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ARBEITERSTIMME/197: Zur Bundestagswahl


Arbeiterstimme, Sommer 2009, Nr. 164
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
- Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein! -

Zur Bundestagswahl


Fast gleichzeitig mit der Bundestagswahl am 27. September erscheint die Herbst-Nummer der Arbeiterstimme. Wir können also die politischen Geschehnisse bis dahin nicht mehr behandeln. Da bleibt uns nur eine kurze Betrachtung aus heutiger Sicht, vier Monate vorher. Dabei kann sich durch die Zuspitzung der Weltwirtschafts- und Finanzkrise noch manches ändern.


Als Marxisten wissen wir, dass sich durch Wahlen in der bürgerlichen Gesellschaft nichts grundlegendes ändern wird, weder an den Macht- und Ausbeutungsverhältnissen zwischen der herrschenden Kapitalistenklasse und den ausgebeuteten Lohnabhängigen, noch kommen solche Wahlen wirklich demokratisch zustande, angesichts der Medienmacht und des Geldeinsatzes der systemtragenden Klasse und ihrer Parteien.

Doch obwohl sich die Parteien politisch immer mehr einander angleichen, gibt es noch gewisse Unterschiede, den Traditionen und der jeweiligen Klientel angepasst, wo über die leeren Versprechen hinaus deren Interessen vertreten werden. Obwohl gerade unter Krisenbedingungen die ungünstigen Verhältnisse den Spielraum der Parteien einengen und alle potentiellen Regierungsparteien die Krisenlasten auf die Massen abwälzen werden, wird das Wahlergebnis den Rahmen für zukünftige gesellschaftliche und gewerkschaftliche Auseinandersetzungen neu abstecken. In den zwar schwindenden, aber trotzdem noch vorhandenen Unterschieden der Parteien liegt die aktuelle Bedeutung von Wahlen, die wir trotz der generellen Rechtstendenz beachten und nützen sollten.


Verschleiern, verschieben

Im Mai ergaben die Umfragen zur Wahl, trotz Wirtschaftskrise, ein sich wenig änderndes Bild: CDU/CSU 37%, SPD 27%, FDP 13%, Grüne 9%, Die Linke 10%. Die restlichen 4% entfallen auf kleinere Parteien und auf Rechtsradikale. Sollte die Krise sich dramatisch verschärfen und vor allem die Arbeitslosigkeit zunehmen, wird das größeren Einfluss auf das Wahlergebnis haben. Es ist frappierend, dass ein beträchtlicher Teil der Menschen den Ernst der Lage noch nicht erkannt hat, was eben erst der eigenen Erfahrung bedarf. Das ist auch der Grund, wenn immer noch vom "Kaufrausch" bestimmter Kreise berichtet wird. Viele rechnen auch mit einer baldigen Besserung der Lage. Die etablierten Parteien versuchen trotz des anwachsenden finanziellen Desasters, die Tatsachen zu verschleiern und davon abzulenken, dass das dicke Ende erst noch kommt, wenn die Konjunkturprogramme, Staatsgarantien, Bankstützungen und Haushaltsdefizite zur Zahlung fällig werden. Die lohnabhängigen Massen und kleinen Leute werden, den Machtverhältnissen nach, die größten Opfer für das Fiasko des kapitalistischen Systems aufgebürdet bekommen.

Vorläufig hat die Große Koalition es verstanden, die Menschen relativ ruhig zu halten und ihnen mit einer Anzahl Maßnahmen Sand in die Augen zu streuen: sage und schreibe fünf Milliarden Euro wurden für die Auto-"Abwrackprämie" zur Verfügung gestellt, was großen Anklang fand. Eine, wenn auch geringe, Rentenerhöhung wurde beschlossen (die der Staat Jahre danach wieder verrechnet), ebenso eine Rentengarantie (für die sich wohl niemand verbürgen wird). Das Kindergeld wurde erhöht, die alte Entfernungspauschale gilt wieder, eine 10-Milliarden-Steuersenkung wurde angekündigt. Während den Kommunen bereits das Steueraufkommen wegbricht, beschließt die Bundesregierung Konjunkturpakete, z.B. zwei Milliarden für Bayern. Das Kurzarbeitergeld (auf das eine Million Menschen angewiesen ist) wurde auf 24 Monate verlängert. Dies beschert der Bundesagentur ein riesiges Loch, das die Beitragszahler später wieder füllen müssen. Die Münchner Regierung hat nun für Bayerns Beamte die 40-stündige Arbeitszeit um zwei Stunden verkürzt, um den Gleichstand mit den Angestellten wieder herzustellen. Ein weiterer populistischer Akt bestand darin, das Nichtrauchergesetz in Bayern wieder zu lockern. Man merkt, die CSU hatte Angst, bei der Europawahl die 5%-Hürde nicht zu überspringen; dabei fallen dann die gesundheitspolitischen Argumente unter den Tisch.

Insgesamt ist es der Berliner CDU/CSU-SPD-Regierung schon gelungen, mit kleinen "Wohltaten" davon abzulenken, dass nach der Bundestagswahl der bittere große Zahltag beginnt. Fraglich ist, ob sie das noch monatelang durchhalten kann. Momentan überwiegt noch die Meinung in der Bevölkerung, die Regierung könne die Krise in den Griff bekommen. So sind 63 Prozent für die von der Union propagierte Steuersenkung, 33% sind dagegen. Dabei liegen gewaltige Zahlen auf dem Tisch, wenn sie auch bei weitem nicht das ganze Ausmaß der Finanzkrise widerspiegeln. Nach Steinbrück steigt die Nettokreditaufnahme 2009 auf 50 Milliarden Euro und 2010 auf 80 Milliarden. Bis 2013 wird die Gesamtverschuldung des Staates auf zwei Billionen Euro angestiegen sein. Die Steuereinnahmen könnten bis dorthin um 350 Milliarden Euro geschrumpft sein, bei gleichzeitigen Mehrausgaben durch Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und vermehrte Zuschüsse an die Bundesagentur für Arbeit (20 Milliarden erwartetes Defizit).

Gibt es auch gegen Betriebsschließungen, Entlassungen und gegen die Art der "Krisenbewältigung" durch die Politik hin und wieder Widerstand und Demonstrationen, so herrschen doch mehrheitlich immer noch Ignoranz, Fatalismus und ein Bewußtsein der Alternativlosigkeit vor. Leider geht auch die Losung "Das ist nicht unsere Krise" daneben, denn ausbaden müssen wir sie. Auch sollte es nicht heißen: "Dieser Kapitalismus muss weg", sondern: "Der Kapitalismus muss weg". Es gilt aufzuklären, dass die Ursache für diese große Krise im System liegt und nicht nur in einigen Fehlern des Systems. Nachdem auch der Bankier Josef Ackermann äußerte, dass "wir in vielen Ländern soziale Spannungen bekommen" könnten, ist Kanzlerin Merkels Protestschrei gegen die bloße Einschätzung, soziale Unruhen würden drohen, verstummt. Nach einer Umfrage haben 72% davor Angst, 54 Prozent hielten soziale Spannungen für möglich, ein Drittel sagte sogar, sie würden sich daran beteiligen. Doch mit der gegenwärtigen Stimmung hat das noch nichts zu tun, dafür ist die Situation noch nicht herangereift. So gibt es auch nicht die massenhafte Empörung und Militanz, die eine soziale Bewegung ausmacht. Wenn nicht Unerwartetes geschieht, kann zur Bundestagswahl keine Partei - auch nicht Die Linke - mit der Rückenstärkung durch eine soziale Bewegung antreten. Wenige Großdemonstrationen und einige Streiks reichen dazu nicht aus. So wird die Bundestagswahl wohl im Zeichen der Weltwirtschaftskrise stehen, jedoch nicht von deren wirklichem Ausmaß und Wucht bestimmt sein.

Nach der völkerrechtswidrigen Aggression gegen Jugoslawien, unter der Verantwortlichkeit von SPD und Grünen, führt nun Deutschland seit mehreren Jahren Krieg in Afghanistan. Trotz Verschärfung der Lage, mehr deutschen Toten und keinerlei Aussicht auf ein Ende, stehen alle Bundestagsparteien - außer der Linken - für eine Fortsetzung an der Seite der USA. Für die Bevölkerung wird dieser Krieg am Hindukusch weitgehend als eine Art "Polizeiaktion" dargestellt, daher reagiert sie mit wenig eigener Betroffenheit. Der Einfluss auf die Wahlen ist deshalb gering, was bei der deutschen Vergangenheit kein gutes Zeichen für die Befindlichkeit der bundesrepublikanischen Gesellschaft ist. Sollte durch die Ereignisse selbst die Kriegsgegnerschaft anwachsen, so ist es wie mit den drohenden "sozialen Unruhen": Die Innere Aufrüstung ist längst im Gange, Schäuble sei Dank! Die Zugriffe auf Daten, die Verschärfung der Versammlungsgesetze, die Übergriffe der Polizei bei Demonstrationen, die Aufrüstung der Polizei mit noch moderneren Waffen (Taser), der Einsatz der Bundeswehr im Inneren wie beim Obama-Besuch, die Ausspähung der Beschäftigten in den Großbetrieben ... Die Liste ließe sich fortsetzen! Die Verantwortlichen von Union, SPD und FDP stehen zu diesen teils illegalen Praktiken, während sie die Bürgerrechte anlässlich des 60. Jahrestages der Grundgesetzerklärung wohlfeil im Munde führen.


Zwei Varianten bürgerlicher Herrschaft

Der Wahlgang im September wird bestimmt werden vom Fortgang der Krise und vom Zustand der Parteien. Schon heute ist sicher, dass keine Partei die absolute Mehrheit erreichen wird. Sicher ist auch, dass es keine "linke" Koalition geben wird. Abzusehen ist, dass zwei Koalitionsmöglichkeiten das Wahrscheinlichste sind: 1. Die Fortsetzung der Großen Koalition CDU/CSU und SPD. 2. Eine Rechtskoalition zwischen CDU/CSU und FDP. Das könnte eine ausgesprochen reaktionäre Ära bedeuten. Erinnert sei z. B. an die Kirchhoff-Merkel-Pläne. Eine Rechtskoalition würde den Ausstieg aus der Atomenergie rückgängig machen. Die Pläne zur weiteren Entsolidarisierung der Krankenversicherung liegen bereits auf dem Tisch.

Gleich, welche Koalition an die Regierung kommt, sie findet, durch die Krisenfolgen bestimmt, äußerst ungünstige Verhältnisse vor, mit wenig Spielraum. Das Eintreiben der Krisenkosten wird an erster Stelle stehen und die Adressaten stehen auch schon fest, ganz im Sinne der besitzbürgerlichen Parteien. Trotz allem gibt es zwischen den Parteien noch politische Unterschiede. Die so genannten Volksparteien müssen noch gewisse Rücksichten nehmen, um ihr Wählerpotential nicht zu sehr zu verprellen. Da kommt es auf die Stärke des Widerstands an, gegen die Krisenabwälzung auf die Massen. Bei der SPD muss zumindest teilweise noch Rücksicht auf betriebliche und gewerkschaftliche Belange genommen werden, auch wenn die eisernen Ketten mit den Gewerkschaften starke Brüche aufweisen. Die SPD muss sozialpolitisch auch die Konkurrenz von links fürchten. Nachdem die Grünen eine Ampelkoalition ablehnen, sind sie so oder so auf die Oppositionsbänke verwiesen. Dasselbe gilt für Die Linke, da sie von der SPD als Koalitionspartner auf Bundesebene abgelehnt wird. Ein Sozialdemokrat als eventueller Regierungschef ist damit von vornherein ausgeschlossen, solange dieses Tabu gilt.

Die politischen Unterschiede zwischen den etablierten Parteien sind immer weniger prägnant und ihre Politik wird allzu oft von pragmatischen Erwägungen bestimmt. Bei den Volksparteien kommt dies auch daher, dass im Zeitalter der Moderne ihre Milieus wegbrechen; bei der SPD die Arbeiterschaft, bei der Union die Bauern und die kirchlichen Bindungen. FDP und Grüne werben gleichermaßen um das gutsituierte Bildungsbürgertum und geben vor, Bürgerrechte zu vertreten.

Die CDU als stärkste Partei der BRD hafte Lehren aus ihren Verlusten bei der letzten Bundestagswahl gezogen. Der angekündigte scharfe Rechtsruck à la Kirchhoff-März-Merkel hafte sie damals um den Wahlsieg gebracht. So wird der CDU in der Großen Koalition nun eine gewisse Sozialdemokratisierung nachgesagt. Zusammen mit der CSU ist sie immer noch die Partei der klein- und großbürgerlichen Interessen, mit beträchtlicher Wählerzahl bei Arbeitern und Angestellten. Die Interessensgegensätze entladen sich zur Zeit in der Steuerkakophonie. Der CDU-Wirtschaftsflügel baut auf ein Bündnis mit der FDP und fordert den Wegfall der Erbschaftsteuer und des Solidaritätsbeitrags. Mittelstand und Unternehmen müssten um 40 Milliarden steuerlich entlastet werden. Da dies nur auf Kosten der Lohn- und Gehaltsabhängigen und der Transferbezieher ginge, wäre das nur in einer schwarz-gelben Koalition durchzusetzen. Von der wären auch weitere Angriffe auf die Gesundheits- und Rentenpolitik zu erwarten. Das schließt natürlich nicht aus, dass auch eine erneuerte Große Koalition, angetrieben vom Krisendesaster versuchen würde, Verschlechterungen, besonders sozialpolitischer Art durchzusetzen. Denn wie man es auch dreht und wendet, jede neue Regierung steht unter dem Diktat der kapitalistischen Systemkrise. Die teueren Konjunkturprogramme und Bankenrettungsmanipulationen werden zwar die nächste Blase nicht vermeiden, drücken nun aber wie ein Alb auf das Land. Um eine Inflation zu verhindern, müssten die Steuern und Abgaben gewaltig erhöht werden. Das würde aber einer Konjunkturerholung den Garaus machen. Es liegt auf der Hand, dieser Widerspruch ist systembedingt. Politisch steht fest: "Die nächste Regierung - egal wie sie zusammengesetzt ist - muss den sozialen Bluthund machen" (Robert Kurz im Freitag). Eigentlich bräuchte sich keine Partei darum reißen, wenn es nicht auch darum ginge, die neue Umverteilungsphase klassenmäßig durchzudrücken. Schon die Forderungen zur nochmaligen Erhöhung der Mehrwertsteuer zeigen, wohin die antisoziale Reise geht.

Besonders bei der FDP überschattet der Drang zur Regierungsbeteiligung alles andere. Es ist grotesk, die Brandstifter des zügellosen Neoliberalismus sind die wahlpolitischen Nutznießer der davon herrührenden Wirtschaftskrise geworden, obwohl ihre Ideologie so offensichtlich bankrott ging. Das Hauptziel der FDP ist die Fortsetzung der neoliberalen Politik mit einigen Bemäntelungen und unter vorübergehender Hinnahme keynesianistischer Einsprengsel. So sammeln sie nun jene ein, vor allem von der Union, die an den alten Ellenbogenverhältnissen der Deregulierung, der Privatisierung und am ungezähmten Marktradikalismus festhalten wollen, denen alle anderen Bundestagsparteien sozial- und wirtschaftspolitisch zu liberal sind. Möchtegern-Außenminister Westerwelle sitzt mit dieser Ausrichtung in seiner Partei fest im Sattel. Das Koalitionsvorhaben mit der Union ist so gut wie abgemacht.


Die Grünen im Abseits

Die Grünen haben inzwischen ein festes Wählerpotential. Es ist dort üblich, sich in der Opposition weiter links zu geben, statt wie zu unseligen Schröder-Zeiten die Kriegsfurie auf Jugoslawien loszulassen. Was ihre ökologischen Anliegen betrifft, so wurde manches davon, teils nur verbal, auch von anderen Parteien übernommen. Bei besserverdienenden Schichten steht sie in Konkurrenz zur "feindlichen" FDP. Gegen den Afghanistankrieg macht sich nun eine breitere Stimmung bemerkbar. Die Grünen wären bereit, im Herbst mit der SPD zu koalieren, was aber stimmenmäßig nicht ausreichen wird. Eine Ampelkoalition, bei der sie nur Anhängsel wären, lehnen sie ab. Bemerkenswert, dass die Grünen eine Verteufelung der Partei Die Linke nicht mitmachen. Bei den letzten Wahlen profitierten die GRÜNEN vom Niedergang der SPD. Dieses Potential dürfte nun ausgeschöpft sein.


Scheinbewegung der SPD nach Links

Bei der SPD wird der Slogan von der "Neuen Mitte" nicht mehr benutzt. Er hatte sich als Phrase entpuppt. Müntefering und Steinbrück wollen nun das Kunststück fertig bringen, an der Agenda 2010 festzuhalten, an Hartz IV und an der Rente mit 67 und gleichzeitig, sich sozialer zu geben, damit ihnen nicht noch mehr Stammwähler davonlaufen. Mit Mindestlohn, mehr Gerechtigkeit (!) und Mitbestimmung wird ihnen das nur sehr begrenzt gelingen. Auch die SPD-Linke mit Andrea Nahles an der Spitze hält an der Schröder-Politik fest und mit ihrem neuen Projekt "Gute Gesellschaft" kann sie keinen Hund hinter dem Ofen hervorlocken angesichts der tatsächlichen SPD-Politik. Die Jahrzehnte des Rechtsschwenks, in der die SPD "ihre Seele verkaufte", (Schröder: "Man kann nicht gegen das Kapital regieren"), sind nicht vergessen. Die Stammwähler blieben deswegen scharenweise zu Hause, die Mitgliederschaft halbierte sich, die Landtagswahlen wie in NRW gingen verloren, in Bayern blieben 18% und in Sachsen gar nur noch 9 Prozent. Heute könnte man sagen, die SPD besteht eigentlich aus mehreren Parteien, von Steinmeier über Schreiner bis zum üblen Kahrs vom rechten Seeheimer Kreis. Doch die Netzwerker und Rechten in der New-SPD haben längst die meisten Posten besetzt und bestimmen mit Müntefering und Steinbrück die Parteipolitik. Mit auf ihr Betreiben ist auch das Projekt Ypsilanti in Hessen gescheitert. Sie halten am Afghanistan-Krieg fest; wie lange noch, bis zum Rückzug? In 10 Jahren? Mindestlöhne, Bürgerversicherung usw., mit welchem Koalitionspartner kann da was zustande kommen, doch nicht mit der von ihnen begehrten FDP? Mit dem Verdikt, im Bund kein Bündnis mit der Linken, gerät die SPD ins Aus oder unterwirft sich der CDU/CSU. In den Gewerkschaften und Betrieben ist die SPD zwar noch verankert, doch das ehemals eiserne Band ist durch ihre Politik zerbrochen. Linke und Grüne haben in den Gewerkschaften ein Stück aufgeholt. Mit Wahlkampf-Geldzuweisungen der Gewerkschaften an die SPD dürfte es nun schwieriger geworden sein. Für die Forderung der SPD: "Zurück zur Sozialen Marktwirtschaft", gibt es im krisengeschüttelten Kapitalismus keine reale Grundlage mehr.


Auch eine angeschlagene NPD bleibt eine Gefahr

Bei der Bundestagswahl treten auch rechtsradikale Gruppen und Parteien an. Doch trotz des Umschlags der Wirtschaftskrise in eine soziale Krise ist nicht damit zu rechnen, dass die NPD als größtes faschistisches Gebilde die 5 Prozent Klausel überspringt und in den Bundestag einziehen kann. Sie hat zwar Schwerpunktgebiete, besonders im Osten, wo sie bereits das gesellschaftliche Leben beeinflusst und ihre Gegner terrorisiert. Trotz ihrer anhaltenden Gewaltexzesse ist dies jedoch noch nicht zur allgemeinen Erscheinung geworden. Auch ihr Konzept, sich als soziale Biedermänner zu gebärden, findet mancherorts Anklang. Alarmierend ist die Lage schon angesichts von 5.000-6.000 nationalen "autonomen" Gewalttätern und den ständigen Aggressionen, von Gräfenberg bis zur Sächsischen Schweiz. Selbst gewerkschaftliche Demonstrationszüge werden mittlerweile angegriffen, Gegner im Internet gebrandmarkt. Meist richtet sich das Verhalten von Polizei und Justiz gegen die antifaschistischen Demonstranten statt gegen die Nazis. Politisch ernst könnte es werden, wenn die Arbeitslosigkeit und die Armut so groß werden, dass sich auch Deutsche verstärkt um unqualifizierte Arbeitsplätze bemühen müssen. Manche von ihnen werden dann in ausländischen Arbeitskräften noch mehr Konkurrenten sehen, die ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen. Momentan ist die NPD organisatorisch und finanziell angeschlagen. Trotzdem: Die faschistische Gefahr ist in Deutschland immer latent!


Unterstützt Die Linke!

Ein Zurück zur sozialen Marktwirtschaft gibt es auch für die Linkspartei nicht, selbst wenn ein Teil von ihr das will. Auch für sie gilt: mit keynesianischen Mitteln kann man die Krise nicht lösen. Organisatorisch hat sich die Partei Die Linke durch den Zusammenschluss von PDS und WASG gefestigt, sie ist nun auch im Westen etabliert. Die aktiven Mitglieder der Linksjugend haben sich z. B. innerhalb eines Jahres von 2400 auf 3400 erhöht. Mit der Zunahme der Mandate und der damit zu vergebenden Posten haben sich freilich auch die parteiinternen Diadochenkämpfe dem in den anderen Parteien üblichen Gerangel angenähert. Politisch ist Die Linke eine Union verschiedener linker Richtungen.

Reformer, Reformisten, Linkssozialdemokraten, Sozialisten und Marxisten streiten für ihre Positionen. Noch ist die Zahl der Eintritte größer, als die der Austritte und Überläufer. Die Europaabgeordnete Sylvia Kaufmann ist nun zur SPD übergetreten. Die verschiedenen Strömungen stehen manchmal in harten Auseinandersetzungen. Wesentlich ist, dass der kommunistischen Minderheit und den anti-kapitalistischen Kräften die Möglichkeiten für politische Arbeit in der Partei und nach außen bleiben. Das Sagen und das Geld aber hat der Apparat, der Posten zu vergeben hat und immer auf Regierungsbeteiligungen schielt. Die Koalition im Land Berlin wird weiter mitgetragen, trotz der umstrittenen Politik und der dafür bei den letzten Wahlen erlittenen Verluste. Insgesamt scheint sich diese Anpassungspolitik fortzusetzen. Sie wird auch in der Anhängerschaft mitgetragen. Das Fehlen des Drucks einer sozialen und politischen Bewegung kommt hier deutlich zum Ausdruck.

Die Weltwirtschaftskrise hat der Linken bisher kaum besonderen Zuwachs an Wählerstimmen gebracht. Ganz gleich, ob sie im September 9 oder 11% erringen wird: dies ist eine Größenordnung, die immer noch wenig in Berlin bewegen kann. Die Partei hat keine Koalitionspartner für Mehrheiten. Ihre Wähler können nicht mit der Durchsetzbarkeit der Politik der Linken rechnen. Wichtig ist es, Druck auf SPD und Grüne auszuüben, sie beim Wort zu nehmen und politisch bloßzustellen. Man kann nur schätzen, aber etwa ein Drittel an Stimmen hätte die Partei mehr, bestünde nicht in Deutschland, dem "Land der Freiheit", ein unausgesprochener Boykott der Massenmedien gegenüber der Linken. Ob Fernsehen oder Massenpresse, meist wird nur das Negative über die Partei gebracht und ihr Programm und ihr Ziele werden verschwiegen. Ihre vielen Vorschläge und Kritiken werden unterschlagen. Im Fernsehen gibt es nur den Oppositionsführer Westerwelle. Im bürgerlichen Staat ist die Meinung der Herrschenden die herrschende Meinung, wie es Karl Marx ausdrückte. Geld ist Macht und Demokratie ist in diesem Staat nicht für alle da.

Die Linke ist keine marxistische Partei. Sie steht am linken Flügel des bürgerlichen Staates. Wir hoffen, dass sie von aufkommenden sozialen Bewegungen politisch und praktisch befruchtet wird. Wir gehen davon aus, dass sie weiterhin demokratische und soziale Rechte verteidigt und imperialistische Kriege bekämpft. Das Parlament kann dafür als Tribüne der Propaganda genutzt werden. Wir werden die Partei Die Linke verteidigen, aber auch kritisieren, wo es notwendig ist.

Zur Bundestagswahl 2009 treten wir ein für eine kritische Unterstützung der Partei Die Linke.


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Quelle:
Arbeiterstimme, Nr. 164, Sommer 2009, S. 19-22
Verleger: Thomas Gradl, Postfach 910307, 90261 Nürnberg
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Internet: www.arbeiterstimme.org

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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juli 2009