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BERICHT/046: Einwurf Kunst - Präsentative Rebellion ... (SB)


SHOUT HIN! - Positionen politisch motivierter Kunst

Zur Vernissage am 13. Juni 2015 im Pumpwerk Siegburg


Kunst und Politik - wo sich das eine des anderen bedient, beherrscht schnell die Logik einer instrumentellen Vernunft das Feld, die nichts von der schöpferischen Inspiration läßt, die der Mensch sich von künstlerischer Aktivität verspricht. So wird der Nutzen verabsolutiert, gerade weil seine Abwesenheit Zugänge zu Fragen von womöglich grundstürzender Art eröffnete. Daß dessen Ertrag zusehends wirtschaftlich bestimmt ist und die Höhe der Preise, die auf Kunstauktionen erzielt werden, weit mehr Aufsehen erregt als die dort gehandelten Werke selbst, ist Ausdruck der Unfähigkeit, die Totalität des Tauschwertprimats auch nur zu reflektieren. Ihr etwas anderes abzugewinnen als die Privatisierung dessen, was als gesellschaftliche Allmende künstlerischer Schaffenskraft allen daran Beteiligten ermöglicht, über den Horizont des kreatürlichen Überlebenskampfes und des bloßen Verbrauchs an Leben hinauszublicken, könnte demgegenüber genuine Aufgabe einer Kunst sein, die den unbescheidenen Anspruch nicht aufgegeben hat, im Auge des Betrachters nichts zu lassen wie es war.

Hat Kunst einst im archaischen Sinne den Naturzwang zu überwinden getrachtet und in ihrer zivilisatorischen Verfeinerung Staat und Gesellschaft den Spiegel eigener Widersprüchlichkeit vorgehalten, so kündet ihre Karriere zum Objekt spekulativer Geldanlage vom historischen Erfolg jener Kulturindustrie, deren Fähigkeit, die ästhetische Produktivität revolutionärer Fragestellungen aufzusaugen und gegen sich selbst zu kehren, immer unwidersprochener zur Geltung gelangt. Wo das Kultursponsoring den Produzenten industriell erzeugter Massenware zur Unverwechselbarkeit der Marke verhilft, die abstrakte Geldware in den Kunstfoyers der Banken und Versicherungen mit der Identität eines firmeneigenen Produkts versehen wird und die staatliche Kulturförderung eine offene Gesellschaft inszeniert, deren eiserne Grenzen bunt angemalt gleich viel freundlicher wirken, da wird auf ganz konforme, herrschenden Interessen zugetane Weise Sinn gestiftet und Legitimation erzeugt.

Demgegenüber eine politische Kunst ins Werk zu setzen, die nicht als integraler Bestandteil kulturindustrieller Beschwichtigung fungiert, verlangt eine klare Positionierung gegen den Zugriff einer Verwertungslogik, die längst nach dem vermeintlich nicht Vernutz- und Kommodifizierbaren greift. Wo aller territorialen Expansion durch diejenigen, die vorher da waren oder später mit der größeren Feuerkraft gekommen sind, enge Grenzen gesetzt sind, wo die uniformen Fassaden der globalen Systemgastronomie und Ladenketten lokale Eigenarten einebnen und verbliebene Restbestände historisch gewachsener Kultur im Schaufenster der Tourismusindustrie als folkloristische Ware feilgeboten wird, wo die Armen, zur Bewegungslosigkeit verdammt, in fremde Himmel blicken, in denen transnationale Funktionseliten von einer Global City zur nächsten jetten, da gerät der Mensch selbst ins Visier kapitalistischer Landnahme. Was immer er dem Zugriff der abstrakten Arbeit vorenthalten hat, soll durch die Inwertsetzung seiner Subjektivität, der noch nicht ausgeloteten Zeit- und Raumhorizonte kreativer und reproduktiver Potentiale und nicht zuletzt seines Aufbegehrens als finaler vitaler Ressource erschlossen werden.

Insofern hat die einst vieldiskutierte Frage, ob Kunst überhaupt unpolitisch sein könne, nichts an Relevanz verloren. Das Politische per se ist kein Garant für eine Streitbarkeit, die den Menschen bei dem Versuch unterstützt, sich der Ausschließlichkeit der Forderung zu widersetzen, in den Kategorien des Tausch- wie Gebrauchswertes verfügbar und berechenbar zu sein. Sich jedem darauf zurückführbaren Nutzen zu entziehen und weder als ästhetische Sensation noch als programmatischer Zweck der Forderung zu unterliegen, gegenüber der Gesellschaft Rechenschaft für die eigene Existenz abzulegen, macht Kunst auf denkbar radikale Weise als Gegenentwurf zum Politischen kenntlich. Als solcher widersteht sie der Verfügbarkeit für die Zwecke Dritter und schafft Platz zur Befreiung des Menschen wie der Natur.


Eingang zum Pumpwerk in Siegburg - Foto: © 2015 by Schattenblick

Foto: © 2015 by Schattenblick

In diesem Sinne zeugt die Absicht der Ausstellung SHOUT HIN!, die der Kunstverein für den Rhein-Sieg-Kreis e.V. im Pumpwerk in Siegburg zeigt, "Positionen politisch motivierter Kunst" zu präsentieren, von einem feinen Gespür für das Dilemma, in das die Identität von Politik und Kunst führen kann. Der Verweis auf die politische Motivation teilt mit, daß die Kunst die Politik bestimmt und nicht umgekehrt. Die Frage, ob Kunst nicht immer politisch sei und wie deutlich die Aussage des Kunstwerks sein müsse, um das zu beurteilen, beantwortet der Kurator der Ausstellung, Benoit Tremsal, mit einem Zitat von Joseph Beuys: "Was könnte überhaupt der Sinn der Kunst sein, wenn es nicht die humanitäre Frage wäre? Wenn sie nicht etwas liefern kann, was substantiell für den Menschen unentbehrlich ist?"

Wenn politisch motivierte Kunst auch nur den Anschein erweckt, die Gesellschaft verändern zu wollen, dann könne sie zumindest einen Dialog herstellen, so Tremsal, der mit Thomas Hirschhorn künstlerische Formgebung als Akt des Widerstands versteht. Dazu gehört auch Verweigerung als eine mögliche künstlerische Haltung, die im Rahmen dieser Ausstellung mit einem überraschenden Exponat vertreten ist.


Bei der Einführung in die Ausstellung - Foto: © 2015 by Schattenblick

Benoit Tremsal vor Exponaten von Hermann Josef Hack
Foto: © 2015 by Schattenblick

Es blieb dem Schriftsteller, Maler und Performer Jürgen Raap überlassen, die einzelnen Beiträge zur Ausstellung vorzustellen. Der auch unter dem Pseudonym Karl-Josef Bär bekannte Kölner tat dies mit viel Humor und sparte nicht mit Seitenhieben auf den etablierten Kunstbetrieb und die Reichen und Schönen, die sich in hochdotierten Kunstwerken spiegeln und sie solchermaßen zur bloßen Kulisse eigener Unvergleichlichkeit deklassieren. Von den politischen Aktionen eines Joseph Beuys oder Wolf Vostell, den er 1969 als Schüler in Köln beim Einbetonieren seines Opel Kapitäns zwecks Schaffung der 15 Tonnen schweren Plastik "Ruhender Verkehr" erlebte, inspiriert, ließ Raap seiner Begeisterung für die subversive Wirkung von Kunst damals wie heute freien Lauf.

Die Kunst des 21. Jahrhunderts diene nicht mehr nur dem Selbstausdruck ihrer Urheber. Heute bezögen sich viele Künstler auf wissenschaftliche und mediale Innovationen, die die Welt verändern. Die Wandmalereien der ägyptischen Street Art, die im arabischen Frühling entstanden und in seinem Winter mit Mitteilungen in der Tradition revolutionärer Wandzeitungen darin fortfahren, Gegenöffentlichkeit herstellen, stehen in scharfem Kontrast zur Glätte jener Kunst, die auf den Kunstmessen in Basel und London hoch gehandelt wird. Raap hat bestimmte deutsche Malerstars im Sinn, wenn er anmerkt, daß diese hochdotierten Werke mitunter Künstlern geschuldet sind, die ihr Werk betriebswirtschaftlich optimiert haben, indem sie seit 50 Jahren mit maximal fünf Bildideen auskommen.

Für den Redner ist Kunst nicht dazu bestimmt, Luxusartikel für die "Deppen des Mainstreams" zu schaffen, sondern sie dient in der Tradition der 1960er Jahre der Aufklärung und Bewußtseinserhellung. Diese Kunst könne Politik nicht ersetzen, aber als demokratische Kontrollfunktion ergänzen und der Gesellschaft dabei helfen, abhanden gekommene ethische Maßstäbe zurückzugewinnen.


Foto: © 2015 by Schattenblick

Mit viel Elan und Humor - Eröffnungsrede Jürgen Raap
Foto: © 2015 by Schattenblick

Dieser Absicht dürfte sich der Beuys-Schüler Hermann Josef Hack verbunden fühlen. Mit Projekten wie dem World Climate Refugee Camp, einem Zeltlager für Klimaflüchtlinge im Kleinformat, das unter anderem in der Wanderausstellung Zur Nachahmung empfohlen! [1] weltweit Aufmerksamkeit erhielt, oder dem Global Brainstorming Expedition Camp Lima, das er auf der UN-Klimakonferenz COP 20 im Goethe-Institut in der peruanischen Hauptstadt einrichtete, thematisiert der Siegburger Aktionskünstler die sozialen Folgen des Klimawandels. Mit Aktionen im öffentlichen Raum, bei denen er in Flüchtlingslagern bemalte Zeltplanen als Bewohnbare Bilder präsentiert oder die Passanten zur Bereitstellung von Wohnraum für die von Dürre und Hungersnöten Betroffenen auffordert, legt Hack den Finger in die Wunde einer Bevölkerung, die sich kaum oder gar nicht darüber klar ist, was ihr relativer Reichtum andernorts für Schäden hinterläßt. Indem sie die industrielle Grundlage ihres Wohlstandskonsums mit einem weit überproportionalen Ausstoß von Klimagasen erkauft, ist sie mitverantwortlich dafür, daß in den Ländern des Südens Ressourcenkriege entflammen und ganze Regionen durch ausbleibenden Regen veröden.

Der in dieser Ausstellung mit einigen Zeugnissen derartiger Aktionen vertretene Hack wird am 2. Juli vor dem Siegburger ICE-Bahnhof unter dem Titel SORRY, 2050! eine Gedenkstätte für heute und in Zukunft zur Welt kommende Menschen einrichten, die im Jahr 2050 die aktuellen Versäumnisse der internationalen Klimapolitik auszubaden haben [2]. Wer will, kann sich dort schon jetzt bei seinen Nachfahren dafür entschuldigen, nicht genug dafür getan zu haben, ihnen keine Welt der Klimaextreme, der Überflutungen und Trinkwasserknappheit, des Hungers und der Naturzerstörung zu hinterlassen,


Porträt des Opfers und das Treppenhaus, in dem es verblutete - Fotos: © 2015 by Alexandra Klei, Christian Herrnbeck   Porträt des Opfers und das Treppenhaus, in dem es verblutete - Fotos: © 2015 by Alexandra Klei, Christian Herrnbeck

Farid Guendoul - sichtbar machen, was vergessen werden soll
Fotos: © 2015 by Alexandra Klei, Christian Herrnbeck

Ein Stockwerk tiefer in dem schmucklosen, den Exponaten die ganze Aufmerksamkeit der Betrachter gewährenden Zweckbau des ehemaligen Pumpwerks, das einst die Fluten der naheliegenden Sieg im Zaum halten sollte, setzt sich das Ausstellungsprojekt RE: GUBEN mit einer anderen Seite zeitgemäßen Gedenkens auseinander. Am Beispiel des von jugendlichen Neonazis in den Tod gehetzten algerischen Asylbewerbers Farid Guendoul thematisieren die Kunsthistorikerin Alexandra Klei und der Fotograf Christian Herrnbeck zum einen das Unterbleiben eines angemessenen Gedenkens, indem sie den Hergang der Nacht vom 13. Februar 1999 minutiös rekonstruieren und mit dieser Erinnerungsinstallation ein Zeichen des Nichtvergessens setzen. Zum andern wird die vorherrschende Gedenkpolitik kritisch hinterfragt. Ihre Indienstnahme für Zwecke, die nicht die gesellschaftliche Genese rassistischer Gewalt betreffen, sondern deren Ausblendung bewirken, ist der sinnlichen Leerstelle, die zwischen dem umfassend recherchierten Vorgang des tödlichen Ereignisses und dem Mangel an dazugehörigem Bildmaterial klafft, regelrecht abzulesen.

Angesichts des in der Installation erzeugten Kontrastes zwischen den kaum sichtbaren Spuren dieser Gewalttat und den Bildern aus dem Stadtraum Guben, der den akustisch sparsam animierten Text des Tathergangs mit der gespenstischen Kulisse einer nächtlichen, von Menschen verwaisten Unwirtlichkeit versieht, drängt sich der Wunsch nach einem manifesten Zeugnis des Geschehens im Betracher geradezu auf. "Von der Stadt Guben wäre als Minimalforderung zu verlangen, sie solle den Tod von Farid Guendoul als rassistische Hetzjagd durch rechte Gubener Jugendliche zur Kenntnis nehmen, damit wenigstens den Anstand zu besitzen, des Toten zu gedenken und ihn nicht als selbst verantwortlich für die Ereignisse zu diskreditieren" [3]. Die Forderung der wie Christian Herrnbeck dem werkraum bild und sinn angehörenden Alexandra Klei ließe sich angesichts der Verstrickung der Verfassungsschutzämter in die NSU-Affäre und der Abwälzung der politischen Verantwortung für die Tausende im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlinge auf sogenannte Schlepper ohne weiteres an den ganzen Staat und seine Gesellschaft richten.


Projektion RE: GUBEN - Fotos: © 2015 by Alexandra Klei, Christian Herrnbeck

Nächtliches Guben
Fotos: © 2015 by Alexandra Klei, Christian Herrnbeck

Die über 184 Todesopfer rechter Gewalt nach der sogenannten Wende sind Ausdruck einer sozialen Verachtung, die mordende Nazis weitgehend ungehindert gewähren läßt, weil deren stets die Schwächsten dieser Gesellschaft treffenden Taten den neoliberalen Sozialdarwinismus auf die Spitze treiben. Die Notwendigkeit zur Abgrenzung von dieser Gewalt speist sich auch aus der uneingestandenen Verantwortung für ihre Entstehung im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Wo soziale Konkurrenz nach Kräften geschürt und der Klassenantagonismus vertieft wird, um die Menschen gegeneinander auszuspielen und für die herrschenden Verwertungsinteressen verfügbar zu machen, lassen Rassen- und Fremdenhaß nicht lange auf sich warten. Auf Kosten der Arbeit und Ressourcen anderer Bevölkerungen zu leben, ist dem globalisierten Kapitalismus so selbstverständlich wie die Abwehr jener Migrantinnen und Migranten, die mit Europa und der Bundesrepublik den Gipfel des steilen Produktivitätsgefälles zwischen Nord und Süd erklimmen, um dem sich unter ihnen auftuenden Abgrund existentieller Not zu entkommen. Indem das Extrem rassistischer und kulturalistischer Aggression regierungsoffiziell als inakzeptabel verworfen wird, ohne die gesellschaftlichen Voraussetzungen zu verändern, die es befeuern, kann in der politischen Mitte ganz legitim die Ernte nationalistischer und imperialistischer Selbstbehauptung eingefahren werden.


Installation Susanne Fasbender - Foto: © 2015 by Schattenblick

Das Feuer in der Erde lassen ...
Foto: © 2015 by Schattenblick

Noch ein Stockwerk tiefer in dem von 1,20 Meter dickem Beton umfaßten Bauwerk präsentiert die Düsseldorfer Künstlerin Susanne Fasbender das Werk Noli Me Tangere. Ihre aus Videoprojektionen und grafischen Arbeiten bestehende Installation richtet sich gegen die Schändung der Erde durch die rücksichtslose Ausbeutung sogenannter Bodenschätze. Vom Rheinischen Braunkohlerevier, dessen auf mehreren Bildschirmen optisch und akustisch dokumentierte Szenerie vom Einbruch der expansiven Tagebaue Garzweiler und Hambach in die Idylle niederrheinischer Landschaften und Wälder bestimmt wird, ausgehend weitet sich der Blick des Publikums und wird auf den Extraktivismus als destruktive Praxis des fossilen Kapitalismus gerichtet. Susanne Fasbender bezieht eine explizit subjektive Position, die die sachbezogene Distanz bloßer Betrachtung des Geschehens in Frage stellt. Auf bessere Zeiten zu warten oder sich der beschwichtigenden Hoffnung auf grünkapitalistische Lösungen für den fortschreitenden Klimawandel hinzugeben reicht in diesem Stadium der Entwicklung nicht mehr aus. Um die globalen, Klima, Erde, Mensch und Natur betreffenden Zerstörungsprozesse auch nur aufzuhalten, können weder die individuellen Lebens- und Verbrauchspraktiken noch die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse aus der Verantwortung entlassen werden, den erforderlichen Reduktionsziele für Klimagase in aller Konsequenz Rechnung zu tragen.


Drei Beispiele aus den 13 Bildern der Installation - Grafiken: © 2015 by Susanne Fasbender  Drei Beispiele aus den 13 Bildern der Installation - Grafiken: © 2015 by Susanne Fasbender  Drei Beispiele aus den 13 Bildern der Installation - Grafiken: © 2015 by Susanne Fasbender

NOLI ME TANGERE - Schreiben und Malen gegen Extraktivismus
Grafiken: © 2015 by Susanne Fasbender

"Das Ausschlachten des Erdreiches für Rohstoffe durch die extraktive Industrie, um das ein rüchsichtsloser weltweiter Verteilungskampf tobt, wird mit der hier ausgestellten Arbeit auf eine emotionale und subjektive Ebene der Ohnmacht und des Widerstandes zugleich gebracht.
Ein Subjekt, die Erde, eine Person, eine Pflanze, ein Tier, antworten auf die Maßlosigkeit der Zugriffe auf ihren Körper in der Ichform:
NOLI ME TANGERE / RÜHR MICH NICHT AN
Sie beziehen eine Position mithilfe der Handlung in der Schriftzeichnung: Gegenüber der Zerstörung der Natursysteme, gegenüber der Ausbeutung des Schwachen und den Abgründen einer grenzenlosen Entnahme von Leben aus den Schätzen des Erdreiches, das jedoch die Grundlage unserer Lebenserhaltung ist und damit unseres Stoffwechsels mit der Natur." [4]


Beitrag von Oliver Breitenstein im Treppenhaus - Fotos: © 2015 by Schattenblick   Beitrag von Oliver Breitenstein im Treppenhaus - Fotos: © 2015 by Schattenblick

Subversiver Minimalismus
Fotos: © 2015 by Schattenblick

Die Wandflächen des Treppenhauses im Pumpwerk sind dem Münsteraner Künstler Oliver Breitenstein vorbehalten. Dessen von Jürgen Raap vorgestelltes Credo, die die Aufgaben der Kunst seien nicht Warenproduktion und Profitmaximierung, sondern es gehe darum, Erkenntnis zu schaffen zur Weltoptimierung, wird an dieser Stelle als Negation oder auch Verweigerung verlangter Strategien künstlerischer Selbstausbeutung sichtbar. Anstatt eine Materialschlacht zu erleben, die Breitenstein zuletzt in der Kunsthalle in Münster in Form einer labyrinthischen Installation entfachte, muß sich das Publikum mit weißgestrichenen Wänden begnügen. Erst wenn das Treppenhaus ganz durchschritten ist, findet sich in einer Ecke ein mit zwei Streifen Klebeband an die Wand gepinnter Beleg der Kreissparkasse Köln. Ihm ist zu entnehmen, daß der Künstler dem Rhein-Sieg-Kunstverein einen Euro als Ausstellungshonorar überwiesen hat.


Oliver Breitensteins Überweisungsbeleg - Foto: © 2015 by Schattenblick

Prekariat finanziert Kunstbetrieb
Foto: © 2015 by Schattenblick

Wie Raap in seiner Eröffnungsrede erklärt, hat Oliver Breitenstein glaubhaft versichert, daß es sich bei diesem Euro momentan um sein sein ganzes Vermögen handle. Wer opfere schon sein ganzes Vermögen der Kunst, fragt Raap mit nicht geringem Vergnügen ob des subversiven Charakters des Kunstwerks und deutet es als satirische Umkehrung, die die Situation der Künstler gegenüber den Museen auf den Punkt bringe. Vom Schattenblick telefonisch zu seinen Gründen befragt erläutert Breitenstein, daß es sich dabei nicht um einen Angriff auf die Kunsthalle Siegburg handle, sondern er mit seiner Verweigerung den momentanen Status quo des Kunstbetriebs auf die Spitze nehmen wolle, zumal es sich ja um eine Ausstellung für politische Kunst handle. Honorare für Künstler gebe es für das Gros der Kunstschaffenden ohnehin nicht, so daß die Kosten für Arbeitszeit und Material als auch den Transport, der in diesem Fall vom Kunstverein übernommen worden sei, in der Regel auf eigenes Risiko bestritten werden müßten. Da es in den USA bereits üblich sei, daß die Künstler für die Möglichkeit, ihre Werke auszustellen und vielleicht einmal etwas zu verkaufen, bezahlen müßten, und er befürchte, daß diese Praxis auch in die Museen und Galerien der Bundesrepublik Einzug halte, sei er auf die Idee gekommen, diese Entwicklung schon einmal vorwegzunehmen und dem Kunstverein für seine Mühe und als Dankeschön dafür, daß er an der Ausstellung teilnehmen darf, Geld zu überweisen.

Wenn Oliver Breitenstein demnächst seinen analogen Geldautomaten in Siegburg aufbaut, dann werden wohl auch einige der Scheine, die bei der Vernissage für den Künstler gesammelt wurden, sowie das Honorar, das der Kunstverein ihm wiederum für den Erwerb dieses Kunstwerks zahlen will, darauf kleben. Passanten können eigenes Geld einzahlen, indem sie weitere Scheine hinzufügen, oder abheben, indem sie sie wieder abnehmen. Der Künstler hat das Geld bereits mit seinen Post-It-Aktionen, bei denen die Scheine eine Stimme erhielten, seines uniformen Charakters beraubt [5]. Womit wir wieder beim Tauschwert der Geldware wären, den auf diese Weise zu unterwandern nicht die schlechteste Möglichkeit ist, den real existierenden Kapitalismus in seiner destruktiven Zwanghaftigkeit vorzuführen.

Bis zum 31. Juli besteht noch die Möglichkeit, diese ungewöhnliche Ausstellung des Kunstvereins für den Rhein-Sieg-Kreis zu besuchen [6]. Der Schattenblick wird sie an dieser Stelle mit einigen Interviews begleiten, die mit den ausstellenden Künstlerinnen und Künstlern geführt wurden.


Ausstellungsgebäude des Kunstvereins, Flutungsfläche der Sieg - Fotos: © 2015 by Schattenblick   Ausstellungsgebäude des Kunstvereins, Flutungsfläche der Sieg - Fotos: © 2015 by Schattenblick

Pumpwerk am Rande Siegburgs am Flußbett der Sieg
Fotos: © 2015 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] BERICHT/002: "zur nachahmung empfohlen!" - Ausstellungseröffnung in Hamburg (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/kunst/report/kurb0002.html

[2] http://hermann-josef-hack.de/cms/?p=702

[3] Warum Gedenken?
http://www.re-guben.de/?p=501

[4] http://www.susannefasbender.de/noli-me-tangere.html

[5] http://www.popstube.de/gallery-postit.html

[6] http://www.kunstverein-rheinsieg.de/ausstellung/index.html

24. Juni 2015


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