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AUFBAU/314: Die heile Welt der Militär-Technologien?


aufbau Nr. 68, März / April 2012
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Die heile Welt der Militär-Technologien?



RUAG - Zum Zweck der Aufstandsbekämpfung im Bereich der Inneren Sicherheit werden zunehmend militärische IT-Systeme zur vernetzten Operationsführung integriert. Ein Beispiel wird über die Schweizer Firma RUAG angeboten.


(agj) Rüstungskonzerne bieten durch ihre breite Produktpalette ganze Komplettsysteme für Grenzüberwachung, polizeiliche Grosseinsätze oder für die Sicherung kritischer Infrastruktur an. In einer Studie des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts werden dem lukrativen Sektor der "Homeland Defense"-Technologien eine vierfache Wachstumsrate von 2005‍ ‍bis 2015 vorausgesagt. Bekanntestes Beispiel eines Einsatzes von militärischen Systemen zur Bekämpfung sozialer Bewegungen waren die Proteste im Iran. Nokia Siemens Networks B.V. lieferte damals der iranischen Regierung ein sogenanntes "Monitoring Center", welches unter anderem Daten aus der Telekommunikationsüberwachung einbindet und somit Standort- und Verbindungsdaten von Mobiltelefonen registriert und analysiert und sie dann an ein Lagezentrum übermittelte. So wurde ersichtlich, wo auffällige Telefonate in bestimmten Funkzellen geführt wurden.(1) Dies diente der Übersicht über Personenkreise und spontane Versammlungen und zwar ohne akustische Mitschnitte und dem aufwendigen Mithören der Telefonate.


Einsatz von militärischen IT-Systemen in Europa

Selex, Ableger von Finmeccanica, einer der grössten italienischen Industriekonzerne im Bereich der Rüstungs-, Raumfahrt-, Kommunikations- und Informationstechnik, entwickelte das an der Fussball-WM und dem G8-Gipfel in Deutschland eingesetzten "Intergraph Security Incident Management". Das System ermöglicht eine vernetzte Operationsführung, was die Zusammenführung aller verfügbaren Führungs-, Informations- und Überwachungssysteme ermöglicht, um ein genaueres Lagebild zu erhalten und damit die Entscheidungsfindung und Führungsfähigkeit zu verbessern. Diese Technologie kannte man bis dahin nur im militärischen Gebrauch unter dem Akronym C4ISR beim US-Militär. Danach folgten Weiterentwicklungen militärischer Strategieplanungen und Aufklärungssysteme. Bei diesem lukrativen Geschäft will auch der schweizer Technologie- und Rüstungskonzern RUAG nicht hinten anstehen. In einer Broschüre werben sie für ihre neuste Entwicklung: Das Einsatzführungssystem Panther Command. Der international tätige Konzern fasst die ehemaligen Rüstungsbetriebe des Bundes in einer privatrechtlichen Aktiengesellschaft zusammen. Neben ihrer Tätigkeit in Raum- und Luftfahrt, Umwelttechnologie und der Herstellung von Waffen und Munition agieren sie nun also auch im technischen Bereich der Inneren Sicherheit zur Unterstützung der Konterrevolution.


Panther Command
In ihrer mehrseitigen Broschüre(2) beschreibt die RUAG ihr Einsatzführungssystem, basierend auf mobiler Datenkommunikation, als intelligente Software, welche alle Hardwarekomponenten miteinander kommunizieren lässt und somit Planung, zeitnahe Lagedarstellung sowie genaue Auswertungen ermöglicht. Als Beispiele werden Einsätze am WEF, am 1. Mai in Zürich und ein Nato Gipfel erwähnt. "Die kontinuierliche Darstellung der Lage wirkt sich positiv auf das Tempo von Aktionen wie zum Beispiel Kräftenachschub oder die Bergung von Verletzten aus." Durch die mobile Datenkommunikation lassen sich verzögerungsfreie und aktuelle Positionsangaben sowie Videobilder an Einsatzzentralen oder Laptops übertragen. Der Einsatzführung ermöglicht dies eine leichte Übersicht darüber, wo die Einsatzkräfte stationiert sind und wo sich Demonstranten aufhalten oder hinbewegen. Mit der Software lassen sich auch Daten von vergangenen Einsätzen, wie etwa am WEF, auswerten, auf einer Datenbank speichern und für zukünftige Planungen nutzen. Marcel Suter, Stabchef/Chef Planung & Einsatz am WEF 07 findet nur lobende Worte für das Einsatzführungssystem Panther Command: Das System erleichtere der Führung und Führungsunterstützung die Arbeit, durch das aktuelle Lagebild werde das Beschaffen von Informationen vereinfacht, die Einsatzkräfte können effizienter verschoben werden und es hätte viel weniger Kartenmaterial zur Verfügung gestellt werden müssen. Weiter wird in der Broschüre der RUAG der 1. Mai erwähnt: "Die Aufzeichnung der vorgesehenen Marschroute von Gruppierungen, was ihm erlaubt, schützenswerte Objekte zu markieren und an diesen kritischen Punkten mobile Kameras zu positionieren." Die Ruag empfiehlt in ihrem Schreiben, sowohl die verdeckten Ermittler, wie auch die Wasserwerfer, Gitter- und Spezialfahrzeuge mit Tracker auszurüsten. Dies dient der Erkenntnis, wann und wo sich sowohl DemonstrantInnen, aber auch die eigenen Fahrzeuge und Einsatzkräfte befinden, denn die Tracker liefern laufend Ortungssignale zur Standortsbestimmung an die Zentrale. Sowohl bei Demonstrationen, wie aber auch etwa bei Fussballspielen empfiehlt die Ruag, verdeckte Ermittler, ausgestattet mit einem Tracker, in die Menschenmenge zu schleusen, um immer die genaue, aktuelle Lage der Demonstration oder des Fanzugs via Funkortung zu ermitteln. "Zudem laufen so genannte "Aufklärer" der Polizei an der Front und am Ende des Demonstrationsumzuges mit." So erfährt die Führungszentrale über Funk und Kamerabilder, wohin sich Gruppierungen bewegen und wie sich die Lage vor Ort präsentiert. Damit werden nicht nur sämtliche Einsatzelemente, sondern auch DemonstrantInnen auf einer Karte als Gesamtlage in Echtzeit visualisiert. Die Informationen werden danach im Einsatzführungssystem zur Auswertung und Strategieplanung festgehalten. Sämtliche Informationen und das Bildmaterial kann bei Bedarf auch via Notebook oder PDA (Mobile Client) von den Einsatzleitern, Kompaniechefs oder Zugführern empfangen werden, um gleich vor Ort Entscheidungen treffen zu können. Als weitere Informationsquelle können auch Drohnen eingesetzt und mit dem Panther Command verwaltet werden. Mittels der technischen Weiterenwicklung durch die Drohnen wird versucht, noch mehr Informationsquellen in die Operationsführung einzubinden. So können durch die fliegenden Kameras verdächtige Personen mittels biometrischer Verfahren klassifiziert werden.

Die Konterrevolution macht mobil

Die herrschende Klasse verfolgt den Anspruch, die Strasse und den öffentlichen Raum als Handlungs- und Kampffeld immer mehr zu kontrollieren und zu überwachen. In Phasen der kapitalistischen Krise verstärkt sich dieser Anspruch, jegliche revolutionäre Mobilisierungen bereits im Keim zu ersticken. Als jüngstes Beispiel lassen sich etwa die e-Mobilisierungen zum WEF in Basel, Bern und Davos nennen, bei welchen Leute eingekesselt oder der Besammlungsplatz abgeriegelt wurde. Die herrschende Klasse bastelt immer weiter an Überwachungsmodellen, wobei sie die Technologien der Rüstungskonzernen dankbar annehmen.


Mit der Armee gegen die Bevölkerung

Allgemein ist zu erkennen, dass sich die herrschende Klasse immer mehr der Armee als Instrument der Aufstandsbekämpfung bedient. Was früher in der Bevölkerung als verpönt und deshalb nicht durchführbar galt, ist nun durch einen schleichenden Prozess eingetroffen: Etwa an Gipfeltreffen, wie dem WEF, gehören Militäreinsätze nicht nur zur Tagesordnung, sondern es werden das ganze Jahr hinweg Rekruten auf solche Ereignisse hin vorbereitet und ausgebildet. Die Armee wird nun, ohne dass darüber nur ein kritisches Wort fällt, gegen den "inneren Feind" eingesetzt. Somit wird klar, dass nicht nur die Polizei immer weiter militarisiert, sondern auch das Militär immer weiter verpolizeilicht wird. Weiter wurde nun auch eine Änderung des Polizeigesetzes von der Regierung vorgeschlagen, bei welcher dem Repressionsapparat die Kompetenz zugesprochen werden soll, den öffentliche Raum offen oder verdeckt mit Videokameras zu beobachten. Für die Militanten sind der öffentliche Raum und der Kampf auf der Strasse zentrale Elemente. Und zwar als Element, in welchem sich die einzelnen sozialen und politischen Kämpfe vereinen und das bürgerliche Rechtssystem und das Gewaltmonopol des Staates in Frage gestellt werden.


Kämpfe verbinden!

Und genau in dieser Kampffront gilt es für Militante, Kämpfe zu vereinen, den öffentliche Raum mit politischen Inhalten zu füllen und den Kampf gegen den Kapitalismus fassbar zu machen und in kleinen Schritten umzusetzen. Auch, oder vor allem, weil sich die Repression verschärft, sei dies nun durch Militarisierung ganzer Quartiere, wie etwa am 1. Mai in Zürich geschehen oder der Einsatz militärischer Technologien an Gipfeltreffen, setzt für die Politik auf der Strasse politische Organisation, zentrale Koordination und einen strategisch richtig gewählten Mitteleinsatz voraus. Denn nicht nur die revolutionäre Linke, sondern auch die Burgeoisie sieht den öffentlichen Raum als strategischer Ort des Klassenkampfs. So lassen sich auch die Grosseinsätze erklären, wie jeweils am 1. Mai, oder die Drohung mit einem Armeeeinsatz bei den Revolten in London. In der kapitalistischen Krise ist es also nur logisch, dass der Staat all seine Möglichkeiten in Form von Überwachung, Militär-Technologien oder dem Besetzen von ganzen Stadtkreisen bei speziellen Ereignissen umsetzt, um den öffentlichen Raum zu kontrollieren und mögliche Kämpfe auf der Strasse zu verhindern. In solchen Situationen verschärfen sich die Widersprüche zwischen Revolution und Konterrevolution, in denen es für die Militanten von zentraler Bedeutung ist, nicht nur Gedanken über eine richtige Strategie zu verfolgen, sondern auch taktische Mittel in geeigneten Momenten umzusetzen. Vergangene Auseinandersetzungen auf der Strasse haben gezeigt, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, das Kräfteverhältnis zu drehen und zu agieren.


Anmerkungen:

(1)‍ ‍Möglich ist dies, da sobald ein Handy genutzt wird, durch den Kontakt mit der nächst gelegenen Antenne des Dienstanbieters nachgewiesen werden kann, wo Anrufe von wem getätigt wurden.

(2)‍ ‍Ruag - Das Einsatzführungssystem Panther Command
(http://www.ruag.com/de/Defence/Networt_Enabled_Operation_Services/PantherCommand/Factsheet_Panther-Command_Deutsch.pdf)

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Rote Hilfe International (rhi), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 68, März / April 2012, Seite 12
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.ch
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. April 2012