Schattenblick →INFOPOOL →KUNST → REPORT

INTERVIEW/012: Gefesselte Kunst - Jimmie Durham über Abgründe der Kultur und des Lebens (SB)


Positionen der Befreiung

Interview mit Jimmie Durham am 8. Februar 2012 in Berlin

So trocken und humorvoll der Ton, den Jimmie Durham anschlägt, so ernsthaft und reflektiert ist das, was er zu sagen hat. Nach seinem Vortrag im Forum "Art in public space, art as public space, and art in the public interest" stellte sich der Künstler, Dichter und Aktivist dem Schattenblick für einige Fragen zur Verfügung.

Jimmie Durham - Foto: © 2012 by Schattenblick

Jimmie Durham
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick: In Ihrem Vortrag sprachen Sie über Befreiung und darüber, daß das Bedürfnis danach nach wie vor existiert. Könnten Sie uns vielleicht aus Ihrer persönlichen Geschichte heraus etwas über Befreiungskämpfe erzählen?

Jimmie Durham: Ich kann über meine Vergangenheit nicht besonders vernünftig sprechen, aber ich bin Cherokee und meine Familie war schon immer politisch aktiv, weil wir gar keine andere Wahl hatten. Man war in unser Land eingedrungen. Wir haben 450 Jahre gekämpft und immer verloren. Aber wir sind noch nicht tot (lacht). Der Kampf geht also weiter. Das ist meine Geschichte.

SB: Nehmen Sie in Ihrem künstlerischen Schaffen in besonderer Weise Bezug auf Ihre persönliche Geschichte?

JD: Niemals bewußt. Meine Kunst soll nicht metaphorisch sein. Ich will keine Botschaften vermitteln, aber ich will, daß sie sich mitteilt. Bei Kunst geht es, wie Sahat Maharaj sagt, um die Herstellung von intellektueller Bedeutung. Aber damit ist nicht verbale Bedeutung gemeint. Genau wie Musik nicht durch Worte erklärt werden kann, kann auch Kunst nicht durch Worte erklärt werden. Das ist dasselbe.

SB: Könnte das eine direkte Verbindung zu Ihrer Kultur sein, zu der Art, wie Sie aufgewachsen sind?

JD: Nicht bewußt, ich lasse das nicht einfließen, aber wenn man die Kunst französischer Künstler betrachtet, weiß man, daß sie von französischen Künstlern geschaffen wurde. Sie versuchen nicht, französische Kunst zu schaffen, aber in gewisser Weise tun sie es dann doch. In gleicher Weise könnte es sein, daß ich Kunst betreibe, wie es ein Cherokee tut. Ansonsten mache ich Kunst für Menschen und unterscheide nicht, für wen ich sie mache, außer daß ich Kunst für die schlauesten Leute mache (lacht).

SB: An welcher Stelle wird Ihre Kunst im Zusammenhang mit der Frage der Befreiung produktiv? Befreit sie den Verstand, die Sinne, oder ist sie wie eine Sprache, die nicht notwendigerweise an Worte gebunden ist?

JD: Ich denke, Europa hat eine seltsame Kunsttradition. Sie ist im wesentlichen romantischer Natur und handelt von Instinkt, Emotion und Spiritualität und solchen Dingen. Aber für mich ist Kunst ein intellektuelles Unterfangen, ein intellektueller Prozeß. Daher will ich meine Arbeit so komplex wie möglich gestalten und ihr so viel Sinn verleihen wie nur geht. Das ist nicht dasselbe wie Botschaften. Ich will mit meiner Kunst keine Botschaften vermitteln. Wenn ich ein gutes Gedicht lese, zum Beispiel von Heinrich Heine, werde ich klüger, als ich es beabsichtigt hatte, und weiß mehr, als ich erfahren wollte. Das ist ein intellektueller Prozeß. Das Gedicht zu lesen, trägt auf eine bestimmte Art und Weise, die nicht leicht zu erklären ist, zu meiner Befreiung bei. Das wird mein Volk nicht befreien, aber man könnte sagen, daß es uns alle besser darauf vorbereitet. Es ist also nichts Konkretes, keine Botschaft. Wenn ich Musik höre, ist es genauso. Wenn ich mir Beethovens 6. Sinfonie anhöre, von einem guten Orchester eingespielt, geschieht etwas Intellektuelles mit mir. Gefühl, Spiritualität, Instinkt sind davon nicht ausgeschlossen, aber Intellekt ist sicherlich eingeschlossen, und also auch meine Befreiung.

SB: Sie neigen nicht dazu, Ihre Vergangenheit als politischer Aktivist besonders in den Vordergrund zu stellen. Könnte man sagen, daß Ihr Herz an dieser Vergangenheit festhält? Ich meine nicht nur emotional, sondern vielleicht auch wegen des Kampfes, der geführt werden muß?

JD: Ich finde mein Leben recht seltsam, denn ich kam zum ersten Mal in den Sechzigern nach Europa, nachdem ich schon in den Fünfzigern politisch aktiv war. Ich ging dann aber noch einmal in den Siebzigern als politischer Aktivist in die USA zurück, und zwar ins Pine Ridge-Reservat, das Sioux-Reservat. Zuerst fuhr ich allerdings nach Hause und meine Mutter fragte: "Warum willst du mit den Sioux arbeiten?" Und ich sagte: "Wir sind alle Indianer." Für meine Familie ist das nicht wahr. Im allgemeinen sind die Cherokee chauvinistisch. Ich könnte Sie als Deutscher fragen: "Warum wollen Sie mit diesen Italienern zusammenarbeiten?" Und Sie antworten: "Nun, wir sind alle Europäer." Aber Sie fühlen sich nicht wie ein Italiener und denken auch nicht, daß die Italiener sich als sehr deutsch empfinden. Mit uns ist es dasselbe. Wir sind sehr unterschiedlich. Die Sprachen sind ganz anders und die Kulturen auch. Ich konnte meiner Mutter das nicht erklären. Danach ging ich nach Mexiko, wo ich acht Jahre lebte. Dort traf ich andere Indianer. Ich kam nach Europa und traf Sami, ich ging nach Sibirien und traf Jakuten und Ewenken. Ich begriff, daß mein Kampf nicht nur die Cherokee betrifft. Es gibt auch Indianer in Mexiko und in Brasilien und an jedem anderen Gestade, die auch meine Brüder und Schwestern sind, nicht wahr? Als ich älter und, wie ich hoffe, ein wenig weiser wurde, begann ich mich zu fragen, wer mein Volk ist? Jeder, der unterdrückt ist, gehört wohl zu meinem Volk. Ich wollte immer die Sorben treffen, die in Berlin leben, aber es kam nie dazu.

SB: Sie hätten in Berlin Kurden antreffen können. Vor einigen Tagen fand in Hamburg eine Konferenz der Kurden statt. Dort trafen sich Leute aus Indien, Lateinamerika, Mexiko und Nordafrika, und sie versuchten alle das gleiche, was Sie eben sagten, nämlich diese Art der Befreiung über die Grenzen ihrer nationalen Interessen hinweg anzustreben.

JD: Ja, es ist offensichtlich das, was nötig tut, herauszufinden, daß wir menschliche Wesen sind, nicht nur Deutsche, Cherokee oder Franzosen.

Jimmie Durham lacht - Foto: © 2012 by Schattenblick

Aufgeben ist keine Option
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Wo würden Sie sich selbst in der sogenannten Kunstszene ansiedeln? Haben Sie Probleme mit der Kommerzialisierung der Kunst und ihrem plakativen Charakter, den sie dadurch mehr und mehr annimmt?

JD: Ich denke, in der Welt der Kunst geschieht in der gleichen Weise und zur gleichen Zeit dasselbe wie in allen unseren Lebensbereichen. Es werden immer mehr Bücher veröffentlicht. Man kann sie sogar im Supermarkt kaufen, aber man findet kein gutes Buch zum Lesen. Es gibt immer mehr Kinofilme, aber man findet keinen guten Film zum Anschauen. Es gibt mehr Musik, aber man findet keine gute Musik zum Anhören. Ich glaube, es gibt eine umfassende epidemische Seuche der Dummheit, die von der sonderbaren Verehrung des Geldes herrührt. In den USA gibt es Tausende von Milliardären. Wie kann man Milliardär sein? Man kann das Geld nicht einmal zählen. Man kann nichts Gegenständliches im Wert von Milliarden Dollar kaufen. Was heißt es also, Milliardär zu sein? Es heißt nichts, außer daß dein Haus hundert Zimmer hat, statt zehn, wie das eines normalen Millionärs (lacht).

SB: Die US-Kultur ist global ausgerichtet und sehr präsent. So werden im deutschen Fernsehen zumeist US-amerikanische Filme und TV-Serien gezeigt. Sehen Sie eine Verbindung zwischen einer spezifisch US-amerikanischen Form der Produktivität und dieser Art kultureller Expansion?

JD: Ich will nicht auf den armen Vereinigten Staaten herumhacken, denn wenn es nicht die USA wären, wären es eben England oder Frankreich. Aber ich glaube, es gibt einen Unterschied. Alle Länder des amerikanischen Kontinents sind europäische Kolonien. Die Europäer sind von Kanada bis nach Chile und Argentinien in alle Länder eingefallen, und sie haben uns unterdrückt. Auf diese Weise wurden sie zu triumphierenden Siegern. Das Triumphieren entspricht ihrer Mentalität. Dabei spielt es eigentlich keine Rolle, um welches Land des Kontinents es sich handelt, außer daß die USA der Boß sind. Der Boß der Welt ist ein triumphierendes, kolonialistisches Land. Das ist für die Menschen nicht sehr gesund. Viele Leute fürchten, daß China die Welt übernehmen könnte. Ich besitze ein Buch mit chinesischer Poesie, die in dreitausend Jahren entstanden ist. Wenn jemand über eine dreitausendjährige Poesie verfügt, könnten wir ihm ein wenig vertrauen. Ich will nicht, daß überhaupt irgendwer der Boß ist, ich will keine Hierarchie der Kulturen in einer Hierarchie der Länder, aber wenn es eine gäbe, würde ich China vergleichsweise mehr vertrauen als den meisten anderen.

SB: Sie sagten vorhin in Ihrem Vortrag, daß es für einen Künstler nicht hilfreich wäre, Kunst mit dem Ziel zu betreiben, erfolgreich zu sein. Was motiviert Ihrer Meinung nach die meisten Künstler heutzutage?

JD: Ich glaube, es wird ihnen sehr früh beigebracht, an Ruhm und Reichtum zu denken. Das macht Narren aus uns. Egal, wieviel Ruhm und Reichtum man erlangt, es hat nichts mit Kunst zu tun. Es hat nichts mit deinem Erfolg oder deinem Gefühl persönlicher Energie zu tun, um weiter zu arbeiten, um den Mut zu haben, ein Künstler, Dichter, Musiker oder was auch immer zu sein. Ich kenne viele tote Künstler, die sich aus den verschiedensten Gründen umgebracht haben, manche darunter durch Alkoholismus, durch dieses oder jenes. Wir tun das nicht, weil wir empfindsam sind, sondern weil wir Idioten sind. Wir haben uns damit einverstanden erklärt, dumm zu sein.

SB: Sie scheinen ein gesundes Gefühl für die herrschenden Lebensbedingungen zu haben. Immerhin sprechen Sie noch über Befreiung, was viele Menschen nicht mehr tun. Sind Sie in diesem Sinne mit Ihrer persönlichen Kreativität zufrieden?

JD: Ich bin nicht im mindesten zufrieden. Ich kann nur dann ein guter Künstler sein, wenn es einen sozialen Anspruch anderer an mich gibt, ein guter Künstler zu sein. Ich kann das nicht allein tun. Ich kann es auch nicht tun, indem ich nur auf die öffentliche Meinung höre, aber ich kann auf diese Meinung auch nicht verzichten. Ich brauche einen fortwährenden Dialog. Die Iren haben ein Sprichwort: Um einen klugen Mann zu machen, braucht man zehn kluge Männer. Man kann nicht für sich selbst allein klug sein. Das Beste, was man allein machen kann, ist, sich selbst die immergleichen, alten Geschichten zu erzählen. Man kann sich selbst keine neue Geschichte erzählen.

SB: Wie gefällt ihnen diese aufwendige Veranstaltung? Meinen Sie, daß sie dazu beiträgt, die Grenzen voneinander separierter Individuen zu überwinden?

JD: Ich denke, daß alles, was Menschen zusammenbringt, um ernsthaft miteinander zu reden, hilfreich ist.

SB: Das ist ein schönes Schlußwort. Vielen Dank, Mr. Durham.

(Aus dem Englischen von Redaktion Schattenblick)

Bericht zum Vortrag von Jimmie Durham auf der radius of art-Konferenz siehe
http://www.schattenblick.de/infopool/kunst/report/kurb0016.html

Was kostet die Welt? Plakat am Deutschen Theater  - Foto: © 2012 by Schattenblic

Zu viel für diejenigen, denen alles genommen wurde
Foto: © 2012 by Schattenblick

16.‍ ‍April 2012