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AUFBAU/244: Interview mit Emmely - Teil 2


aufbau Nr. 59, Dezember/Januar 2010
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

"Eins auf die Brust, Eins auf die Schläfe"

INTERVIEW MIT EMMELY TEIL II

Emmely streikte als Verkäuferin bei Kaiser's, worauf sie nach 31 Jahren Anstellung per "Verdachtskündigung" entlassen wurde.


(agjk/az) Im ersten Teil des Interviews (aufbau 58(*)) erzählte Emmely von der DDR und den Veränderungen der Arbeitsbedingungen nach der Wende. In diesem Teil fragen wir nach der grossen Solidarität, welche ihr Kampf gegen die Entlassung geniesst, und nach der Rolle der Gewerkschaften. Im Gespräch mit dabei ist auch Carol, eine Vertreterin der Solidaritätsgruppe Emmely.

FRAGE: Ihr habt eine Gruppe bei Kaiser's gegründet, kannst du davon berichten?

E: Die Frauen kamen von verschiedenen Filialen aus dem Ost- und aus dem Westteil von Berlin. Alles Einzelkämpferinnen, wie ich. Zehn Frauen, die ständig da waren und andere kamen immer wieder. Wir wurden gewerkschaftliche Vertrauensleute, also eine Betriebsgruppe. Wir hatten ein Konzept, jeden zweiten Monat gab es ein Treffen. Die Gewerkschaft wurde von uns informiert. Wir wollten noch die Sache der Vertrauensleute durchziehen und die hat der Betriebsrat aber komplett verhindert. Das ist nur noch auf dem Papier, da gibt es keine konkreten Ansagen, so wie wir uns das gedacht haben. Wir hatten ja versucht, die anderen Mitarbeiter ins Boot zu holen, um aufzuarbeiten, welche Probleme es bei Kaisers gibt. Wir wollten, dass die Betriebsgruppe grösser wird und dass man sich gemeinsam wehrt. Dem Betriebsrat hat das aber nicht gepasst. Die haben sich dann die Frauen von der Betriebsgruppe explizit vorgenommen. Es wurde uns gedroht: Da gab es eins auf die Brust, eins auf die Schläfe oder verbal eins drauf.

Bei der Vertrauenskörperwahl hat der Betriebsrat zusammen mit Kaiser's die Teilnahme der KollegInnen verhindert. Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, dann sind die vom Betriebsrat in die einzelnen Filialen gegangen und haben gesagt, die Kolleginnen sollen zur Wahl kommen. Und gleichzeitig hat man aber den Teamleiterinnen gesagt: "Den oder die möchten wir aber auf keinen Fall dort haben, der hat dann Spätschicht oder was anderes zu tun, wenn wir diese Versammlung haben." Von den 20 Kolleginnen, die sich melden wollten, konnten nur zwei sich aufstellen zur Wahl. Dabei hat erst unsere Betriebsgruppe angeregt, dass es überhaupt solche Vertrauenskörper gibt.

FRAGE: Kaiser's hat also zur gewerkschaftlichen Wahl der Vertrauenskörper aufgerufen und hinter den Kulissen haben sie mit der Gewerkschaft Hand in Hand dafür gesorgt, dass die Betriebsräte auch gleichzeitig die Vertrauensleute wurden?

E: Ja, indem sie die Leute nicht zur Wahl haben kommen lassen.

FRAGE: Bei diesen Aktionen von Seiten der Gewerkschaft und der starken Repression ist es schwierig, sich zu organisieren. Was habt ihr später noch versucht und wie ist es euch ergangen?

E: Die, die immer wieder gesagt haben, wir müssen was machen, wir können gemeinsam was machen, wurden als erstes entlassen. Da ist jetzt keiner mehr da, der noch diesen Antrieb gibt. Unser Ziel war es, gemeinsam in den Betriebsrat zu gelangen. Wir wollten da was verändern. Der Betriebsrat regt sich doch nur, wenn es um die Wahl geht. Dann werden die Listen aufgestellt und dann geht man ein oder zweimal in die Filialen und schaut rein "Hallo wir sind noch da! ist noch alles schick und habt ihr irgendwas?" Ja und wenn die Wahl dann vorbei ist, ist wieder zappenduster, da passiert ja nichts. Wir wollten auch wissen, ob überhaupt alle informiert sind, was die Betriebsratsarbeit und die Vertrauensleute sind und ob wir die Leute noch mehr in die Gewerkschaften einbinden können. Die meisten wissen nicht, dass es dort z.B. Bildungsseminare gibt. Die zahlen einfach ihr Gewerkschaftsgeld und wissen nicht, was es für Angebote gibt.

Wir hatten auch schon das eine oder andere Thema, Kassen zum Beispiel sind ein grosses Thema: Was muss man alles an der Kasse beachten, damit man keine Repression kriegt, damit keiner sagen kann, das und das sei falsch gemacht und deshalb kündigen kann? Andere Themen waren: Wie geht man mit dem Kündigungsschutz um? Oder: Was hast du für Vorteile, wenn du in einer Gewerkschaft bist oder wie geht man damit um, wenn man zu einem Gespräch eingeladen wird, wenn du gerade nicht den Betriebsrat zur Seite hast? Wie ist das mit den Arbeitszeiten, ist das alles richtig so? Fühlen sich die Leute verarscht, unter Druck gesetzt? Es gab ganz viele Themen, aber der Betriebsrat wollte ganz klar nicht, dass diese aufgeklärt werden.

FRAGE: Vor allem Frauen arbeiten im Niedriglohnsektor Verkauf. Denkst du, dass Männer vielleicht eher informiert sind oder in die Gewerkschaft eingebunden werden als Frauen?

E: Auf der einen Seite Nein. Für uns war es klar, im Streik zusammenzustehen mit den Kolleginnen von REAL, Schlecker und Lidl. Der Punkt ist, dass überall die Betriebsratsarbeit erschwert oder unterbunden wird. Die Kolleginnen trauen sich nicht mehr, viele werden absichtlich nicht informiert und kennen somit ihre Rechte und Pflichten nicht. Und da muss ich deine Frage mit Ja beantworten, denn es gibt viele ganz junge Frauen, die das nicht anders kennen. Nach der Lehre hast du auf deinem Beruf nicht weitergearbeitet, du hast dir einen Job gesucht, dann hast du dein Kind bekommen, dann hast du da und dort ein bisschen gejobbt. Die Frauen sind alle nicht Langzeitbeschäftigte, das ist der Unterschied zu den Männern.

FRAGE: Hat der Solikreis, welcher dich im Kampf gegen deine Entlassung unterstützt hat, Kontakte zu anderen Kolleginnen, denen ähnlich Kündigungen widerfahren sind?

E: Ja. Nach den einzelnen Teilabschnitten des Gerichtsverfahrens haben sich doch etliche gemeldet, die ähnliche Situationen erlebt haben. Sie sind auf mich zugekommen. Im Moment sind es 85 Fälle, die wir kennen. Ein Fall war jetzt der Handyfall. Der Kollege hat seinen Akku für 0.00014 Euro auf der Arbeit aufgeladen. Oder eine Lehrerin, die vor Gericht geht, weil sie angeblich drei Stück Kreide geklaut hat. Oder der Müllmann, der ein Kinderbett aus dem Müll mit nach Hause genommen hat. Oder der Verkäufer, der Kompostabfälle für seine Hasen eingepackt hat.

Viele fragen, wie man sich verhalten könnte und sie würden es auch gerne an die Presse bringen. Andere haben über labournet.de über den Fall von mir gehört und wenden sich direkt an den Solikreis, um an Adressen, Links etc. zu kommen. Wir vernetzen uns so und können Kontakte sammeln.

FRAGE: Dein Fall ist gross in den Medien. Warum?

E: Das macht die Krise, die sensibilisiert. Solche Fälle zeigen Wirkung. 1.30 Euro bei 31 Jahren beschäftigt. Oder wie bei Ernst G. in der Schweiz: 39 Jahre beschäftigt und 55 Jahre alt. Das bleibt in den Köpfen hängen, jedem könnte das passieren. Vor Gericht wird schon nach der Verhältnismässigkeit gefragt. Bei mir haben sie das aber total ausgeklammert. Mit der Petition versuchen wir zu begründen, dass sie die Verhältnismässigkeit gerade nicht berücksichtigt haben.

C: Emmely ist Sympathie-Trägerin. Sie steht für die Ost-Geschichte, für die abgewickelte DDR. Du bist eine Arbeiterin aus der DDR, ein Symbol für tausende DDR-BürgerInnen, die zu den VerliererInnen zählen, gerade aus deiner Generation.

Die Emmely-Kampagne ist die erfolgreichste Medienkampagne in der letzten Zeit, wo keine grosse Gewerkschaft und keine Partei dahinter steht. Die Kampagne hat genau den Zeitgeist getroffen, die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit in Zeiten der Wirtschaftskrise und dem Bankencrash.

FRAGE: Carol, kannst du uns kurz deinen wichtigsten Eindruck aus der Solidaritätsarbeit erzählen?

C: Ein Problem ist meiner Ansicht nach die Distanz zur Basis. Die Arbeit des Solikreises hat sich auf die juristische Schiene beschränkt, anstatt die Basis zu gewinnen, um mit dieser mehr zu erreichen. Es geht ja im Grossen und Ganzen um das Thema Verdachtskündigungen und es geht um alle KollegInnen. Es gab auch vereinzelt Versuche, mit den KollegInnen Kontakt aufzunehmen und zusammen etwas zu bewirken. Wir sind in die Filialen rein und haben mit den KollegInnen gesprochen. Zum grossen Teil sind es Intellektuelle, die da politische Arbeit machen und die KollegInnen sind ArbeiterInnen. Es besteht schlichtweg eine Schwierigkeit, miteinander zu reden.

Eine linke Kampagne, die sich alleinig auf öffentlichen und medialen Druck stützt, stösst an Grenzen. Ohne eine reale Gegenmacht aufzubauen, entsteht kein Druck. Diese erreiche ich aber nicht über die Medien, die erreiche ich aber, wenn Hunderte vor dem Betrieb stehen, die erreiche ich, wenn UPS Fahrer den Transport von Kaiserwaren verweigern oder wenn sich 100 Leute vor das Zentrallager stellen und die Auslieferung verhindern. Solche Dinge sind in Deutschland noch utopisch. Bei INNSE in Italien war es möglich, du kannst reale Gegenmacht erzeugen.

Trotz aller Erfolge zeigt die Kampagne die Grenzen einer links-reformistischen Politik, einer Politik, die an den Rechtsstaat glaubt.

Die Gegenseite reagiert, was jetzt passiert, ist eine koordinierte Kampagne die Emmely fertig machen will. Was die Medien jetzt ausstrahlen, zeigt, zu welchen Mitteln die Gegenseite greift. Da gibt es Verbindungen von der Kaisers-Zentrale zu Repräsentanten des Arbeitsgerichtes. Eine Schmutzkampagne ohne Rücksicht auf Verluste.

Aber was ich spannend finde: Vor 20 Jahren wäre so eine Gegenkampagne das Ende unserer Kampagne gewesen. Das ist es heute nicht mehr so.

E: Ich geniesse noch genügend Sympathie und die Solidarität ist gross. Schaut ins Internet. Was ich nochmals ganz speziell rausgeben möchte, alles was ich auch in all den Jahren erlebt habe, in meinen Beruf, er war trotzdem mein Leben. Es hat mir immer Spass gemacht. Wenn ich die Chance hätte, hoffe ich, dass ich irgendwann wieder bei mir an der Kasse sitzen kann.

Ich weiss, das ist eine Illusion, aber man darf ja mal träumen. Und wenn man sich das fest einbildet, vielleicht wird es eintreffen.


Mehr Informationen zum Streik und zur Kampagne auf www.labournet.de


(*) Anmerkung der Schattenblick-Redaktion:
Der erste Teil des Interviews ist im Schattenblick zu finden unter:
www.schattenblick.de -> Infopool -> Medien -> Alternativ-Presse ->
AUFBAU/229: Interview mit Emmely - Teil 1


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Arbeitsgruppe Winterthur (agw), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion (kur)


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Quelle:
aufbau Nr. 59, Dezember/Januar 2010, Seite 9
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Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Januar 2010