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INTERVIEW/033: Einwurf Kunst - Anstoß ohne Gegenstand ...    Oliver Breitenstein im Gespräch (SB)


Der Geldware mit subversiven Mitteln zu Leibe rücken ...

Interview mit Oliver Breitenstein am 16. Juni 2015


Auf der Ausstellung SHOUT HIN! - Positionen politisch motivierter Kunst [1], die am 13. Juni 2015 im Pumpwerk Siegburg eröffnet wurde, ist Oliver Breitenstein mit einem demonstrativen Akt der Verweigerung präsent. Da der in Münster ansässige Künstler auch der Vernissage fernblieb, fragte der Schattenblick telefonisch nach den Beweggründen für sein ungewöhnliches Exponat. Aller Voraussicht nach wird Breitenstein aber noch in Siegburg zugegen sein, um quasi eine Filiale seiner Pop Bank zu eröffnen und seinen analogen Geldautomaten aufzustellen. Das dort unter die Leute zu bringende Geld wurde unter anderem auf der Eröffnung der Ausstellung gesammelt, nachdem das Publikum erfuhr, daß der Künstler sein zu diesem Zeitpunkt gesamtes Vermögen an den Kunstverein überwiesen hat.


Überweisungsbeleg als Exponat im Treppenhaus des Pumpwerks Siegburg - Fotos: © 2015 by Schattenblick Überweisungsbeleg als Exponat im Treppenhaus des Pumpwerks Siegburg - Fotos: © 2015 by Schattenblick Überweisungsbeleg als Exponat im Treppenhaus des Pumpwerks Siegburg - Fotos: © 2015 by Schattenblick

Minimalistisches Zeugnis künstlerischen Protestes
Fotos: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Oliver, auf der Ausstellung Shout Hin! besteht dein Beitrag darin, in einem großen Treppenhaus, das Platz für viele Exponate geboten hätte, lediglich einen Überweisungsbeleg in Höhe von einem Euro aufzuhängen. Als Verwendungszweck ist "Ausstellungshonorar" angegeben, Begünstigter ist der Aussteller, der Kunstverein Rhein-Sieg-Kreis. Könntest du erklären, welchen Zweck du mit dieser Art von Präsentation verfolgst?

Oliver Breitenstein (OB): Eigentlich wollte ich eine ganz andere Installation machen. Mir schwebte ein labyrinthartiger Aufbau vor, wie ich es zuletzt in der Kunsthalle in Münster gemacht hatte. In dem Zusammenhang sollte auch die Pop Bank präsentiert werden. Das wäre alles schön und gut gewesen, aber weil sich die Finanzierungssituation zwei Wochen vor der Ausstellung anders gestaltete, als ich angenommen hatte, und man froh sein kann, überhaupt mit plus minus null aus einer Ausstellung herauszukommen, habe ich mir etwas anderes überlegt.

Mittlerweile werden die Kosten und das Risiko mehr oder weniger komplett an die Künstler ausgelagert. Irgendwie ist man dann immer der Dumme, weil die Materialkosten und die viele Zeit, die man gerade in installative Arbeiten investiert, auf das eigene Konto gehen. Wenn dann noch so ein Spruch kommt wie, "du kannst ja deine Exponate verkaufen", bin ich vollends bedient. Wie wir wissen, ist das heutzutage nicht mehr so einfach. Als Künstler ist man heute sein eigener neoliberaler Unternehmer oder besser gesagt ein Exempel par excellence der Selbstausbeutung.

Nachdem ich gründlich darüber nachgedacht hatte, kam ich auf die Idee mit dem Überweisungsbeleg. Das soll jetzt kein spezieller Affront oder Angriff auf die Kunsthalle Siegburg sein, denn momentan ist diese Finanzierungslage einfach der Status quo im Kunstbetrieb, zumindest wenn man in einer Liga weit unterhalb von Jonathan Meese oder Damien Hirst spielt. Honorare gibt es ohnehin nicht. Und weil die Ausstellung politische Kunst zum Thema hatte, wollte ich die eigene Situation mit reflektieren. Hinsichtlich meines Arbeitszusammenhangs wäre es total inkonsequent gewesen, wenn ich hier nochmals alles auf eigenes Risiko gemacht hätte. Material und Arbeitszeit wären an mich gegangen, nur den Transport der Exponate hätte die Kunsthalle übernommen. In Amerika ist es schon Standard, daß man für eine Ausstellung bezahlt. Ich denke, das rollt auch auf uns zu. Um das vorwegzunehmen, habe ich dem Kunstverein für seine Mühe und als Dankeschön dafür, daß ich an der Ausstellung teilnehmen darf, Geld überwiesen. Erst wollte ich eine höhere Summe nehmen, doch da ich über kein Geld verfüge, habe ich den symbolischen Betrag von einem Euro genommen.

Selbst die Museen zahlen in der Regel nur noch schlecht bis gar nicht für eine Ausstellung. Im letzten Jahr war ich an einer ziemlich großen Gruppenausstellung im Kunstmuseum Ahlen und im Marta in Herford beteiligt. Es gab keine Aufwandsentschädigung und nichts für die Künstler. Wenn man bedenkt, daß die Kunstspedition, die die Bilder ein- und ausgepackt hat, sicherlich einen dicken Scheck bekommt hat und jeder Handwerker, der auch nur eine Schraube in die Wand dreht, mit einer Lohntüte nach Hause geht, während die Künstler leer ausgehen, kann mich die Wut packen. Aber die Situation ist eben so, daß für jeden Künstler, der das nicht mitmacht, zehn andere bereitstehen. Mir war es wichtig, diese Grundsituation im Kunstgewerbe auf eine entsprechende Weise zu verbildlichen.


Grafik mit Kopf und Schrift - Foto: © 2014 by Oliver Breitenstein

"VIVA LA SHOPPING REVOLUTION!" [2]
Foto: © 2014 by Oliver Breitenstein

SB: Die beiden Eröffnungsredner haben diesen Akt der Verweigerung durchaus positiv anerkannt und mit in das Konzept der Ausstellung einbezogen. Es ist natürlich bekannt, daß Künstler heute im sogenannten Prekariat leben und sich mehr oder minder von einem Projekt zum nächsten hangeln. Wie könnte Kunst in einer Gesellschaft, die Kunst konsumiert, deines Erachtens möglich gemacht werden?

OB: Das ist eine ganz schwierige Frage, ich habe da keine Patentlösung. Die Verweigerungsgeste war mir auch aus dem Grunde wichtig, weil die Alternative gewesen wäre, Streit zu programmieren. In Thüringen und Sachsen gibt es mittlerweile Richtlinien, die aber für Ausstellungshonorare nicht verbindlich sind. Das heißt, wenn Künstler ausstellen, bekommen sie immerhin eine Minimalentschädigung. Das ist schon einmal ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings gibt es dann mitunter ziemlich obskure Formeln, wie sich das nach Länge der Ausstellung und Quadratmeter des Raumes berechnet. Besser wäre eine offizielle Kulturförderung, was aber, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, den Nachteil hätte, daß man dann irgendwelche Projekte macht, die man eigentlich nicht oder nur zu 60 Prozent machen will. Man tut es dann doch, weil man sonst keine Fördermittel erhält. Viele meiner Kollegen richten ihre Projekte inzwischen darauf aus, an die entsprechenden Gelder heranzukommen. Das ist eine sehr zweischneidige Sache.


Künstlerischer Kommentar zur Kunstförderung - Foto: © 2012 by Oliver Breitenstein

"Alles so schön geordnet in den verstrahlten Hirnen" [3]
Foto: © 2012 by Oliver Breitenstein

SB: Kunstförderung kann auch bedeuten, daß sich Künstler im Spannungsfeld zwischen eigener Kreativität und fremder Erwartung privaten Akteuren bis hin zu Rüstungskonzernen und Großbanken, die sich gerne mit Kunst schmücken, andienen müssen. Achtest du, wenn du Aufträge annimmst oder zu Ausstellungen eingeladen wirst, darauf, wer als Förderer auftritt?

OB: Das ist heutzutage so undurchsichtig wie die ganze Wirtschaft in der globalisierten Welt. Vieles wird ausgelagert und verschleiert. Ich habe vor drei Jahren das Ausstellungsprojekt "Raum für unkontrolliertes Leben" gemacht. Ein Bauwagen mit Bett, Stereoanlage, DVD-Player, Videos, Büchern und Comics stand 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche ohne Aufsicht unverschlossen im öffentlichen Raum. Jeder kann hineingehen und machen, was er will. In Münster fand das Projekt für die Kunsthalle Münster und das Stadtmarketing statt. Finanziert und vorgestellt wurde es von der City Initiative NRW.

Nachdem ich zugesagt hatte, habe ich herausbekommen, daß die City Initiative von der Wirtschaft, unter anderem von McDonalds, finanziert wird. Hätte mich McDonalds direkt angefragt, hätte ich erst einmal skeptisch reagiert. Natürlich muß man als Künstler sehen, wo man bleibt. Ich sage das ganz ehrlich, wenn es nicht unbedingt KraussMaffei ist, würde ich wahrscheinlich das Geld nehmen und rennen. Beim Konzept der Pop Bank geht es im Grunde genommen darum, daß man als Künstler wie ein Alchemist aus dem Nichts Gold produzieren kann. Georg Seeßlen und Markus Metz haben ein Buch mit dem treffenden Titel veröffentlicht: "Geld frisst Kunst - Kunst frisst Geld". Auf einem sehr niedrigen Niveau versuche ich das natürlich auch. Mit diesem Geld kann man dann Sand ins Getriebe des kapitalistischen Systems streuen. Es geht nicht um Entschleunigung, vielmehr steckt dahinter die Idee, die zerstörerischen Prozesse so zu beschleunigen, daß sie auf die Spitze getrieben werden.

Ein gutes Beispiel dazu: Vor etwa anderthalb Jahren gab es die Diskussion um den Verkauf der Roten Flora in Hamburg an einen Investor. Wenn man genügend Geld gehabt hätte, hätte man das Gebäude kaufen und den Leuten zurückgeben können, damit sie dort machen, was sie wollen. So wäre das ganze Problem vom Tisch gewesen. Ich glaube, die einzige Form, wie man den Kapitalismus heutzutage bekämpfen kann, ist, ihn aufzukaufen. Man muß noch schneller Geld akquirieren als das System. Das geht mit Kunst im Prinzip sehr gut, weil Kunst ein hervorragendes Spekulationsobjekt ist. Leider bin ich nicht in diesem Hype drin, aber im Grunde genommen hätte man eine Supermöglichkeit, damit zu arbeiten.

Mich interessieren als Künstler auch Wertschöpfungsprozesse. Wie kommen Wert und Geld zustande? Papiergeld ist im Grunde genommen heutzutage absolut retro. Herr Schäuble überlegt nicht zufällig, das Bargeld komplett abzuschaffen. Mich interessiert gar nicht so sehr, ob etwas Kunst ist oder nicht. Das ist mir eigentlich völlig egal. Durch das Internet ist Kunst, wie wir sie klassisch kennen, zum Teil obsolet geworden. Ich sage gerne, ich mache Postkunst, also nicht im Sinne von DHL, sondern im Sinne einer Ära nach der Kunst, aber durchaus mit Techniken der Kunst, um die Realität zu hacken und zu verändern. Das ist mir viel wichtiger, als daß irgendein Kunstwerk von mir im Museum hängt und jemand ruft: Hey, das ist ein Meisterwerk.


5-Euro-Scheine mit Aufschriften zum Abnehmen - Fotos: © 2012 by Oliver Breitenstein 5-Euro-Scheine mit Aufschriften zum Abnehmen - Fotos: © 2012 by Oliver Breitenstein 5-Euro-Scheine mit Aufschriften zum Abnehmen - Fotos: © 2012 by Oliver Breitenstein

Das Geld liegt auf der Straße und spricht mit dir
Fotos: © 2012 by Oliver Breitenstein

SB: In der Aktion "Post It! - Maßnahme zur Stärkung des Konsumklimas" beschriftest du Geldscheine und versiehst sie mit Botschaften. Man könnte das fast schon als Gegenentwurf dazu verstehen, daß sich das Geld als Zahlungsmittel in der Virtualität und Abstraktion auflöst.

OB: Trotzdem funktioniert es perfekt als Kontrollmaschine. Wir werden alle von kleinauf darauf konditioniert, Geld anzuhäufen. Mit dieser Matrix wird Kontrolle über jeden einzelnen und die Gesellschaft im ganzen ausgeübt. Geld als Medium hat schon seinen Reiz. Wenn ich nach Berlin fahre, muß ich für die Milch in meinem Kaffee keine Kuh mitnehmen. Aber andererseits muß man sich auch anschauen, wie damit gearbeitet und Druck auf die Gesellschaft ausgeübt wird. Denn mit Geld läßt sich auch Angst schüren. Der bei Arbeitslosigkeit drohende Abstieg aus der Mittelschicht ins Prekariat oder in die Unterschicht läßt Leute Amok laufen. Da will ich als Künstler ran und Bilder schaffen, damit die Leute erkennen, es könnte auch anders gehen, macht euch ein bißchen lockerer.


Zwei Grafiken als Poptaler - Fotos: © 2014 by Oliver Breitenstein Zwei Grafiken als Poptaler - Fotos: © 2014 by Oliver Breitenstein

"Wechselkurs" [4]
Fotos: © 2014 by Oliver Breitenstein

SB: Du versuchst mit dem Konzept der Pop Bank eine Art Umverteilung von unten auf unregulierte Weise und freiwilliger Basis in Gang zu setzen. Glaubst du tatsächlich, daß man Kapitalakkumulation etwa zwecks Aufkaufen des Kapitalismus betreiben kann, ohne sich dadurch korrumpieren zu lassen?

OB: Das scheint dem System immanent zu sein, aber trotzdem sehe ich keine andere Möglichkeit. Der realexistierende Sozialismus ist mit seiner Planwirtschaft gescheitert. Wir brauchen schon eine Form von Markt und damit auch von Eigentum und Besitz. Ich persönlich habe seit längerem die Idee, daß man den Privatbesitz nach oben hin beschränken sollte. Nehmen wir eine willkürliche Grenze von fünf Millionen Euro. Das reicht doch. Warum sollte jemand 20 Milliarden Euro besitzen wollen? Natürlich läßt sich so etwas nicht durchsetzen.

Im Idealfall würde ich dafür plädieren, daß alles umsonst ist, und das gilt gerade für die Kunst. Kunst sollte nicht nur gemacht werden, damit der Markt funktioniert und Geld angehäuft wird, sondern Kunst sollte idealerweise ein Geschenk sein oder so günstig, daß sie jeder erwerben kann, ohne immense Summen dafür bezahlen zu müssen. Deshalb verkaufe ich meine Sachen auch über EBay, zum Teil auch, um Geld für Projekte zu erwirtschaften wie zum Beispiel den Public Share Bank Account, mit dem ich ein Internetkonto öffentlich machen möchte, wo jeder einzahlen oder auch abheben kann, der einen Internetzugang hat.

Deshalb ist es für mich wichtig, daß sich auch normale Menschen Kunst leisten können und nicht nur Milliardäre, die damit spekulieren. Aber wenn man schon mit Kunst spekuliert, sollte man versuchen, es positiv zu nutzen. Das heißt, take the money and run, also Sand ins Getriebe zu streuen. Als Künstler kann man die Gesellschaft nicht wirklich verändern. In Gesprächen über die Post-It-Aktion oder andere Projekte merke ich, daß die Leute die Idee zwar ziemlich gut finden, aber auf dieser Ebene selber zu agieren und zu handeln kommt selten vor. Von der analogen Cash-Maschine habe ich inzwischen zwei hergestellt, die ich in Siegburg noch ausstellen werde. Das ist ein Karton, an dem man Geld rankleben kann. Jeder kann einzahlen oder abheben. Ein paar Leute haben tatsächlich eingezahlt, aber die Mehrheit hebt natürlich nur ab. Genauso wäre das bei Post-It auch. Wenn viele Leute mitmachen würden, würde sich auch etwas ändern. Münster hat 300.000 Einwohner. wenn jeder einen Zehner im Monat hinlegen würde, hätten wir drei Millionen Euro. Aber man muß damit rechnen, daß irgendwelche Onkel Dagoberts durch die Gegend fahren und versuchen, alles für sich anzuhäufen. Man müßte das ganze System auf einen Schlag ändern, und das wird nicht passieren.


Grafische Arbeit als Anleihe der Pop Bank - Foto: © 2013 by Oliver Breitenstein

"Strong BUY: Pop Bank gibt Anleihen aus" [5]
Foto: © 2013 by Oliver Breitenstein

SB: Daß tendenziell eher abgehoben als eingezahlt wird, scheint mir ein Ausdruck dessen zu sein, daß das System auf Mangel basiert. Ohne Verknappung würde es nicht funktionieren. Wer würde zur Arbeit gehen, wenn er nicht in Überlebensnot wäre? Wäre es nicht auch ein Thema für die Kunst, die Frage zu stellen, ob man nicht grundsätzlich anders leben und produzieren könnte, als in den vorgegebenen Strukturen?

OB: Sicher. Der Künstler ist nicht nur ein Beispiel für Selbstausbeutung, sondern ein Stück weit auch Modell dafür, wie man sinnvoll arbeiten kann. Damit wären wir wieder beim Thema Kunstförderung. Ich finde es gut, in einem städtisch geförderten Atelier zu sitzen, wo ich den Luxus habe, für relativ wenig Geld Ideen zu entwickeln und darüber nachzudenken, wie ich sie entfalten kann. Dazu ist es unerläßlich, selbstbestimmt zu arbeiten und zu leben. Deshalb ist es auch unwahrscheinlich wichtig, die Sache mit dem Geld anzugreifen, um aufzuzeigen, was es mit den Menschen macht.

Zwang und Mangel führen dazu, daß wir alle viele Sachen machen, die wir eigentlich nicht freiwillig machen würden. Es ist alles andere als eine Berufung, vielmehr prostituiert man sich. Es geht ganz klar darum, anders zu leben, und in dem Sinne ist der Künstler an sich schon ein Dissident, weil er versucht, selbstbestimmt mit dem zu arbeiten, was er möchte. Natürlich kann Kunst andere Modelle aufzeigen. Wer sonst als Künstler und Philosophen könnten darüber nachdenken? Hinsichtlich der alten Frage, ob Kunst die Gesellschaft verändern kann oder nicht, bleibe ich jedoch skeptisch, aber es ist eine spannende Frage, die mich sehr interessiert. Ich versuche mit meinen Projekten eine Art Virus ins System und in die Köpfe der Leute zu schleusen, damit es sich vielleicht über Jahrzehnte oder Jahrhunderte irgendwann einmal so weit entwickelt, daß wir als Menschen schlauer werden und begreifen, daß wir andere nicht ausbeuten müssen, um gut zu leben, sondern kooperative Projekte mehr Sinn machen.

Ich arbeite gerne mit anderen Künstlern kooperativ zusammen, auch wenn das manchmal total in die Hose geht, denn das jetzige System mit seinem entfesselten Wettbewerb, diesem Rattenrennen jeder gegen jeden, ist völlig inakzeptabel. Nichts ist schöner, als Sachen miteinander statt gegeneinander zu machen. Allerdings ist es sehr schwierig, damit gegen die ständig auf uns einprasselnde Bewußtseinsindustrie und die Konditionierung auf Konkurrenz schon in der Schule anzukommen. Klar ist Kunst gefragt, aber ich bin skeptisch, denn schnell wird es nicht gehen. Wir werden es wahrscheinlich nicht mehr miterleben, auch wenn ich es mir wünschen würde.


Collagen zum Thema digitaler Kontrollgesellschaft - Fotos: © 2014 by Oliver Breitenstein Collagen zum Thema digitaler Kontrollgesellschaft - Fotos: © 2014 by Oliver Breitenstein

"Analoge Resistance oder Data Punk?" [6]
Fotos: © 2014 by Oliver Breitenstein

SB: Du hast verschiedene Projekte [7] wie etwa die Praxis für kunstpathologische Störungen, das Anschauen von Kunst als käuflich zu erwerbende Dienstleistung, das Büro für Kunstvermittlungen und andere Aktionen, bei denen du dich öffentlich exponiert hast, entwickelt. Bist du auch auf materiell-gegenständliche Weise wie etwa beim Malen von Bildern künstlerisch tätig?

OB: Ja, das hat sich in den letzten zwei Jahren komplett gewandelt. Ich hatte schon eine leichte Krise, daß ich nicht mehr so etwas wie klassische Werke schaffe. Das Anfertigen klassischer Bilder, im Grunde genommen also Hängeware, war für mich vor vier, fünf Jahren noch völlig inakzeptabel. Dahinter stand die Einsicht, daß bei der Produktion von Hängeware praktisch Kitsch herauskommt. Da ich gerne mit meinen Händen, mit Material und Farben arbeite und mir das gefehlt hat, verstehe ich das nun als eine Art Ergotherapie. Ich fertige auch ganz normale Zeichnungen an, es gibt wieder Gemälde und Collagen.

Diese Arbeiten sind im Grunde genommen in das Pop Bank-Konzept eingebunden, um Geld zu verdienen und weiterarbeiten zu können. Die Idee besteht darin, eine Art Kreislauf zu schaffen. Um meine Maschinerie am Laufen zu halten, muß ich ja irgendwie zu Geld kommen. An der Projektförderung hat mich die ganze Evaluation gestört, das ist so wie das Schloß von Kafka, dem man sich da aussetzt. So mache ich eben auch selbstgemachtes Geld, die sogenannten Poptaler, die so groß wie 5-Euro-Scheine sind. Ich versuche mitunter, im Laden damit zu bezahlen, was manchmal sogar geklappt hat. Dann fertige ich Risikoanleihen in Urkundenform aus. Auf diesen Buntstiftzeichnungen steht geschrieben, daß sich der Eigentümer dieser Risikoanleihe am Tag X in zehn Jahren eine Arbeit seiner Wahl ausleihen kann. Wenn du jetzt eine Risikoanleihe etwa für 300 oder 500 Euro erstehst, dann kannst du, wenn du Glück hast, dir in zehn Jahren eine Arbeit aussuchen, die dann 5000 Euro wert ist. Es geht um Spekulation wie am Aktienmarkt.

SB: Könnte man sagen, daß du den Kapitalismus von unten simulierst und dabei wesentlicher Zwänge enthebst, ohne die er vermeintlich nicht funktioniert, wie zum Beispiel die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung des Privateigentums?

OB: Genau, dann bist du sofort bei den nächsten spannenden Fragen, etwa nach den Hierarchien, wer sie durchsetzt und über sie bestimmt. Da könnten wir noch tagelang drüber reden.

SB: Das würde leider den Rahmen sprengen. Oliver, vielen Dank für das Gespräch.


Collage mit Zeitungsausschnitten und gesprayter Schrift - Foto: © 2012 by Oliver Breitenstein

"Der Elfenbeinturm als idealer Ort der Kulturförderung" [8]
Foto: © 2012 by Oliver Breitenstein


Fußnoten:


[1] BERICHT/046: Einwurf Kunst - Präsentative Rebellion ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/kunst/report/kurb0046.html

[2] http://buero-fuer-kunstvermittlung.blogspot.de/2014/01/kapitalismus-shoppen.html

[3] http://buero-fuer-kunstvermittlung.blogspot.de/2012/12/alles-so-schon-geordnet-in-den.html

[4] http://buero-fuer-kunstvermittlung.blogspot.de/2014/01/wechselkurs.html

[5] http://buero-fuer-kunstvermittlung.blogspot.de/2013/04/strong-buy-pop-bank-gibt-anleihen-aus.html

[6] http://buero-fuer-kunstvermittlung.blogspot.de/2014/08/analoge-resistance-oder-data-punk.html#more

[7] Bilderstrecke mit Arbeiten von Oliver Breitenstein zum Durchklicken
http://publicartfactory.de/bilder/index.html

[8] http://buero-fuer-kunstvermittlung.blogspot.de/2012/12/der-elfenbeinturm-als-idealer-ort-der.html

29. Juni 2015


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