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AUFBAU/221: Wirren im Banktresor der Bonzen der Welt


aufbau Nr. 57, Mai/Juni 2009
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Wirren im Banktresor der Bonzen der Welt

POLITISCHE KRISE - Wirtschaftlich und politisch ist sie da, die Krise. Bedeutet das, dass die Revolution vor der Tür steht? Oder doch eher die Barbarei?


(az) Krise heisst Entscheidung - doch wer sich durchsetzt und was entschieden wird, ist dabei offen. Die politische Krise, die im Moment in der Schweiz herrscht, führt dies quasi bildlich vor. Die Hektik im parlamentarischen Parteienbetrieb zeigt, wie keine konsenfähige Lösung gefunden wird für all die Probleme, die sich die Schweizer Bourgeoisie in ihrer Funktion als Banktresor der Bonzen dieser Welt eingehandelt hat. Die Ratlosigkeit geht so weit, dass ein Untoter aus der Vergangenheit zurückgeholt werden muss: Ausgerechnet Kaspar Villiger, ein FDP-Überrest aus dem Kalten Krieg, soll es für die UBS und den Bankenplatz Schweiz nun richten. Das Durchpeitschen des UBS-Rettungspakets im vergangenen Herbst ist ein weiterer Ausdruck der Krise. Der bürgerliche Staat hat dabei sein eigenes bürgerliches Parlament ausgehebelt. Uns geht es nicht darum, eine solche Despotie der Exekutive empört anzuprangern. Im Gegenteil: Es zeigt sich einfach, dass zur Lösung mancher Widersprüche der Bourgeoisie der normale Rahmen einer bürgerlichen Demokratie nicht mehr ausreicht. Wenn Treffen im Hinterzimmer zunehmen, bedeutet das aber auch, dass die Bourgeoisie zwar orientierungslos, aber keineswegs handlungsunfähig ist.

Was hat es mit dem Verhältnis zwischen wirtschaftlicher und politischer Krise auf sich? Warum gewinnen revolutionäre Kräfte nicht automatisch, wenn doch der Kapitalismus sich im Moment praktisch selbst zu entsorgen scheint? Für solche Fragen lohnt die Beschäftigung mit Antonio Gramsci, einem Gründungsmitglied der Kommunistischen Partei Italiens. Gramsci erlebte die Wirtschaftskrise der 1930er-Jahre vom Knast aus, in den ihn die Faschisten gesteckt hatten. Die meisten seiner Beiträge sind unter den Bedingungen der Knast-Zensur entstanden. Gramsci musste deshalb eine kodierte Sprache verwenden - einen Ausdruck wie "Marxismus" beispielsweise verschlüsselte er in "Philosophie der Praxis". Es ist diese Verschlüsselung, die seither Gramsci für die unterschiedlichsten Kräfte - auch reformistische - attraktiv macht. Gramsci war aber Kommunist. Und wir meinen, dass seine Überlegungen von links angeeignet werden können.


Nichts bleibt je, wie es ist

Gramsci betonte die Wechselwirkung zwischen Basis und Überbau, zwischen wirtschaftlicher und politischer Krise. Man muss grundlegende Widersprüche an der gesellschaftlichen Basis unterscheiden von situationsbedingten Widersprüchen im Politischen - sonst werden entweder mechanische Ursachen überbewertet, oder umgekehrt das voluntaristische, individuelle Element. Die Basis setzt den politischen Entwürfen Grenzen. Aber das Terrain, auf dem sich der Klassenkampf abspielt, ist zu grossen Teilen das politische. Das Verhältnis zwischen dem Grundlegenden und dem Situationsbedingten ist entscheidend für die Analyse des Kräfteverhältnisses. Ein Kräfteverhältnis zwischen den Klassen besteht aus verschiedenen Momenten. Es ist einerseits festgelegt durch objektive, vom Willen der Leute unabhängige Faktoren: das sind der Stand der Produktivkräfte, und in der Krise ein Bruch in der Struktur des Kapitalismus. Zweitens wird ein Kräfteverhältnis bestimmt durch die politische Dimension: der Grad der Geschlossenheit, des Bewusstseins und der Organisation einer Klasse. Entscheidend ist drittens laut Gramsci das militärische Moment: die reale Erringung von Macht. Das Politische bildet also ein Scharnier zwischen der Dimension der materiellen Produktion und der Dimension der Machteroberung oder -erhaltung. Klassenkampf ist deshalb - nicht nur, aber wesentlich - ein Kampf um "Hegemonie", wahrscheinlich Gramscis bekanntester Begriff. Er meint die Fähigkeit einer Klasse, die Ausgebeuteten und Unterdrückten davon zu überzeugen, dass ihre Herrschaft legitim und zum allgemeinen Besten sei. Hegemonie bedeutet Herrschen mit Konsens. Auf diesen Konsens ist die Bourgeoisie dringend Hingewiesen. Und er wird im Moment rapide brüchig.


Hegemonie und Dominanz

In Frankreich werden in diesen Tagen Unternehmer als Geiseln genommen. Griechenland ist von Aufständen erschüttert. Der britische "Economist", das traditionsreiche Kampfblatt der Kapitalisten, hat unlängst ein Länder-Ranking herausgegeben, in dem die Wahrscheinlichkeit bewertet wird, dass soziale Proteste die Regierung eines Staates stürzen werden. Nun, die Schweiz befindet sich auf Platz 160 ganz am stabilen Ende der Skala, gerade noch vor Schweden und Finnland. Ganz oben stehen Länder des Trikont. Solche Bewertungslisten sagen mehr aus über diejenigen die sie aufstellen, als über die Realität. Aber einen grundsätzlichen Punkt bildet die Skala deutlich ab: Dass die politische Krise im globalen Massstab auch eine Hungerrevolte bedeutet, welche die Krise des Kapitalismus verursacht hat.

Anzeichen der Zuspitzung gibt es zuhauf. Trotzdem haben revolutionäre Kräfte nicht automatisch Zulauf. Dass es keinen Automatismus des Bewusstseins gibt, liegt auch an der Hegemonie der herrschenden Klasse. Denn wenn die Krise alle Parteien zwingt, sich zu verhalten, so ist die Bourgeoisie in herrschender Stellung. Sie hat alle Mittel zur Verfügung, um sich rasch neu zu organisieren. Der Rechtsrutsch in der Schweiz der letzten Jahre ist ein Beispiel dafür. Dabei treten neue Kräfte der herrschenden Klasse auf - in der Schweiz war dies etwa die SVP -, nachdem die bisherige Führungsriege einen Fehlschlag erlitten hatte (die FDP mit dem EWR). Jetzt ist aber auch diese Alternative der Bourgeoisie gerade daran zu kollabieren. Also wird Stumpen-Villiger als Wiedergänger aus dem Schrank geholt. Hegemonie zu erlangen - was ja auch das Ziel von revolutionären Kräften ist - ist ungleich schwieriger, als sie zu erhalten.

Dennoch ist die Ausgangslage für revolutionäre Kräfte heute besser, wenn auch nicht einfacher. Tatsächlich brechen gegenwärtig die Argumentationsmuster der herrschenden Klasse zusammen. Doch dabei stellt sich wieder eine neue Schwierigkeit: Hegemonie erklärt nicht alles (so etwas hat Gramsci auch nie behauptet). Das Gegenstück zur Hegemonie ist der Zwang, die nackte Gewalt, das militärische Moment. Herrschaft durch Dominanz statt durch Konsens zeigt heute die Tendenz zum autoritären Staat. Wenn es auch keineswegs so aussieht, dass die Bourgeoisie die Macht abgibt an kleinbürgerliche Führungsfiguren, wie dies in den 1930er-Jahren in vielen Staaten Europas geschehen ist, so deutet doch vieles darauf hin, dass die Despotie der Regierung ausgebaut wird.


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion (kur)


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Quelle:
aufbau Nr. 57, Mai/Juni 2009, Seite 7
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Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juni 2009