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INTERVIEW/026: Museum, Kunst und Träume - Leinwand, Fäden und Co., Michael Raedecker im Gespräch (SB)


"Wir haben einfach zu malen angefangen ..."

Interview im Sprengel Museum Hannover am 7. März 2014



Im Sprengel Museum Hannover wurde am 9. März die Ausstellung MICHAEL RAEDECKER. tour eröffnet. Anläßlich einer Führung durch die drei Säle des Museums umfassende Bilderschau, in der 40 Werke des Malers aus allen Phasen seines 20jährigen Schaffens versammelt sind, hatte der Schattenblick Gelegenheit, dem 1963 in Amsterdam geborenen und in London lebenden Künstler einige Fragen zu stellen.

Im Interview - Foto: © 2014 by Schattenblick

Michael Raedecker
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Herr Raedecker, in welcher Verbindung stehen Sie als bildender Künstler, der Fäden in seine Malerei einwebt, zum Sticken? Haben sie einen besonderen Bezug zu diesem Handwerk oder ist es für Sie nur ein künstlerisches Mittel wie andere auch?

Michael Raedecker: Ich glaube, ich werde von Fäden angezogen, weil es ein der Kunst nicht zugehöriges Material ist. Es ist mehr Handwerk, aber ich bin an Handwerk nicht so interessiert, daß ich es kommentieren möchte. Ich stelle mich auch nicht darüber, sondern nehme es als Handwerk ernst. Mich interessiert daran, in die Bildende Kunst ein nicht zu ihr gehöriges Material einzuführen. Dadurch wollte ich einen anderen Zugang zur Malerei finden. Malerei wird zuweilen als heilige Sache empfunden, weil sie eine so unglaubliche Geschichte besitzt. Dagegen müssen wir manchmal ein wenig angehen. Deswegen habe ich begonnen, mit diesem Material auf durchaus ernsthafte Weise künstlerisch zu arbeiten.

SB: Hat die Stickerei nicht eine kunstgeschichtliche Bedeutung, etwa im Rahmen textiler und gewebter Bilder?

MR: Das stimmt absolut, aber heute wird in der Bildenden Kunst ein wenig darauf herabgesehen, eben weil es ein Handwerk und keine Kunst ist. Zudem erscheint die Stickerei als etwas, das eher Frauen vorbehalten war, die sich vor 50 oder 100 Jahren die Zeit damit vertrieben. In diesem Sinne ist es kein Bestandteil der Kunstgeschichte.

Großaufnahmen mit Stickereien aus vier verschiedenen Bildern - Fotos: Schattenblick, © Michael Raedecker Großaufnahmen mit Stickereien aus vier verschiedenen Bildern - Fotos: Schattenblick, © Michael Raedecker Großaufnahmen mit Stickereien aus vier verschiedenen Bildern - Fotos: Schattenblick, © Michael Raedecker

Detailstudien aus Exponaten der Ausstellung zur Arbeitsweise des Künstlers
Fotos: Schattenblick, © Michael Raedecker

SB: Gibt es hinsichtlich des Aufschneidens der Leinwand einen Bezug zur Methoden des Cut-Up in der Literatur der Beat-Generation?

MR: Ja, es gibt auch andere Beispiele wie bei Brian Eno und David Bowie, die diese Methode beim Songwriting verwendeten. Ich bin mir dieser Entwicklungen bewußt und könnte mir vorstellen, daß sie sich auf eine unbewußte Weise bei mir ausgewirkt haben. Man kann dabei auch an die Arbeit mit Kollagen denken oder an den Split-Screen im Film. Ich glaube, für mich lag der Antrieb darin, gegen die Regel zu verstoßen, bei der Gestaltung eines Bildes nicht in die Leinwand zu schneiden oder zu stechen. Ein weiterer interessanter Aspekt liegt darin, daß man mit der Idee arbeiten kann, ein Bild anzufertigen, um etwas zu zeigen, während man tatsächlich etwas wegnimmt. Indem man nicht alles zeigt, was der Betrachter zu sehen erwartet, macht man andere Dinge möglich. Das ist es ein sehr formales Mittel bei der Bildkomposition, um sich von einem Narrativ abzusetzen. Der Betrachter nimmt sich ohnehin, was er kriegen kann, denn das Gehirn konstruiert ganz automatisch ein Narrativ, was bei dieser Methode als eine Art Bonus herausspringt.

SB: Ist es nicht schwer, mit 800 Jahren Malereigeschichte auf den Schultern etwas zu machen, was niemals zuvor in der Kunst getan wurde?

MR: Wenn man anfängt, sollte man nicht allzusehr darüber nachdenken, sonst kommt man nicht vom Fleck. Etwa ein oder zwei Jahrzehnte bevor ich mit der Malerei begann, war diese Kunstform an den Punkt gelangt, daß nichts als ein Stück Leinwand blieb, das in die Ecke geworfen wurde. Das war der Stand künstlerischer Arbeit. Die Malerei war fast vollständig auseinandergenommen worden. Und was haben Maler wie George Condo, John Currin, Glenn Brown oder jemand wie ich getan? Wir haben einfach zu malen angefangen. Was die früheren Künstlergenerationen gesagt und gefordert haben, ist unerheblich. Man muß sich damit nicht einverstanden erklären, sondern arbeitet in der Zeit, in der man lebt, und bezieht sich allein auf sie.

Im Punk richtete man sich gegen all die großen Bands und wollte etwas vollständig anderes tun. Viele Leute meiner Generation haben das nicht anders gemacht. Die Achtziger waren ziemlich dogmatisch, es ging immer um die Statements französischer Philosophen, und die Künstler haben sich nach ihnen gerichtet. Wir hingegen sagten, das hat nicht wirklich etwas mit uns zu tun, wir verstehen nicht, worüber ihr überhaupt sprecht. Wir sprechen eine ganz andere Sprache, und wir werden sie benutzen. Das ist nichts Neues. Ich glaube, auch 1910 bei Picasso war das nicht anders. Ich vermute, es ist einfach eine Sache der Generationen.

Eine Wand der Ausstellung mit schwarz-weißem Hintergrund und 12 Exponaten - Foto: Schattenblick, © Michael Raedecker

Im Überblick Querschnitt durch 20 Jahre außergewöhnlicher Malerei
Foto: Schattenblick, © Michael Raedecker

SB: Ihre Bilder beeindrucken durch den Umgang mit dem Raum, der sich zwischen der abstrakten Perspektive des Gemalten und der gegenständlichen Dimension des Fadenwerks entfaltet. Die Art, den Raum in Szene zu setzen, erinnert ein wenig an die psychedelische Kunst der sogenannten Gegenkultur der 1960er Jahre. Wie schätzen Sie den Einfluß der Bilder dieser Bewegung auf die heutige Kunstszene ein?

MR: Mit Einflüssen verhält es sich so wie bei einem Jugendlichen, der die letzten 10 oder 15 Jahre nicht für wichtig hält, weil er sie selbst erlebt hat. Viel interessanter erscheint dagegen die Epoche davor zu sein, die immer noch nachhallt. Und ich glaube, die Counterculture der 60er erzeugt immer noch Resonanzen etwa im Umgang mit kompositorischer Arbeit oder mit Jump Cuts, die Jean Luc Godard für den Film entwickelte. Es war wohl ein Moment der Geschichte, in dem plötzlich die Freiheit existierte, alles tun zu können und gegen alles zu rebellieren. Viele Dinge wurden in kurzer Zeit entwickelt. Daran konnten wir anknüpfen und dort fortsetzen, wo sie nicht vollständig ausgeforscht wurden. Daher glaube ich, daß diese Zeit immer noch einen sehr inspirierenden Einfluß hat.

Blick auf mehrere Bilder mit zwei Besucherinnen - Foto: Schattenblick, © Michael Raedecker

Perfektion der Hängung für ungeteilte Aufmerksamkeit
Foto: Schattenblick, © Michael Raedecker

SB: Sie beziehen sich in der Malerei auf einen kunstimmanenten Kontext. Welche Bedeutung hat demgegenüber Ihre soziale Umwelt für Ihre Arbeit? Gibt es überhaupt eine Verbindung zwischen sozialer Lebenswelt und ästhetischer Produktion?

MR: Als ich nach London zog, ließ ich die ganze Vergangenheit des Aufwachsens in Holland zurück. Wenn ich dorthin zurückkehre, treffe ich Freunde aus allen möglichen Kreisen. Das Interessante an London ist, daß meine Freunde dort alle mit Kunst zu tun haben. Die meisten kommen aus der Bildenden Kunst, aber es sind auch Schriftsteller und Filmemacher darunter. Der ganze Diskurs dort dreht sich fast vollständig um Kunst, als ob man in einem Loop steckt, der um die eigene Arbeit kreist. Natürlich gibt es auch Zeiten der Reflexion, wo man sich davon entfernt.

SB: Wie empfinden Sie die soziale Situation in London mit einer Armut, die womöglich noch verbreiteter ist als hierzulande?

MR: Ich kann es nicht mit Deutschland vergleichen, aber natürlich mit Holland. In London scheint mir die Integration der sozialen Unterschiede weit besser zu gelingen als dort. In der Kunstwelt oder an der Kunsthochschule fällt allerdings auf, daß es weniger Menschen aus nichtweißen Minderheiten gibt. Aber ich hoffe, daß das nur ein Entwicklungsrückstand ist, den aufzuholen etwas länger dauert. Ansonsten ist London sicherlich eine Stadt mit großen Unterschieden zwischen arm und reich. Interessant ist allerdings, wie sie angelegt ist. So kann man in der teuersten Gegend wohnen, doch wenn man um die Ecke geht, trifft man auf ein soziales Wohnprojekt. Das findet man in allen Stadtteilen.

Sicherlich unterscheiden sich Notting Hill und South Kensington etwas voneinander. Dort, wo ich lebe, sind die Häuser nicht billig, aber mein direkter Nachbar lebt in einer Sozialwohnung, während ich in der Lage war, das Haus zu kaufen, in dem ich lebe. In diesem Sinne scheint es besser als in Holland zu funktionieren. Wenn man in den Pub um die Ecke geht, dann steht dort der Banker neben dem Anstreicher. Vielleicht sprechen sie nicht miteinander, aber sie leben miteinander. Ich wohne in der Nähe des Fußballstadions von Arsenal, und die Inhaber von Dauerkarten sind entweder Maurer oder Banker. Ich glaube, es funktioniert ganz gut.

Besucherin vor dem Bild 'On' von 2008 - Foto: Schattenblick, © Michael Raedecker

Der Faden hält, was der Blick verspricht
Foto: Schattenblick, © Michael Raedecker

SB: In dieser Ausstellung sind Bilder aus ganz unterschiedlichen Phasen Ihrer Arbeit versammelt. Wie gehen Sie damit um, daß Sie in diese Bilder eine Menge persönlicher Energie gesteckt haben? Ist es vielleicht so, als hätte man eigene Kinder in die Welt gesetzt, die nun in anderen Häusern leben?

MR: Ab einem bestimmten Punkt ist es ganz gut, wenn die Kinder das Haus verlassen. Wenn ich bei dieser Ausstellung Arbeiten erblicke, die ich seit 18 Jahren nicht mehr gesehen habe, dann ist es manchmal enttäuschend und manchmal merke ich, daß ich Dinge vergessen habe, die ich getan hatte. In diesem Fall habe ich realisiert, daß ich eine Geschichte habe, auch wenn 20 Jahre kein so langer Zeitraum sein mögen. Unter den verschiedenen Schaffensphasen gibt es mehrere Perioden, die für diese Ausstellung nicht geeignet sind. So hatte ich eine surreale Phase, die diese Schau zu komplex gemacht hätte.

Man kann sagen, daß 40 Bilder viel sind, aber 80 Bilder wären wirklich zuviel. Auch wenn diese Räumlichkeiten hier groß sind, bieten sie nicht genug Raum dafür. Jede Museumsstruktur verlangt nach einer unterschiedlichen Herangehensweise und einem anderen Umgang mit dem Raum. Das gilt auch für eine Ausstellung in einer kommerziellen Galerie.

SB: Herr Raedecker, vielen Dank für das Gespräch.

Wand mit Titel und Daten der Ausstellung im Eingangsbereich - Foto: © 2014 by Schattenblick

Foto: © 2014 by Schattenblick

13. März 2014