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AUFBAU/579: Der Kommunistische Widerstand in Nazideutschland


aufbau Nr. 98, Sep/Okt 2019
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

ANTIFASCHISMUS
Der Kommunistische Widerstand in Nazideutschland


Dieser Artikel entstand im Gespräch mit Theodor Derbent, Autor eines Buchs über den deutschen kommunistischen Widerstand im III. Reich. Er handelt von der wenig bekannten Geschichte derjenigen, die mit dem Fernziel einer sozialistischen Revolution unermüdlich gegen Hitler und dessen Schergen kämpften.


(agafz) In einem Gastbeitrag aus Deutschland zum 75. Jahrestag des Attentats auf Adolf Hitler widmete die NZZ Claus Schenk Graf von Stauffenberg eine volle Seite. Der Wehrmachtsoffizier war führendes Mitglied des Regimeinternen Komplotts vom 20. Juli 1944. Bei der sogenannten Operation Walküre sollte der "Führer" mittels einer Sprengladung getötet werden. Das Unternehmen scheiterte bekanntlich. Lobhaft wird im besagten Artikel erklärt, dass das Attentat "auch daran erinnert, dass der demokratische Wille nicht einfach Volkswille ist, sondern Volkswille auf der Grundlage universaler Menschenrechte." Wie üblich in der bürgerlichen Geschichtsschreibung wird suggeriert, dass der Widerstand gegen den Nationalsozialismus im III. Reich nur Sache aristokratischer Putschisten und ein paar jungen Katholiken der "Weissen Rose" gewesen sein soll.


Die KPD: Vom Widerstand zur Revolution

Der Widerstand der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) begann einiges vor dem Ausbruch des Krieges. Schon in den 1920er Jahren führte diese zum Teil auch bewaffnete Kampagnen gegen die Etablierung Nationalsozialistischer Massenorganisationen wie der SA in den Arbeiterquartieren. In den 1930er Jahren organisierte die KPD eine Million Mitglieder, Männer und Frauen, unter sich. Ihr klandestiner Militärapparat war Teil einer breiteren Milizorganisation: dem Roten Frontkämpferbund mit 100.000 Mitgliedern. Im Januar 1933, als die NSDAP an die Macht kam, reagierte die KPD mit Streiks und Demonstrationen. Die neuen Machthaber antworteten mit Repression. Die KPD wurde verboten und innerhalb weniger Monate wurden zehntausende GenossInnen verhaftet. Tausende wurden ermordet oder zu Tode gefoltert.

In dieser prekären Situation versuchte die KPD, in jeder grösseren Arbeiterstadt ihre Organisationsorgane beizubehalten. Trotz Klandestinität führten sie ihre Aktivitäten auf verschiedenen Ebenen weiter: antifaschistische Propaganda, Sabotage der Kriegsproduktion, Organisierung von Gefangenennetzwerken in den Lagern, Spionagearbeit und bewaffneter Widerstand im In- und Ausland. Die Archive der Gestapo bestätigen diese unermüdlichen Aktivitäten. Diese zeigen zum Beispiel, dass 1936 über 1.5 Millionen kommunistische Zeitungen, Flugblätter oder Broschüren von der Polizei im ganzen Reich beschlagnahmt wurden.

Sabotageaktionen gab es viele. Eine besonders spektakuläre Arbeit leistete das Wollweber-Netzwerk. Über die klandestine Organisation der Internationale der Seeleute und Hafenarbeiter (ISH) wurden die Waren, die auf den Schiffen transportiert wurden oder die Schiffe selbst, sabotiert. Eine Technik bestand darin, dem Brennstoff einen kohleähnlichen Explosivstoff beizumischen. Mitten auf Hoher See führte dies zu fatalen Explosionen. Dutzende von Kriegsschiffen wurden mit dieser Methode versenkt.

Die KommunistInnen, die das Reich verlassen konnten, organisierten in den benachbarten Ländern Zentralen, wo sie den inneren Widerstand über den Versand von Material und Militanten unterstützten. Es sind auch diese ExilkommunistInnen, die sich in den folgenden Jahren zu tausenden am Bürgerkrieg in Spanien beteiligen. Viele von ihnen schlossen sich zudem als PartisanInnen an den Widerstandskämpfen in Griechenland, Frankreich, Belgien, Polen, Albanien, Jugoslawien oder der Slowakei an. In Frankreich wurde der für die Deportation französischer, widerständischer ArbeiterInnen verantwortliche SS-General von einem deutschen Kommunisten erschossen. Die Waffen für diese international koordinierte Operation wurden in Paris von einer Zelle, bestehend aus jungen deutschen Kommunistinnen, die im Führungsstab der Seestreitkraft arbeiteten, gestohlen. Der Beitrag dieser InternationalistInnen an der Résistance fand auch auf symbolischer Ebene seine Wertschätzung: Die französischen PartisanInnen, die Ende August 1944 an der Siegesparade in Nimes teilgenommen hatten, entschieden, dass die deutschen GenossInnen an der Spitze mitmarschieren und die Siegesfahne tragen sollten.


In den Arbeitslagern stellte die SS Gefangene als Hilfskräfte an. Den Gefangenen, denen diese "privilegierten" Stellen zuerst vergeben wurden, wurden diese oftmals wegen Diebstählen und Rivalitäten wieder entzogen. Über die Zeit konnte die KPD diese Stellen für ihre Leute gewinnen. In dem sie der Lagerführung Kooperationsbereitschaft vorgaukelten, vermochten sie die Vernichtungsmaschinerie zu schwächen. So wurden zum Beispiel mittels Identitätstausch zahlreiche zum Tod verurteilte Häftlinge gerettet. Widerstandskämpfer sabotierten in den Lagern erfolgreich die Kriegsproduktion, eliminierten Spitzel und bereiteten sich gleichzeitig für den bewaffneten Aufstand vor. Dieser wurde teilweise auch erfolgreich umgesetzt. Zum Beispiel in Buchenwald: Als sich die Alliierten noch rund 50 Kilometer vor dem dortigen Konzentrationslager befanden, befreiten sich die dort Inhaftierten selber und machten ihrerseits 150 Gefangene aus den Reihen der flüchtenden SS.


Die Saefkow-Jacob-Bästlein Organisation

Die drei Metallarbeiter Saefkow, Jacob und Bästlein waren in der KPD auf Bezirksebene aktiv. Nach dem Machtantritt der NSDAP organisierten sie den Übergang ihrer Organisation in den Untergrund. Alle drei wurden jedoch gleich 1933 verhaftet und in verschiedenen Konzentrationslagern untergebracht. Als sie aus der Haft freikamen, begannen sie, Kontakte in kommunistische und antifaschistische Kreise rund um Berlin aufzubauen. Ziel war, dem zersplitterten Widerstand eine zentrale Leitung zu geben. Mit der Zeit entstanden so feste Verbindungen zu Widerstandsgruppen in deutschen Grossstädten, wie Hamburg, Leipzig, Dresden oder Magdeburg. Ab 1943 wagten sie den Schritt von der Vorbereitungsphase in die Offensive. Die Gruppe zählte mittlerweile über 400 MitgliederInnen und pflegte Kontakte zu weiteren konspirativen Netzwerken. Das Trio Saefkow-Jacob-Bästlein wurde als politisch-organisatorische Führung der Organisation anerkannt und handelte teils als operative Leitung der KPD im Inland.

Trotz der Kriegssituation war die theoretische Auseinandersetzung innerhalb der illegalen KPD hoch und diente der Ausarbeitung der offiziellen Parteilinie. Dabei wurde, mit unter der Berücksichtigung eines an der Macht stehenden Faschismus, an die Notwendigkeit einer straffen Strukturierung als Kaderorganisation geglaubt. Aufgrund des taktischen Ziels der Sabotage der Kriegsproduktion war die Verankerung in den Betrieben von zentraler Wichtigkeit. Es wurden zahlreiche Dokumente produziert wie Kadermaterial, Schulungsdokumente, Propagandamaterial und verschieden agitatorische Publikationen. In ihrer Auseinandersetzung ging das Zentralkomitee von einer revolutionären Situation aus, in der unmittelbaren Nachkriegszeit, so wie es nach dem ersten Weltkrieg in Deutschland sowie in Italien der Fall gewesen war. Dementsprechend strukturierten sie den Weg zum strategischen Hauptziel des revolutionären Kampfes um die Diktatur des Proletariats in mehreren Etappen. Im Mittelpunkt der ersten Etappe des neuen revolutionären Aufschwunges stand der Kampf um die Beendigung des Krieges und um den Sturz des Faschismus. Diesem Teilziel entsprachen taktische Bemühungen zur Bildung einer Einheitsfront aller antifaschistischen Kräfte. Die Losungen der ersten Etappe waren: Fort mit Hitler und dem Faschismus - Schluss mit dem Krieg! Rettung des deutschen Volkes - Rettung des Deutschen Reiches! Dazu wurde auch mit demokratischen Forderungen (Pressefreiheit, Koalitionsfreiheit, Befreiung der politischen Gefangenen, usw.) agitiert.

Der Unterschied der Saefkow-Jacob-Bästlein Organisation zu anderen Widerstandsnetzwerken war, dass die von ihnen ins Leben berufene Gruppe in der Lage war, organisatorische Ansätze zu bilden und damit nicht nur eine antifaschistische Praxis verfolgte, sondern eine revolutionäre Theorie entwickelte und die relevanten taktischen sowie strategischen Leitlinien für ihre Praxis herleitete. Somit kann die Arbeit dieser Organisation durchaus als weitsichtiger und progressiver eingestuft werden als diejenige der Leitung im Moskauer Exil. Diese legte ihre Priorität auf die Arbeit in Bündnissen, wie dem Nationalkomitee Freies Deutschland, welches 1943 von exilierten KPD-FunktionärInnen und Kriegsgefangenen der UdSSR in Moskau gegründet wurde. Die Wichtigkeit der politisch-organisatorischen Arbeit von Saefkow, Jacob und Bästlein wird vom Volksgerichtshof anlässlich ihres Todesurteils (sie wurden verraten und verhaftet) bestätigt: "Sie haben vornehmlich im fünften Kriegsjahr die KPD in einem derartigen Umfang wieder aufgezogen und die Wehrmacht zu zersetzen versucht, dass hierdurch für das Reich die allerschwersten Gefahren heraufbeschworen wurden."

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 98, September/Oktober 2019, Seite 6
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
Abo Inland: 30 Franken, Abo Ausland: 30 Euro,
Solidaritätsabo: ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Dezember 2019

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