrücklich, welche Kraft die Frauen entwickeln, wenn sie aus den engen Familienstrukturen in den kollektiven Widerstand und den revolutionären Aufbauprozess treten. Damit reissen sie die gesamte Gesellschaft mit und werden zur treibenden Kraft der Befreiung aller Menschen.

Es ist diese Perspektive der Befreiung aller Menschen, welche antreibt, zu kämpfen und schrittweise eine Form von Gegenmacht aufzubauen. Gegenmacht ist zwar ein grosses Wort, doch sie betrifft in unserem Verständnis nicht nur die fernen grossen Ziele, sondern den Aufbau der eigenen Strukturen im Kleinen, hier und heute, insbesondere auch diejenigen der Frauen. Unsere Organisierung, das Aneignen von Frauen- und Klassenbewusstsein, von Wissen und Fähigkeiten in den praktischen, kollektiven Kämpfen, werden so zum Ausgangspunkt einer grundlegenden Umwälzung der herrschenden Verhältnisse. *

Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

*

Quelle:
aufbau Nr. 100, März/April 2020, Seite 10
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz:
aufbau, Postfach 8224, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
Abo Inland: 30 Franken, Abo Ausland: 30 Euro,
Solidaritätsabo: ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. März 2020

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang