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AUFBAU/202: Bahnstreik - "Jawoll, wir bewegen was!"


aufbau Nr. 55, November/Dezember 2008
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

"Jawoll, wir bewegen was!"


Bahnstreik - In Deutschland haben die Bähnler dreist der DB getrotzt und leider doch nicht herausgeholt, was sie sich wünschten. Aber der Kampf hat seine Spuren hinterlassen, unter anderem eine Basisgruppe, die nach wie vor plant, sich die Möglichkeiten für den Kampf zu schaffen.


(az/agfk) 2007 verblüffte uns die Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) mit offensiven Forderungen im Eisenbahnerstreik. Die kleine Gewerkschaft mit einem CDUler an der Spitze wurde kontrovers diskutiert, weil sie als Fachgewerkschaft einen separaten und besseren Tarifvertrag forderte als die Einheitsgewerkschaft trans.net (1). Heute wissen wir, dass es sich bei den Forderungen um leere Worte der GDL-Spitze handelte. Dass es der GDL einzig darum ging, sich als Verhandlungspartner aus der Bedeutungslosigkeit zu hieven, und nicht darum, die Forderungen der Basis ernsthaft durchzusetzen, schildert ein Vortrag zweier Basismitglieder (2). Die Enttäuschung kehrten einige Kollegen in den Versuch um, sich unabhängig in der Basis zu organisieren. Trotz massivem Druck durch die Deutsche Bahn und GDL lässt die Basisgruppe monatlich die Zeitung "Standpunkt" (3) zirkulieren und versucht, dem Unmut der KollegInnen Gehör zu verschaffen. Wir haben einen aktiven Lokführer nach Rodi eingeladen und ihn dort interviewt:

FRAGE: Was war der Punkt, an dem Kollegen sagten, so jetzt reichts uns, wir streiken jetzt?

ANTWORT: Der Streik selber ist ja von der Gewerkschaft initiiert worden. Aber die Kampfstimmung kam von den Kollegen. Die Unruhe, weil wir nicht an die Öffentlichkeit treten durften, war während des Streiks massiv. Die Kollegen hatten ja alle persönliche Anliegen, warum sie frisch in die Gewerkschaft eingetreten sind und streikten. Aber an den Pressekonferenzen und Interviews haben immer nur die Gewerkschaftschefs das Wort gehabt. Die Kollegen selber konnten nie ihre Meinung offen unter den Leuten manifestieren, also dort, wo sie tagtäglich ihre Arbeit leisten. Da hat sich ein Druck aufgebaut, der sich irgendwann selbständig gemacht hat. In dem Moment, als die Gewerkschaft die Arbeit der Kollegen nicht repräsentiert hat, also nicht da gewesen ist für die Leute, haben wir uns von alleine in Bewegung gesetzt, ohne die Funktionäre zu fragen.


Hintergrund

Der Streik bei SBB Cargo in Bellinzona ist schon einige Monate her, aber er bewegt bis heute - er ist eine Lokomotive, die von der Basis her zieht: kämpferisch und vielfältig. An Versammlungen mit Hunderten von Kolleginnen und Genossinnen aus der ganzen Schweiz und dem angrenzenden Ausland wurden Erfahrungen ausgetauscht: über die Arbeitsbedingungen bei der Bahn, über den Umbau des Transportwesens, und darüber, wie die Kämpfe aus den Werkstätten hinaus in die Klasse getragen werden können. Diese Doppelseite versammelt Beiträge, die aus diesen Diskussionen entstanden sind.


FRAGE: Und weshalb wolltet Ihr den Streik auf die Strasse tragen?

ANTWORT: Dieser Weg auf die Strasse war wichtig, damit in erster Linie die Kollegen ihr tatsächliches Anliegen öffentlichen konnten. In zweiter Linie war es wichtig, die Diskussion mit der Bevölkerung zu suchen, damit wir noch mehr Unterstützung bekommen. Es war, wenn es auch nur punktuell stattfand, eine wichtige Erfahrung und ein gutes Ergebnis, als wir auf die Strasse gingen. Dabei sind wir sehr schnell an die Grenze gestoßen, dass diese eigene Öffentlichkeitsarbeit der Kollegen nicht in das Konzept der Gewerkschaftsfunktionäre passte. Sie wollten bestimmen, was unsere Interessen sein sollten, und zwar die der GDL. Das endete dann auch in der Streikverdrossenheit der Mitglieder. Immer weniger verstanden noch, warum und wofür gestreikt werden sollte. Zuletzt sollte nochmals für eine Unterschrift unter einen Tarifvertrag gestreikt werden, den die Mitglieder nicht kannten. Aber auch dieser angedrohte Streik wurde von der Gewerkschaftsführung abgesagt. Diese Absage hatte auch den Hintergrund, dass bei einem möglichen, wenn auch fragwürdigen Streik der gesamte öffentliche Nahverkehr in Berlin bestreikt worden wäre, da die Bus-, Tram- und U-Bahn-Fahrer schon im Streik waren. Diese Brisanz wurde von der Politik erkannt und drängte die GDL und die Bahn zum Einlenken. Berlin war ein Pulverfass und die Politik hat die Zündschnur ausgetreten.

FRAGE: Ihr arbeitet im Alltag als Zugbegleiter oder Lokführer hauptsächlich allein. Wie habt ihr es geschafft, etwas gemeinsam im Kollektiv zu erreichen?

ANTWORT: Der Gemeinschaftssinn hat sich durch das Zusammenkommen während des Streiks erst richtig gebildet. Wie du richtig sagst, wir sind täglich Einzelkämpfer. Die Lokführer sitzen vorne alleine in der Lok, und die Kollegen von der Zugbegleitung sitzen alleine auf ihrem Zug. Der Kontakt ist immer auf kleine Gruppen begrenzt. Der Streik war der Punkt, der sonst immer gefehlt hat, wo massiv über die Probleme des Arbeitsalltags diskutiert worden ist. Diese Möglichkeiten gab es vor dem Streik kaum. Die Gewerkschaften hätten zwar Versammlungen einberufen können, nutzten das aber nicht. Dabei hat schon alleine der Punkt, dass man zusammen kommt, eine Verbundenheit und dadurch eine Stärke geschaffen.

FRAGE: Ihr versucht diese Kollektivität zu behalten und seid ja jetzt eine Gruppe, die monatlich eine Zeitung rausgibt. Wie macht Ihr das so?

ANTWORT: Dieses kämpferische Bewusstsein und die Erfahrungen durch den Streik, die bleiben ja. Die stecken in den Kollegen drin, solange sie noch die Möglichkeit sehen, ihre Interessen zu verwirklichen. Die Gewerkschaften kochen das natürlich auch runter, weil es nicht die Absicht war, dass die Leute kämpferisch agieren. Die unabhängige Basisgruppe, die sich gebildet hat, wurde aber sogar durch den massiven Gegenwind von den Gewerkschaften gestärkt. Unsere monatlichen Treffen geben immer wieder das Gefühl: Jawoll, wir bewegen etwas. Wir warten nicht darauf, dass unsere Möglichkeiten kommen, sondern wir schaffen uns die Möglichkeiten.

FRAGE: Das Streikkomitee in Bellinzona versucht, nach dem Streik die Belegschaft noch besser zu organisieren, indem sie neben den Vollversammlungen noch auf der Ebene der einzelnen Abteilungen regelmässige Treffen abhält. Es geht letztlich darum, die Energie und das offensive Fordern durch die Belegschaft aufrecht zu erhalten. Wie macht Ihr das?

ANTWORT: Wir sehen das Vorgehen der Kollegen aus Bellinzona als den richtigen Weg an. Dieser ist aus den gewonnenen Erfahrungen notwendig, wenn diese Energie beibehalten werden soll. Aber diese Erfahrungen konnten wir noch nicht machen. Wir haben die Kollegen vor allem kurz nach dem Arbeitskampf zu Treffen mobilisiert. Der Gedanke nach einem alternativen Weg neben den Gewerkschaften ist aber für viele Kollegen noch zu abstrakt. Das Vertrauen in die eigene Kraft ist noch kleiner als das in die Gewerkschaften. Aber es werden immer mehr Kollegen, die sich durch unsere Diskussionen im Arbeitsalltag weiterentwickeln und an die Kraft der Beschäftigten glauben. Auch aufgrund der Erfahrungsberichte aus Bellinzona.

FRAGE: In Eurem Vortrag auf www.labournet.de ist oft die Rode von Enttäuschung. Das setzt ja eine Erwartungshaltung gegenüber der Gewerkschaft voraus. Weshalb war diese so gross?

ANTWORT: Viele Kollegen haben sich mit dem identifiziert, was die Gewerkschaft versprochen hat. Aber für die GDL waren die Versprechen gar nicht der Inhalt des Arbeitskampfes, deshalb hat sie auch nur ganz wenig durchgesetzt. Sie wollte sich vor allem als Verhandlungspartner legitimieren. Diese Enttäuschung haben fast alle GDL-Mitglieder das erste Mal gemacht. Auch ich. Es war aber wichtig, diese Erfahrung zu machen und die Enttäuschung dann wieder in kämpferische Gedanken umzuwandeln. Da war es wichtig, dass es von aussen Unterstützung gegeben hat und man schon während der Auseinandersetzung gesagt bekommen hat: "Leute, haltet die Augen offen, es wird nicht anders sein, als bei den anderen Gewerkschaften." Und mit diesem offenen Auge haben sich nachher die aktiven Kollegen trotz der Enttäuschung zusammengetan.

FRAGE: Wie sahen diese Kontakte zu UnterstützerInnen aus?

ANTWORT: Die Kontakte sind erst während des Streiks entstanden. Es sind ja viele linke Gruppen wach geworden und haben gedacht, da passiert jetzt etwas. Jetzt wird nicht nur hinterhergerannt und das Vorhandene gehalten, sondern da wird gefordert. Sie sind zahlreich zu den Streiks gekommen, aber mussten uns suchen, weil die GDL den Streik ja nicht unter die Leute auf die Strasse bringen wollte. Es waren verschiedene linke Gedankenrichtungen dabei, von der einen Sorte und der anderen: Nach dem dritten, vierten Besuch konnte man schon unterscheiden, wer sich da darstellen möchte oder wer uns unterstützt. Und man hat sich auch an diese Leute gewandt. Was für uns wichtig gewesen ist, das waren die Gruppen, die sich nicht eingemischt haben und gesagt haben, ihr müsst es so und so machen. Sondern die Gruppen, die gesagt haben "versucht es mal" und uns aber auch gewarnt haben "Passt auf, es kann euch ein Messer bevorstehen." Und mit diesem Blick ist man auch wachsamer gegenüber der eigenen Gewerkschaft gewesen. Da sind wir schon weiter gekommen, das war wichtig, auch ganz persönlich. Aber es mussten eben auch die richtigen Gruppen sein. Das muss ja auch jeder für sich entscheiden. Es gibt Kollegen, die hätten vielleicht auf andere Leute gehört oder mit anderen Gruppen zusammengearbeitet. Es war eben eine Entscheidung von den Kämpfenden selber, welcher Unterstützung man traut. Aber wichtig war diese Unterstützung auf jeden Fall.


Anmerkung:
(1) siehe aufbau 51, S. 3
(2) http://www.labournet.de/branchen/dienstleistung/tw/bahn/innenansichten.pdf
(3) http://www.netzwerkit.de/Projekte/standpunkt-gruppe


Schafft ein, zwei, hundert Officine!
3. Treffen

Die Vernetzungsinitiative für eine kämpferische ArbeiterInnenbewegung, welche vom Streikkomitee Giù le mani lanciert wurde, lädt am 7. Februar zum 3 gesamtschweizerischen Treffen nach Rodi (Tessin) ein.

Weitere Informationen auch über die letzten Versammlungen und Über Solidaritätskomitees in Eurer Region findet Ihr unter:
www.aufbau.org www.officine.unia.ch www.solikomitee.ch


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion (kur)


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Quelle:
aufbau Nr. 55, November/Dezember 2008, S. 5
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
Revolutionärer Aufbau Bern, Postfach 87, 3174 Thörishaus
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Januar 2009