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AUFBAU/420: Griechenland - Interview mit einem Genossen in Athen


aufbau Nr. 81, mai / juni 2015
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

"Die Wahl ist es eben nicht!"
Griechenland - Interview mit einem Genossen in Athen


(agj) Seit den Wahlen ist Syriza die stärkste politische Kraft in Griechenland, knapp an der absoluten Mehrheit im Parlament und mit Regierungsmacht ausgestattet. Entstanden ist sie als Wahlbündnis aus mehreren kleineren linken Parteien, die sich 2012 zu der einen Partei umgewandelt haben. Um besser einschätzen zu können, was es vor Ort bedeutet, dass Syriza nun die Regierung stellt, haben wir ein Interview mit einem Genossen in Athen geführt. Er ist Teil der antikapitalistischen Massenbewegung.


(agj): Wie ist jetzt die Situation in Griechenland mit der Syriza an der Macht?

Genosse: Eigentlich war es für die meisten innerhalb des letzten Jahres relativ klar, dass Syriza gewinnen würde. Und die Frage war dann schon im Vorfeld, wie positioniert man sich dazu überhaupt. Was ist Syriza und was macht man damit? Aus meiner Sicht ist Syriza eine fortschrittliche sozialdemokratische Partei. Und zwar nicht eine Partei im klassischen Sinne, es ist ein Bündnis. Gut, der Synaspismos, der grösste Bestandteil, den es seit 1989 gibt, als sie sich von der kommunistischen Partei abgespalten haben, existiert schon lange. Aber als im Laufe der 2000er Jahre die anderen Gruppen zu Syriza dazu gestossen sind und eine radikale linke Strömung da reingebracht haben, hat sich bei Syriza auch etwas verändert. Aber es hat sich nichts dahin verändert, dass Syriza jetzt revolutionär wäre. Wenn sie revolutionär wären, wären sie bei den 4,5% stehen geblieben, bei denen sie bei den Wahlen 2009 waren. Sie haben von vornherein gesagt: "Wir wollen keine Revolution. Wir wollen die Situation dahingehend verändern, dass wir sie für die Menschen erträglich machen. Wenn es nötig wird, werden wir auch Banken verstaatlichen." Aber sie meinen nicht verstaatlichen im Sinne von enteignen, sondern indem sie sie übernehmen.


(agj): Wie steht die Syriza nun zur EU?

Genosse: Die Schäubles und Junckers Europas haben Griechenland klare Vorschriften gemacht und die hat die alte Regierung auch umgesetzt. Sie haben die Löhne gesenkt, die Renten gekürzt, total einschneidende Eingriffe gemacht in die Gesundheitsvorsorge, in die Erziehung, usw. Und jetzt kommt die neue Regierung und sagt: "Wir wollen das nicht, aber Geld haben wir auch nicht." Und die EU hat halt gesagt: "Ihr könnt euch das nochmals überlegen und wir geben euch vier Monate dafür." Das war die Vereinbarung vom 20. Februar. Das Ziel von Syriza, die Wirtschaft anzukurbeln, kann jetzt aber nicht umgesetzt werden, da praktisch kein Geld da ist. Syriza steht vor der Situation, dass sie einsehen müssen, dass sie ihre Wahlversprechen nun nicht einhalten können. Sie haben sich politisch völlig verkalkuliert. Sie sind guten Willens, aber viele haben sich Illusionen gemacht, was den europäischen Imperialismus betrifft.


(agj): Hat sich innerhalb Griechenlands etwas verändert?

Genosse: Was die Repression betrifft, tut sich schon etwas. Es wurde nun ein Gesetz eingereicht zur Abschaffung der Hochsicherheitsknäste. Und auch ein Gesetzesentwurf zur Abschaffung des Vermummungsverbotes. Das sind Versprechen, die Syriza schon vor der Wahl gemacht hat. Was leider nicht darin enthalten ist, ist eine Veränderung der Antiterrorgesetze. Die Syriza hat auch Angst vor der Reaktion und ist deshalb vorsichtig.


(agj): Auf konterrevolutionärer Seite gab es eine starke internationale Zusammenarbeit mit anderen Staaten. Zum Beispiel mit der Türkei in den vergangenen zwei drei Jahre. Wird sich hier jetzt etwas ändern?

Genosse: Ich glaube das sich Griechenland hier sehr viel mehr zurückhalten wird, als es die vorherige Regierung gemacht hat. Mit der Syriza-Regierung ist Griechenland nicht mehr bei allem dabei. Aber wir sind alle sehr gespannt was passiert, wenn eine grössere Demonstration kommt und es werden tatsächlich Angriffe gestartet oder es kommt zu Todesfällen. Da kann eine Syriza-Regierung nicht einfach zugucken. Und zwar ganz egal, wer da zu Tode kommt. Auch wenn es dieser Buchhändler ist, bei dem schon einmal ein Brandsatz hineingeworfen worden ist. Da müsste auch eine Syriza-Regierung darauf antworten. Nicht dass ich das befürworten würde, aber es ist halt eine sozialdemokratische Regierung. Auch SyrizawählerInnen würden aufschreien und sagen: "Gar keine Sicherheit geht ja auch nicht." Diese Situation wird kommen. Es wird bewaffnete Überfälle geben von den Feuerzellen. Das haben die gesagt, sie werden kein Stück zurücknehmen. Und so werden wir auch weiterhin politische Gefangene haben.


(agj): Es sah so aus, als ob die Syriza zwar aussenpolitisch durchaus angriffig auftrat, aber innenpolitisch nicht viel verändern will, was die Rücknahme von Privatisierungen usw. betrifft.

Genosse: Was die wirtschaftliche Seite angeht, war ja eigentlich schon nach einem Monat Schluss, mit dem Abkommen vom 20. Februar. Weil sie haben gesagt, Syriza unternehme keine weiteren Schritte ohne Rücksprache mit der Troika. Die Troika wurde zwar nun anders genannt, aber es war nichts anderes. Somit waren die Rücknahme der Privatisierungen und die Anhebung des Mindestlohnes eigentlich schon gestorben. Was die Aussenpolitik betrifft, war schon schnell klar, dass da nicht viel passieren würde. Am ehesten macht die Syriza noch etwas in der Innenpolitik, wo sie ein paar Schritte gemacht haben, die eher etwas fürs Auge waren. Zum Beispiel haben sie die Bereitschaftspolizei aus dem Zentrum von Athen abgezogen. Und die Barrieren vor dem Parlament entfernt. Und eben auch das Gesetz zur Abschaffung der Hochsicherheitsgefängnisse eingebracht.

Eine Sache, die mir am Herzen liegt: Wenn Syriza sich selbst ernst nimmt und seine Wahlversprechen ernst nimmt, dann muss sie eigentlich jetzt anfangen den Leuten klar zu machen, dass Eurozone und Memorandenpolitik nicht zusammengeht. Ein neues Memorandum bedeutet einen Schrecken ohne Ende und sonst ist da der Austritt aus der EU. Syriza muss der Bevölkerung die Wahl bieten in einem Referendum oder in Neuwahlen. Dann liegt es an den Leuten zu wählen, was sie wollen.


(agj): Was denkst du was ihr beitragen könnt, dass Massnahmen schnell umgesetzt werden können?

Genosse: Die Sozialdemokratie, das hat die Geschichte gezeigt, geht nach rechts, wenn sie keinen Druck von links erhält. Sie arrangiert sich mit dem bürgerlichen Staatsapparat und versucht kleinere Sachen zu verändern, aber die wesentlichen Sachen bleiben unverändert. Also braucht es den Druck der Massenbewegungen. Die Massenbewegung in Griechenland, und das ist unser Problem, ist seit dem Februar 2012 ziemlich runtergegangen. Es hat damals einen starken Knick gegeben. Im Februar 2012 gab es riesengrosse Mobilisierungen, wo Athen an über 40 Stellen gebrannt hat; wo ich Leute gesehen habe, bürgerliche Leute mit griechischen Fahnen auf dem Rücken, die die Anarchisten angefeuert haben, auf die Polizisten loszugehen. Und solche Leute, die plötzlich diese Parole gerufen haben, die damals und auch noch heute an den Mobilisierungen gerufen wird: "Bullen, Schweine, Mörder!"


(agj): Was hat denn die revolutionäre Linke für einen Einfluss?

Genosse: Man muss sagen, das die radikale Linke und die Anarchisten, die in der Bewegung eine so wichtige Rolle gespielt haben, dies auch ein wenig den Gewerkschaften zu verdanken hatten. Man wusste, wenn die Gewerkschaft einen Generalstreik ausgerufen hat, dann sind 30.000-40.000 Leute auf den Strassen und das kann man nutzen, um Propaganda zu machen. Und die Anarchisten sagen dann eben: "Gut wir nutzen das dann an verschiedenen Punkten, um etwas praktisch kaputtzuschlagen." Als die grossen Streikmobilisierungen nun entfielen, hatten die radikale Linke und die Anarchisten ein Problem. Die Bewegung ist runtergegangen und hat sich dann auch nicht mehr richtig erholt. Weil nach den Wahlen [2012], als die Syriza so stark geworden sind und von der Neo Demokratia nur um 3% abgehängt worden sind, haben sich die Leute gedacht: "Oh, da gibt es eine Chance, dass die das machen. Die retten uns." Viele Leute haben dann nach den Wahlen die Verantwortung abgegeben. Aber wie wir Sozialisten und Kommunisten wissen, funktioniert das nicht. Niemand macht irgendetwas für uns.


(agj): Dass diese Leute die politische Verantwortung tragen, ist ja auch für die Agitation und die Propaganda der revolutionären Linken ein Problem. Was könnte die Gefahr sein, wenn Syriza es schlecht macht?

Genosse: Deswegen meine ich ja, wir müssen die Massenbewegung stärken. Keine KommunistIn, SozialistIn, AnarchistIn darf jetzt nachlassen. Wir müssen unsere Anstrengungen verstärken und schauen dass die Massenbewegung in allen Bereichen wieder an Schwung gewinnt. Zu dieser Massenbewegung gehören sowohl die Graswurzelbewegungen, die versuchen, in Projekten zu zeigen, dass man doch etwas machen kann, aber auch die revolutionären Bewegungen. Ich hoffe trotzdem nicht, dass die Syriza nach rechts abdriften und die Linke dann für Jahre weg ist vom Fenster. Weil das würde nicht nur die Syriza treffen, sondern auch die radikale Linke und die Anarchisten. Wie gesagt, wenn das mit der Massenbewegung nicht in die Gänge kommt, dann bin ich ziemlich pessimistisch. Und wenn es für die Leute auch nur heisst, einmal im Monat auf eine Demo zu gehen. Es ist spannend, aber durchaus auch gefährlich. In Deutschland hat mir eine frühere Kommunistin auch gesagt: "Da sieht man doch, mit Wahlen kann man doch was erreichen!" Und ich habe gesagt: "Nein, genau nicht. Die Wahl ist es eben nicht! Die Wahl schafft eine Voraussetzung, aber was daraus wird, das müssen wir selber machen."

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 81, mai / juni 2015, Seite 4
HerausgeberInnen:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juni 2015

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