Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

ARBEITERSTIMME/260: Der Finanzkrise nächster Akt


Arbeiterstimme Nr. 178 - Winter 2012/2013
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Der Finanzkrise nächster Akt



Vor einem Jahr wurde die Finanzkrise ausführlich behandelt (siehe Arsti. Nr. 174). Die weitere Entwicklung hat die damals vorgelegte Einschätzung bestätigt. Eine tiefgreifende Veränderung der Situation hat es seitdem nicht gegeben.

Wie festgestellt, ist der ökonomische Hintergrund folgender:

  • Die kapitalistischen Zentren sind von einem langfristigen (bereits Jahrzehnte andauernden) Trend zur Wachstumsschwäche gekennzeichnet.
  • Immer mehr Kapital hat Schwierigkeiten sich zu verwerten, und erweist sich damit aus kapitalistischer Sicht als (eigentlich) überflüssiges Kapital.
  • Der Versuch die Prosperität der Wirtschaft durch Kreditausweitung (von Staaten, privaten Haushalten und Unternehmen) aufrecht zu erhalten ist an seine Grenzen gestoßen.
  • Speziell in Europa kommen als weitere Krisenursache die großen Unterschiede bei der Leistungsfähigkeit der nationalen Ökonomien im einheitlichen Währungsraum des Euro dazu.

Die aktuelle Krisenlage

Akut äußert sich die Krise hauptsächlich in folgenden Erscheinungsformen:

  • Als Staatsschuldenkrise
  • Als Bankenkrise (jetzt hauptsächlich in Spanien)
  • Als massive Rezession (Griechenland, Spanien und Portugal)
  • Als Krise der Euro-Zone insgesamt. Es ist weiterhin fraglich, ob die Euro-Zone langfristig in der jetzigen Form bestehen bleiben kann.

Staatsschuldenkrise

Seit 2010 ist die Staatsschuldenkrise bei einzelnen Ländern akut. Wegen steigender Zinsforderungen droht den betroffenen Staaten die Überforderung ihrer Zahlungsfähigkeit, der Staatsbankrott. Griechenland, Portugal und Irland sind bekanntlich von den diversen Rettungsschirmen der EU abhängig. Spanien und Italien haben Schwierigkeiten, sich an den Märkten zu akzeptablen, tragfähigen Zinsen zu finanzieren. Dabei ist der Unterschied zwischen den Krisenländern und den "soliden" Ländern nur ein gradueller. Eine kleine Verschiebung Richtung Krise kann bereits ein weiteres bisher "solides" Land zu einem Krisenland machen. Zypern hat ja bereits Hilfe beantragt, Slowenien könnte das nächste Land werden.


Bankenkrise

Die Bankenkrise hat sich im letzten Jahr nach Spanien verlagert. Dort ist immer offensichtlicher geworden, der geplatzte Immobilienboom zieht eine massive Bankenkrise nach sich. Schätzungen - wirklich genaue Daten sind nicht bekannt - sprechen von 180 Milliarden Euro Einbußen/Verlusten der spanischen Banken aufgrund von notleidenden Krediten. Neben Immobilien-Krediten sind auch viele Kredite an Unternehmen außerhalb des Immobilienbereichs betroffen. Die Firmen sind wegen der Rezession in Spanien in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Diese 180 Milliarden sind zu unterscheiden von den ca. 60 Milliarden, die zur Rekapitalisierung der Banken benötigt und wahrscheinlich vom ESM aufgebracht werden müssen. Der Unterschied erklärt sich zum einem aus den Verlusten, die die Banken selber tragen müssen (und angeblich können) und aus bereits geleisteten Hilfen des spanischen Staates. Die 60 Milliarden wurden bei dem jüngst von der US Beratungsgesellschaft Oliver Wyman durchgeführten Stresstest zur Bestimmung des zusätzlichen Kapitalbedarfs ermittelt. Dabei ist die Verteilung auf die Banken sehr unterschiedlich. Die drei größten spanischen Banken (Santander, BBVA, la Caixa) könnten nach dieser Untersuchung auch unter ungünstigen Annahmen für die weitere Entwicklung überleben. Der Löwenanteil des Kapitalbedarfs, nämlich 49 Milliarden, entfällt auf vier bereits notverstaatlichte Banken (Bankia, Catalunya Caixa, Novogalicia und Banco de Valencia). Ob allerdings diese Zahlen das letzte Wort sind, ist offen. So wird z.B. von Kritikern bemängelt, dass in der Untersuchung davon ausgegangen wird, die spanischen Banken können ihren Bestand an Problemkrediten bei einer weiteren Verschlechterung der Lage, relativ leicht durch Verkauf verringern (ohne dass aufgezeigt wird, wer und zu welchen Konditionen diese Kredite übernehmen soll). Zum zweiten ist auch der zusätzliche Finanzierungsbedarf, der durch die massive Kapitalflucht aus Spanien entsteht, nur relativ gering und wahrscheinlich nicht ausreichend berücksichtigt (nach Angaben der Zentralbank in Madrid wurden im 1. Halbjahr 2012 insgesamt 219,8 Milliarden Euro aus Spanien abgezogen. Im gleichen Zeitraum von 2011 war noch ein Kapitalzufluss von 22,5 Milliarden zu verzeichnen).

Das Bankenproblem ist in Spanien offensichtlich, latent aber auch in anderen Ländern vorhanden. Die Verhältnisse sind dabei für die Öffentlichkeit undurchsichtig. Man muss davon ausgehen, dass versucht wird die wahren Verhältnisse, ähnlich wie in Spanien, zuerst einmal schönzureden bzw. zu rechnen. Die Bankenkrise hat außerdem einen direkten Bezug zur Staatsschuldenkrise. Denn viele Banken besitzen erhebliche Mengen von Staatspapieren. Steigen die Renditen (Zinsen) der Staatspapiere, fällt der Kurs der bereits im Bankbesitz befindlichen (Alt-)Papiere, die Banken müssen entsprechende Verluste ausweisen und haben dann plötzlich zu wenig Eigenkapital.


Rezession

Durch die harten Sparprogramme in den betroffenen Ländern wurde, wie zu erwarten, die Krise weiter verschärft. Spanien und Griechenland z.B. befinden sich in einer schweren Rezession, deren Ende noch nicht abzusehen ist. Die Arbeitslosigkeit ist in beiden Ländern auf weit über 20% gestiegen, bei den Berufsanfängern auf über 50%. Einer ganzen Generation droht damit die ökonomische Perspektivlosigkeit. Trotz der vielen Kürzungen und der Sparpläne, die im schnellen Rhythmus immer weiter verschärft werden, konnte bei den Staatsdefiziten die angestrebten Verringerungen der Neuverschuldung nicht erreicht werden. Denn durch die Rezession gehen selbstverständlich auch die eingenommen Steuern zurück und reißen neue Löcher in die Staatshaushalte. Überhaupt erweisen sich die mit der Troika vereinbarten Pläne als Makulatur. So hätte z.B. Griechenland nach dem zusammen mit dem ersten Hilfspaket 2010 vorgestellten Plan bereits 2012 wieder ein Wirtschaftswachstum von 0,6% erzielen sollen. Heute geht man von einem Minus von 6,2% für 2012 aus. Auch in den vergangenen Jahren waren die Zahlen meistens erheblich schlechter als vorhergesagt.


"Krisenbewältigung" in der Euro-Zone

Der Euro-Raum hat gegenüber anderen Volkswirtschaften den Nachteil, dass er in sich viel uneinheitlicher ist als der Wirtschaftsraum von Nationalstaaten. Der Grad der Vergemeinschaftung ist sehr unterschiedlich. Es gibt eine gemeinsame Währung, aber keine gemeinsame Wirtschafts- und Sozialpolitik, einen gemeinsamen Markt für Waren, aber nur eingeschränkt einen gemeinsamen Markt der Arbeitskräfte. Die Krise erzwingt jetzt Entscheidungen. Entweder wird die Vereinheitlichung Europas weiter vorangetrieben, oder man geht wieder einen Schritt zurück, man schafft innereuropäische Transfer- und Ausgleichsmechanismen oder Länder wie Griechenland müssen den Euro wieder aufgeben (was ja von einigen Ökonomen wie etwa Hans-Werner Sinn gefordert wird). Die Regierungen müssen die Mechanismen der gemeinsamen Entscheidungsfindung verbessern bzw. in bestimmten Gebieten erst neu entwickeln. Bei allen diesen Themen stoßen Interessengegensätze hart aufeinander und müssen jeweils neu austariert werden. Interessengegensätze zeigen sich zwischen den Staaten bzw. den jeweiligen nationalen Bourgeoisien, vertreten durch ihre Regierungen, aber auch innerhalb der Staaten zwischen verschiedenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gruppen. Zu unterschiedlich ist das jeweilige Interesse an einem einheitlichen europäischen Wirtschafts- und Währungsraum und die Gefahr bzw. die Angst die potentiellen Krisenlasten mittragen zu müssen. Im Namen der Effizienz und der schnellen Entscheidungsfindung erfolgt auch ein Angriff auf alte Prinzipien der bürgerlichen Demokratie, wie das Budgetrecht der Parlamente. Dieses und andere Rechte drohen von technokratischen Einschränkungen und Vorgaben ausgehöhlt zu werden bzw. die wesentlichen Entscheidungen werden gleich auf supranationale Gremien der Exekutiven verlagert.

Das Beibehalten der gemeinsamen Währung scheint aber in der Euro-Zone zum Symbol des Widerstands gegen die unkontrollierte Ausbreitung der Krise geworden zu sein. Offensichtlich gibt es jetzt bei den Regierungen, der EZB dem IWF etc. Konsens darüber, dass der Euro in seiner jetzigen Ausdehnung erhalten bleiben soll. Ein Auseinanderbrechen des Euro könnte das Signal für eine weitere Krisenverschärfung auf nochmals höherem Niveau sein und die Unfähigkeit der Politik zur Steuerung des Geschehens aufzeigen. Das heißt allerdings nicht, dass das Vorhaben den Euro-Raum beizubehalten und durch weitere Vergemeinschaftung (Bankenunion, europäischen Bankenaufsicht bei der EZB etc.) abzusichern langfristig auch gelingt. Man hat sich dazu entschlossen, trotz der Probleme im einheitlichen Währungsraum und der großen Unterschieden in der Leistungsfähigkeit der einzelnen Volkswirtschaften. Diese Unterschiede werden durch den harten Sparkurs in den Krisenländern noch verstärkt. Durch die starke Rezession und dem damit schrumpfenden BIP wächst die Kluft in den Wirtschaftsleistungen zwischen den Ländern weiter. Es zeichnet sich auch immer deutlicher ab, dass es für Länder wie Griechenland unmöglich ist, alle im Rahmen des Krisenmanagements erhaltenen Kredite ordentlich zu verzinsen und zurückzuzahlen. Eigentlich weiß das jeder, offiziell eingestanden ist es aber noch nicht.


Politische Folgen

Die Politischen Folgen sollen hier nur ganz kurz zusammengefasst werden. In Spanien und Portugal sind konservative Regierungen an die Macht gekommen, die die Sparpolitik verschärft fortsetzen (auch wenn sie es vorher anderes versprochen haben). In Griechenland ist im zweiten Anlauf dann doch eine Regierung zustande gekommen, die die Vorgaben der Troika weiter exekutiert, zumindest vorerst einmal. Sollte jemand Hoffnungen auf den Machtwechsel in Frankreich gesetzt haben, inzwischen ist klar, Hollande verändert den Kurs nicht wirklich. In Deutschland hat die Entscheidung des Verfassungsgerichts keine Störung des Regierungskurses bewirkt. Das ist letztlich nicht überraschend, auch wenn manche, aus ganz unterschiedlichen Gründen, Hoffnungen an ein Einschreiten des Verfassungsgericht geknüpft haben.

Zusammenfassend lässt sich sagen, noch gibt es keine Änderung der Richtung. Der Kurs der Austerität wird allgemein fortgesetzt, trotz der desaströsen Ergebnisse, die sich bereits zeigen.


Steht doch eine wesentliche Änderung bevor?

Kommt es zu einem Abschwung auch in den bisher wirtschaftlich starken Ländern? In den letzten Jahren haben Deutschland (und mehr oder weniger auch die anderen "starken" Euro-Staaten) von einer durch die Weltmarkt-Nachfrage getriebenen Exportkonjunktur profitiert. Diese Sonderkonjunktur scheint jetzt zu Ende zu gehen. Die Zahlen zeigen ein deutliches Nachlassen der Wachstumsimpulse. Es fehlt nicht nur die Nachfrage aus den krisengeschüttelten Mittelmeerländern. Fragezeichen zur weiteren Entwicklung sind auch bei den bisherigen Konjunkturlokomotiven wie China, Brasilien und Indien angebracht. Italien ist bereits in der Rezession, außerhalb des Euro auch Großbritannien. Jetzt droht eine Rezession in Frankreich und eventuell auch in Deutschland.

Allerdings sind die neuesten Zahlen uneinheitlich. Großbritannien z.B. hat sich wieder etwas erholt. Allgemein gibt es neben negativen Indikatoren auch Zahlen die eher gegen einen starken Einbruch sprechen. Eine sichere Einschätzung der weiteren Entwicklung ist zur Zeit noch nicht möglich und auf eine Prognose wird hier bewusst verzichtet.


Die Maßnahmen

Nach diesem kurzen Überblick über die Entwicklungen soll im folgenden noch etwas genauer auf die Maßnahmen, die bisher zur Krisenbekämpfung eingeleitet wurden eingegangen werden.

Man kann davon ausgehen, dass für die Akteure (Regierungen, IWF, EZB) folgende Ziele handlungsanleitend sind:

  • Ein Ausgreifen der akuten Krise auf weitere Wirtschaftszweige und Länder zu verhindern.
  • Langfristig die Krise zu überwinden und wieder zur prosperierenden Wirtschaft zurückzufinden.
  • Dabei haben alle Beteiligten das Bestreben selbst möglichst wenig Krisenlasten übernehmen zu müssen.

Rettungsschirme

Seit 2010 gibt es im Euro-Raum Rettungsschirme. Der erste wurde ad hoc für Griechenland geschaffen und seitdem wurden sie in mehreren Schritten sowohl beim bereitgestellten Volumen als auch institutionell (EFSF, ESM) ausgebaut. Durch die Rettungsschirme wird vorerst der Finanzbedarf der Krisenländer zu erträglichen Zinsen (relativ) unabhängig von den Märkten gesichert. Die Rettungsschirme bringen einen Zeitgewinn, aber keine Lösung der Krisenursachen.


Maßnahmen der EZB

Auch die bisherigen Maßnahmen der EZB haben hauptsächlich aufschiebende Wirkung. Durch die mehrmalige Bereitstellung von Liquidität im großen Maßstab (im Dezember 2011 und im März 2012) für die Banken, und durch die mehrmalige Senkung der Bonitätsanforderungen für Sicherheiten, die Banken bei der EZB hinterlegen müssen wenn sie sich dort finanzieren wollen, hat die EZB klargemacht, dass es eine akute Liquiditätskrise nicht geben soll und so zur Beruhigung der Märkte beiträgt. Auch das neue Programm zum Aufkauf von Staatsanleihen (Outright Monetary Transactions, OMT) soll vor allem demonstrieren, dass die Notenbank eine Liquiditätskrise von Staaten (und damit auch indirekt der Staatstitel haltenden Banken) nicht tatenlos hinnehmen will.

Nicht nur die EZB auch die FED in den USA und die Notenbanken in Großbritannien und Japan haben bedeutende Programme zum Aufkauf von Staatspapieren angekündigt und damit ihre Entschlossenheit betont jedweder Verknappung der Liquidität auch bei der Finanzierung von Staaten entgegenzutreten.

Die Notenbanken gehen dabei folgende Risiken ein:

  • Inflation
  • Förderung von Blasenbildung
  • Verluste bei eventuell dann doch stattfindenden Staats- und/oder Banken-Bankrotten.

Noch ist unklar wie diese Maßnahmen weitergehen (bis jetzt wurden unter OMT noch keine Anleihen gekauft) und welche Auswirkungen sie letztlich haben werden. Die Wahrscheinlichkeit einer späteren Inflationssteigerung ist aber gegeben. Die Risiken auf unzureichenden Sicherheiten sitzen zu bleiben wachsen (mit einer eventuellen Überwälzung solcher Verluste auf die Staaten entsprechend ihres EZB Kapitalanteils.)

Die Notenbanken wollen eine weitere Zuspitzung der Krise verhindern und insbesondere chaotische Zustände und sich selbst verstärkende Krisenspiralen. Allerdings können die Notenbanken mit ihren Maßnahmen nichts zur Lösung der eigentlichen Krisenursache beitragen. Was sie bieten können, die Ausdehnung der Geldmenge, ist für den Patienten sowohl Aufputsch- als auch Beruhigungsmittel, hat also durchaus Wirkungen, heilt aber nicht. Im Gegenteil, die aufputschende Wirkung kann zur erneuten Blasenbildung (wo auch immer, bei Rohstoffen, Gold, Aktien, wieder Immobilien, etc.) führen.


Die Diktate der Troika
Durch die Maßnahmen die die Troika verordnet, sollen erklärtermaßen zwei Hauptziele erreicht werden: die Verringerung der staatlichen Neuverschuldungsquote auf unter drei Prozent und eine Verbesserung der internationalen Konkurrenzfähigkeit (sogenannte innere Abwertung).

Bisher ist dabei herausgekommen:

  • Sparprogramme für die öffentlichen Haushalte,
  • insbesondere Kürzungen bei Renten und Gesundheitswesen
  • Lohnsenkungen und Flexibilisierung des Arbeitsmarkts,
  • Privatisierungen,
  • diverse "Strukturreformen" (Steuerwesen),

aber bisher praktisch keine Maßnahmen zu Stützung der Nachfrage und Konjunktur.


Krisenpolitik - Neoliberalismus gegen Keynesianismus

Bei der Beurteilung dieser und alternativer Maßnahmen gibt es in der öffentlichen bzw. veröffentlichten Diskussion im Wesentlichen zwei Schulen.

Die Neoliberalen und die Keynesianer (jeweils vertreten mit unterschiedlichen gemäßigten oder konsequenten Varianten).

Die Vorschläge eines konsequenten Neoliberalen schauen in etwa so aus:

  • Strikte Haushaltskonsolidierung, hauptsächlich durch Ausgabenkürzungen weniger durch Steuererhöhungen (wenn Steuererhöhungen dann Mehrwert- und Verbrauchssteuern).
  • Reduzierung der Löhne.
  • Reduzierung von Renten und anderen Sozialleistungen.
  • Privatisierung von bisherigen Staatsaufgaben.
  • Die Notenbanken sollen weiterhin eine strikt auf Inflationsvermeidung fixierte Politik machen.
  • Keine Vergemeinschaftung der Krisenlasten (keine Transferunion).
  • Rezessionen werden bewusst in Kauf genommen, sie sind ein notwendiger Bestandteil der Kur, auch wenn das nicht immer offen gesagt wird.
  • Staatsbankrott und Austritt (Rausschmiss) aus der Euro-Zone sind in Kauf zu nehmen.

Die keynesianischen Vorschläge

Die Keynesianer dagegen zeigen, dass Sparen allein eine Spirale zum Schlimmeren auslöst, deshalb sollten hohe Defizite vorübergehend akzeptiert werden.

Bei der Haushaltskonsolidierung plädieren sie eher für Steuererhöhungen statt Ausgabenkürzungen und bei Steuererhöhungen denken sie eher an Erhöhungen bei den Einkommens- und Vermögenssteuern. Eine aktivere Rolle der Zentralbanken wird befürwortet, Inflation ist das kleinere Übel. Sie sind auch eher bereit die Lasten der Krise zu vergemeinschaften. Bei hoffnungslosen Fällen plädieren sie für einen gezielten Schuldenerlass.

Für die Keynesianer ist es das oberste Ziel eine Rezession zu vermeiden bzw. zumindest möglichst gering zu halten. Denn nur mit einem (zumindest nominalen) Wirtschaftswachstum kann die wirtschaftliche Tätigkeit ohne größere Friktionen weiterlaufen und besteht die Chance dass Staaten, Private und Unternehmen ihre Zinsen bezahlen können und sich allmählich wieder aus der Misere herausarbeiten können.

Die neoliberalen und keynesianischen Maßnahmen haben beide aus Sicht des Kapitals Vor- und Nachteile. Das Interesse des Kapitals ist also nicht von vornherein eindeutig. Auch bei einer Differenzierung der verschiedenen Interessen einzelner Kapitalfraktionen und dem Interesse eines ideellen Gesamtkapitalisten lässt sich nicht immer eine klare Präferenz für den einen oder anderen Ansatz feststellen.

Natürlich enthält der neoliberale Ansatz einige Punkte die offensichtlich die Interessen des Kapitals widerspiegeln wie:

  • Senkung der Löhne, Senkung der sonstigen Kosten z.B. Renten Gesundheitswesen, etc., direkt oder indirekt über Steuern und Staat. Das bedeutet eine Steigerung der Ausbeutungsrate und wird normalerweise Wiedergewinnung der Konkurrenzfähigkeit genannt.
  • Privatisierung, öffnen von bisher nicht zugänglichen Bereichen für das Kapital.
  • Keine Inflation (Interesse der Geldkapitalbesitzer)

Das Problem beginnt mit der logischen Konsequenz aus den obigen Punkten, nämlich dem Zulassen von Rezessionen. Eine Rezession ist immer auch für die betroffenen Kapitalfraktionen gefährlich. Wenn es nur eine Rezession in einem kleinen Land wie Griechenland ist, dann ist es aus gesamteuropäischer Sicht vielleicht nicht so gravierend und noch akzeptabel, aber Spanien ist schon problematisch, ganz zu schweigen von Italien, usw. Und das Problem setzt sich fort beim Zulassen von massiver Kapitalvernichtung durch Bankrotte. Selbstverständlich sind die direkt betroffenen Kapitalisten dagegen.

Es ist aber auch fraglich ob sich das Geschehen bei sich häufenden Pleiten, Bankrotten von Banken und Staaten noch kontrollieren lässt. Die Medizin der Neoliberalen droht in einer tiefen Krise zu viele Nebenwirkungen zu haben und könnte ein erhebliches Risiko für den Gesamtkapitalismus werden, mit entsprechend ungewissen Folgen.

Trotzdem ist auffallend, dass in Europa die Neoliberalen sich in der Praxis weitgehend durchgesetzt haben (mit einer gewissen Ausnahme was die EZB betrifft).


Warum setzt sich der Keynesianismus nicht durch?

In den Jahren vor der Krise gab es zwar im Allgemeinen keine keynesianische Politik, aber um weiteres Wachstum zu generieren wurde ein Element, das für den Keynesianismus typisch ist, nämlich die Kreditausdehnung in großem Maßstab eingesetzt. Zu Recht wenden die Keynesianer ein, dies sei kein echter, konsequenter Keynesianismus gewesen und mit vielen Mängeln behaftet. Was aber unbezweifelbar stattfand war eine erhebliche Kreditausdehnung sowohl von staatlicher Seite als auch der privaten Haushalte und der Unternehmen. Und die folgende Krise zeigte, dass offensichtlich Verwertungsschwierigkeiten auftreten. Die kreditfinanzierten Ausgaben des Staates und auch der Privaten haben zwar das Wirtschaftswachstum angestoßen, generieren aber (direkt und indirekt) zu wenig Mehrwert, um die Profitansprüche des Kapitals befriedigen zu können. Die Keynesianer können nicht aufzeigen, dass etwaige künftige Investitionen z.B. aus Konjunkturprogrammen, etc. von dieser Verwertungsschwierigkeit wesentlich weniger betroffen sein werden als in der jüngsten Vergangenheit. Das ist aber aus Sicht des Kapitals das Wesentliche. Entscheidungskriterium ist dabei nur der kapitalistische Maßstab ob etwas genügend Profit bringt, nicht der Bedarf und das Interesse der Bevölkerung an einem guten Gesundheitssystem, Umweltschutz, Bildungswesen usw. Aus kapitalistischer Sicht wird durch die Lohnabsenkungen und die Kürzungen in anderen Bereichen die Fähigkeit des Kapitals Mehrwert zu realisieren wieder gesteigert. Die Folgen der Sparpolitik sind zwar für die Beschäftigten und andere Teile der Bevölkerung wie Rentner desaströs, aber nicht generell für das Kapital. Natürlich wird dadurch auch die Nachfrage nach Konsum- und Investionsgütern abgeschwächt und die entsprechend engagierten Kapitalisten haben ein Problem damit und eventuell landen sie oder ein Teil davon in der Pleite. Aber es gibt unter Kapitalisten letztlich eine klare Rangordnung der Interessen und Ziele, die Ausbeutungsrate ist wichtiger als die Nachfrage. Nicht zuletzt kann das was jetzt an Griechenland, Portugal, Spanien und Irland vorgeführt wird, als Vorbereitung für weitere Einschnitte in den anderen für den Kapitalismus viel wichtigeren Ländern gesehen werden.


Illusionen im allgemeinen Bewusstsein als Basis für keynesianische Ideen.

Die Diskussion über Wirtschaftspolitik findet nach wie vor vor einem Hintergrund der Hoffnung auf einen domestizierten Kapitalismus statt in dem die großen Ziele Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung und Preisstabilität und damit auch ein steigendes allgemeines Wohlstandsniveau zumindest annähernd realisiert werden können. Solche Vorstellungen konnten im Aufschwung nach dem II. Weltkrieg in etwa erreicht werden und haben die Erfahrungen von vielen nachhaltig geprägt. Auch wenn diese Erwartung inzwischen schon viele Kratzer abbekommen hat, im Kern ist sie noch in den Köpfen vorhanden und die Realität hat viele noch nicht gezwungen von solchen Vorstellungen endgültig Abschied zu nehmen.

Ein Fehler der (Links-)Keynesianer ist, sich stillschweigend auf solche Vorstellungen zu beziehen und der, oft unausgesprochene, Anspruch, innerhalb des Kapitalismus und im Interesse von allen und insbesondere auch der Mehrheit der Bevölkerung die Probleme lösen zu können. Vereinfacht ausgedrückt analysieren sie oft korrekt die Probleme und Widersprüche, die sich aus der exekutierten (eher neoliberalen) Politik ergeben. Bei ihren Gegenvorschlägen gibt es meistens richtige Ansätze. Sie unterliegen aber oft der Illusion innerhalb des Kapitalismus eine für alle Klassen akzeptable Lösung anbieten zu können. Den grundsätzlichen Verwertungsschwierigkeiten im Kapitalismus stellen sie sich nicht (oder erkennen sie nicht). Desgleichen unterschätzen sie Machtfragen. Bei Reformvorschlägen werden oft in Anmerkungen, also im Kleingedruckten, die Voraussetzungen genannt, die erfüllt sein müssten, damit die Vorschläge wirken und nicht in irgendeiner Form umgangen werden können (z.B. bei staatlichen Hilfen für Unternehmen um Arbeitsplätze zu schaffen). Wobei diese Bedingungen bei linken Keynesianern sehr weitgehend sein können und erhebliche Einschränkungen der Verfügungsgewalt des Kapitals bedeuten würden. Wer das alles durchsetzten sollte bleibt unklar und wird nur selten benannt. Oft erfolgt nur ein Appell an den Staat oder an die demokratischen Kräfte oder etwas ähnliches. So ist es kein Wunder, dass die Herrschenden sich durchaus der keynesianischen Instrumente bedienen, wenn es ihren Interessen gelegen kommt (wie z.B. bei einer Bankenrettung durch den Staat), aber weniger daran denken Keynesianismus konsequent umzusetzen und schon gar nicht eine linke Spielart desselben. Ihnen, den herrschenden Klassen, ist nämlich nicht wirklich an Vollbeschäftigung und Steigerung des allgemeinen Wohlstands, etc. gelegen. Besonders in der Krise zeigt sich das klar. Dann wird Klassenkampf von oben betrieben und die Verteidigung der Kapitalverwertung bekommt allerhöchste Priorität.


Keynesianismus und die Linken

Trotz dieser Kritik sind (links-)keynesianische Forderungen ein Anknüpfungspunkt für eine sozialistische Linke. In der praktischen Politik, bei der derzeitigen Schwäche der (antikapitalistischen) Linken, ist es sinnvoll sich bei konkreten Forderungen an die der Linkskeynesianer anzuschließen. Diese sind die am weitesten linken Forderungen, die zur Zeit gesellschaftliche und politische Relevanz entfalten können. Sie gehen in die richtige Richtung, wir teilen nur nicht die Erwartung eine wirkliche Lösung damit zu erreichen. D.h. eine sozialistische Linke kann viele Vorschläge und Forderungen der Keynesianer unterstützen, nur nicht die Illusion dadurch einen krisensicheren, gerechteren, etc. Kapitalismus erreichen zu können.


Besteuerung der Vermögen

Eine Hauptforderung zur Krisenbewältigung, bei der am vorhandenen Bewusstsein angeknüpft werden kann, ist die Forderung nach einer (erheblichen) Besteuerung der Vermögen bzw. einer speziellen Vermögensabgabe. Durch solch Maßnahmen könnte nämlich ein Teil des Verzinsung suchenden Kapitals einem gesellschaftlich nützlichen Zweck zugeführt werden. Dazu nur ein paar Zahlen. Das Vermögen von Privathaushalten lag im Jahre 2010 in Deutschland bei 10,1 Billionen Euro (davon fast 5 Billionen Immobilien), das Geldvermögen (inkl. Aktien und Investmentfonds etc.) lag noch bei 4,9 Billionen.

Das DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) hat z.B. einen Vorschlag einer einmaligen Vermögensabgabe erarbeitet. In Deutschland käme durch eine Abgabe von 10% auf die Vermögen der Reichen (d.h. bei diesem Vorschlag Vermögen von mehr als 250000 Euro von Einzelpersonen, bei Ehepaaren das Doppelte) die stattliche Summe von 230 Milliarden zusammen. Sicher, ein solcher Vorschlag ist zur Zeit politisch (noch) nicht durchsetzbar und soll (in der vom DIW vorgeschlagenen Form) auch gar nicht als Ideallösung propagiert werden, aber er zeigt an in welche Richtung eine einigermaßen wirksame und soziale Krisenbekämpfung gehen könnte. (Der Vorschlag bezieht sich nur auf Deutschland, selbstverständlich gibt es auch in anderen europäischen Ländern, auch in Griechenland, Privatvermögen die in Summe der jeweiligen Staatsschulden weit übertreffen.)


Ausblick

Eine weitere Verschärfung der Finanzkrise in nächster Zeit ist denkbar, vor allem wenn es zu einer stärkeren und länger andauernden allgemeinen Rezession kommen sollte. Denn alle (optimistischen) Pläne zur Krisenüberwindung beruhen auf Wirtschaftswachstum. Fällt dieses aus und kommt es sogar zu einer Kontraktion des BIP wird sich die Schuldenproblematik, die Bankenkrise etc. sofort verschärfen, auch in den bisher als solide geltenden Ländern.

Es ist aber auch denkbar, dass sich das Krisengeschehen noch über viele Jahre hinzieht, mit Beruhigungen und (kleineren) Verschärfungen der Lage im Wechsel. Punktuell und/oder regional könnte es dabei auch begrenzte Krisenbereinigungen (sprich Kapitalvernichtung) geben, ohne dass sich an der Gesamtsituation etwas ändert. Eine dramatische Verschärfung ist aber jederzeit möglich, unter Umständen auch aus relativ geringfügigen Anlässen.

Da nicht zu erwarten ist, dass die Ausbeutungsrate so weit gesteigert werden kann, um alle Verwertungsschwierigkeiten der angesammelten Kapitalmassen zu beheben, bleibt also als Lösung nur die Vernichtung dieses überschüssigen Kapitals. Es ist zu bezweifeln, dass die herrschenden Klassen eine kontrollierte und damit von Friktionen freie oder zumindest arme Kapitalentsorgung organisieren können oder auch nur ernsthaft anstreben. Zu groß sind die konkreten Interessengegensätze zwischen den einzelnen Kapitalbesitzern und die jeweilige Hoffnung, die Lasten auf andere abwälzen zu können.

Bei aller Wichtigkeit der gegenwärtigen Krisenbrennpunkte, darf man nicht vergessen, dass das dabei (Griechenland, spanische Immobilien und Banken) involvierte Kapital nur einen relativ kleinen Ausschnitt des insgesamt nach Verwertung suchenden Kapitals darstellt. Der Vermögensbesitzer erwartet, dass sein Vermögen sich zu einem bestimmten Satz verzinst und er sucht entsprechende Anlagemöglichkeiten, die ihm eine solche Verzinsung voraussichtlich garantieren. Nicht dass es keine solche Anlagemöglichkeiten gibt. Ein Blick in den Wirtschaftsteil der Zeitungen zeigt, dass es etliche Unternehmen gibt, die große Profite erwirtschaften. Der hohe Aktienkurs von Apple z.B. zeigt wie begehrt und damit teuer Anteile von jetzt und vermutlich auch in der Zukunft hoch-profitablen Firmen sind. Aber es gibt solche profitablen Anlagemöglichkeiten nicht genug. Die Aufblähung des Finanzsektors vor Beginn der Krise 2008 ist ein Zeichen für den Versuch neue profitable Anlagemöglichkeiten zu erschließen.

Dem ist aber eine Grenze gesetzt weil im Finanzsektor selbst kein Mehrwert produziert wird. Profite im Finanzsektor setzen immer eine Verlagerung des Profits aus den anderen Sektoren in den Finanzsektor voraus. Wenn die sogenannte Realwirtschaft aber nicht mehr kräftig wächst, kann der dort erzeugte Mehrwert bei aller im einzelnen erfolgreichen Steigerung der Ausbeutungsrate nicht im notwendigen Ausmaß zunehmen, um die sich ansammelnden Kapitalmassen zu bedienen.

Das ist das Kernproblem und es Kernproblem ist unmittelbar mit der Existenz und Funktionsweise des Kapitalismus verbunden. Die Probleme in Griechenland oder bei spanischen Sparkassen sind dagegen nur vorübergehende Erscheinungsformen der Misere. Genauso wie eine europäische Bankenunion oder verschärfte Regulierungen für Banken, so sinnvoll sie manchmal im Detail sein können, das Grundproblem nicht lösen, ja nicht einmal abmildern können. Dies zu leugnen bedeutet an einen Kapitalismus zu glauben, der frei von Krisen ist.

*

Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 178 - Winter 2012/2013, Seite 1, 3 bis 8
Verleger: Thomas Gradl, Postfach 910307, 90261 Nürnberg
E-Mail: redaktion@arbeiterstimme.org
Internet: www.arbeiterstimme.org
 
Die Arbeiterstimme erscheint viermal im Jahr.
Das Einzelheft kostet 3 Euro,
Abonnement und Geschenkabonnement kosten 13 Euro
(einschließlich Versandkosten).
Förderabonnement ab 20 Euro aufwärts.


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Februar 2013