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AUFBAU/539: Wir wissen, was du letzten Sommer gepostet hast


aufbau Nr. 93, Mai/Juni 2018
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Wir wissen, was du letzten Sommer gepostet hast


ÜBERWACHUNG Demokratische Freiheiten sind sowas von Kalter Krieg! Gegen die erklärten Feinde "Dschihadist" oder "Sozialschmarotzer" soll schnüffeln erlaubt werden, was dank moderner Technologie und entsprechendem Budget auch möglich ist.


(az) Wir befinden uns in einer Zeit des politischen Skandals um private Unternehmen wie Facebook und Cambridge Analytica. Ob wir von der Wahl Trumps sprechen oder vom Brexit: Gemeinsam ist diesen grossen politischen Kampagnen, dass sie unter anderem dank der sozialen Netzwerke erfolgreich waren. Weil NutzerInnen immer gläserner werden und sich ihre Daten sammeln sowie auswerten lassen, sind derartige Entwicklungen nicht verblüffend. Auch der Schweizer Staat scheint von der Transparenz sehr angetan und möchte seine Gesetze so verändern, dass er mehr Daten sammeln und auswerten darf. Die Fülle an möglichen Informationen verführt sogar dazu zu behaupten, es könnten "Gefährder" ausgemacht werden - also Personen, die noch keine Straftat begangen haben, aber die Absicht haben könnten, eine zu begehen, deshalb also eine Gefahr darstellen. Oder eben auch nicht. Das ist egal, weil diese Art der Verfolgung auf reinen Indizien basiert und nicht den Anspruch hat, beweisbar zu sein. Sogar in "Minority Report", einem wirklich schlechten Film, der präventive Strafverfolgung zum Inhalt hat, wird diese als reine Willkür dargestellt und - so will es das happy end - abgeschafft.


Aufgrund von Indizien

Aber die Gesetzgebung hinkt den Erkenntnissen der DrehbuchautorInnen hinterher. Wenn die Polizei also sagt, du seist verdächtig, dann bist du das auch. Das ist bereits so, allerdings kannst du jetzt aufgrund eines Verdachtes einige Stunden festgehalten werden, zukünftig soll es möglich sein, dir die Reisepapiere wegzunehmen, Hausarrest zu verfügen oder aber dir den Kontakt zu deinem "kriminogenen" Umfeld zu verbieten, alles nur, weil ein online-Schnüffler befunden hat, du seist ein "Gefährder" - die weibliche Form fehlt im Original, was Frauen aber kaum Schutz vor Verfolgung bieten wird. Im O-Ton: "Mit dem Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) soll das polizeiliche Instrumentarium zur Gewährleistung der Sicherheit ausserhalb des Bereichs der Strafverfolgung verstärkt werden. (...) Radikalisierte Personen sollen daran gehindert werden, aus der Schweiz in eine ausländische Kampfzone auszureisen, und sie sollen vom kriminogenen Umfeld getrennt werden, mit dem sie in Beziehung stehen." Ein überaus verblüffender Satz, denn alles, was ausserhalb des Bereichs der Strafverfolgung liegt, geht die Polizei überhaupt nichts an. Und wir müssen uns auch fragen: Könnte die ausländische Kampfzone auch Hamburg sein? Oder wo auch immer das nächste grössere Gipfeltreffen stattfinden wird?


Bewegung in den Wolken

Mit dem neuen Gesetz darf die politische Polizei zukünftig tief in die Privatsphäre der Daten der Wohnbevölkerung vordringen. Allerdings fällt das wohl gar nicht besonders auf. Privatsphäre hat so sehr an Bedeutung verloren, dass viele gar nicht mehr davon auszugehen scheinen, so etwas zu besitzen. Mensch legt beispielsweise seine Daten in der Cloud ab, schliesslich - so die verbreitete, fatalistische Haltung - wissen "sie" sowieso schon alles. Andere meinen optimistischer, ihre Daten seien zu uninteressant, um ausspioniert zu werden. Wahrscheinlich bist du, Leser oder Leserin des Aufbaus, die Ausnahme, die die Regel bestätigt und möchtest deine Daten nicht auf dem silbernen Tablett servieren. Aber ab und zu sind wohl dennoch einige von euch bequem und unvorsichtig. Ein Fehler, denn wer den Aufbau liest, gehört zur Zielgruppe der Überwachung. Auch wenn das Gesetz das Wort Dschihadisten im Titel trägt. Hand aufs Herz: Wer glaubt das? Um Gesetzesänderungen in Schwung zu bringen, wird immer auf das aktuell medial verfemdeste Beispiel zurück gegriffen und das war vor einigen Jahren der Hooligan, im Moment ist es der islamistische Terrorist. Gemeint ist auch tatsächlich der Dschihadist, aber auch du und ich und der Hooligan und die Hausbesetzerin, der Tierbefreier und die Antifaschistin, in anderen Worten: Nicht nur die revolutionäre Linke, aber diese ganz bestimmt. Ist das paranoid? Ja sicher. Doch bei weitem nicht so paranoid wie die Gegenseite.


Fetisch SozialschmarotzerInnen

Noch erschütternder ist allerdings, dass private Sozialdedektive weitreichende Befugnisse erhalten, offiziell um gegen "Sozialmissbrauch" zu untersuchen, faktisch aber einfach im Auftrag der Versicherungen und zwar nicht nur der Sozialversicherungen, sondern auch der Krankenkassen. Die beiden Kammern des Parlaments haben einen filmreifen Sprint hingelegt, um das Gesetz zu verabschieden, so dass es sogar dem Tages Anzeiger zu bunt wurde und zu recherchieren begann. Die Zeitung denunziert in der Folge, dass in der für die Vorlage zuständigen Gesundheits- und Sozialkommission lauter Versicherungs-LobbyistInnen sitzen und diese das Gesetz im von der Suva geforderten Wortlaut durchzupeitschen versuchten. Das ist ihr auch beinahe gelungen, nur an zwei Stellen folgte der Gesamt-Ständerat seiner Kommission nicht: Die Überwachungszeit soll beschränkt und für die GPS-Tracker eine Verfügung des Richters nötig sein. Dennoch ein klarer Sieg der Versicherungen.

Die Sinnhaftigkeit dieser von den Versicherungen so vehement eingeforderten Massnahmen ist allerdings äusserst zweifelhaft. Schnüffeln kostet Geld, ziemlich sicher viel mehr als dadurch an Betrug aufgedeckt werden kann. Sibylle Berg, das Sprachrohr des Referendums, argumentiert korrekterweise, dass das Geld bei den Steuerhinterziehern zu holen wäre, ginge es um Geld. Es gehe aber um das Säen von Misstrauen. Wir würden noch ein bisschen weiter gehen und das als Anstoss zur Entsolidarisierung einerseits und andererseits besonders zur tiefen Verängstigung der BezügerInnen bezeichnen. Wer eine Leistung bezieht, soll sich stets überwacht fühlen, so dass niemand betrügt - das ist die Narration der Versicherungslobby - in Tat und Wahrheit wollen sie aber am liebsten, dass in vorauseilendem Gehorsam ganz auf die Leistung verzichtet wird.

Denn derartige Gesetze, sei es jenes gegen die vermuteten TerroristInnen oder gegen potentielle SozialmissbraucherInnen, sie wollen immer zuerst eines: Uns einschüchtern und uns vermitteln, die andere Seite sei übermächtig, sie wisse alles! Das war noch nie so und das wird auch nie so sein. Dennoch müssen wir uns wappnen und ihre Möglichkeiten kennen.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 93, Mai/Juni 2018, Seite 14
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
Abo Inland: 30 Franken, Abo Ausland: 30 Euro,
Solidaritätsabo: ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2018

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