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AUFBAU/407: Kurt Landauer - "I bin a Jud, und i bin a Bayer."


aufbau Nr. 79, januar / februar 2015
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

"I bin a Jud, und i bin a Bayer."


FUSSBALL Kurt Landauer ist der vergessene Erfinder des FC Bayern München. Erst deren Ultras, die "Schickeria", brachte die Chronik um den jüdischen Präsidenten wieder an die Öffentlichkeit. Die Geschichte ist ein Grund, die Bayern vielleicht ein bisschen weniger zu verachten.


(agkkzh) Im Spiel zwischen den Bayern und dem FC Schalke am 2. Februar 2014 richteten sich die Blicke der Stadiongänger zu Spielbeginn Richtung Süden. Die Kurve der Heimfans zeigte eine ausgeklügelte Choreografie zu Ehren des früheren Präsidenten Kurt Landauer. Neben Landauers Konterfei und dem Meisterschaftspokal rundete ein riesiges Transparent das gelungene Bild ab. Auf dem Transparent zitierten die Bayern-Fans Landauer: "Der FC Bayern und ich gehören nun einmal zusammen - und sind untrennbar voneinander."

Landauer wuchs in Planegg bei München auf. Seine Eltern betrieben ein Bekleidungsgeschäft in der Münchner Kaufingerstrasse, dem Pendant zur Zürcher Bahnhofstrasse. Schon früh packte ihn das Fussballfieber. Als 17-jähriger wurde er 1901 Mitglied bei den Bayern und war auch selber, wenig erfolgreich, zwischen den Pfosten als Torwart im Verein aktiv. 1913 wurde er das erste Mal Präsident der Roten. Während des Ersten Weltkrieges liess er das Amt zwischenzeitlich ruhen. 1919 nahm er sein Präsidentenamt wieder auf. "I bin a Jud, und i bin a Bayer", sagte er damals. Im München der Weimarer Republik ein Nachteil. München, später als Stadt der Bewegung unter dem Nationalsozialismus bekannt, galt schon damals als "antisemitisch verseucht". Der FC Bayern war fortan als Judenclub verschrien. Als die ersten Juden verfolgt wurden, schafften die sportlichen Verantwortlichen weiterhin allen die gleichen Chancen im Verein - eine Seltenheit. Neben den Bayern waren auch die Eintracht Frankfurt und die bayrisch-fränkischen Nachbarn aus Nürnberg jüdisch geprägt.


Onkel Kurt

Landauers Neffe Uri Siegel ist der einzig noch lebende Angehörige der Familie Landauer. Als Kind mit gerade einmal neun Jahren erlebte er den grössten Triumph seines Onkels live vor dem Radiogerät mit. 1932 wurden die Bayern erstmals in der Vereinsgeschichte deutscher Meister. Die Münchner besiegten im Endspiel um die Meisterschaft die Eintracht aus Frankfurt, in üblicher Bayern-Manier, glücklich mit 2:1. Der entscheidende Treffer fiel durch einen Elfmeter - das bekannte "Bayern-Dusel". Ob die erwachsenen Verwandten das ganze Spiel angehört haben, daran zweifelt er - er jedoch habe keine Sekunde vor dem Radio verpasst. Landauer gelangen schon in den zwanziger Jahren entscheidende Transfers, was im Fussball noch eher unüblich war. Die Münchner zeigten sich zunächst wenig erfreut ob all der "Preissen" (ugs. nicht aus Bayern stämmige) in der Mannschaft. In der Meistersaison bildeten die Zuzüge das Rückgrat des Erfolgs. Landauer baute somit das Fundament des unerwarteten Titelgewinns. Keiner hätte es für möglich gehalten, dass der Jubel schon so schnell wieder verschallen würde.

Durch München spaziert der heute selbst 91-jährige Siegel nur mit seinem einzigen Erbstück des berühmten Onkels: Einen krummbeuligen alten Schirm. Überall wo er ihn gezwungenermassen abstellen muss, mahnt er zur Vorsicht im Umgang mit dem Regenabweiser. Das Stück habe mal einem berühmten Bayern-Präsidenten gehört. Uri Siegel war auch für die Ultras der erste Anlaufpunkt: "2006 baten mich die Schickeria-Ultras um Erlaubnis, Shirts mit dem Konterfei meines Onkels anfertigen zu dürfen." Das war der Anfang zur Aufarbeitung der Geschichte um Kurt Landauer. Auf Kleidungsutensilien folgten etliche Artikel in Kurvenorganen, Vorträge, mehrere Choreografien und das antirassistische Einladungsturnier um den Kurt-Landauer-Pokal. Am jährlich stattfindenden Fussballturnier lädt die für ihre politischen Aktivitäten bekannte Gruppe jeweils mit einer breiten Vortragsreihe zu Antifaschismus, Repression und die Kommerzialisierung im Fussball ein. 2015 feiert das "Kurt" zehnjähriges Jubiläum. Innerhalb der Münchner Fanszene wurde Kurt Landauer zur Identifikationsfigur. "Früher, also in der Zeit, in der ich in die Fanszene hineingewachsen bin, wurde man noch mit einem rechtsoffenen Lifestyle konfrontiert. Der Fokus lag bei uns ganz klar darauf, das Klima in der Kurve zu verändern und jungen Leuten Dinge mitzugeben, die zum Nachdenken anregen. Auch mit der Person Kurt Landauer", so Simon Müller, Mitglied der Schickeria.


Gefeiert und Verbannt

Nach dem goldenen Meisterjahr 1932 folgten die dunkelsten Jahre im Leben Landauers. Nur mehr ein Jahr nach dem Titelgewinn musste Landauer das Präsidentenamt notgedrungen ablegen. Im November 1938 wurde Landauer, einen Tag nach der Pogromnacht ins Konzentrationslager Dachau verschleppt. Nach zwei Monaten kam er wieder frei und schaffte 1939 die Flucht in die Schweiz, wo er fortan in Genf lebte. Vier seiner Geschwister überlebten die Verfolgung durch die Nazis nicht. Eine Schwester wurde nach Polen deportiert, ein Bruder starb in Majdanek, einer im Konzentrationslager Westerbork und einer in Litauen.

Die Bayern und ihr Präsident blieben weiterhin verbunden. Anlässlich eines Freundschaftsspiels zwischen Bayern und einer Schweizer Auswahl in Zürich, versuchte Landauer Kontakt zu Trainer und Kapitän aufzunehmen. Seine ersten Versuche im Hotel Gotthard in Zürich scheiterten aber, da die Mannschaft umgeben von SA-Männern anreiste. Kontakt zum jüdischen Ex-Präsidenten war strengstens untersagt. Das Spiel verfolgte Landauer auf der Tribüne des Hardturmstadions. Nach dem Schlusspfiff rannten die Spieler an den SA-Leuten vorbei Richtung Landauer und applaudierten ihrem Präsidenten.

Im Gegensatz zum Stadtrivalen 1860 München, die bereits 1934 ein Parteimitglied an der Spitze hatten, wehrten sich die Bayern bis 1942 erfolgreich dagegen. Bis dann galten sie als Judenclub. In der ersten Mannschaft zu spielen war unter Umständen lebensgefährlich. Die "Roten" landeten weitaus öfter an der Front als Spieler des Lokalrivalen.


Der vergessene Präsident

Den heutigen Vereinsoffiziellen des Weltvereins Bayern München schien die Geschichte um den Erfinder des Vereins vor fast 50 Jahre nicht zu interessieren. Für viele Bayern beginnt die Chronik des Vereins mit den Erfolgen ab 1965 und die goldene Ära um Franz Beckenbauer. Ein paar Zeilen in der Festschrift zum 100-jährigen Vereinsjubiläum waren lange die einzigen Randnotizen zu Kurt Landauer. Uli Hoeness äusserte sich 2003 angesprochen auf Landauer bezeichnend: "Ich war zu der Zeit nicht auf der Welt." Mittlerweile sieht die Situation anders aus. 2014 erschienen mit einem Spielfilm und dazugehörigem Buch weit beachtete Dokumentationen über das Leben Landauers. Als Dirk Kämper, Autor des Landauer-Buches, bei den Bayern um Informationen anfragte, bekam er zunächst den Bescheid, es sei doch weitaus interessanter über die 70er-Jahre, über die Spieler Beckenbauer, Rummenigge und Hoeness zu schreiben. Heute sind auch die Bayern auf den Zug aufgesprungen: An den Stadtgrenzen in Fröttmanning wurde die Rettungszufahrt zum Stadion in Kurt-Landauer-Weg unbenannt, in der FC Bayern Erlebniswelt, dem Vereinsmuseum, ist Kurt Landauer eine grosse Retrospektive gewidmet und mit einer App mit dem Namen "LandauerWalk" kann man den Spuren des ehemaligen Präsidenten durch München folgen. Nicht zuletzt ernannten die Bayern, Landauer 2013 zum Ehrenpräsidenten. Weg, Ausstellung, App und der Ehrentitel für einen Präsidenten, den die grossen Bayern fast 50 Jahre vergessen haben.

Für Dirk Kämper startete die Geschichte mit der Schickeria. Eine erste Choreografie der Gruppe 2009 brachte ihn auf den bayrischen Präsidenten. "Nach der Choreografie begann ich meine Recherchen um den Präsidenten, der in den 20er, 30er und 40er Jahren gewirkt hat. Im Internet erfasste ich die ersten Informationen wiederum auf den Schickeria-Portalen. Ich fand es umso faszinierender, dass sich gerade eine Fan-Vereinigung dem Thema widmet, während ich beim FC Bayern zu der Zeit eigentlich gar nichts fand." Die Ultras bewiesen damit, dass Geschichtsschreibung nicht unbedingt ausschliesslich von Historikern ausgeht. Als vermeintliche gesellschaftliche Randgruppe haben es die Münchner geschafft, die Geschichte um Landauer an die Öffentlichkeit zu bringen und mit ihren eigenen Inhalten in Verbindung zu setzen. Eine Herausforderung, die sich auch uns Kommunisten in manchen historischen Ereignissen stellt. Die Renaissance der Landauer-Chronik fördert offenbar das politische Engagement bei den Fans: "Die Verfolgung von Kurt Landauer ist für uns zusätzliche Motivation, uns gegen Nazis, Faschismus und Rassismus zu engagieren", sagt Schickeria-Mitglied Simon Müller.


"Das andauernde schlechte Gewissen"

Nach dem Krieg kam Landauer ins zerstörte München zurück. Ursprünglich nur als Zwischenhalt, auf der Reise nach New York, für welche er bereits ein Visum besass. Als Landauer sieht, dass neben der Stadt auch sein Verein in Trümmern liegt, kann er München nicht mehr verlassen. Er will seine geliebten Bayern wieder aufbauen, unmittelbar symbolisch, den Schutt vom Spielfeld schaffen. Er verzichtet auf die neue Heimat in New York und tritt 1947 seine letzte Amtszeit als Bayern-Präsident an. In dieser Zeit verschaffte er den Bayern die erneute Spiellizenz und begründete unter anderem die noch heute existierende Zentrale an der Säbener-Strasse. Auch nach Kriegsende blieb plumper Antisemitismus in der Bevölkerung verankert, was in Buch und Film eindrücklich geschildert wird. Auch Landauer hat darunter zu kämpfen. "Im besten Fall bist du unser andauerndes schlechtes Gewissen", hatte Trainer Conny Heidkamp seinem hadernden Ex-Präsidenten zu bedenken gegeben, als dieser sich zwischen New York und den Bayern entscheiden musste, "und im schlimmsten eben auch." Nach vier Jahren endete Kurt Landauers Präsidentschaft. Bei den Neuwahlen 1951 wurde er scharf attackiert. Vor allem die Handballer im Klub waren unzufrieden mit ihm und kritisierten die starke fussballerische Ausrichtung im Verein. Kurze Zeit später versöhnte sich Landauer allerdings mit der neuen Klubführung. Zwischen 1913 und 1953 führte er, mit Unterbrechungen, den Verein 18 Jahre lang.

Der letzte und auch bewegendste Moment im Film gehört der Schickeria, und ihrer Choreografie. Der Spiegel schreibt: "Kein für einen Film inszeniertes Spektakel, eine echte Choreografie vor einem Bundesligaspiel. Erzählte Geschichte dockt an erlebte Gegenwart." Ein angemessenes Ende für einen Ausflug in die Vereinsgeschichte eines Fussballvereins und die Jugendlichen aus der Kurve, deren Engagement wohl ewig mit dem Erbe Kurt Landauers in Verbindung gebracht werden wird. "Was jetzt mein eigenes Verständnis von Bayern München angeht, war sicherlich Kurt Landauer prägender, als es Franz Beckenbauer ist.", so Simon Müllers Fazit. Und Uri Siegel? Mit 91 Jahren steht er trotz Einladung auf die Ehrentribüne lieber bei der Schickeria in der Kurve.

Angaben zum Buch:
Kämper, Dirk: Kurt Landauer: Der Mann, der den FC Bayern erfand. Eine Biografie, Orel Füssli Verlag, München, 2014.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 79, januar / februar 2015, Seite 13
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2015

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