Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

AUFBAU/319: Lenin an der Eidgenössischen Technischen Hochschule


aufbau Nr. 69, mai/juni 2012
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Lenin an der ETH

IMPERIALISMUS Wie aktuell Lenins Imperialismusanalyse ist, verrät uns ein Blick in den Wirtschaftsteil der Zeitungen und eine Arbeit zweier Zürcher Physiker.



(gpw) Glencore wird mittlerweile vielen ein Begriff sein. Der Rohstoffhändler mit Sitz in der Schweiz hat in linken Kreisen keinen guten Ruf: Umweltverschmutzung, Finanzierung von kolumbianischen Paramilitärs, Anschläge auf Gewerkschafter und völlig undurchsichtige Strukturen haben dem umsatzmässig zweitgrössten Schweizer Unternehmen einiges an Kritik eingebracht. In die Schlagzeilen der bürgerlichen Presse ist Glencore aber in den letzten Monaten aus ganz anderen Gründen geraten. Als grösster Rohstoffhändler der Welt beabsichtigt Glencore mit der milliardenschweren Bergbaugruppe Xstrata zu fusionieren. Wie die NZZ am 7. Februar dieses Jahres berichtete, entstünde dadurch der weltgrösste Förderer von Kraftwerkskohle und Zink - Ein Börsenschwergewicht mit einem Wert von rund 90 Milliarden Dollar. Eine Einigung zwischen den beiden Firmenspitzen sei grundsätzlich erfolgt. Als letzte Hürde gelten nur noch die Aktionäre von Xstrata und die Wettbewerbsbehörden der EU. Bei letzterer beschwerten sich nämlich die Konkurrenten des zukünftig angestrebten Glencore Xstrata International Konzerns. Sie fürchten, dass der neue Konkurrent zu mächtig würde. Die EU schaut bei Fusionen in dieser Grössenordnung ganz genau hin und es wäre nicht das erste mal, dass eine Fusion oder eine Übernahme an den EU-Wettbewerbshütern scheiterte. Der Grund für das Misstrauen der EU ist derselbe wie bei der Konkurrenz von Glencore und Xstrata: Die Angst vor der Bildung einer annähernden Monopolstellung und damit der Ausschaltung der Konkurrenz in einer Branche.

Kapitalismus ohne Konkurrenz, das klingt reichlich seltsam. Wo doch gerade die Konkurrenz eine der obersten Maximen des Kapitalismus ist. Mit der Tatsache, dass der Kapitalismus eine Tendenz in sich trägt, die der freien Konkurrenz entgegenwirken kann, wurden jedoch nicht nur die Wettbewerbshüter der EU konfrontiert. Knapp 100 Jahre zuvor beobachtete man in Russland diese Entwicklung des Kapitalismus ebenso und versuchte sie zu theoretisieren: 1916 schrieb Lenin sein zum sozialistischen Klassiker gewordenes Buch: "Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus". Er zeigte darin auf, wie durch die Konkurrenz den einzelnen Unternehmen im Kapitalismus immer grössere Betriebe entstehen, das Kapital sich immer stärker zentralisiert. Dadurch entstehen einige wenige grosse Unternehmerkartelle, die ganze Branchen beherrschen und unter sich aufteilen, wobei auch Absprachen über Preise und Absatzmärkte keine Seltenheit sind. Dadurch wird die vorher bestehende freie Konkurrenz massiv eingeschränkt, wodurch höhere Profite erzielt werden können. Da dieses Mehr an Profit oft nicht mehr reinvestiert werden konnte, mussten durch die imperialistischen Kriege neue Märkte erschlossen werden um das überschüssige Kapital dort gewinnbringend investieren zu können. Die imperialistischen Kriege sind also für das Kapital eine Notwendigkeit, die sich aus der ökonomischen Grundlage der imperialistischen Phase des Kapitalismus selbst ergibt. Charakteristisch für diese ist, nebst der Konzentration des Kapitals und der zunehmenden Monopolisierung, auch das Verwachsen der Industrie mit den Banken. Industrie- und Bankkapital verschmelzen zu Finanzkapital, wie Lenin sich ausdrückte.

Das argwöhnisch beäugte Wachstum von Glencore kann als symbolisches Einzelbeispiel für die Theorie Lenins angesehen werden. Aber lässt sie sich heute noch anwenden, obwohl die Daten, die Lenin damals verwendete, hoffnungslos veraltet sind? Eine Antwort lieferte eine vor einigen Monaten erschienene Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH)[1]. Die beiden beteiligten Physiker untersuchten die Besitzverhältnisse und die voneinander abhängigen Beziehungen von rund 43.000 transnationalen Konzernen und kamen zu folgendem Schluss: 737 Firmen kontrollieren etwa 80 Prozent der Weltwirtschaft. Eine kleine Kerngruppe von 147 Firmen, die untereinander hochvernetzt ist, kontrolliert alleine sogar knapp 40 Prozent. Von diesen 147 sind der Grossteil amerikanische und britische Banken oder Finanzinstitute. Aber auch Schweizer Banken wie die UBS und die Credit Suisse gehören dazu. Natürlich wirkt sich diese enge Vernetzung auf die Konkurrenz unter den einzelnen Firmen aus: "Hinter dem vordergründigen Wettbewerb stehen dann gemeinsame Interessen, vielleicht sogar stille Vereinbarungen.", äusserten sich die beiden Wissenschaftler im Tages-Anzeiger vom 29.10.2011.

Neue Forschungen zeigen uns also, dass Lenins Theorie nach wie vor hochaktuell und sein Buch genauso lesenswert wie bei seinem Erscheinen ist. Die Geister die sie riefen, werden die Kapitalisten und ihre politischen Interessenverbände allerdings von selber nicht mehr los: Während die EU noch die Fusion zwischen Glencore und Xstrata prüft, hat sich Glencore längst das Getreidegeschäft des kanadischen Händlers Viterra für 3,5 Milliarden Dollar unter den Nagel gerissen.


[1] Vorwärts 09.03.2012, S. 4

*

Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

*

Quelle:
aufbau Nr. 69, mai/juni 2012, Seite 5
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.ch
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
aufbau erscheint fünfmal pro Jahr.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
aufbau-Jahresabo: 30 Franken, Förderabo ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Mai 2012