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ANALYSE & KRITIK/301: Linker Klimaschutz und die Systemfrage


ak - analyse & kritik - Ausgabe 539, 15.05.2009

Mut zur Lücke ist gefragt
Linker Klimaschutz und die Systemfrage

Von Elias Perabo


Die Analyse des Problems verkürzt, die Lösungsvorschläge systemimmanente Kosmetik und die soziale Wucht der Thematik ausgeklammert: Die hegemoniale Klimapolitik sieht auch in Zeiten der Krise verdächtig neoliberal aus. Gleichzeitig steht dieser neoliberalen Klimapolitik eine weiterhin starke Fraktion gegenüber, welche auf eine Fortsetzung des alten fossilen Kapitalismus setzt. Für eine linke Klimapolitik also ein schwieriges Terrain. Denn auch wenn wirklicher Klimaschutz nur jenseits einer kapitalistischen Wachstumslogik möglich ist und Forderungen nach der Fortsetzung einer fossilen Strategie zurückgewiesen werden müssen, muss eine linke politische Praxis auch systemimmanente Maßnahmen umfassen.

"So retten wir das Klima ..." titelte der Stern am 15. März 2007 und empfahl zusammen mit RWE praktische Tipps zum persönlichen Klimaschutz. Als Reaktion auf die Inszenierungen von Angela Merkel und Sigmar Gabriel als KlimaretterInnen fragte bereits zehn Tage zuvor Bild auf der Titelseite: "Sollen wir Deutsche die Erde alleine retten?"

Während Medien, PolitikerInnen und seit einiger Zeit auch die Wirtschaft aufgrund des Klimahypes der letzen zwei Jahre die Öffentlichkeit mit einer ganzen Palette solcher Aussagen beglücken, stehen diese beiden Zitate geradezu exemplarisch für die vorherrschende Form der Bearbeitung von strukturellen Problemen im Neoliberalismus - hier des Klimaproblems. Obwohl die letzten Monate mehr als deutlich die Krisenanfälligkeit dieses Systems offenbart haben, scheint die hegemoniale Klimapolitik die aktuelle "Krise" komplett auszuklammern. Vielmehr verfolgt sie eine Strategie des "business as usual", die von drei zentralen Strukturmerkmalen gekennzeichnet ist.


Zunehmend aggressivere Anti-Klimapolitik

Erstens: Eine wirkliche Ursachenanalyse des Problems wird nicht unternommen. Der auf der Verbrennung von fossilen Rohstoffen basierende Kapitalismus und der damit zusammenhängende (westliche) Lebensstil werden in der öffentlichen Diskussion nicht thematisiert, obwohl sie historisch für die erhöhten C02-Werte in der Atmosphäre verantwortlich sind.

Hier folgt die Argumentation einer bekannten Logik, wie wir sie z.B. auch bei der Krise der Energiepreise beobachten können: nicht unser Wachstumsfetischismus und die damit einhergehende Verschleuderung von fossilen Ressourcen in den letzten 150 Jahren, sondern die Steigerung der Weltnachfrage etwa durch China oder Indien wird als Problem thematisiert.

Auch die momentane Debatte um die Wirtschaftskrise folgt dieser Logik, indem sie etwa die "Gier" der ManagerInnen in den Vordergrund stellt, anstatt die dahinter stehenden kapitalistischen Rationalitäten zu benennen. Selbst das Eingeständnis einer historischen Schuld der Industrieländer (wie zumindest ansatzweise bei den Klimaverhandlungen in Bali geschehen) ist gerade nicht an eine Analyse der Systemlogik gekoppelt. Wenn eine solche verkürzte Ursachenzuschreibung als Ausgangspunkt genommen wird, ist es nicht verwunderlich, dass auch RWE, als immerhin größter CO2-Emittent Europas, für den Stern ein guter Partner in Sachen Klimaschutz sein kann.

Zweitens: Angebliche Lösungsansätze folgen klar dem neoliberalen Modell. Ganz unter dem altbekannten Motto "There Is No Alternative" folgt die Klimapolitik dem einfachen Glauben an die ordnende Kraft des Marktes. Sei es der (bisher nicht funktionierende) Emissionshandel oder die von den Grünen und Gabriel so gerne propagierte "grüne Marktwirtschaft" - das kapitalistische System wird als großer Klimaretter gefeiert. Dabei wird vermittelt, dass mit ein paar technologischen Änderungen schließlich fast alles so weiterlaufen könne wie bisher.

Auch wenn einzelne vorgeschlagene Maßnahmen wie der massenhafte Ausbau von erneuerbaren Energien unter klimapolitischen und sozialen Aspekten durchaus begrüßenswert sind, können diese doch höchstens zu einer Verlangsamung der Klimakrise beitragen. Der Markt ist dabei auch immer noch die zentrale Instanz (wenn auch etwas beschädigt), welcher die momentane Krise bewältigen soll (indem etwa viel Geld in den Bankensektor gepumpt wird, damit dieser den Markt ankurbelt).

Die völlige Entpolitisierung des Klimaproblems findet jedoch schließlich durch seine Individualisierung statt. So soll man sich selbst verpflichten, weniger zu fliegen, hier und da doch mal eine Energiesparbirne reinzuschrauben oder doch auf den neuen Audi Geländewagen Q7 umzusteigen - der durch seinen Hybridantrieb nur noch 9,8 statt 12,7 l verbraucht. Der Stern hilft bei der individuellen Rettung des Planeten gerne mit Tipps zum Selbermachen. Über die Thematisierung des individuellen Lebensstils wird hier die Verantwortung eines Problems, dessen Ursachen in der Struktur des Wirtschaftssystems selbst liegen, auf die Ebene des Einzelnen verschoben - ein Mechanismus, der spätestens mit der Einführung der "Ich AG" zum gängigen Herrschaftsinstrument in Deutschland geworden ist.

Drittens: die Krise als Herrschaftslegitimierung. Im Klimawandel zeigt sich nicht nur eine sich abzeichnende Krise des fossilen Kapitalismus, paradoxerweise dient die ökologisch-soziale Krise auch zur Legitimierung der damit verbundenen Herrschaftsstrukturen, die jedoch weitgehend für die Krise mitverantwortlich sind. Während medial (etwa in der Bild) Weltuntergangszenarien beschworen werden, präsentieren sich nationale Regierungen, aber auch transnationale Institutionen, als die Retter gemäß der Devise: das Menschheitsproblem Klimawandel verlangt starkes Regieren!

Die Legitimationsressource Klimawandel war dabei nicht nur großes Thema im letzten US-Wahlkampf, auch bei internationalen Gipfeln konnte mit dem Thema "Klimaretter" medial gepunktet werden. Die unter Druck geratenen Institutionen wie die Weltbank wittern ihre Chance, sich mit dem Thema Klimawandel neu zu profilieren. Auch hier spiegelt sich im Umgang mit dem Klimawandel ein klassisches Herrschaftsmuster wieder, nämlich die Konstruktion und Instrumentalisierung von Ängsten.

Wie anhand dieser drei Beispiele gezeigt, folgt die momentane Bearbeitung des Klimathemas trotz der allgemeinen Krise bekannten systemkonformen Schemen. Mögliche Bruchstellen des fossilen Kapitalismus werden übergangen, ein "weiter so" in strukturellen und in Fragen der Herrschaft wird als alternativlos propagiert.

Auch wenn in einigen Punkten die Bearbeitung des Klimathemas dem fossilistischen Kapitalismus weit entgegen kommt (etwa bei der Debatte um die Abspaltung und Einlagerung von CO2, der Carbon Capture and Storage, kurz: CCS-Technologien), so muss doch festgestellt werden, dass die Klimapolitik sich zunehmend einer aggressiven Anti-Klimapolitik konfrontiert sieht. Sichtbar wird dies etwa in Kämpfen um die zukünftige Energiepolitik.

Während auf der einen Seite insgesamt die erneuerbaren Energien in den nächsten Jahren weiter ausgebaut werden sollen, plant anderseits z.B. E.ON (ähnlich wie andere große Energieversorgungsunternehmen), seine Kapazitäten bei der Kohleverstromung bis 2015 um bis zu 39 Prozent zu erhöhen. Forderungen nach Subventionen von neuen Kohlekraftwerken, Ausnahmen vom Emissionshandel (oder das Aussetzen des Handels) sowie die Bezuschussung von Autos mit hohem Spritverbrauch sind dabei politisch nicht mehr marginalisiert, sondern Teil eines wieder stärker werdenden hegemonialen Blocks, welcher auf allen Ebenen eine Anti-Klimapolitik betreibt.

Eine theoretische wie auch praktische Antwort auf die derzeitige Klimapolitik müsste aus diesem Grunde gleich auf drei verschiedenen Ebenen ansetzen. Erstens muss der Widerstand gegen die Anti-Klimapolitik konsequent weiter geführt werden. Richtungsweisend ist hier die klare Forderung des internationalen Netzwerks Climate Justice Now!, fossile Rohstoffe aufgrund der sozialen und ökologischen Schäden, die sie anrichten, im Boden zu lassen. In Deutschland drückt sich dies momentan besonders in den Kämpfen um neue Kohlekraftwerke aus.


Klimagerechte und soziale Reorganisierung von Arbeit

Zweitens ist es richtig, eine grundsätzliche Kritik an der diskursiven Inszenierung der herrschenden Klimapolitik zu formulieren. Die systematische Reduktion des Problems und dessen Ursachen müssen als Teil eines komplexeren Systems verstanden werden. Eine solche Kritik müsste neben der Analyse der konkreten Governance Ebene (policy) auch bei anderen wichtigen Regierungstechniken wie Medien und Wissenschaft ansetzten.

In der Klimathematik, die sicher in den nächsten Jahren die öffentliche Debatte weiterhin mit dominieren wird, können (exemplarisch) grundlegende Logiken des kapitalistischen Systems aufgedeckt und bekämpft werden. Zu einer solchen Ideologiekritik gehört zum einen auch eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit Konzepten des Grünen Kapitalismus und des Green New Deals. Zum anderen sollte aber auch bei einer solchen theoretischen Aufarbeitung die selbstkritische Frage gestellt werden, warum die Linke über kein Konzept für eine wirkliche Systemsteuerung in dieser Frage verfügt.

Drittens: Es wäre jedoch fatal, mit der Kritik an diesem Punkt zu enden und die Ebene der konkreten sozialen Widersprüche, die sich bereits manifestiert haben, aus dem Auge zu verlieren. Es reicht eben nicht, die Klimaproblematik auf eine diskursive Konstruktion zu reduzieren, wie sie die hegemoniale Bearbeitung von Naturverhältnissen immer schon begleitet hat. Vielmehr hat eine Linke allen Grund, die sich im Zusammenhang mit dem Klimawandel real stellenden Probleme ernst zu nehmen und sich den konkreten sozialen Kämpfen und Auseinandersetzungen zu öffnen.

Ansatzpunkte für eine linke Klimapolitik gibt es dabei zahlreiche (siehe etwa Olaf Bernau in ak 532), allerdings fehlt bis heute eine relevante linke Praxis. Während zehn Monate nach dem Antira-Klimacamp leidenschaftliche Kritik am Grünen Kapitalismus oder einem Green New Deal geäußert wird, werden die zugegebenermaßen sehr mühevollen Fragen nach Zielen einer linken Klimapolitik und damit einhergehend möglicher Interventionsfelder vernachlässigt (eine Ausnahme bildet hier lediglich der Prozess zur Vorbereitung der Proteste zur Klimakonferenz in Kopenhagen).

Dabei eröffnet die momentane krisenbedingte Umbruchsituation neue Handlungsspielräume für eine linke Klimapolitik. Denn ganze Wirtschaftszweige wie die Autoindustrie oder das Transport- und Logistikwesen stehen vor massiven Veränderungen. Um eine stärkere linke klimapolitische Intervention bei den Arbeits- und Sozialkämpfen zu erreichen, müssen konkrete Konzepte und Alternativen entwickelt werden, wie eine klimagerechte und gleichzeitig soziale Reorganisierung von Arbeit aussehen kann.

Neben Gewerkschaften sollten an einer solchen Debatte auch die progressiven Teile der Umweltverbände beteiligt werden, denn auch hier scheint langsam ein Umdenken stattzufinden (wie zuletzt die Teilnahme von Verbänden wie dem BUND und Urgewald auf der Krisendemonstration in Berlin gezeigt hat). Der bevorstehende BUKO in Lüneburg könnte dabei ein erster Ort sein, um eine solche Debatte anzustoßen.


Nicht alles auf die Kopenhagenkarte setzen

Die massiven Proteste im Energiebereich, aber auch die Widerstandsaktionen gegen den Flughafenausbau in Frankfurt, sind gute Anknüpfungspunkte für eine linke Intervention bei den Auseinandersetzungen um die Hauptemittenten von CO2. Mit der Kampagne gegenstrom08 und der angekündigten Bauplatzbesetzung in Moorburg im letzten Sommer wurde ein erster Schritt getan, um die Antagonismen der deutschen Klimapolitik sichtbar zu machen - diese sollten bei den verschiedenen Protesten gegen die Hauptemittenten fortgeführt werden.

Vor allem aber der Klimagipfel in Kopenhagen wird nach dem Klimacamp im letzten Jahr ein zentraler Kristallisationspunkt für eine linke Klimapolitik werden. Dabei geht es nicht nur um die Proteste gegen den Gipfel an sich, sondern auch um die Möglichkeit, mit linken Klimapositionen in die Breite zu gehen und verschiedene Aspekte zu bündeln. Es wäre jedoch fatal, wenn eine deutsche Klimabewegung einen ähnlichen Fehler begehen würde wie manche Umweltverbände - alles auf die Kopenhagenkarte zu setzen. Denn Klimaschutz ist und wird - trotz aller UN Konferenzen - vor allem ein Resultat von den Kämpfen vor Ort sein.


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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juni 2009