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AUFBAU/587: Komintern - 100 Jahre proletarischer Internationalismus


aufbau Nr. 98, Sep/Okt 2019
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

KOMINTERN
100 Jahre proletarischer Internationalismus


In Zeiten wieder entfachter imperialistischer Kriege um Einflussgebiete für das Kapital und damit verbunden eines widerlichen Nationalismus, ist die Gründung der Kommunistischen Internationale vor hundert Jahren, als proletarische Gegenposition, auch heute noch einige Gedanken wert.


(agkkzh) Im Dezember 1918 erreichten illegale Kuriere Moskau, bei sich hatten sie die "Rote Fahne" aus Berlin und "Der Weckruf" aus Wien. Mit Begeisterung lasen die Bolschewiki die Zeitungen der KommunistInnen und begrüssten ihren revolutionären Charakter.

Die Gründung der III. Internationale 1919 war das Resultat eines längeren Prozesses, der eigentlich schon 1914 begann. Die ersten kriegerischen Auseinandersetzungen beendeten definitiv die Zweite Internationale (1889-1914). Die sozialdemokratischen Parteien der Krieg führenden Länder unterstützten die eigene Bourgeoisie und fanden sich darauf in verfeindeten Lagern wieder. Nur eine revolutionäre Minderheit widersetzte sich dieser nationalistischen Linie und organisierte sich in den Kriegsjahren zu eigenen internationalistischen Parteien, allen voran die Bolschewiki.


Gründungsprozess

Schon die Oktoberrevolution 1917 stand unter der Fahne der Weltrevolution und einer künftigen kommunistischen Internationale. In der Resolution des Petrograder Sowjets der ArbeiterInnen- und Soldatendeputierten vom 25. Oktober 1917 zur Machtübernahme gingen die RevolutionärInnen davon aus, dass "das Proletariat der westeuropäischen Länder uns helfen wird, die Sache des Sozialismus bis zum vollen und dauernden Sieg zu führen". Die Bolschewiki konnten sich eine sozialistische Revolution nur in einem internationalen Massstab und im Kontext der internationalen Solidarität des Proletariats vorstellen. Im ersten Halbjahr 1918, als sich immer mehr ein Hinüberwachsen des imperialistischen Krieges in eine proletarische Weltrevolution abzeichnete, drängte die Schaffung einer neuen Internationale die Bolschewiki zu ersten praktischen Schritten. Eine Delegation des Gesamtrussischen Zentralexekutivkomitees reiste nach Stockholm, um die Einberufung einer internationalen revolutionären Konferenz nach Petrograd vorzubereiten. Verschiedene weitere Massnahmen zur Vorbereitung der Konferenz gipfelten anfangs 1918 in einer Resolution, die den Standpunkt der revolutionären Linken zusammenfasste: "1. Zustimmung der Parteien und Organisationen, den Weg des revolutionären Kampfes gegen die eigene Regierung, für einen sofortigen Frieden zu beschreiten; 2. Unterstützung der russischen Oktoberrevolution und der Sowjetmacht." Die Resolution wurde allen Organisationen, die an der Zimmerwalder Kommission beteiligt waren, zugestellt. Ende 1918 fiel die Entscheidung, mit praktischen Schritten die Gründung der Dritten Internationale einzuleiten.


1. Kongress

Die revolutionäre Internationale war das Gegengewicht zur Internationalen der Vaterlandsverteidiger und Sozialchauvinisten, die den imperialistischen Krieg unterstützt hatte. Die Erneuerung der II. Internationalen, und damit die Festigung der Hegemonie des Reformismus, sollte verhindert und ein Polarisierungszentrum für alle klassenbewussten revolutionären ArbeiterInnen geschaffen werden.

1919 konnte sich die Komintern auch die Revolution in Russland nur im Kontext des revolutionären Prozesses in Westeuropa, insbesondere in Deutschland, vorstellen. Die immer stärker werdende Orientierung auf den Prozess in der Sowjetunion war zuerst eine "Notlösung", ungewollt, und hatte ihre Ursache im Abflachen des revolutionären Prozesses in Westeuropa.

Über die Gesamtsituation, das heisst den Vormarsch der Revolution und der Notwendigkeit eines internationalen Zentrums, bestanden unter den Delegierten des I. Kongresses kaum Widersprüche. Unterschiedlich wurde hingegen die Grundlage dieses Zusammenschlusses eingeschätzt. Die KPD verwies auf folgende Tatsachen: das Bestehen sehr weniger und sehr junger Kommunistischer Parteien, fehlende Repräsentation verschiedener Länder und dass viele KommunistInnen noch über keine eigene Organisation verfügten.

Ihr Delegierter Eberlein wollte auf keinen Fall eine pompöse Gründung mit vielen papierenen Resolutionen, ohne zu wissen, wieviele Kräfte wirklich hinter der Kommunistischen Internationalen standen. Als Redner der Russischen Kommunistischen Partei (Bolschewiki) argumentierte Sinovjew für die Gründung mit dem Hinweis auf die siegreiche Revolution in einem Land, zum Sieg schreitende Revolutionen in verschiedenen Ländern und nicht zuletzt mit den Erfolgen der KPD.

Der Kern des Widerspruchs: Ist die internationale Organisation des Proletariats das Ergebnis der aktuellen Kämpfe oder ist die Internationale die Vorbedingung für die Entwicklung dieser Kämpfe. Die Delegierten kamen zum Schluss, dass die Kommunistische Bewegung reif für die Gründung war und der Impuls einer internationalen Organisation für die Bewegung, besonders im Kampf gegen den Reformismus der II. Internationale, überaus wichtig war. Es gab an der Abstimmung kein Nein, nur Eberlein enthielt sich der Stimme.


Mehr als Solidarität

Die internationalistische Solidarität ist immer an den politischen Charakter der Kämpfe in den jeweiligen Ländern und damit auch an deren Veränderungen gebunden. Revolutionärer Internationalismus bedeutet immer, sich auch mit den gesellschaftlichen Widersprüchen im "eigenen" Land zu beschäftigen, als permanenter Prozess. In der Epoche des proletarischen Internationalismus der ArbeiterInnenbewegung nach 1919 lag der revolutionäre Ort vor allem in Europa. Die Komintern war das Zentrum des weitrevolutionären Prozesses. Die Erfahrungen der vorhandenen Bewegungen sollten auch für andere Länder produktiv werden. Sie waren Vorwärtstreibend dann, wenn die Erfahrungen der fortgeschrittensten Bewegungen die zukünftigen Aufgabenstellungen in anderen Ländern antizipierten und so Impulse geben konnten. Hemmend waren sie ab dem Zeitpunkt, als die Erfahrungen in einen dogmatischen Rahmen gepresst, nicht mehr auf die jeweiligen spezifischen Bedingungen geachtet und die proletarische Revolution zugunsten der sowjetischen Machtpolitik aufgegeben wurden.

Die Komintern wuchs nach einer offensiven Phase bis Mitte der 20erJahre in eine Situation hinein, für die sie weder gedacht noch vorbereitet war. Ihre ursprüngliche zentrale Aufgabe, die proletarische Revolution in verschiedenen Ländern durch den bewaffneten AUfstand durchzuführen, veränderte sich aus objektiven Gründen. Bemerkbar machte sich diese neue Situation auch auf der subjektiven Seite. Nämlich darin, dass die Kommunistische Internationale immer weniger eine revolutionäre Rolle spielte und immer mehr den aussenpolitischen Interessen der Sowjetunion diente. In einer Zeit der Stabilisierung des Kapitalismus für den Kommunismus zu kämpfen ist eine andere Herausforderung, die auch eine andere Strategie erfordert. Neue Aufgaben tauchen auf, der Kampf um die täglichen Lebensbedürfnisse, der Kampf für die Sowjetunion, der Kampf gegen den Faschismus, der Kampf gegen den Kolonialismus. Form und Inhalt des Internationalismus verändern sich mit.

In den 60er und 70er Jahren verlagerten sich die Kämpfe im Rahmen der antiimperialistischen nationalen Befreiung gegen Halbkolonialismus und Feudalismus in die Länder des Trikonts. Dementsprechend nahm der Internationalismus einen antiimperialistischen Charakter an, der weit über den gemeinsamen Feind hinausging. Der Emanzipationsprozess in Afrika, Asien und Lateinamerika wirkte auf die imperialistischen Länder zurück, verknüpfte sich mit der StudentInnenbewegung und kurbelte den revolutionären Prozess dort weiter an. Im antiimperialistischen Kampf erprobte revolutionstheoretische Erfahrungen verbanden sich mit den "eigenen" Klassenkämpfen zu einer neuen revolutionären Militanz und prägten die damalige revolutionäre Politik.

Mit dem Abflauen der Kämpfe in den imperialistischen Metropolen und der kapitalistischen Restauration in den befreiten Ländern des Trikonts, veränderte sich der Charakter des Internationalismus in den 80er Jahren von neuem. Verschiedenste Solidaritätskomitees entstanden mit dem Ziel, die Reste der erkämpften Errungenschaften gegen die imperialistischen Bedrohungen zu verteidigen. Ein defensiver, einseitiger Internationalismus entstand, der kaum nachhaltige politische Impulse in den kapitalistischen Metropolen setzen konnte.

Mit den Erfahrungen neuer Kämpfe, insbesondere in Rojava, schlägt auch der Internationalismus ein neues Kapitel auf. Mal sehen, welche Geschichte er schreiben wird. In den verschiedenen Phasen der Komintern zeigt sich ein wichtiges Problem, das allgemein zu beobachten und von dem die revolutionäre Linke immer wieder betroffen ist: Bruch und Kontinuität. Wie darauf reagieren? Revolutionäre Organisationen entstehen in bestimmten Situationen mit spezifischen Aufgaben. Es ist eine grosse Herausforderung, auf die Veränderungen der objektiven Situation mit der adäquaten Veränderung der eigenen Positionen zu reagieren.


1919-1923:
Gründungs- und Kampfzeit. Diese Periode umfasst die Nachkriegskrise und den revolutionären Aufbruch in Europa. Räterepubliken in Bayern, Ungarn, in der Slowakei, Finnland und den baltischen Staaten.

1924-1928:
Nach Einschätzung der Komintern der Zeitabschnitt der relativen Stabilisierung des Kapitalismus und der Stagnation der Revolution.

1929-1933:
Die Zeit der grossen Weltwirtschaftskrise und daher der grossen Arbeitslosigkeit. In der Sowjetunion gewinnen die Dogmatiker unter Stalin den endgültigen Sieg. Orientierung am Aufbau des Sozialismus in einem Land und die Unterordnung der Kominternpolitik unter diese Zielsetzung. Revolution war nicht mehr angesagt.

1934-1938:
Der Zeitabschnitt der Volksfrontperiode. Die Komintern propagierte die antifaschistische Einheitsfront unter Einschluss von Teilen der Bourgeoisie. An Stelle der sozialen Revolution wurde beispielsweise im spanischen Bürgerkrieg die bürgerliche Republik verteidigt, statt die revolutionären Kräfte zu unterstützen.

1939-1943:
Die Etappe vor dem Ausbruch des imperialistischen Weltkrieges bis zur Auflösung der Komintern. In der Phase des Stalin-Hitler Pakts 1939-1941 werden deutsche KommunistInnen von der SU an die Gestapo ausgeliefert. Die Komintern ist Teil der Machtpolitik der Sowjetunion.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 98, September/Oktober 2019, Seite 1+7
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
Abo Inland: 30 Franken, Abo Ausland: 30 Euro,
Solidaritätsabo: ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Januar 2020

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