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AUFBAU/268: Das griechische Gespenst


aufbau Nr. 62, September/Oktober 2010
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Das griechische Gespenst


STAATSSCHULDEN - Die Staatsschulden der meisten imperialistischen Länder sind ins Zentrum der Krisenanalyse gerückt. Wir analysieren sie am Beispiel Griechenland. Ihr Abbau wird zu einer erneuten Verschärfung der Krise beitragen.


(gpw) Henri de Castries, Präsident des französischen Versicherungskonzerns Axa, spricht Klartext (1): "Selbst wenn - im Extremfall - Griechenland gar keine Staatsschulden zurückzahlen würde (...), müsste Axa maximal 500 Mio Euro abschreiben. Dies (...) entspräche gerade einmal dem Konzerngewinn eines Monats."

Um solche Gewinne zu sichern, hat die griechische Bourgeoisie in Abstimmung mit der EU Griechenland das bekannte drakonische staatliche Sparprogramm aufgezwungen. Tausende von Staatsangestellten verlieren ihre Stellen, die Lohnzahlungen im öffentlichen Dienst werden für 3 Monate eingestellt, die MWSt um 2%, erhöht, ferner Zusatzbesteuerungen von Benzin und Tabak, neue Sozialgesetze mit brutaler Verminderung gesetzlicher Renten, Erhöhung des Renteneintrittsalters. Die sowieso schon schlecht gestellte Bevölkerungsmehrheit soll bluten, damit Konzernen wie Axa - die in der Schweiz die "Winterthur"-Versicherungen geschluckt hat - kein Monatsgewinn entgeht. Ein typischer Verhältnisblödsinn des kapitalistischen Systems!

Die Schweizer Grossbanken könnten den Zahlungsausfall Griechenlands ähnlich leicht wegstecken: sie hielten im September 2009 "laut Bundesrat verhältnismässig bescheidene 1.9 Mrd. $" an griechischen Staatsschulden (2). Einzig die früher in Genf und heute in Luxemburg ansässige griechische EFG-Gruppe wäre in ihrer Existenz bedroht - drum liegt die Hauptinitiative für das Sparprogramm weniger bei der bösen EU und dem noch böseren IWF.


Was heisst eigentlich Staatsbankrott?

Ein privates Unternehmen geht bankrott, wenn es die Leistungen seiner ArbeiterInnen oder gelieferte Produktionsmittel nicht mehr bezahlen kann. Es ist mit seinem Lebenszweck, aus Geld mehr Geld zu machen, gescheitert.

Beim Staat sind die Verhältnisse komplizierter. Er lebt von Steuereinnahmen und von der Staatsschuld, um Geld vor allem "unproduktiv" zu verausgaben, d.h. ohne es als Kapital zu vermehren. Damit soll er die Rahmenbedingungen schaffen, damit die Privaten effizient ausbeuten können. Gelingt ihm das vergleichsweise gut, kann er die Staatsschuld fast unbegrenzt ausdehnen, weil er das Geld zu tiefen Zinsen erhält. Er dehnt damit einzig die Klasse der Staatsgläubiger aus, denen er aus seinen Steuereinnahmen Zinsen zahlen muss (s. Kasten unten: "Marx über Staatsschulden"). Japan kann sich eine Staatsschuld von 200% seines jährlichen Sozialprodukts (3) leisten, weil sich seine vorwiegend inländischen "Sparer" - das sind zum grossen Teil die Pensionskassen, welche zukünftige Renten bezahlen müssen - einstweilen mit 1 % Zinsen zufrieden geben.

Schlittert ein kapitalistischer Staat in die Krise, bekommen die Staatsgläubiger kalte Füsse mit dem Resultat, dass er die Staatsschuld höher verzinsen muss. Griechenland bekam Neugeld vorübergehend nur noch zu 13% und jetzt zu fast 8% (4). Die Staatsschuld frisst die Steuereinnahmen, die Gefahr, dass Griechenland seine Schulden nicht mehr bedient, steigt, obwohl das in den letzten Jahrzehnten selten passiert ist, weil ja in den bürgerlichen Parlamenten und Regierungen selber fette Staatsgläubiger .sitzen. Das "Rettungspaket" von EU und IWF rettet also die Zinsansprüche der kleinen und grossen Gläubiger. Es soll zu ca. 5% verzinst werden, was letztlich die griechische Bevölkerungsmehrheit zu tragen hat. Die Parole "Wir zahlen nicht für eure Krise!" ist zwar ein frommer Wunsch, bringt aber diesen Widerspruch auf den Punkt.


Griechenland als Spitze des Eisbergs

Nicht nur Griechenland, sondern alle Länder stecken mehr oder weniger tief in der Krise des Kapitalismus. Der Kriseneinbruch seit 2007 hat den speziellen Aspekt, dass eine Blase von privaten Schulden, mit der vor allem auch der lebenswichtige Konsum der Bevölkerungsmehrheiten finanziert wurde, geplatzt ist. Diese sind in staatliche Schulden verwandelt worden: Milliarden wurden in den Aufkauf von Ramschpapieren und in staatliche Finanzspritzen zur Stützung der Konjunktur ausgegeben. Scheinbar mit Erfolg: Von der "grossen Krise" spricht niemand mehr. Nur lauert nun das "griechische Gespenst" des Staatsbankrotts. Dadurch wird der Krise zweiter Teil eingeläutet, weil die kurzfristigen Effekte der Staatseingriffe verpufft sind. Abwrackprämien, Subventionierung von Kurzarbeit, staatliche Stützung von Schlüsselindustrien, Unterstützung des Konsums durch erneute Blasenbildung an den Finanzmärkten, Niedrigzinspolitik und "Notenpresse" kommen alle an ein Ende. Vor allem muss die Staatsschuld abgebaut werden. Das alles kann nur zur Neuauflage der neoliberalen Wirtschaftspolitik mit Angriffen auf Löhne und Renten sowie eine verschärfte Politik der leeren Kassen führen.

Anmerkungen:
(1) NZZ 19.07.2010, S. 15
(2) NZZ 20.04.2010
(3) Die entsprechende Zahl für Griechenland liegt bei 110%. Es leistet sich u.a. extrem hohe Rüstungsausgaben, wovon vor allem Deutschland profitiert.
(4) Griechische Staatskrise aus Sicht der KKE, www.kommunisten.de


Marx über Staatsschulden

Die Akkumulation des Kapitals der Staatsschuld heisst (...) weiter nichts als die Vermehrung einer Klasse von Staatsgläubigern [den Käuferinnen von Obligationen etc., die der Staat ausgibt], die gewisse Summen auf den Betrag der Steuern [nämlich die Zinsen auf diese Obligationen etc., die der Staat aus Steuergeldern bezahlen muss] für sich vorwegzunehmen berechtigt sind. In diesen Tatsachen, dass sogar eine Akkumulation von Schulden als Akkumulation von Kapital erscheinen kann, zeigt sich die Vollendung der Verdrehung, die um Kreditsystem stattfindet. Diese Schuldscheine [Obligationen etc.], die für das ursprünglich geliehene und längst verausgabte Kapital ausgestellt sind, diese papiernen Duplikate von vernichtetem Kapital fungieren für ihre Besitzer soweit als Kapital, als sie verkaufbare Waren sind, und daher in Kapital rückverwandelt werden können [die Besitzerinnen können sie an den Börsen verkaufen und das Geld dann in produktiven Betrieben anlegen].

Anmerkung der Redaktion: [in eckigen Klammern Erläuterungen von uns]


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Arbeitsgruppe Winterthur (agw), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Arbeitsgruppe Jugend (agi), Kulturredaktion (kur)


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Quelle:
aufbau Nr. 62, September/Oktober 2010, S. 3-4
HerausgeberInnen:
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Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Oktober 2010