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AUFBAU/455: Überwachung im Namen der Angst


aufbau Nr. 84, märz/april 2016
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Überwachung im Namen der Angst


KONTROLLGESELLSCHAFT Nach den Ereignissen der Silvesternacht von Köln werden Forderungen laut, den öffentlichen Raum stärker zu überwachen. Dem entspricht das dabei verwendete Bild der zum Opfer degradierten Frau, die beständig beschützt werden will. Lokale Initiativen zeigen auf, dass man sich gegen diesen herrschenden Paternalismus zu Wehr setzen kann.


(agkkz) Die aktuelle Sicherheitsdebatte ist geprägt von ständigen Forderungen nach mehr Überwachung im öffentlichen Raum. In den meisten Fällen geht es aber nicht um eine reale Problemlage, sondern um die Vermittlung eines verloren geglaubten Sicherheitsgefühls. Überwachungskameras suggerieren uns dabei eine sichtbare Sicherheit und transformieren diesen visuellen Eindruck in eine gefühlte subjektive Wahrnehmung. Gleichzeitig wird damit auch aktiv Stadtaufwertung betrieben. Denn dort, wo dieses Gefühl schliesslich in einem grösseren Zusammenhang an eine Gruppe von Menschen vermittelt werden kann und ein Ort damit lebenswerter als zuvor erscheint, lassen sich später auch höhere Mieten eintreiben oder Ladenflächen besser verkaufen. Weil eine solche Veränderung des öffentlichen Stadtbildes aufgrund bürokratischer Vorgaben nicht immer gleich leicht durchzusetzen ist, werden prägende Ereignisse, wie beispielsweise die Silvesternacht in Köln oder die Anschläge von Paris, von Seiten der Politik seit längerem dazu benutzt, Überwachungsanlagen anzubringen und sicherheitspolitische Veränderungen vorzunehmen.

Dies lässt sich besonders gut im Nachgang zu den Übergriffen in Köln beobachten. Der Bundesvorstand der CDU beispielsweise forderte in seinem Zehn-Punkte-Programm von Mitte Januar als rasche Reaktion sowohl die Möglichkeit zu vermehrten "verdachtsunabhängigen Personenkontrollen", wie auch den Ausbau von "Videokameras an Kriminalitätsbrenn- und Gefahrenpunkten". Nicht nur die Polizei pflichtete dem eifrig bei, auch der deutsche Innenminister Thomas de Maizière ersuchte gleichzeitig um "mehr Videoüberwachung auf Plätzen". Vergleichbares lies sich im vergangenen Monat auch in anderen Städten beobachten, so beispielsweise auf der Reeperbahn in Hamburg, wo die seit 2011 in Folge einer Klage abgeschaffte Videoüberwachung wieder eingeführt werden soll oder in der Region München, wo Teile der CSU gar Unterschriften für eine verbesserte Videoüberwachung sammelten. Leider, so muss man zugeben, stossen sie damit auf offene Ohren.


Sicherheits- und Migrationspolitik

Egal welche Stadt man betrachten will, das Muster, nach welchem aktuell die verstärkte Überwachung des öffentlichen Raumes forciert wird, ist stets dasselbe: Mit einer kruden Mischung von Sicherheits- und Migrationspolitik soll das durch die Kölner Silvesternacht verloren geglaubte Sicherheitsgefühl der StadtbewohnerInnen wiederhergestellt werden. Dabei stehen insbesondere sofort sichtbare Massnahmen im Zentrum, wie beispielsweise die öffentliche Präsenz von Sicherheitsorganen und die Bereitstellung von Videoüberwachungsanlagen. Im selben Atemzug sollen dabei auch zentral gelegene soziale Brennpunkte gesäubert werden. So ist es kein Zufall, dass in Köln nun auch die städtische Drogenszene, die sich seit längerem nahe dem Bahnhof hinter dem Dom eingenistet hat, ins Auge der StadtpolitikerInnen gerät. Auch hier sollen künftig durch vermehrte Videoüberwachung diejenigen Handlungen unterbunden werden, die nicht ins Stadtbild passen.

Was als Antwort auf die Übergriffe angefangen hat, endet als Säuberungsaktion zugunsten der Stadtaufwertung. Freilich handelt es sich bei solchen Forderungen und Plänen nicht um einen geheimen Masterplan seitens der Politik, welche nur darauf gewartet hat, bestimmte Ereignisse im Sinne des Kapitals zu instrumentalisieren. Vielmehr ist es eben die sicherheitspolitische Praxis der Stadtpolitik, die unabhängig von der persönlichen Intention einzelner PolitikerInnen, Veränderungen im öffentlichen Raum fordert, die primär dem Kapital, und insbesondere den Immobilienbesitzern und Investoren, dient.


Teufelskreis des selbstreferentiellen Panoptikums

Die steigende öffentliche Überwachung ist zugleich Ausdruck eines gegenwärtigen Sicherheitsgefühls, welche Nachfrage nach jenem selbst mitkonstituiert. Denn eine gut sichtbare Kamera vermittelt gleichzeitig, dass hier keine verbrecherischen Taten stattfinden können, wie sie selbstreferentiell die Notwendigkeit für ihr Bestehen impliziert. Dafür lässt sich auch ein zweites Beispiel aus der Stadtentwicklung aufführen. Eine Gated Community, also eine abgeschlossene und überwachte Wohneinheit für die reichen Bewohner eines Landes, vermittelt im selben Atemzug ein Gefühl von Sicherheit, wie das geschützte Konstrukt bei jeder Fahrt durch das Eingangstor sichtbar macht, dass man sich hier vor etwas schützen muss. So gibt es Überwachung, ideologiekritisch betrachtet, nicht ohne den gleichzeitig abwesend anwesenden Täter; wo es Kameras gibt, muss es auch Täter geben, wo es Überwachung gibt, muss es auch zu überwachende Personen geben.

Dies führt zu einer öffentlichkeitswirksamen aber grundfalschen Dialektik von Aktion und Reaktion, wie sie sich aktuell auch in Deutschland bemerkbar macht. Die Stadt Köln beispielsweise reagierte auf die Silvesternacht, indem sie ihre Videoüberwachung ausbaute und alleine für den Karnevalsanfang 3200 Polizisten bereit hielt. Dass am ersten Tag des Karnevals nur wenige Leute verhaftet wurden, und die meisten davon auch noch wegen Betäubungsmitteldelikten oder Schlägereien, wird nun als Erfolg aufgrund der Anzahl eingesetzter Polizisten und der ausgebauten Überwachung ausgelegt - nicht aber auf das Fehlen von potentiellen Tätern zurückgeführt. Damit steht implizit der Verdacht im Raum, dass, hätte die Repression nicht stärker im öffentlichen Raum interveniert, dann erneut eine Horde Männer über die Stadt hergefallen wäre.


Paternalistische Freunde

Um den kostenintensiven Ausbau der Repressionsorgane legitimieren zu können, beruft sich die gegenwärtige Sicherheitshysterie auf ein Bild der Frau, die ständig von möglichen Übergriffen bedroht ist und folglich beschützt werden will. Gleichzeitig soll sich die Frau aber nicht selbst beschützen, sondern sie muss stets auf die Gunst anderer hoffen. In die Rolle der beschützenden Instanz treten dabei die Polizei und die sicherheitstechnisch durch die öffentliche Überwachung aufgewertete Stadt. Dabei verspricht die neue Stadt gleichzeitig Sicherheit wie Lebensqualität und lässt sich dies natürlich auch einiges kosten, sie kann dies aber nur über die Dämonisierung eines ausgeschlossenen Subjektes gewährleisten; in diesem Falle der männliche Migrant. Was dies im Konkreten bedeutet, zeigte sich beispielsweise unlängst im deutschen Freiburg, wo Migranten aus Furcht vor möglicher Belästigung grossflächig der Zugang zu Clubs und Bars verwehrt wurde.

Damit findet eine eklatante Verschiebung der gesellschaftlichen Problemlage statt. Denn dass ein Grossteil der sexuellen Gewalt noch immer nicht an "Kriminalitätsbrenn- und Gefahrenpunkten" stattfindet, sondern in den eigenen vier Wänden und dass sexuelle Gewalt Teil einer patriarchalen Ordnung ist, wird damit ebenso beiseite geschoben, wie der Fakt, dass die soziale Degradierung der Frau zum ständigen Opfer Teil derselben Problematik ist, die überhaupt zu den gewaltsamen Übergriffen von Köln geführt hat.

Diese Verdrehung der gesellschaftlichen Ursachen zeigt sich auch darin, dass sich mittlerweile ebenso Privatpersonen und reaktionäre Bürgerwehren als BeschützerInnen aufspielen. In Köln hatte dies unter anderem zur Folge, dass sich eine Woche nach der Silvesternacht eine Gruppe selbsternannter Frauenschützer, bestehend aus Türstehern, Hooligans und bekannten Rechtsradikalen traf, um gemeinsam Jagd auf ausländisch aussehende Personen zu machen. Unter dem Motto "Wir ziehen zwar nicht in den Krieg, wir werden aber auch nicht wegsehen, wenn Frauen angegriffen oder begrapscht werden" wurden dabei mehrere Personen krankenhausreif geschlagen. Dass sich an diesem rechtsradikalen Mob auch organisierte Mitglieder der Hells Angels beteiligten, die mitunter durch Zuhälterei und Frauenhandel ihr Geld verdienen, kann dann als Höhepunkt der gegenwärtigen Verdrehung verstanden werden.


Widerstand ist möglich

Dass man sich aus diesem paternalistischen Verhältnis durchaus auch befreien und selbstbestimmt auftreten kann, zeigen Initiativen in Köln. Nach den Übergriffen an Silvester fand vor dem Dom eine von revolutionären Kräften unterstütze Kundgebung gegen Sexismus und Rassismus statt. Dabei wurde darauf aufmerksam gemacht, dass Sexismus gleichermassen wie Rassismus bekämpft werden soll und dass dies aus eigener Kraft geschehen muss. Denn Sexismus ist Teil des kapitalistischen Systems und dessen Ausbeutungslogik. Wer dagegen ernsthaft etwas unternehmen will, muss auch die herrschenden Verhältnisse in Frage stellen. Deswegen richtet sich der Kampf sowohl gegen den rassistischen Grundtenor, wie auch gegen die sexuelle Gewalt. Und das, obwohl es keinen Unterschied macht, was für eine Hautfarbe eine sexistische Person hat und ob sexuelle Gewalt an einem Silvesterabend, an der Streetparade oder an der Fasnacht ausgeübt wird. Sexuelle Gewalt und Rassismus sind immer zu verurteilen - genauso wie diejenigen, welche dies auch noch politisch ausschlachten, um damit das herrschende System zu festigen.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 84, märz/april 2016, Seite 14
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
Abo Inland: 30 Franken, Abo Ausland: 30 Euro,
Solidaritätsabo: ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. April 2016

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