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ANALYSE & KRITIK/373: Blendet die einäugigen Riesen - Ein Plädoyer für die Commons


ak - analyse & kritik - Ausgabe 549, 16.04.2010

Blendet die einäugigen Riesen
Ein Plädoyer für die Commons

Von Benni Bärmann


Fundierte und grundsätzliche Kritik ist nicht das, woran es uns heute mangelt. Es gibt sie in allen Farben und Geschmacksrichtungen. Sicherlich bleibt es auch weiterhin notwendig, diese immer wieder zu erneuern, weiter zu entwickeln und an den Lauf der Zeit anzupassen. Auch der Streit um Farben und Geschmacksrichtungen hat seine Berechtigung. Wenn wir es aber ernst meinen mit der Transformation der Gesellschaft, dann kommen wir nicht darum herum, uns einer unangenehmen Wahrheit zu stellen: Wir werden uns nicht auf eine Farbe und eine Geschmacksrichtung der Kritik einigen können. Die Commons ermöglichen hingegen eine gemeinsame Sprache der Verständigung.

Seit dem Ende des Fordismus befinden sich gesellschaftliche Milieus in Auflösung und damit auch die dazugehörigen Ideologien und Weltanschauungen. Das heißt nicht, dass diese verschwinden, nur dass es sie in immer größerer Vielfalt gibt. Für Alternativen gilt dasselbe. Auch sie gibt es in allen Farben des Regenbogens. Der eine Weg zum Ziel wird nicht dabei sein.

Wir brauchen eine Strategie, die es möglichst vielen Farben und Geschmacksrichtungen der Kritik und der Alternative erlaubt, gehört zu werden. Eine Strategie, die es ermöglicht, unterschiedlichste Weltanschauungen nicht nur miteinander ins Gespräch zu bringen, sondern diesen auch eine Plattform für gemeinsames Handeln bieten kann. Wir müssen endlich wieder mit Menschen Politik machen können, die komplett anders ticken. Das ist nun aber keine bloße Frage des guten Willens. Es erfordert das Sprechen einer gemeinsamen Sprache, in der man sich zumindest über die Differenzen austauschen kann. Es erfordert auch eine gemeinsame materielle Basis und die Möglichkeit gemeinsamer Erfahrungen. Genau das können die Commons leisten.

Das heißt nicht unbedingt, dass der Commonsdiskurs besonders gut dafür geeignet ist, selber eine neue und bessere Kritik des Bestehenden zu leisten. Sicherlich kann die Commonsbrille auch hierzu etwas beitragen, da sie das Gemeinsame wieder sichtbar macht. Aber das ist nicht das wichtigste, was die Commons für Antikapitalisten interessant macht, auch wenn sie keinen reinen antikapitalistischen Diskurs darstellen. Das zu erwarten hieße auch, die Commons zu überfordern. Der Diskurs ist aber für antikapitalistische Positionen anschlussfähig, vor allem deshalb, weil die zentralen Institutionen des Kapitalismus, der Markt und der Staat, gleichermaßen kritisiert werden. Alle wirksame Politik pendelt heute immer zwischen diesen beiden Polen. "Links" ist "mehr Staat", "rechts" bedeutet "mehr Markt". Diese Matrix wird von den Commons aufgebrochen, der Diskurs ist in diesem Sinne antipolitisch und antiökonomisch.

Gleichzeitig geht es nicht um eine Diskussion hehrer Ideale, nach denen wir uns zu richten hätten. Es geht nicht in erster Linie um die Verbreitung einer Idee. Es geht auch nicht darum, einfach mal wieder eine neue Sau durchs linke Dorf zu treiben. Es geht um tägliche Praxis von Millionen von Menschen. Vom südamerikanischen Regenwald bis hin in die Zentralen transnationaler Konzerne, von schweizer Bergwiesen bis zum Internet, vom öffentlichen Raum bis zum Weltklima. Es geht ums Commoning, um selbstorganisierte Verwaltung gemeinsamer Ressourcen, um Produktion von Gemeingütern - ohne Staat und ohne Markt. Von funktionierenden Commons profitieren im übrigen auch traditionellere Politikvorstellungen, weil mit funktionierenden Commons im Rücken auch die Opel-ArbeiterInnen weniger erpressbar werden.

Dabei sind wir heute noch nicht in der Lage, ganz ohne diese beiden einäugigen Riesen aus zu kommen. Wir sind in ihrer Höhle namens Kapitalismus gefangen. Aber wir können ihnen strategisch und langfristig entsagen, auch wenn wir mit ihnen kurzfristig und taktisch zusammenarbeiten müssen. Wichtig ist dabei, dass der Kern der Commons nicht angetastet wird. Eine Zusammenarbeit geht genau bis zu dem Punkt, bis zu dem die Gemeingüter als solche erhalten bleiben und gefördert werden. Auf lange Sicht sind sowohl Staat als auch Markt immer inkompatibel mit den Commons. IBM fördert Linux genau so lange, bis Microsofts Monopol gebrochen ist. Das nehmen wir gerne mit, auch wenn wir uns nicht darauf verlassen sollten, dass das so bleibt.

Wir brauchen vielfältige Experimente, das Gemeinsame neu zu erfinden, die Produktion der Lebensgrundlagen herrschaftsfrei zu organisieren. Niemand kennt schließlich heute schon den Weg. Allen die etwas anderes behaupten, sollte man mit einer gehörigen Portion Misstrauen begegnen. Dafür gab es schon zu viele Heilsversprechen.

Doch diese vielfältigen Experimente brauchen in ihrem fragenden Voranschreiten eine strategische Linie. Am Ende des Tages muss man die Frage beantworten können: "Und? Was hat es uns gebracht?". Wenn wir dann sagen können: "Wir haben mehr Commons, mehr Gemeinsames, mehr Gemeingüter als vorher", dann sind wir im grünen Bereich. Die Commons sind die Skala auf der wir unseren Erfolg messen können, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Wir sollten es wie Odysseus machen, der sich dem Zyklopen Polyphem gegenüber "Niemand" nennt, um ihm zu entkommen. Für die einäugigen Riesen von Markt und Staat werden die Commons immer Niemandsland bleiben, da sie die Gemeingüter als solche gar nicht wahrnehmen können. Das ist unsere Chance. Doch am Ende werden die Commons dieser "Herr Niemand" des Odysseus sein, der den Untergang der einäugigen Riesen besiegelt, oder sie zumindest so weit blendet, dass wir ungestört weiter segeln können, in eine Welt in der es dann heißen wird "jede nach ihren Bedürfnissen, jede nach ihren Fähigkeiten".


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Quelle:
ak - analyse & kritik, Ausgabe 549, 16.04.2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. April 2010