Schattenblick → INFOPOOL → KUNST → REPORT


INTERVIEW/032: Aus dem Dunkel der Geschichte - Tabubruch, Vision und Beispiel ...    Franziska Schnoor im Gespräch (SB)


Ausgrenzung und Diskriminierung sichtbar machen

Interview am 18. März 2015 in Hamburg


Die Dramaturgin Franziska Schnoor gehört dem Zentralrat der Asozialen in Deutschland (ZAID) an. Nach der feierlichen Inauguration des ZAID auf Kampnagel in Hamburg berichtete sie dem Schattenblick über ihre Beweggründe, auf künstlerische Weise Kritik an den herrschenden Verhältnissen zu üben.


Im Gespräch - Foto: © 2015 by Schattenblick

Franziska Schnoor
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Frau Schnoor, wie sind Sie als jüngerer Mensch, den keine biographischen Wurzeln mit dem Thema sogenannter Asozialität im NS-Staat verbinden, zu dem Projekt gekommen?

Franziska Schnoor (FS): Ich persönlich habe es immer so wahrgenommen, daß ich per Geburt eine Verbindung zu dieser Geschichte habe, einfach dadurch, daß ich in Deutschland lebe und meine Großeltern im Dritten Reich aufgewachsen sind. Von daher habe ich mich viel mit dem Nationalsozialismus beschäftigt. An dieses Projekt bin ich aber tatsächlich erst durch Tucké Royale gekommen, der mir das Konzept zugeschickt hatte. Freilich muß ich gestehen, daß ich mich vorher nicht wirklich mit der Verfolgung von sogenannten Asozialen auseinandergesetzt hatte. In der Schule oder verwandten Kontexten ist das nie thematisiert worden, was ich im nachhinein ziemlich skandalös finde.

Ich kann mich jedoch mit dem Thema identifizieren oder fühle mich aus verschiedenen Gründen zugehörig, zum einen, weil ich mit dem Prekariat und den Problemen, die Geld und Besitz oder vielmehr Nichtbesitz in unserer Gesellschaft mit sich bringen, sehr vertraut bin. In unserem Team hat jeder irgendeine Biographie in Form von Arbeitslosigkeit und großen Geldnöten. Ich will das gar nicht so leidend thematisieren, aber man fragt sich schon, in was für einer Gesellschaft man eigentlich lebt, wenn einen systematisch das Gefühl beschleicht, verschweigen zu müssen, wo man selber gestrauchelt ist.

Es gibt aber auch eine persönliche Verbindung zu dem Thema. Wir sind ein queeres Team. Auch wenn lesbische Frauen nicht unter dem rosa Winkel per se verfolgt wurden, standen sie in Einzelfällen unter dem schwarzen Winkel, was ihr Leben, um es einmal vorsichtig zu sagen, systematisch erschwert hat. Wenn man selber in einem solchen Lebensentwurf steckt, hat man durchaus einen persönlichen Bezug zu dem Thema.

SB: Sie begreifen sich als Gruppe von Menschen mit einem gemeinsamen Projekt, das für Sie wie auch für die anderen Gruppenmitglieder wahrscheinlich mehr als nur ein vorübergehender Job ist, zumal es mit großer Ernsthaftigkeit von Ihnen betrieben wird. Verbinden Sie mit dem Projekt auch ein politisches Anliegen?

FS: Die ganze Situation ist für mich äußerst ambivalent, weil ich mich einerseits mit Nicht-Arbeit solidarisiere und andererseits damit beschäftige, wie Leute behandelt werden, die nicht arbeiten können oder wollen. Natürlich definiere ich mich irgendwie auch über meine Arbeit, ich arbeite gerne und finde meine Arbeit gut und freue mich, im Moment überhaupt eine zu haben. Bei einer künstlerischen Arbeit kann man nicht einfach sagen, das ist ein Job, der am Sonntag vorbei ist. Natürlich bekomme ich keinen Mindestlohn, zumindest habe ich den Stundenlohn niemals ausgerechnet. Ich arbeite an diesem Projekt, weil es ein Herzensprojekt ist, von dem man aber auf Dauer sicherlich nicht leben kann.

SB: Sie arbeiten als Künstlerin und Dramaturgin an einem Projekt, das zumindest hier auf Kampnagel kulturgefördert ist. Der Begriff "Kreativwirtschaft" ist für jeden Künstler, der mit seiner Arbeit mehr erreichen will, als nur Geld zu verdienen, ein Reizwort, weil er im Grunde die Abhängigkeit seiner Tätigkeit von ökonomischen Zwecken zum Ausdruck bringt. Der Stachel des Widerspruchs tritt immer dann zutage, wenn sich der Mensch über seine bezahlte Arbeit definiert. Wie gehen Sie mit diesem Problem um?

FS: Das Problem ist nicht, daß ich mich zum Teil über meine Arbeit definiere, denn ich definiere mich natürlich wie jeder andere Mensch auf sehr unterschiedliche Weise. Das hat nicht nur mit meiner Arbeit zu tun. Das Problem ist vielmehr, daß Arbeit gesamtgesellschaftlich verlangt wird und daß ich, wenn ich zum Jobcenter gehe, bereit sein muß, mich für eine Zeitarbeitsfirma zur Verfügung zu stellen. So kann es geschehen, daß ich ab morgen kellnern gehen muß. Das hat nichts mit einer Hierarchisierung zu tun. Ich habe absolut kein Problem mit dem Kellnern, ich arbeite selbst in einer Bar. Es geht darum, daß diese Gesellschaft in ihrer neoliberalen Gestaltung eine komplette Entidentifizierung von einem fordert, aber es gleichzeitig üblich ist, jemanden, den man gerade kennengelernt hat, nach seinem Beruf zu fragen. Und sofort macht man sich ein Bild über diesen Menschen, was ich schrecklich finde. Natürlich kann man in diesem Zusammenhang auch darüber sprechen, inwieweit künstlerische Berufe neoliberale Strukturen befördern oder in sich tragen oder ob die neoliberale Arbeitsform vielleicht künstlerische Selbstausbeutung für sich instrumentalisiert.

SB: Wenn Sie sich mit dem Projekt nicht nur auf die NS-Zeit und daraus resultierende Entschädigungsforderungen beziehen, sondern den historischen Brückenschlag zwischen gestern und heute mit künstlerischen Ausdrucksmitteln anstreben, bewegen Sie sich in einem größeren politischen Kontext, der bereits von Arbeitsloseninitiativen, Hartz-IV-Gruppen oder linken Organisationen beackert wird. Welche konkrete Absicht verfolgen Sie mit dem Projekt?

FS: In dem künstlerischen Projekt bzw. Pre-Enactment sehen wir die Chance, neue gesellschaftliche Kontexte herzustellen. Daß es ab heute einen Zentralrat gibt, bedeutet, daß uns jeder ab heute seine Probleme mitteilen kann. Ich glaube, daß Kunst in dem Moment die Kraft hat, die Gesellschaft zu verändern oder zumindest über Reizwörter und in einem gewissen Sinne auch Provokationen Sachen anzustoßen. Es geht zu keinem Zeitpunkt darum, irgend etwas zu relativieren, zu banalisieren oder zu instrumentalisieren, sondern schon darum, mit den Mitteln der Kunst Menschen aufzurütteln. In den letzten Tagen haben mich viele Leute auf den Button mit dem schwarzen Winkel angesprochen. Ich habe ihnen dann erklärt, welche Bewandtnis es damit hat. Die häufigste Reaktion war: "Das wußte ich ja gar nicht, aber was habe ich jetzt damit zu tun?" Genau das ist für mich die Brücke in die Gegenwart. Wir haben alle mit Arbeitslosigkeit, Wohnungslosigkeit, mit Refugees - man könnte die Reihe fast endlos ausdehnen - zu tun. Das sind gesellschaftliche Herausforderungen der Gegenwart und der nächsten Zukunft, die wir lösen müssen. Die Krisen betreffen Griechenland, Frankreich wahrscheinlich, und irgendwann sind wir dran.

SB: Die Darstellung des Projekts fand in einem öffentlichen Rahmen statt und glich in gewisser Weise einer Inszenierung. Sie haben mit dem schwarzen Winkel ein sehr starkes Symbol genommen, was sich erstaunlicherweise bisher keine deutsche Arbeitslosen- und Erwerbsloseninitiative getraut hat, möglicherweise, weil sie den NS-Vergleich gescheut haben, der ihnen zur Last gelegt werden könnte. Wie bewerten Sie insgesamt den ästhetischen Umgang mit derart prekären gesellschaftlichen Themen, nicht nur bezogen auf die Vergangenheit, sondern auch auf die heutige Realität von Erwerbslosen, um Aufmerksamkeit zu erregen, vielleicht sogar etwas in Bewegung zu setzen?

FS: Die Kunst hat den Vorteil, daß sie sich Sachen erlauben kann, die man sich im Feld ernsthafter Politik nicht erlauben könnte. Im besten Fall würde man uns unterschätzen, und dann könnten wir zeigen, wieviel dahintersteckt. Das Inszenatorische ist natürlich auch ein Spiel mit einer bestimmten Macht von Bildern, wie es ganz klassisch auch in der Politik gemacht wird. Zur Zeit dreht hier eine Regisseurin einen Film über dieses Projekt. Sie inszeniert uns genauso, wie wir uns die ganze Zeit selber inszenieren, um gute Bilder zu bekommen. Es ist so, wie wenn Amtsträger ein Band durchschneiden oder sich Politiker bei einem Gipfeltreffen die Hand geben. Diese Bilder sind immer gestellt, damit sie veröffentlicht werden. Dennoch glaube ich wirklich an die Macht von Bildern.

SB: Der Begriff der Subversion wird manchmal auch in der Kunst verwendet, um etwas unterschwellig anzustoßen, was auf der plakativen Ebene möglicherweise verkannt würde. Hat das Projekt in diesem Sinne auch einen subversiven Ansatz?

FS: Ja, auf eine gewisse Art schon, aber nicht nur subversiv, sondern auch ein bißchen auf die Zwölf. Es geht auch darum, einen gewissen Knall zu inszenieren.

SB: Dazu bedienen Sie sich auch der Medien. Wäre es für Sie eine akzeptable Option, wenn sich die Tagesschau bei Ihnen melden würde?

FS: Ja. In dem Moment geht es erst einmal darum, Inhalte, die man wichtig findet, zu verbreiten und nach außen zu tragen, so daß sie möglichst viele Leute mitbekommen. Um das zu erreichen, muß man auch eine gewisse Öffentlichkeitswirksamkeit an den Tag legen. Aber es gibt Grenzen für mich, so würde ich niemals mit der Bildzeitung reden.

SB: Haben Sie den Eindruck, daß es in den Künsten und kunstschaffenden Berufen noch einmal zu einer Renaissance oder Repolitisierung für Fragen der Arbeitsgesellschaft, des Prekariats und der herrschenden Verhältnisse kommen wird?

FS: Ja, mein Freundeskreis besteht aus linken queer-feministischen Menschen, die sich alle in irgendeiner Form mit Ausgrenzung, Prekarisierung und Herrschaftsverhältnissen auseinandersetzen. Ich würde aber nicht von einer Repolitisierung sprechen, weil ich nie anders gelebt habe oder je ein anderes Selbstverständnis hatte. Das gilt auch für meinen Freundeskreis. Wenn wir Demokratie ernst nehmen, dann möchte ich daran glauben, daß ich Anteil daran habe, diese Gesellschaft mitzugestalten. Ein solcher Blick auf die Gesellschaft wäre mir wichtig.

SB: Frau Schnoor, vielen Dank für das Gespräch.


Bei der Diskussion auf Kampnagel - Foto: © 2015 by Schattenblick

Tucké Royale, Franziska Schnoor und Daniel Cremer
Foto: © 2015 by Schattenblick


Fußnote:


Vom 30. April bis zum 2. Mai ist der ZAiD im Gorki Studio und an anderen Orten in Berlin aktiv:
http://zentralrat-der-asozialen.de/


Beiträge zum Zentralrat der Asozialen in Deutschland im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → KUNST → REPORT:

BERICHT/044: Aus dem Dunkel der Geschichte - und viele am Rande ... (SB)
INTERVIEW/030: Aus dem Dunkel der Geschichte - nach vorne voran ...    Tucké Royale im Gespräch (SB)
INTERVIEW/031: Aus dem Dunkel der Geschichte - Werkzeug der Solidarität ...    Daniel Cremer im Gespräch (SB)

27. April 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang