Schattenblick → INFOPOOL → KUNST → REPORT


INTERVIEW/036: Kunstmarkt China - Medium und Verkaufsartikel ...    Prof. Dr. h.c. Walter Smerling im Gespräch (SB)


"CHINA 8 - Zeitgenössische Kunst aus China an Rhein und Ruhr"

Der Kurator Prof. Smerling über die Entideologisierung und Individualisierung der chinesischen Kunst, den subversiven Charakter des Mediums Kunst, ihre Vermarktung und seine große Freude, Kunst im MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst in Duisburg präsentieren zu dürfen


Bislang kommen chinesische Künstler mit ihren Werken an das teuerste Kunstwerk eines noch lebenden Künstlers - Jeff Koons' 58,4 Mio. Dollar teuren "Balloon Dog" - nicht heran, aber auch sie erzielen bereits zweistellige Millionensummen auf dem internationalen Kunstmarkt. Und das, obwohl die Preise für Kunst aus China erst in den letzten Jahren angezogen sind. 2006 wurde erstmals für das Bild eines chinesischen Künstlers - ein Werk aus der Reihe "Bloodlines" von Zhang Xiaogang - bei einem internationalen Auktionshaus rund eine Million Dollar gezahlt. In jenem Jahr hatte auch die chinesische Regierung bei der Aufstellung ihres Fünf-Jahres-Plans (2006-2010) der "Soft Power" der Kulturdiplomatie erstmals eine herausragende Bedeutung beigemessen. Stefanie Thiedig schreibt dazu auf der Website des Goethe-Instituts:

"Die chinesische Regierung hat erkannt, dass sie die Welt nicht ausschließlich mit ökonomischen Leistungen von sich einnehmen kann, was dem kulturellen Sektor einen enormen Aufschwung bescherte. Als ein Markstein für die Kommerzialisierung der Kunst gilt die offizielle Hervorhebung der Kreativindustrie als neuer Wirtschaftszweig im Jahre 2006." [1]

Einstige Außenseiter seien zu Pionieren geworden, zeitgenössische Kunst werde von der chinesischen Regierung "als symbolisches Kapital" erkannt. Die Grenzen zwischen unabhängiger und offizieller Kunst hätten zu verschwimmen begonnen.


Porträt - Foto: © NRW-Forum Düsseldorf, Andreas Kuschner / ALIMONIE

Prof. Walter Smerling, Kurator der Ausstellung "Overview - Blicke auf China"
Foto: © NRW-Forum Düsseldorf, Andreas Kuschner / ALIMONIE

Zhang Xiaogang, der zu jenen Außenseitern gehörte, die der "New Wave"-Bewegung von 1985 zugeordnet werden, ist auch mit mehreren Werken in der Ausstellung "CHINA 8 - Zeitgenössische Kunst aus China an Rhein und Ruhr" vertreten. Neun Museen in acht Städten präsentieren hier noch bis zum 13. September (das NRW-Forum Düsseldorf schließt seine Ausstellung bereits am 30. August) rund 500 Exponate von 120 Künstlerinnen und Künstlern aus dem Reich der Mitte.

Im Duisburger Lehmbruck Museum werden Skulpturen ausgestellt, das MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst am Duisburger Binnenhafen und die Kunsthalle Recklinghausen zeigen Malerei. Installationen und Skulpturen werden im Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr präsentiert, Installationen und Objekte bietet das Osthaus Museum Hagen, und das Essener Folkwang Museum wartet mit chinesischer Fotografie auf. Das Kunstmuseum Gelsenkirchen verschafft Einblick in die zeitgenössische chinesische Tuschemalerei und Kalligrafie, Video- und Soundkunst finden sich im Skulpturenmuseum Glaskasten Marl. Eine Gesamtschau mit dem Titel "Overview - Blicke auf China" über sämtliche Einzelausstellungen erwartet die Besucherinnen und Besucher im NRW-Forum Düsseldorf.

Letztgenannte Ausstellung wurde von Prof. Dr. h.c. Walter Smerling kuratiert. Der Vorsitzende der Stiftung für Kunst und Kultur e. V. in Bonn, die das MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst in Duisburg betreibt und verantwortlich für die Ausstellung "CHINA 8" zeichnet, ist auch Sprecher des Kuratoriums.

Der 1958 geborene Smerling schloß nach seiner Banklehre das Studium der Betriebswirtschaftslehre und Kunstgeschichte an. Seit 1981 war er als Fernsehjournalist tätig und hat zahlreiche Fernsehbeiträge für den WDR, NDR, SDR und SFB mit den Schwerpunkten kulturelle Features, Reportagen und Künstlerporträts produziert. Seit 1984 ist er als Kurator und Ausstellungsmacher tätig. 1986 gründete er die Stiftung für Kunst und Kultur e.V. Bonn und ist seither deren Geschäftsführender Vorstand. Seit März 1999 leitet Smerling des MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst in Duisburg. 2007 wurde ihm die Ehrendoktorwürde durch die Universität für Kunst und Design Cluj-Napoca verliehen, 2010 wurde er zum Honorarprofessor für Kunst- und Kulturvermittlung an der Fakultät für Kulturreflexion der Universität Witten/Herdecke ernannt. Gemeinsam mit Tobia Bezzola und Ferdinand Ullrich hat er den Katalog zur Ausstellung CHINA 8 herausgegeben. [2]

Am 20. Juli 2015 stellte sich Prof. Smerling dem Schattenblick für ein Telefoninterview zur Verfügung.

Schattenblick (SB): Zur Zeit der Kulturrevolution besaß Kunst in China eine politisch-propagandistische Funktion. Anschließend versuchte sich die Kunst von den Zwängen zu befreien und bewußt mit etablierten Formen und Inhalten zu brechen. Wie würden Sie die aktuelle zeitgenössische Kunst Chinas charakterisieren?

Walter Smerling (WS): Die heute in China lebenden und arbeitenden Künstler zeichnen sich durch eine große Wachheit und Experimentierfreude aus, zugleich sind sie sich sehr über ihre Tradition im klaren. Aus meiner Sicht haben sie die Vergangenheit absorbiert wie ein Schwamm das Wasser, und sie entwickeln daraus ihre eigene, neue Sprache. China ist zur Zeit sehr interessant, weil man feststellen kann, daß die Künstlerinnen und Künstler intensivst damit beschäftigt sind, sich zu verselbständigen.

Im Hinblick auf die bisher stattgefundene Plagiatsveranstaltung ist das ein großes, neues Ereignis - "Plagiatsveranstaltung", damit meine ich, daß vor zwanzig oder auch noch vor zehn Jahren in den Akademien sehr intensiv der sogenannte westliche Stil kopiert wurde. Natürlich mit chinesischen Themen, aber seinerzeit hat die amerikanische Pop-Art bei den chinesischen Themen Pate gestanden.

Heute reflektieren die chinesischen Künstler zum Beispiel den Paradigmenwechsel, der im Lande stattfindet, auf ihre Weise. Und wenn ich "auf ihre Weise" sage, dann wird deutlich, daß die Sprache sehr viel kontemplativer geworden ist. In der Kunstszene findet eine gewisse Entideologisierung statt im Sinne einer Individualisierung. Der Künstler beschäftigt sich nicht mit gesellschaftlichen Phänomenen im Sinne von Massendarstellungen oder der Darstellung öffentlicher Vertreter, sondern mit dem Einzelnen oder einzelnen Phänomenen in der Gesellschaft. Das macht die Ausstellung CHINA 8 an den verschiedenen Orten sehr deutlich.


Foto: © Cai Dongdong

Cai Dongdong
The Photographer, 2014
Silver gelatin print
25,5 x 30,4 x 2 cm
Museum Folkwang, Essen
"Cai entfernt sich hier von seinem früheren Repertoire stark inszenierter Konzeptfotografie und wendet sich einer psychologischen Befragung der Fotografie als Objekt zu - durch Beschneiden, Durchlöchern und Zerkratzen."
(Zitiert aus dem Ausstellungskatalog [2], S. 228)
Foto: © Cai Dongdong

SB: Sie werden ja sehr stark von der chinesischen Regierung unterstützt, die die Kunst fördert. Bedeutet das, daß die chinesische Kunst heute auch noch eine politische Funktion erfüllt und welche wäre das dann?

WS: Ich weiß nicht, woher Sie Ihre Kenntnisse haben, daß ich von der chinesischen Regierung sehr unterstützt wurde.

SB: Zumindest hat man Ihnen keine Hindernisse in den Weg gelegt.

WS: Im Gegensatz zu anderen Ausstellungsvorhaben war es schon so, daß wir den Behörden erklären mußten, warum wir welche Kunstwerke auswählen. Da herrschte nicht immer Konsens. Aber letztendlich waren wir erfreut darüber, daß unserer Auswahl zugestimmt wurde, wenngleich das nicht bedeutete, daß man hier mit Freuden zugestimmt hat oder mit uns einer Meinung war. Das Gegenteil ist der Fall. Und die Kunst, ob in China, Amerika oder Europa, ist immer irgendwo Widerstand, ist immer auch Kritik und Widerspruch. Der findet in China genauso statt wie in anderen Kunstszenen dieser Welt, nur wird er dort etwas sensibler reflektiert. Es gibt immer noch Ausstellungen, bei denen Vertreter der Kommune vorbeigeschickt werden, damit sie Bilder aus dieser Ausstellung entfernen, auch wenn das inzwischen weniger vorkommt.

Das geht mit unseren Vorstellungen nicht einher, das paßt nicht zur Freiheit der Kunst, aber dazu gibt es eben in China andere Vorstellungen. Man kann unser demokratisches System, unser Wertesystem nicht der chinesischen Gesellschaft überstülpen, das muß sich da entwickeln. Wir glauben, daß durch die Kunst und den Kulturdialog eine Annäherung stattfindet. Deswegen ist es so wichtig, daß Kunst gezeigt wird, und deswegen ist CHINA 8 nicht nur für die Region Rhein und Ruhr, sondern auch für China sehr wichtig. Denn die chinesischen Künstler, aber auch die Verantwortlichen in den Akademien, verfolgen dieses Projekt sehr interessiert.

SB: Sie sind nach China gereist, haben Künstler besucht und sich dort Kunst angesehen. Gibt es dort noch etwas, von dem Sie sagen würden, das ist subversive Kunst, wie es sie vor vielleicht 30, 40 Jahren einmal gab?

WS: Na ja, die gab es auch vor zwanzig Jahren, als wir unsere erste Ausstellung machten. [3] Viele der Künstler, die wir heute ausstellen, zählten damals zu den Underdogs. Das Umstürzlerische, das Sie ja mit Ihrer Frage ansprechen, darum geht es gar nicht. Denn Kunst führt immer zur Auseinandersetzung, und Auseinandersetzungen führen immer zu Veränderungen. Insofern ist jede Kunst immer irgendwie subversiv.

SB: Sie befassen sich seit Jahrzehnten mit Kunst. Haben Sie den Eindruck, daß sich die regionalen oder nationalen Unterschiede von Kunst im Zuge der Globalisierung allmählich angleichen?

WS: Nein. Kunst ist immer territorial in Hinblick auf den Entstehungsprozeß, aber international auf den Wirkungsprozeß. Natürlich ist die Mentalität in Asien eine andere als in Amerika. Das Rezeptionsverhalten der Menschen jedoch ist überall identisch. Sie wollen verstehen, was sie sehen, sie wollen sich angezogen fühlen von dem Werk, begeistert sein oder es auch ablehnen. Ich bin fest davon überzeugt, daß die Wirkungsweise von Kunst im internationalen Kontext immer gleich ist, sie ist mit einem internationalen Anspruch versehen. Das bedeutet, Kunst ist Kunst, ob sie nun in Paris, London, New York oder Peking gezeigt wird. Doch die Produktion ist immer abhängig vom Territorium, von dem Land, in dem sie entsteht.

Die chinesische Tradition wird von den Künstlern aufgegriffen. Sie haben ihre Tradition absorbiert wie ein Schwamm das Wasser. Und diese Tradition steckt in ihnen. Natürlich kopieren sie jetzt nicht ihre alten Meister zum hunderttausendsten Mal, aber sie bauen auf diesen Erfahrungen auf. Das ist ganz wichtig und aus meiner Sicht klar zu erkennen.


Foto: © Lam Tungpang

Lam Tungpang
Land Escape No. 12, 2014
Acrylics, charcoal, stickers and plywood
244 x 400 cm
NRW-Forum Düsseldorf
"Die farbige Warenwelt von heute vertreibt die traditionellen, nur mehr touristischen Vorstellungen vom alten China, seiner Schönheit und Poesie. Als Vertreter dieser neuen Bildsprache malt Tungpang nicht auf 'westlicher' Leinwand, sondern auf traditionellen Holztafeln."
(Zitiert aus dem Ausstellungskatalog [2], S. 46)
Foto: © Lam Tungpang

SB: Ist Kunst nur etwas fürs Bildungsbürgertum und gehobene Schichten?

WS: Kunst ist für Menschen, die offen sind für Wahrnehmung, die sehen wollen, die sich auseinandersetzen wollen, die sensibel sind. Und natürlich ist es ein bißchen abhängig von der Zeit, die man darauf verwendet, sich mit Kunst zu beschäftigen. Das ist eine ganz wichtige Voraussetzung, um sich damit auseinanderzusetzen. Natürlich wird einer, der einen 16-Stunden-Tag hat, eine andere Sensibilität entwickeln als jemand, der einen 8-Stunden-Tag hat und vielleicht auch eine andere Voraussetzung mitbringt. Es ist schon sehr wichtig, eine Sensibilität zu haben. Die hängt nicht unbedingt immer mit Bildung zusammen, aber Bildung schadet nie.

SB: Wie würden Sie einem einfachen Menschen, einem Arbeiter, Ihre Kriterien erklären, nach denen Sie die Kunst beurteilen?

WS: Kunst hat immer etwas auf ihre Weise zu sagen. Ein gutes Kunstwerk ist immer ein Werk, in dem vieles drinsteckt. Das Kunstwerk beschäftigt inhaltlich, ist nie langweilig und provoziert den Betrachter zur Auseinandersetzung. Es holt aus dem Betrachter heraus, was in ihm steckt. Das ist natürlich abhängig auch von dem Qualitätspotential des Betrachters. Der Beuys hat mal gesagt: 40 Prozent macht der Künstler, 60 Prozent macht der Betrachter. [4]

SB: Haben Sie bei Ihren Reisen nach China und dem Besuch zahlreicher Ateliers auch den Standpunkt kennengelernt, daß ein Künstler sagte, Kunst soll überhaupt nicht vermarktet werden, sie ist nicht vermarktungsfähig oder gar nicht dafür vorgesehen?

WS: Nein, das habe ich von niemandem gehört. Vermarktung bedeutet ja nichts anderes als Veräußerung, Eigentumswechsel, und es wäre ja für den Künstler fatal, wenn er sein Werk im Atelier behalten müßte oder es nicht für die Öffentlichkeit bestimmt wäre.

SB: Sind Projekte in der Größenordnung von CHINA 8 mit neun Museen in acht Städten vorstellbar ohne Sponsoren aus der Wirtschaft?

WS: Vorstellbar ist vieles, aber ich sehe das nicht, nein. Ich bin sehr froh über die Offenheit der Partner der Brost-Stiftung und der Offenheit von Evonic Industries, die hier eine wirklich wichtige, ja, eine wesentliche finanzielle Unterstützung beigesteuert haben. Ohne die wäre das gar nicht realisierbar gewesen. Da sind wir sehr dankbar, zumal sie, im Gegensatz zu manchen anderen öffentlichen Förderungen, sich inhaltlich überhaupt nicht einmischen.

SB: Wie hat man sich das vorzustellen - wenn von Sponsoren die Rede ist, taucht ja immer die Frage auf: "Haben die vielleicht irgendwelche Wünsche geäußert, die dann berücksichtigt werden müssen?" Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

WS: Die Stiftung für Kunst und Kultur wird im nächsten Jahr 30 Jahre alt. In diesen 30 Jahren haben wir über 290 Projekte realisiert und davon wurden 95 Prozent mit privaten Mitteln von Sponsoren, Mäzenen oder Förderern der Stiftung, also von Spenden finanziert. Und ich kann mich nicht daran erinnern, auch nur von einem Sponsor, mit dem wir ein Projekt gemacht haben, inhaltliche Vorgaben erhalten zu haben.

Jetzt ganz konkret auf CHINA 8 angesprochen: Die einzige Bedingung war, daß, wenn wir was machen, sie als Förderer auch genannt werden wollen. Das ist natürlich üblich. Inhaltlich haben sich die Sponsoren völlig rausgehalten. Es gab keine inhaltlichen Diskussionen im Hinblick auf Programmatik oder Fragestellungen des Ausstellungsprojektes. Ganz im Gegenteil, es gab immer nur Diskussionen im Hinblick auf das Marketing, und zwar noch nicht mal für den Sponsor, sondern bezogen auf das Marketing für die Ausstellung. Da wurde gefragt: Was können wir tun, damit die Ausstellung von möglichst vielen Menschen wahrgenommen wird, weil sie das spannend finden? Wie können wir das unterstützen?

Das war ein tolles Team, das toll zusammengearbeitet hat. Wenn Sie jetzt denken: "Das muß er ja sagen, weil er von denen Geld bekommen hat", entgegne ich: Ich muß da gar nichts sagen, sondern ich sage es Ihnen so, wie es ist. Wenn es anders wäre, würde ich es auch sagen. CHINA 8 ist ja nicht unsere erste Ausstellung, mit 29 Jahren macht man schon so seine Erfahrungen. Es hat auch einen Grund, weswegen die Vielzahl der Sponsoren immer wieder das Gespräch sucht und auch nicht verschlossen ist, wenn wir das Gespräch suchen.


Foto: © Ma Jun

Ma Jun
New China Series Car No. 1, 2009
Porcelain
25 x 80 x 38 cm
Osthaus Museum Hagen
"Ma Juns Blick auf die Vergangenheit und Tradition Chinas ist durch spielerische Ironie geprägt. In seinen 'New Chinas Series' (seit 2005) kreiert er Fernseh- und Radiogeräte, Gettoblaster, Coladosen und Wasserflaschen aus Porzellan. Diese werden derart bemalt und bearbeitet, dass sie wie Antiquitäten anmuten - was ihre echten Vorbilder aus der Perspektive des jungen Künstlers zum großen Teil tatsächlich sind."
(Zitiert aus dem Ausstellungskatalog [2], S. 346)
Foto: © Ma Jun

SB: Zur Zeit wird in der deutschen Kulturlandschaft eine heiße Debatte über einen Entwurf für das Kulturgutschutzgesetz geführt. Ist das MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, das Sie leiten, ebenfalls davon betroffen, daß als Reaktion auf den Entwurf beispielsweise Künstler wie Georg Baselitz ihre Leihgaben an Museen zurückziehen?

WS: Das Kulturgutschutzgesetz ist eine törichte Sache. Natürlich sind wir davon betroffen, wenn auch nicht durch Herrn Baselitz. Aber das ganze ist sehr problematisch. Wissen Sie, unsere Ausstellung setzt sich zusammen aus Dauerleihgaben von privaten Sammlern, Sylvia und Ulrich Ströher aus Darmstadt. Wir haben das noch nicht so konkretisiert, aber ich kann mir sehr gut vorstellen, daß ich als Sammler, wenn ich vom Staat enteignet werde, meine Sammlung aus Deutschland abziehe und ins Ausland bringe. Das Kulturgutschutzgesetz auf diese Weise zu bringen schadet der bundesrepublikanischen Kunstlandschaft sehr.

Wenn Werke von Anselm Kiefer, Gerhard Richter oder Baselitz in New York oder in Paris gezeigt werden, dann ist das Werbung für den Kunststandort Deutschland. Das Gesetz würde nicht nur restriktiv den deutschen Kunst- und musealen Leitverkehr kontrollieren und behindern, es steht auch der durch Grundgesetz und europäische Verträge garantierten Niederlassungsfreiheit sowie dem freien Warenverkehr diametral entgegen. Man muß sich mit allen Mitteln gegen diesen Gesetzentwurf stellen.

Wo steht übrigens geschrieben, daß der Staat nicht eines Tages die Verordnungsermächtigung so handhabt, daß er zum Beispiel die Altersgrenzen senkt oder abschafft, um daraufhin bestimmte Werke nationalen Kulturguts, die noch keine 70 Jahre alt sind, in Deutschland zu halten? Dieser Gesetzentwurf ermöglicht dem Staat jederzeit Zugriff auf die Kulturgüter und verursacht nur Verängstigung.

SB: Halten Sie es denn überhaupt für erforderlich, daß eine Reform des Kulturgutschutzgesetzes erarbeitet wird? Gibt es dafür aus Ihrer Sicht einen Bedarf?

WS: Aus meiner Sicht nicht, nein, in Deutschland nicht. Der Gesetzentwurf hat 90 Paragraphen. Die habe ich nicht alle im Kopf, aber die würde ich mir schon sehr, sehr exakt ansehen und überprüfen. Manche Schranken sind notwendig, aber man darf keine unnötigen Schranken aufbauen. Es muß ein Klima geschaffen werden, das den Vertrieb und die Anschaffung der Kulturgüter fördert und nicht das Gegenteil bewirkt. Der Kunsthandel in Deutschland ist eine zarte Pflanze, er findet überwiegend in Amerika und England statt. Und den jetzt hier zu erschweren, das ist völliger, wie soll ich sagen, Blödsinn.

SB: Ein wichtiger Anlaß für die geplante Gesetzesänderung war wohl der Verkauf von Kunst seitens der landeseigenen NRW.Bank in Nordrhein-Westfalen oder nicht?

WS: Ja, aber das ist fragwürdig, denn es handelte sich dabei um Werke von Andy Warhol, und der ist nun mal ein amerikanischer Künstler. Hier werden Dinge miteinander vermischt, die man nicht miteinander vermischen sollte. Der Staat verschafft sich mit diesem Gesetz das Recht, bei allen einschlägigen Kunstwerken, bei jedem Kulturgut, die Ausfuhr zu verbieten. Und das geht nicht! Denn das bedeutet Enteignung!

Wenn ich beispielsweise ein Sammler wäre, der Richter-Werke im Wert von fünf Millionen Euro besitzt und dafür eine Million ausgegeben hat, und mir jetzt jemand anbietet, diese Werke für zehn Millionen zu kaufen, und ich sage, ja, das will ich machen, und sorge dann dafür, daß diese Werke zum Beispiel in Rom gezeigt werden, dann kann der deutsche Staat nach diesem Gesetz sagen: "Nein! Wir haben ein Vorkaufsrecht in Hinblick auf den deutschen Markt. Der deutsche Markt zahlt eine Million, und damit finden wir dich ab." Das geht nicht! Das kommt einer Enteignung gleich! Der Kunstmarkt ist international. Man kann nicht international beim Einkauf agieren und national beim Verkauf reduziert werden. Das paßt weder zu unserem Wirtschaftssystem noch zum internationalen Kunstbetrieb.

Ich will nochmal deutlich sagen: das Gesetz hat auch positive Seiten. Hinsichtlich des Handels mit Raubkunst gibt es durchaus vernünftige Regelungen. Wenn Kunstwerke irgendwo gestohlen sind und man das dingfest macht, müssen die zurückgegeben werden. Ist ja logisch. Aber alles andere ist töricht, Unsinn und eine Katastrophe für den Kunststandort Deutschland.


Foto: © Adrian Wong

Adrian Wong
Telepathically Designed Bespoke Rabbit Warren No. 2, 2015
Steel, glass
1520 x 1520 x 798 cm (variable)
Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr
"Bei den Installationen handelt es sich um eigens angefertigte Kaninchenkäfige, die auf der Basis eines Gesprächs entworfen wurden, das am 5. und 6. Oktober 2014 zwischen einem 24 Monate alten Niederländischen Zwergkaninchen und einem 18 Monate alten Klein-Rex-Kaninchen stattfand und von einem in Telepathie ausgebildeten Tierkommunikator vermittelt wurde."
(Zitiert aus dem Ausstellungskatalog [2], S. 418)
Foto: © Adrian Wong

SB: Ich möchte noch einmal auf die Ausstellung CHINA 8 zurückkommen. Sie zeigt Bilder, Skulpturen, Tusche-Zeichnungen, Kalligraphie, Videokunst, Installationen, etc. - haben Sie persönliche Vorlieben?

WS: Alles, was interessant ist, aber schwerpunktmäßig Skulpturen und Malerei. Ich bin in dieser Frage wie die chinesischen Künstler: Die legen sich beim Medium heute nicht mehr so fest. Sie benutzen das Medium, das ihnen gerade interessant erscheint, um ihre Ideen zu verwirklichen. Und wenn zum Beispiel die Tristesse des chinesischen Alltags am besten in einem Gemälde dargestellt wird wie beispielsweise in einem Gemälde von Zhang Xiaogang im NRW-Forum in Düsseldorf, oder ein anderer will diese Tristesse in einem Video darstellen, dann kommt es darauf an, wer wo mehr zu sagen hat und wo es intensiver anzusehen ist. Es kommt immer auf die Kraft des Werkes an, es kommt immer auf die Kraft der Aussage an. Das kann man nicht so pauschal sagen.

SB: Sie befassen sich quasi zeit Ihres Lebens mit der Präsentation von Kunst - verspüren Sie manchmal den Wunsch, selbst Kunst zu machen oder machen Sie Kunst?

WS: Nein, ich mache nicht Kunst im Sinne der Kunstproduktion. Ich produziere ab und an Filme, und da gibt es ein paar sehr schöne Momente. Aber das ganze Leben ist eine spannende Angelegenheit, wenn man sich mit Künstlern beschäftigt, und ich selber gehöre nicht zu den Kunstproduzenten, sondern Rezeptienten und Ermöglichern im Sinne von organisatorisch aktiver Kunst im öffentlichen Raum - Kunst im öffentlichen Raum in Bonn oder im Museum Küppersmühle, auf das wir unsere Hauptarbeit legen. Das Museum ist ein phantastischer Ausstellungsort, ein Ort, an dem deutsche Kunst im großen Zusammenhang dargestellt werden kann, im Dialog mit internationalen Positionen im Wechselausstellungsbereich. Also, ich sage mal: Das wichtigste und schönste Arbeitsfeld ist das des Museums, und wir sind sehr glücklich über das Museum Küppersmühle in Duisburg.

SB: Herr Prof. Smerling, herzlichen Dank für das Gespräch.


Einen Bericht des Schattenblick zur Ausstellung CHINA 8 finden Sie unter:
Infopool → KUNST → REPORT
BERICHT/047: Kunstmarkt China - Kulturabfluß verlegentlich ... (SB)
http://schattenblick.com/infopool/kunst/report/kurb0047.html


Außenansicht des hoch aufragenden Gebäudes mit Silotürmen - Foto: © 2015 by Schattenblick

Das MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst ist eines der größten Privatmuseen in Deutschland und wurde in einem ehemaligen Getreidelager am Duisburger Binnenhafen eingerichtet.
Foto: © 2015 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] http://www.goethe.de/ins/cn/de/lp/kul/mag/dis/kul/6786318.html

[2] Walter Smerling, Tobia Bezzola, Ferdinand Ullrich (Hg.): "CHINA 8 - Zeitgenössische Kunst aus China an Rhein und Ruhr", Wienand Verlag, Köln 2015. 496 Seiten, ISBN 978-3-86832-258-3

[3] 1996 veranstaltete die Stiftung für Kunst und Kultur e.V. Bonn die Ausstellung "China!", sechs Jahre darauf folgte "Chinart".

[4] Joseph Beuys (1921-1986) lehrte an der Kunstakademie Düsseldorf. Er gilt bis heute als einer der bedeutendsten Aktionskünstler des 20. Jahrhunderts. Walter Smerling schreibt in seinem Blog [https://blog.waltersmerling.de/], daß er in jungen Jahren Joseph Beuys begegnet sei, dieser ihm die Kunst erklärt und ihn die Kunst seitdem nicht mehr losgelassen habe.

21. Juli 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang