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AUFBAU/308: Linke Literaturmesse Nürnberg - Nicht alt, aber bewährt


aufbau Nr. Nr. 67, Dezember 2011/Januar 2012
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Linke Literaturmesse Nürnberg: Nicht alt, aber bewährt


DAS LINKE BUCH: Bereits zum 16. Mal hat in Nürnberg die Linke Literaturmesse stattgefunden. Hingehen lohnt sich!


(az) Die Linke Literaturmesse hat mit ihren 16 Jahren ein stattliches Alter erreicht, was überrascht, wenn man bedenkt, dass Nürnberg eine Kleinstadt ist. Doch sie hat ein Publikum und ist eine Instanz geworden. Momentan die einzige genau genommen, wenn es um das linke Buch geht. Ein Organisator sagt entsprechend, von Jahr zu Jahr würden mehr Lesungen veranstaltet und dieses Jahr habe man gute Angebote ausschlagen müssen, weil das Programm bereits voll war. Trotz Krise scheinen also nicht weniger Bücher auf den Markt zu kommen.

In Nürnberg werden ausschliesslich "linke" Bücher präsentiert. Was "links" bedeutet, halten die Organisierenden - der Literaturverein Libresso e.V. und Metroproletan Archiv & Bibliothek - absichtlich breit. Verschiedenste kommunistische, autonome oder anarchistische Strömungen treten an Veranstaltungen auf, natürlich auch solche, die weniger klar fassbar sind. Drei bis vier Veranstaltungen finden jeweils gleichzeitig statt, so dass meistens etwas für jeden Geschmack zur Auswahl steht. Eine Veranstaltung dauert eine Stunde, wie sie gestaltet wird, obliegt dem/der RednerIn. Aber diesbezüglich besteht wenig Experimentierfreude. Meist handelt es sich um Vorträge, die klassisch frontal gehalten werden, wobei der/die RednerIn 40 Minuten referiert, danach darf das Publikum fragen. Nur gerade jene Veranstaltungen, die im Kinosaal laufen, werden von Bildern begleitet, was bedauernswert und wenig sinnlich ist.

Während in den kleinen Sälen die Veranstaltungen laufen, findet im grossen Saal das ganze Wochenende über die Verkaufsmesse statt, hier bieten Buchhandlungen, Antiquariate und Verlage ihre Bücher an und verführen zum Einkaufen.


Bücher hören und Bücher kaufen

In der Verkaufshalle wiederum ist das ganze Spektrum linker Strömungen vertreten. Die breite Definition von "links" sollte aber nicht als beliebig missverstanden werden, grobe Grenzen werden gezogen, wenn das nötig ist. So wurden 2008 die letzten Antideutschen aus der Linken Literaturmesse verbannt. Die Zeitung Junge Welt schrieb daraufhin erfreut: "Mit einem klaren Beschluß der Mehrheit aller Aussteller endete am Sonntag die 13. Linke Literaturmesse in Nürnberg: Der Verlag "Ça ira" wird künftig ausgeschlossen. Die anderen Verlage wollen es sich und ihrem Publikum nicht länger zumuten." Da sich politische Gruppierungen über die Jahre verändern können, werden wohl auch zukünftig Ausschlüsse alle paar Jahre notwendig sein. Für den Moment ist aber die Stimmung sowohl in den Veranstaltungen als auch im Verkaufssaal harmonisch, das Publikum besucht offenbar eher die Veranstaltungen, die sie interessieren und lässt jene der politischen GegnerInnen in Ruhe.

Mitte November wurde von allen Militanten gegen die Afghanistan-Kriegskonferenz in Bonn mobilisiert. Das Thema Krieg war also auf Flugblättern, Zeitungen, Transparenten und Plakaten präsent, aber nur der Verlag PapyRossa brachte das Thema auch in Buchform in den Vortragssaal. Die Buchproduktion verhält sich leider nicht immer entsprechend den Bedürfnissen, die von der Aktualität diktiert werden. Deshalb sind die Veranstaltungen auch etwas "zufällig", davon abhängig, was im Verlaufe des Jahrs geschrieben wurde. Historische Sachbücher sind meist in der Überzahl, aber dieses Jahr standen sehr viele aktuelle Sachbücher auf dem Veranstaltungskalender.


So aktuell wie möglich

Rückblickend würdigend sollte die Eröffnungsveranstaltung "Väterchen Franz" zum Liedermacher Franz Josef Degenhardt sein. Anlass dafür gab, dass sein Werk vom Verlag Kulturmaschine in einer zehnbändigen Gesamtausgabe neu herausgegeben wird (Buchtipp). Allerdings und leider hat die Veranstaltung durch den Tod Degenhardts nur zwei Tage danach traurige Aktualität bekommen.

Unter den präsentierten Büchern von hoher Aktualität war beispielsweise jenes von Heinz Langer, dem ehemaligen Botschafter der DDR auf Kuba. Er berichtete über die kubanische Entwicklung seit dem Rückzug des Maximo Lider 2007. Klaus Viehmann stellte das Buch eines baskischen Autoren vor, über die Anwendung von Folter gegen politische Gegner im modernen Spanien. Neben Vorträgen über die Gegenseite, gab es auch solche über die eigene Seite. Beispielsweise "Indien und die Naxaliten: Agrarrevolution und kapitalistische Modernisierung" von Lutz Getschmann, womit der in Europa lange von der Buchproduktion vernachlässigte Volkskrieg der indischen MaoistInnen endlich auf die Agenda gesetzt wurde. Der Pahl-Rugenstein-Verlag präsentierte mit "Wir haben keine Angst mehr" ein Buch mit Interviews aus Venezuela von der Basis. Es gab ausserdem Bücher zu den Aufständen in Nordafrika, England (siehe Buchtipp) und Griechenland. Der fleissige Schnellschreiber Bernhard Schmid war gar mit zwei aktuellen - sehr unterschiedlichen - Büchern vor Ort, einerseits zur Rechten nach Oslo und andererseits zu Nordafrika. Dazu hat er ein Buch mit Fragezeichen geschrieben. "Die arabische Revolution?" will die Wahrscheinlichkeit erkunden, mit welcher eine tatsächliche revolutionäre Veränderung aus den Aufständen resultieren könnte. Er wagt eine Einschätzung der Kräfte im islamischen Raum, ob sich diese bewahrheiten wird, ist schwer abschätzbar, aber sie bietet zumindest einen Einstieg in die Diskussion. Schmid schreibt aber natürlich auch für uns EuropäerInnen und vergisst die Rolle der imperialistischen Kräfte nicht. Da vertritt er eine klare Haltung: Von ihnen wird keine Befreiung ausgehen, raus mit ihnen!


Kein Vergessen

Viele Veranstaltungen widmen sich jeweils historischen Themen. Das liegt wohl in der Natur der Sache, Bücher werden oft erst dann publiziert. wenn das Thema in den Zeitungen bereits wieder in Vergessenheit geraten ist. So behandelt vieles die jüngere und jüngste Geschichte, der Zweite Weltkrieg und die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung stehen ausserdem immer mit auf dem Programm. So stellte Kurt Pätzold das frühe Monumentalwerk der DDR zur SS vor, dieses ist von "Edition Ost" neu aufgelegt worden und zeigt eindrücklich, dass die DDR in diesen Fragen früh und umfassend offen legte. Immer wieder bewegend sind die ZeitzeugInnen, die zu treffen sind. Dieses Jahr erzählte Fritz Konrad von seinem Leben, er wurde in eine Nazifamilie geboren und trat als junger Mann der SS bei. 1941 verliess er diese aber und wurde Kommunist. In den 50er Jahren traf ihn als DKP-Mitglied das Berufsverbot und er musste sich die Bewilligung, wieder als Lehrer zu arbeiten, erkämpfen.

Eher zu kurz kam dieses Jahr die Theorie. Einzig "Das Kapital" war gerade zweimal im Angebot, von Georg Fülberth und David Harvey. Was sie teilen, ist die Einschätzung, das Original sei so schwierig, dass die meisten Leute es nicht fertig lesen würden. Sie leiten daraus allerdings sehr unterschiedliche Konsequenzen ab. Fülberth hält sich knapp und hat den Anspruch, in seinem Büchlein auf die Stellen des Kapitals hinzuweisen, die in der gegenwärtigen Krise den allerhöchsten Aktualitätsbezug haben, er macht also eine Priorisierung innerhalb des Werks. Ganz anders Harvey. Er legt eine Lesehilfe vor, ein beinahe 400-seitiges Buch. Dieses soll man begleitend zum ersten Band lesen, mit den Begriffen von Marx ringen, seine Methode erfassen und durch intensive Auseinandersetzung verstehen lernen. Und möglichst danach selbsttätig weitere Schriften von Marx lesen, angefangen bei Band 2 und 3. Diese Lesehilfe entspringt Harveys Lehrtätigkeit an der Universität von Baltimore, wo er während vieler Jahre Kapital-Lesegruppen unterrichtete, er ist also ein erfahrener Hase. Inwiefern seine Erklärungen für hilfreich empfunden werden, wird aber individuell verschieden sein. Genauso wie es individuell unterschiedlich sein wird, was man als ansprechend empfindet. Irgendwas steht an der Linken Literaturmesse aber für jeden und jede, die sich links schimpft, auf dem Programm.

Auf der nächsten Seite präsentieren wir euch vier Bücher, die an der Linken Literaurmesse in Nürnberg vorgestellt wurden und die wir euch sehr empfehlen.
Infos und mehr unter www.linkeliteraturmesse.org


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BUCHTIPPS

Die Todesnacht in Stammheim

Der 18. Oktober 1977 ist als Todesnacht von Stammheim in die Geschichte eingegangen, damals starben Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe, drei Führungspersonen der RAF im Hochsicherheitsgefängnis von Stuttgart-Stammheim. Irmgard Möller überlebte schwer verletzt. Der Fall wurde von den Behörden untersucht und "aufgeklärt". Ganz klar Selbstmord, hiess es. Die Anwälte hätten offenbar Pistolen in den Knast geschmuggelt und die RAF-Militanten sich selbst erschossen, statt auszubrechen. Unmöglich!, sagten alle, die die Toten kannten oder sich etwas kritischer mit der Geschichte auseinandersetzten. So auch Helge Lehmann, er allerdings seit kurzem. Der Autor des sehr präzisen und faktenreichen Buches arbeitet in der IT-Branche, ist Betriebsrat und nur zufälligerweise über das Buch "Stammheim" von Stefan Aust gestolpert. Das wühlte ihn aber entschieden auf. Zu augenfällig war, dass die von Aust kolportierte, offizielle Version der Geschichte eine dreiste Lüge sein musste, eine unzumutbare Beleidigung der Intelligenz. Also begann er nachzuforschen, um zu verstehen. Das erwies sich aber als schwieriger als gedacht, und so wurde das Unterfangen zur Passion. Er las zunächst jedes Buch zum Thema, suchte dann die Archive auf und begann Interviews zu führen. Er recherchierte vier Jahre lang intensiv und stöberte Dokumente auf, die bisher "unentdeckt" geblieben waren. Dem Buch liegt eine CD bei, auf der sehr viele Dokumente enthalten sind. Im Gegensatz zur offiziellen Untersuchung belegt Lehmann seine Befunde. Und er geht auch den technischen Fehlinformationen nach. So sollen die Gefangenen beispielsweise eine Kommunikationsanlage gebaut haben und seien in der Lage gewesen, sich untereinander auszutauschen. Lehmann nimmt die offiziellen Untersuchungen sehr ernst, baut gemäss ihrer Angaben alles nach. Das Resultat überrascht nicht. Die offizielle Version ist nachweislich ein Lügenkonstrukt, das ist mit diesem Buch nun definitiv bewiesen. Wir können also mit absoluter Sicherheit sagen, wie die Todesnacht in Stammheim nicht abgelaufen ist. Wie sie aber wirklich abgelaufen ist, werden wir wohl kaum jemals erfahren. Unbedingt lesen!

Helge Lehmann. Die Todesnacht in Stammheim: Eine Untersuchung: Indizienprozess gegen die staatsoffizielle Darstellung und das Todesermittlungsverfahren. Pahl-Rugenstein, Bonn 2011.



Degenhardts Liebeserklärung an die DKP

Sieben Romane, ein Jugendroman und zwei Liederbücher von Franz Josef Degenhardt sollen bis 2013 beim Verlag Kulturmaschinen publiziert sein, bisher sind zwei lose zusammengehörige Romane draussen. Der erste, Zündschnüre, spielt im letzten Kriegsjahr im Ruhrpott. Die Jungs im Arbeiterviertel wachsen ohne Väter auf, diese sind entweder im KZ oder an der Front. Mit 13 ist man da schon gross und die Schule ist zerbombt, also hat man auch Zeit. Die Bande spannt zusammen und gibt ihr Bestes, um den Nazis das Leben schwer zu machen und den Widerstand zu unterstützen.

Genau 30 Jahre später, 1974, spielt sich am gleichen Ort eine ganz andere Geschichte ab. Die Kinder aus Zündschnüre haben nun selbst Kinder, die in dieser Geschichte die Hauptrollen spielen. Die Alten kommen noch als Nebenfiguren vor. Sie sind politisch unterschiedliche Wege gegangen, kennen sich gut und misstrauen sich gegenseitig. Die Jungen kümmert das wenig, sie haben ihre eigenen Sorgen. Mitten in der Krise, bei angekündigten Massen-Entlassungen im Betrieb, soll auch noch das einzige Naherholungsgebiet durch einen Nato-Truppenübungsplatz ersetzt werden. Die ArbeiterInnen hatten sich diesen Park vormals erkämpft, nun soll er sang- und klanglos verschwinden und ausgerechnet an die Nato verschenkt werden. Dagegen wehren sich die Jungen und am Ende reissen sich auch die Alten zusammen und machen mit. Die Rahmengeschichte bildet dieser vergebliche Kampf der Bürgerinitiative gegen den militärischen Übungsplatz. Die Geschichte ist aber mehrheitlich eine Liebesgeschichte, Sex'n'Alk'n'Rock nehmen viel Platz ein. Daneben ist das Buch aber vor allem auch eine Liebeserklärung. Zunächst an die derben Charme der Industrie-Städte des Ruhrpotts. Hier scheinen die einzigen möglichen Freizeitbeschäftigungen die Kneipe, Sex und Fussball zu sein. Aber am Ende kommt es für die Hauptperson darauf an, wer in dieser Stadt wohnt und dass er dazu gehört. Und dann ist das Buch eine Liebeserklärung an die DKP, die in diesem Roman alles ganz richtig macht, während die verbohrten, bewaffneten Militanten alles falsch machen. Unabsichtliche Agenten der Konterrevolution sind sie - im Endeffekt im Dienste der Repression. Der Roman vermittelt in einer fiktiven Geschichte den Zeitgeist, ungefiltert parteiisch für die DKP. Brandstellen ist 1974 geschrieben worden und spielt auch in diesem Jahr, der Konflikt innerhalb der Linken war gerade am dampfen. Wer es nicht miterlebt hat, kann sich das wohl kaum vorstellen, der Roman vermittelt einen sinnlichen Einblick, man braucht ja die Schlussfolgerungen nicht zu teilen.

Beide Bücher sind von Franz Josef Degenhardt, Verlag Kulturmaschinen. Zündschnüre: Berlin 2010. Brandstellen: Berlin 2011.



Music is my boyfriend

Die Artikel des Musikfans und Journalisten Martin Büsser, der 2010 viel zu jung gestorben ist und mit diesem Sammelband geehrt wird, ist abwechslungsreich und lesenswert. Für Punks sollte Büsser ein Begriff sein. Zwar war Musik sein "boyfriend", aber Punk war seine grosse Liebe. Er schrieb viel, z.B. das Buch "If the kids are united: Von Punk zu Hardcore und zurück". Auch allen anderen Fans zeitgenössischer Musik könnte er als regelmässiger WoZ-Autor und Verfasser der Pop-Zeitschrift Testcard ein Begriff sein. Er hat Lehrbücher über die Geschichte des Pops geschrieben sowie Angriffe gegen den rechten Mainstream: Mit Titeln wie "Wie klingt die Neue Mitte: Rechte und reaktionäre Tendenzen in der Poprnusik" markiert Büsser klar, dass er links steht, Musik liebt, aber nicht alles akzeptieren würde. Er hat Erwartungen an den Klang der Musik und damit auch Erwartungen gegenüber einer politischen Grundhaltung der MusikerInnen. Das geht allerdings nicht immer auf, so stellt sich manchmal heraus, dass ziemlich beschränkte Personen hinter progressiver Musik stehen können, genauso wie progressive Personen hinter beschränkter Musik. "Der Ehrlichkeit halber will ich mich am Ende selber outen. Manchmal kommt es doch vor, dass ich Künstler interviewe, deren Musik ich eigentlich gar nicht mag (...). Umso irritierender ist es, wenn sich ausgerechnet solche Personen als besonders freundlich und intelligent herausstellen.", schreibt er im Artikel "Wenn Helden fallen". So steht er dauernd im Widerspruch mit seinem Thema und hält doch daran fest. Das ist wohl auch, was ihn lesenswert macht. Er lebt in Widersprüchen auf, mag es sperrig, aber nicht beliebig. So ist er auch ein Anhänger Adornos, jenes elitären Snobs, der Wagner liebte und Jazz als Ausdruck der Kulturdekadenz abkanzelte. Hätte Adorno Pop erlebt, er hätte ihn aus seinem Innersten verachtet. Also sagt sich Büsser selbstbewusst, dass Adorno halt das Wesentliche nicht begriffen hatte. Was Büsser positiv von Adorno abhebt ist, dass er kein Kulturpessimist ist und, obwohl Punk, auch kein No Future predigt: "Es gilt zu hassen, um wieder lieben und fühlen zu können, es gilt, um sich selber und den anderen nicht mehr als Typus, sondern als völlig unverwechselbaren Menschen kennenzulernen, die hässliche, oberflächliche Fratze dieser Gesellschaft zu hassen und zu durchbrechen. Der Hass, den ich meine, ist der Hass gegenüber dem Inhumanen, der versteinerten Konvention, die Geschäftsessen und Beischlaf zu ein und derselben programmierten Tätigkeit werden lässt." Für ihn existierte auch in dieser falschen Welt das Richtige, zumindest die richtige Musik und ihr traute er ein emanzipatorisches Potential zu.

Martin Büsser. Music is my Boyfriend: Texte 1990-2010. Ventil, Mainz 2011.



Aufstand in England

Zunächst war ich irritiert, als ich den Saal der Literaturmesse betrat und den Autor sah, der über die Aufstände in London reden sollte. Weiss, deutsch und ein offensichtlicher Studi, der - fast um Zweifel daran zu verhindern - auch noch dauernd postmoderne Wörter benutzte. Von Gouvernementalität im neoliberalen Kontext war die Rede, ebenso von Giorgio Agambens "Exklusion durch Inklusion". Aber zumindest in seinem Vortrag vermochte er zu überzeugen, er war bei den Riots zuerst mehr zufälligerweise vor Ort und später mit Absicht. Er hat versucht zu verstehen. Das Buch schreibt er jetzt, weil der Angriff gegen die Aufständischen dermassen heftig und entpolitisierend ist, dass er nicht dazu schweigen kann. Das Buch ist also gewissermassen ein verzweifelter Akt der Solidarität. Wie lesenswert das sein wird, wird sich zeigen. Der Versuch ist auf jeden Fall richtig.

Riots wie jene vom August 2011, brechen unvorbereitet aus. Bei weitem nicht jedes Mal, wenn die Polizei jemanden ermordet und danach behauptet, in Notwehr gehandelt zu haben, kommt es zum Aufstand, aber wenn es zum Aufstand kommt, dann war vorher fast immer jemand von der Polizei ermordet worden. Mark Duggan war es in diesem Fall, er wurde ganz offensichtlich hingerichtet und das sollte verwischt werden. Was folgt daraus für die Beamten? Bisher nichts. Hingegen wurden 2100 Personen, die an den Riots teilgenommen hatten, in Schnellverfahren abgeurteilt und zwar zu horrenden Strafen. Sie werden offiziell zum Abschaum erklärt. In diesem und vergleichbaren Fällen, sind verzweifelte Akte der Solidarität mehr als notwendig. Die Riots finden nicht ohne Grund statt, sie sind zwar nicht fortschrittlich und haben weder Forderungen noch ein Ziel. Aber die auf der Strasse sind Prols mit beschissenen Lebensumständen. Wir teilen die Meinung, dass sich das dringend ändern sollte.

Moritz Altenried. Aufstände, Rassismus und die Krise des Kapitalismus: England im Ausnahmezustand. edition assemblage, Münster (voraussichtlich) Ende 2011/Anfang 2012.


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Rote Hilfe International (rhi), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)


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Quelle:
aufbau Nr. 67, Dezember 2011/Januar 2012, Seite 10-11
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.ch
Redaktion und Vertrieb Schweiz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Januar 2012