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ANALYSE & KRITIK/334: Palästinensische "Ethnopolitik" im "jüdischen Staat"


ak - analyse & kritik - Ausgabe 543, 16.10.2009

Palästinensische "Ethnopolitik" im "jüdischen Staat"
Ein Blick auf die palästinensische Zivilgesellschaft in Israel

Von Cornelia Siebeck


Israel definiert sich als "jüdischer Staat"; die so genannten "israelischen AraberInnen" jedoch machen mittlerweile 20 Prozent der Bevölkerung aus - Tendenz steigend. Im hegemonialen Diskurs wird der "arabische Sektor" problematisiert: Als "fünfte Kolonne" oder "demographische Zeitbombe". Unterdessen ist eine palästinensische Zivilgesellschaft entstanden, die Katja Hermann in "Palästina in Israel. Selbstorganisation und Partizipation der palästinensischen Minderheit in Israel" porträtiert.

Die ethno-nationalistische Rhetorik des israelisch-palästinensischen Konflikts lässt oft vergessen, dass sich hinter den "Konfliktparteien" differenzierte Gesellschaften verbergen, die überdies fortwährend im nation building begriffen sind. Israel versteht sich als ethnisch-jüdisch - eine Definition, die eine ansonsten von massiven sozioökonomischen und ideologischen Konflikten geprägte Mehrheitsgesellschaft nach wie vor zusammenhält. Gesellschaftspolitisch denkt man in ethnokulturellen "Sektoren"; die entscheidende Trennlinie wird dabei zwischen "Juden" und "Arabern" konstruiert.

"Israelische Araber" gelten im jüdisch-israelischen Alltagsverstand nicht als konstitutiver Teil der Gesellschaft, sondern werden als Problem konzipiert, das noch immer der Lösung harrt. Die Ideen reichen dabei von "Dialog"/"Integration" bis hin zu "Transfer" in einen palästinensischen Staat. Ansonsten lebt man in getrennten Welten - eine unreflektierte Normalität, die gelegentlich durch allzu rassistisches Gebaren israelischer PolitikerInnen, "interkulturelle" Dialogarbeit oder "spontane" Gewaltausbrüche erschüttert wird. Ethnisierung des politischen Handelns

Katja Hermann konzipiert die israelische Gesellschaft in Anlehnung an kritische israelische SozialwissenschaftlerInnen als "Ethnokratie". Entsprechend mobilisiert sich auch die palästinensische Minderheit in Israel über ihre "ethnische Identität". Politische und soziale Anliegen werden also auch im innerpalästinensischen Diskurs ethnisiert. Hermann definiert zivilgesellschaftliches Handeln von PalästinenserInnen in Israel daher als "ethnopolitisches Handeln".

Zum Zeitpunkt der israelischen Staatsgründung war die palästinensische Gesellschaftsstruktur weitgehend zerstört: Etwa 700.000 PalästinenserInnen waren im Krieg geflohen oder vertrieben worden. Die Rückkehr in das israelische Staatsgebiet wurde ihnen verwehrt. 150.000 PalästinenserInnen indes waren auf israelischem Territorium geblieben und erhielten die Staatsbürgerschaft. Ein großer Teil ihres Landes wurde konfisziert; zudem wurden sie zunächst einem strikten Militärregime unterworfen.

Die Aufhebung dieses Militärregimes 1966 und die israelischen Eroberungen 1967 brachten gravierende Veränderungen: Innerhalb Israels eröffneten sich neue Möglichkeiten politischer Praxis; zugleich konnten Kontakte ins arabische "Ausland" aufgenommen werden. Vor allem jüngere PalästinenserInnen wurden in Israel politisch aktiv. Während eines Generalstreiks israelischer PalästinenserInnen gegen das Landregime wurden 1976 sechs DemonstrantInnen getötet - seither wird jährlich der Yom al-Ard ("Tag des Bodens") als Zeichen der "Standfestigkeit" israelischer PalästinenserInnen begangen.

Aus Selbsthilfevereinen entwickelte sich seit Anfang der 1980er Jahre eine zivilgesellschaftliche Struktur. Der Oslo-Prozess ermöglichte in den 1990er Jahren eine weitere Institutionalisierung palästinensischer Aktivitäten in Israel. Dabei wurde eine "Zwei-Staaten-Lösung" favorisiert; das Engagement galt primär der Gleichberechtigung und Demokratisierung innerhalb Israels. Die Zeichen dafür standen nicht schlecht: In der liberalen israelischen Öffentlichkeit war von "Postzionismus" die Rede, HistorikerInnen hinterfragten israelische Gründungsmythen. Der Beginn der Zweiten Intifada im Jahr 2000 jedoch markierte das Ende vieler Hoffnungen: Bei Demonstrationen wurden mitten in Israel 13 israelische PalästinenserInnen getötet. Zwischen jüdischer Mehrheit und palästinensischer Minderheit herrscht in Israel seither wieder tiefstes Misstrauen.

Jüngst sorgte die Partei des Außenministers Avigdor Liebermann für Aufregung: Sie wollte einen formelles Bekenntnis zu Israel als "jüdischem Staat" zur Voraussetzung für die Staatsbürgerschaft machen und das öffentliche Gedenken an die palästinensische Nakba am Jahrestag der Staatsgründung mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestrafen. Beide Gesetzesentwürfe wurden vom politischen Establishment abgewiesen und stießen auch in einer breiteren Öffentlichkeit auf Kritik. Dennoch sind solche regelmäßig aufkommenden Debatten symptomatisch für den prekären politischen Status der in Israel lebenden PalästinenserInnen.


Zwischen "Postzionismus" und "Transfer"

Katja Hermanns Studie hat große Stärken. Sie beschreibt unterschiedliche Aktionsfelder wie Landpolitik, Bürger- und Frauenrechte. Die palästinensische Zivilgesellschaft wird dabei mitsamt ihrer "ethnischen Identität" historisiert und in einen innerisraelischen Kontext gestellt: Im Wesentlichen ist sie ein Produkt gesellschaftlicher Auseinandersetzungen innerhalb Israels. Anhand von Fallstudien arbeitet sie außerdem nicht nur die unterschiedlichen Interessenlagen von PalästinenserInnen dies- und jenseits der "grünen Linie" heraus, sondern auch politische Differenzen zwischen den AkteurInnen innerhalb Israels.

Trotz aller Differenzierung entsteht jedoch ein etwas schiefes Bild. Vor lauter ethnisch-palästinensischer Selbstorganisation gerät die real existierende zivilgesellschaftliche Kooperation zwischen Juden und PalästinenserInnen in Israel aus dem Blick - von der strategischen "Integration" von PalästinenserInnen in zionistische Institutionen bis hin zum gemeinsamen Engagement in der israelischen Linken. Zwar sind solche "asymmetrischen" Kooperationen ebenso prekär wie umstritten. Dennoch eröffnen sie Perspektiven jenseits des "ethnopolitischen" Aktivismus, der in einer ethnokratischen Gesellschaft letztendlich wenig emanzipatorisches Potenzial hat.


Katja Hermann: Palästina in Israel.
Selbstorganisation und politische Partizipation der palästinensischen Minderheit in Israel.
Klaus Schwarz Verlag, Berlin 2008. 398 Seiten, 32 EUR


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Quelle:
ak - analyse & kritik, Ausgabe 543, 16.10.2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. November 2009