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BERICHT/029: Ausstellungspraktiken in Provinz und Peripherie und neue Formen der Landschaftskunst (SB)


"Sehr am Rande liegt ein Glück" - Kunst zeigen, ohne mit Publikum zu rechnen

Paneldiskussion in der Arthur Boskamp Stiftung, Hohenlockstedt, Schleswig-Holstein, am 16. Juni 2012


Foto: © 2012 by Schattenblick

Künstler und Kuratoren auf dem Podium der Arthur Boskamp Stiftung
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Der scheinbar märchenhafte, doch in seiner Entschlossenheit ernstzunehmende Wunsch zeitgenössischer Künstler, die eigenen Werke nicht nur in den Metropolen auszustellen, sondern auch "am Rande der Stadt" oder "auf dem Land" zu etablieren, dort in einer Gemeinschaft zu leben und zusammen künstlerische Prozesse zu entwickeln, ist von je her als "Auflehnung gegen eine überrationalisierte Welt" zu verstehen gewesen und nicht als Rückzug oder Flucht vor der Gesellschaft, schreibt Gerhard Wietek im Vorwort des 1976 erschienenen Bandes "Deutsche Künstlerkolonien und Künstlerorte".

Einem weitgehend materialistisch bestimmten Denken und Handeln, das sich in Deutschland besonders nach dem Kriege von 1870/71 in den erst jetzt rasant wachsenden Städten zu erkennen gab, sollte das Leben und Schaffen in einer Umgebung entgegengesetzt werden, die zur Selbstbesinnung führte, der Intuition größtmöglichen Spielraum gewährte und deren tatsächliche oder vermeintliche Ursprünglichkeit als wesentliche Voraussetzung künstlerischer wie allgemein menschlicher Freiheit empfunden worden ist.[1]

Künstler und Kulturschaffende, die heute den Weg in die Peripherie wagen, sahen sich in der Großstadt nicht selten dazu veranlasst, die immer größer werdenden metropolen Zwänge administrativen Wirtschaftens zu überdenken und kritisch zu hinterfragen. Im persönlichen Kontakt mit künstlerisch kaum vorgeprägten Menschen versuchen sie, neue Konzepte für eine Kunstvermittlung zu erarbeiten, die zu tieferem Nachdenken anregen soll und sich nicht in rein ästhetischen Ansprüchen verliert. Dabei kann es passieren, dass die oft gesichtslosen Vermarktungsstrategien kultureller Institutionen so konsequent auf den Prüfstand gestellt werden, dass so mancher "white cube" in der Anonymität der Großstadt als steriler Begehungsraum entlarvt wird, in dem die Luft zwar klimatisiert ist, der rebellische Geist künstlerischen Schaffens jedoch kaum mehr atmen kann. Gibt es sie noch, eine Kunst der Peripherie, die heute möglicherweise nicht mehr viel mit dem Befreiungsgedanken der historischen, im Nationalsozialismus grausam veränderten, ländlichen Künstlerkolonien wie Worpswede oder Dangast zu tun hat? Wäre es nicht denkbar, ausgehend von einer Kunstvermittlung, die an der lebendigen Unberechenbarkeit des Publikums ländlicher Gefilde geschliffen und in persönlichem Kontakt mit ihm entwickelt wurde, neue Impulse in die verkarsteten Strukturen der Kulturmetropolen zu setzen? Auf der Paneldiskussion "Sehr am Rande liegt ein Glück" der Arthur Boskamp Stiftung in Hohenlockstedt wurden im Juni 2012 solche und ähnliche Fragen von sechs Experten diskutiert. Drei so erfahrene wie unkonventionelle Kuratoren, die allesamt in erfolgreichen großstädtischen Kunstinstitutionen tätig waren, bevor sie sich den Herausforderungen als künstlerische Leiter provinzieller Einrichtungen stellten, Jan Hoet, Brigitte Kölle und Eva-Maria Stadler, berichteten von ihren Erlebnissen mit Land und Leuten und schilderten konkrete Problemlagen, die sie in der Peripherie zu bewältigen hatten. Zusammen mit dem freischaffenden Künstler Till Krause, Mitbegründer der Galerie für Landschaftskunst in Hamburg, der Aktionen seiner Projektgruppe vorstellte, Michael Bonk, dem diesjährigen künstlerischen Leiter der Stiftung und Initiator der Veranstaltung, und der Kunsttheoretikerin Ines Kleesattel, die die Diskussion moderierte, galt es, die Möglichkeiten professioneller Kunstvermittlung in der Peripherie auszuloten und einem Publikum von circa 50 Besuchern vorzustellen.

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Ines Kleesattel, Eva Maria Stadler, Ulrike Boskamp,
Till Krause, Jan Hoet und Brigitte Kölle (von links)
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Die Arthur Boskamp Stiftung

Der Umgang mit der eigenen Randlage fern der Kunstmetropolen sei von Anfang an das zentrale Thema der Arthur Boskamp Stiftung in Hohenlockstedt gewesen, so Ulrike Boskamp, Kunsthistorikerin aus Berlin und Gründerin der Stiftung, in ihrer Begrüßungsansprache zur Paneldiskussion. 2007 wurde in der ehemaligen Massivbaracke M1 des preußischen Militärlagers Lockstedter Lager der Sitz der Stiftung mit insgesamt 800 qm Ausstellungsfläche und einem Café eröffnet. Die Entscheidung für den Standort sei gefallen, weil das Geld, mit dem das Haus gegründet werden konnte, von Ulrike Boskamps Vater mit seiner pharmazeutischen Firma am Ort erwirtschaftet wurde. Arthur Boskamp, der kunstinteressierte und selbst künstlerisch tätige Unternehmer, hatte hier zuvor eine Galerie für die Laienkunst von Medizinern initiiert, die er testamentarisch weitergeführt sehen wollte. Ulrike Boskamp kam diesem Wunsch in Teilen nach, gründete die Stiftung und revolutionierte das alte Konzept, indem sie das Haus für die national und international anerkannte Kunst öffnete.

Seitdem wird jedes Jahr ein neuer Kurator darin unterstützt, autonom und möglichst unbeeinflusst das Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm zu gestalten. Außerdem werden zwei Förderstipendien an junge Künstler und Künstlerinnen vergeben, die einen Bezug zu Norddeutschland und zur Region haben. Die Stiftung stellt ihnen eine Wohnung, ein Atelier und ein Preisgeld zur Verfügung und gibt ihnen die Möglichkeit, am Jahresende eine eigene Ausstellung in Hohenlockstedt auszurichten, die von einer Publikation begleitet wird. Dass die Aktivitäten in der Arthur Boskamp Stiftung auch von den Bewohnern des Ortes mittlerweile mit Neugier und Interesse aufgenommen werden, liegt nach der Einschätzung der Stiftungsleiterin zu einem großen Teil daran, dass einige Mitarbeiter der Stiftung selbst aus Hohenlockstedt stammen. Dort, wo das Positive der Provinz, die Natur, die Ruhe, bessere Luft, frischeres Essen und enger gestrickte soziale Netze die Stiftung stark machten, sei der Erfolg auch dem festen Team der Stiftung und seinen Verbindungen ins Dorf zu verdanken.


Provinzielle Ausstellungsorte und ihr Publikum

Die Handlungsfreiheit begeistert auch Brigitte Kölle, künstlerische Leiterin der Arthur Boskamp Stiftung von 2011: "Was mich wahnsinnig interessiert hat, war die Struktur dieser Institution, die Möglichkeit für das, was man als künstlerische Leitung an Visionen, Vorstellungen und Wünschen hat, hier eine absolute carte blanche zu haben." Die intensive Arbeitsatmosphäre und die Ruhe zeichneten diesen Ort besonders aus, an dem auch viele gemeinsame Abende und Gespräche mit den Künstlern und dem kleinen, aber sehr effizient arbeitenden Team stattfinden, so Kölle, die zur Zeit die Galerie der Gegenwart in der Hamburger Kunsthalle leitet. Leider sei die Schwellenangst der Bevölkerung vor dem Besuch kleiner Kunstinstitutionen auf dem Land noch sehr hoch, so dass ein kleines Publikum für die engagierten Ausstellungsmacher oftmals frustrierende Tatsache sei. Auch hier gebe es aber Möglichkeiten der Annäherung und der Versuch, Kunst zu vermitteln und verständlich zu machen, indem die Künstler anwesend seien und offen für Gespräche, wecke das Besucherinteresse.

Von der Wichtigkeit des Austauschs zwischen großstädtischen Besuchern und ländlichen Kunsteinrichtungen wusste der Belgier Jan Hoet, ehemaliger Direktor des Kunstmuseums MARTa in Herford, in seinem Vortrag zu berichten. Hoet, der Kunsthistoriker ist und 1992 die Documenta 9 leitete, wies seinerseits darauf hin, dass die Peripherie genauso wichtig sei wie das Zentrum. Wenn man erreichen könne, dass jemand aus Berlin oder Bremen sich die Mühe mache, nach Hohenlockstedt zu fahren, weil er hier Dinge zu Gesicht bekomme, die er in der Stadt nicht sehen könne, oder die das, was in der Stadt ausgestellt wird, komplementierten, könne man vermitteln, dass man auf demselben Niveau denke wie in der Großstadt.

Als Kurator provinzieller Einrichtungen müsse man sich in der Kleinstadt zeigen und Kontakt zur Bevölkerung aufnehmen, sozusagen "Kunde der Stadt" werden. Eine Möglichkeit, das Interesse für Kunst in der breiteren Bevölkerung anzuregen, biete sich auch darüber, Schulen zu besuchen und Kinder und Jugendliche zu begeistern. Ist ein solcher Anfang gemacht, das zeigt das Beispiel MARTa Herford, beantwortet sich auch die leidige Frage des Geldes zumindest zu einem kleinen Teil. Um das MARTa hat sich ein beitragzahlender Freundeskreis mit steigender Mitgliederzahl gebildet, obwohl das Projekt bei den Bürgern der Stadt zunächst umstritten war. Das Museum habe Sponsoren gefunden und es gebe drei große Kunstsammler am Ort, die ihrerseits den Kunstbetrieb förderten. Auf die Frage des Schattenblick nach einer möglichen Okkupation der einmal etablierten Provinzkunst durch Wirtschaftsfirmen antwortete Jan Hoet, dass dies eine große Gefahr darstelle und man sehr gut darauf achten müsse, dass nicht die Unternehmen entscheiden, was gezeigt werde. Die Manager von Banken seien die ersten gewesen, die solche Eingriffe in die Kunst installierten, so dass bestimmte Firmen nicht einmal davor zurückschreckten, während der Documenta das Fridericianum in Kassel mit einer eigenen Werbedrapierung einwickeln zu wollen - in solchen Fällen müsse man frühzeitig gegensteuern.

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Kunsthistoriker und Dokumenta-Leiter Jan Hoet
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Diskurse zeitgenössischer Kunst adäquat vermitteln

Eva Maria Stadlers Kritik an den Marketingmethoden des Kunstbetriebs setzt an anderer Stelle an. Stadler, die zuvor als Kuratorin am Belvedere für zeitgenössische Kunst in Wien tätig war und auch den Grazer Kunstverein leitete, ist seit Anfang 2012 Kuratorin der Stadtgalerie im österreichischen Schwaz. Für sie sei zentral, wie sich strukturelle Bedingungen verschieden großer und an unterschiedlichen Orten gelegener Einrichtungen auf die Kunstproduktion auswirkten, so Stadler. In ihrem Plädoyer für die Region gehe sie sogar so weit, dass die Arbeit in den Provinzen eine sehr wichtige Grundvoraussetzung bilde, die in den Zentren ein wenig vergessen werde. Eine Erfahrung, die Stadler in Graz und neuerdings auch in Schwaz gemacht habe, sei, dass man es hier mit Besuchern zu tun habe, die nicht vorrangig aus dem Kunstfeld kämen. Es gäbe keine großen Akademien und keine große Galerie- oder Kunstszene, was bedeute, dass eine Bindung zum Publikum auf andere Weise hergestellt werden müsse.

Größere Strukturen seien hingegen oft so organisiert, dass man das Publikum kaum mehr unmittelbar erreichen könne. Viele Abteilungen seien dazwischen geschaltet, wie zum Beispiel die Öffentlichkeitsarbeit und eine Marketingabteilung. Gerade bei der Vermittlung zeitgenössischer Kunst sei es kompliziert, diese Abteilungen miteinander zu koordinieren, da diese Kunst oft vor Ort entstehe und Werbeinfos zur frühzeitigen Veröffentlichung kaum produzierbar seien. Häufig sei es erst in der Atmosphäre eines Kunstvereins möglich, eine enge Zusammenarbeit zwischen Besuchern und künstlerischer Produktion herzustellen, wodurch sich ein Publikum im buchstäblichen Sinne des Wortes "bilden" ließe. Dieses verfüge dann über Wissen und Kommunikationsformen, die es in der Auseinandersetzung mit Kunst auch in Gebrauch nehmen könne.

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Eva Maria Stadler, Leiterin der Stadtgalerie Schwaz
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Die Gelegenheit, Eva Maria Stadler zu den politischen Dimensionen aktueller Kunstvermittlung zu befragen, nutzte der Schattenblick beim abendlichen Zusammensein nach der Paneldiskussion:

Schattenblick: Frau Stadler, Sie sagten in Ihrem Podiumsvortrag, dass man sich über Kunst mit gesellschaftskritischen Fragen auseinandersetzen könne und für Sie schon in der Vermarktung von Kunstproduktionen politische Aspekte zum Tragen kommen. Welche sind das?

Eva Maria Stadler: Ich denke, dass Kunstinstitutionen mehr und mehr in die Position von Werbemaschinen gedrängt werden. Es geht darum, bestmögliche Quoten zu erreichen, und der status quo ist, dass jedes Museum über eine Marketingabteilung verfügt, deren Bedeutung überproportional ist. Das halte ich aber nicht für richtig, denn meiner Meinung nach kann es nicht darum gehen, für Kunst Werbung zu machen wie für ein Auto. Kunst hat einen ganz anderen gesellschaftlichen und politischen Stellenwert, da geht es um die Kompetenz, Dinge zu hinterfragen, kritisch zu denken, zu differenzieren, ästhetische Wahrnehmung zu überprüfen, in Frage zu stellen oder neu zu formulieren. Das halte ich für eine Grundausstattung, die zum Bildungsgut gehört. Dieses Bildungsgut ist nicht nur dazu da, Menschen zu kultivierten Bürgern zu machen, sondern sie zu mündigen Entscheidungen zu befähigen. Genau dieses Anliegen ist aber massiv im Rückbau begriffen. In den Schulen wird die Vermittlung dieser Fähigkeiten immer mehr zurückgefahren, beziehungsweise mit Kunst auch gar nicht so sehr in Verbindung gebracht. Kunst betrifft viel mehr die Idee des Schöpferischen, Kreativen. Und das, was unter Kreativität firmiert, wird nicht zu Unrecht als Vereinnahmungsstrategie, bis hin zu Kreativität als Instrument der Gentrifizierung, betrachtet. Nicht selten lässt man die sogenannten Kreativen in prekären Arbeitsverhältnissen produzieren, die dann plötzlich ganze Stadtviertel voranbringen sollen. Ich finde es nach wie vor extrem wichtig, dass die Politik Kunst aus ganz anderen Gründen als denen bloßer Standortbewerbung fördert, weil man durch Kunst Kompetenz ausarbeiten kann. Deshalb gibt es eine politische Haltung, die wir einfordern müssen. Wir müssen diese Verlängerung des Gängelns durch die Kulturindustrie einfach zurückweisen.

SB: Ist die Tatsache, dass dieses Vorgehen immer stärker zu Tage tritt und zum Beispiel in der Politik schon gar nicht mehr hinterfragt wird, möglicherweise auch darin begründet, dass eine Mündigkeit der Menschen gar nicht gewollt ist? Könnten Sie sich das vorstellen?

EMS: Nein. Das würde ich niemandem unterstellen. Das Problem ist viel mehr, dass die Komplexität dieser Frage nicht erkannt wird, sondern einfach nur in dieser Kreativitätsschiene gedacht wird. Das ist auch eine Entwicklung, an der wir als Kunstschaffende selbst beteiligt sind, weil wir diese Diskurse geschrieben haben. Die Diskurse des 20. Jahrhunderts beziehen sich auf die Autonomie der Kunst, auf einen spezifischen Freiheitsbegriff, der damit in Verbindung gebracht wird, und auf den Begriff der Kreativität - das sind Werte, die hier verhandelt wurden und mittlerweile in der Politik angekommen sind. Dass diese Vorstellungen und Ideen nicht ungebrochen fortgeschrieben werden können, erkennt die Politik noch nicht. Hier ist es wiederum unsere Aufgabe, sie mit den aktuellen Fragestellungen und Anforderungen der künstlerischen Produktion zu konfrontieren. Insofern können wir das nicht einfach nur verlangen, sondern müssen es aktiv antreiben.

SB: Kann man Kunst konsumieren?

EMS: Das will ich nicht ausschließen. Natürlich kann ich Kunst auf einer gewissen Ebene konsumieren, einen Museumsbesuch ganz einfach genießen und mir Sachen anschauen. Ich denke nur, dass wir als Kulturprouzenten darüber hinaus etwas wollen müssen. Dieser Mehrwert kann ja schließlich auch konsumiert werden. Das Problem ist, dass man sagt, ich schaffe es nur, eine Ausstellung zu machen, die von einem großen Publikum besucht wird, wenn ich leicht verdauliche Sachen oder große Namen zeige. Das ist ein Missverständnis. Natürlich gibt es gute Projekte und Häuser, die auch mit großen Namen gute Ausstellungen machen, man darf das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Aber die Tendenz, dass falsch gewichtet wird, dass undifferenzierte und populistische Blockbuster die Ausstellungsprogramme bestimmen, ist immer noch gegeben. Dem gegenüber müssen wir uns viel kritischer äußern, als wir es bislang tun.


Landschaftskunst als befreiender Gegenentwurf zu industrieller Zweckmäßigkeit

Der Landschaftskünstler Till Krause erläuterte während seines Podiumvortrags die von den Künstlern der Galerie für Landschaftskunst betriebene Praxis. Die freischaffenden Visionäre wollen sich dem üblichen Rhythmus des Kunstbetriebes, der sich nur allzu oft auf den Kreislauf von Budget sammeln, Kunst schaffen und Werke ausstellen beschränkt, entziehen. In verhältnismäßiger Autonomie werde ein Bereich abgesteckt, in dem das Arbeiten an Kunst an der Eigenmächtigkeit der jeweiligen künstlerischen Idee bleibe und ihre Eigenlogik bis ins Extrem verfolge. Völlig unabhängig von Parametern des Ausstellens, also auch von der Publikumsfrage, versuche man, ein Arbeitsforum aufrecht zu erhalten, indem an einigen Werken bereits seit teilweise zehn Jahren oder länger gearbeitet werde. So seien die Künstler der Galerie für Landschaftskunst über ihre Arbeiten an verschiedensten "peripheren", aber auch "zentral" gelegenen Orten der Welt tätig und miteinander vernetzt.

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Das 'Land für fünf finale Handlungen' am Emscherufer im Ruhrgebiet
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Aus dem großen Misstrauen gegenüber Festschreibungen wie "Zentrum" und "Peripherie" sei der Gedanke entwickelt worden, dass künstlerische Ideen, genau wie das menschliche Handeln, an jedem Punkt der Welt ansetzen könnten und von dort aus zur Entfaltung gelangten, ohne, dass sie durch die "apriori Orientierung" an ein Zentrum in ihrer Entwicklung gehindert würden, so Krause weiter. Als Beispiele der so vom üblichen Kunstbetrieb weitgehend autonom bleibenden Vorgehensweisen der Galerie für Landschaftskunst lassen sich die neuen Projekte "Land für fünf finale Handlungen" und "www.illegalevecht.de" umreißen.

Für die Gruppenausstellung Emscherkunst 2013 werden sich die Künstler ein brachliegendes Landstück in der von stillgelegter Kohle- und Stahlindustrie geprägten Umgebung des Emscherufers aneignen, das mit Hilfe der Emschergenossenschaft "für immer und ewig" in ihren Besitz übergeht. Die zwischen mehreren alten Eichen gelegenen Wiesen am Deich des momentan vielleicht noch verschmutztesten Flusses der Welt werden mit einer nicht unmittelbar verständlichen Ausrichtung und einem rätselhaften Titel versehen. Was auch immer das "Land für fünf finale Handlungen" sein wird, müssten auch die Künstler im Laufe der Zeit noch herausfinden, so Till Krause augenzwinkernd. Definitiv würden dort nach und nach "Handlungen" einfach "passieren", die für das Land prägend seien und die man von jetzt an, möglicherweise bis an das Lebensende der Künstler, intensivst beobachten werde. Die Geschehnisse, die dort von statten gingen, würden zum Gegenstand einer neuen Bestimmung von Land gemacht, die jenseits der gewohnten landwirtschaftlichen oder industriellen Funktionen liegen, die unser Land sonst besetzen.

Im Anschluss an seinen Vortrag über Kunst an der Peripherie fragte der Schattenblick Till Krause nach den ökologischen Beweggründen, die einer künstlerischen Beschäftigung mit Industriebrachen und der Verteilung kryptischer Landmarken, wie zum Beispiel einem Emailleschild mit der Aufschrift "www.illegalevecht.de"[2], in der Öffentlichkeit vorausgehen:

Schattenblick: Herr Krause, funktioniert der Aufruf, den Sie mit "www.illegalevecht.de" gestartet haben, nur über das Internet oder stehen diese Schilder wirklich am Ufer der Vechte?

Till Krause: Ich habe ein einziges Schild auf die Website gesetzt, aber am Vechteufer gibt es an allen Kreuzungspunkten so ein Schild, manchmal sehr verborgen, weil die Schilder sehr klein sind. Den direkten Aufruf zur Beteiligung gibt es nur auf der Website und nicht in der Öffentlichkeit. Hier liest man allein dieses rätselhafte Wort, das mit der Webadresse verbunden immer entlang des Flusslaufes zu finden ist.

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Landschaftskünstler Till Krause im Gepräch mit SB-Redakteurin
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SB: Um mehr über das Projekt zu erfahren oder um sich selbst daran beteiligen zu können, muss man also aktiv werden?

TK: Ja, man muss neugierig darauf sein, was es bedeutet. Erstmal muss man es entdecken, dann muss man im Internet nachgucken und dann muss man reagieren. Ab und zu reagieren tatsächlich sehr interessante Leute. Demnächst wird ein aufregendes Projekt mit einem Politiker entstehen, der eine besondere Aktion durchführt.

SB: Können Sie dieses Vorhaben einmal näher umreißen oder ist die Aktion noch geheim?

TK: Ich habe versprochen, vorher nichts zu erwähnen, weil es Randbereiche dessen berührt, was ein Politiker darf oder nicht darf. Es gibt noch ein anderes Projekt mit einer Düne, das schon andeutungsweise auf der Webseite dargestellt ist, haben Sie das auch gesehen?

SB: Ja, das Bild, auf dem mehrere Bäume aus einem Sandberg ragen?

TK: Genau. Hier in Norddeutschland stammen die Fluss-Systeme im Binnenland oft aus den Eiszeiten. In der Nähe dieser Flüsse gibt es noch eiszeitliche Sanddünen, die meist bis ins 19. Jahrhundert hinein noch Wanderdünen waren und eine Plage für die Bauern darstellten, weshalb man sie irgendwann befestigt hat. Ich weiß nicht, ob es so etwas hier in der Nähe von Hohenlockstedt gibt, aber am Rande von Hamburg, zum Beispiel, sind wunderschöne weiße Sanddünengebiete, die jedoch alle mit Kiefern und Büschen befestigt sind. Diese künstliche Befestigung, die im Grunde aus dem 19. Jahrhundert stammt, empfinden wir heute als freie Natur, die sogar unter Naturschutz gestellt wird. In diesen tollen Gebieten hat man teilweise noch eine Vegetation, die inselartig, nacheiszeitlich ist und die sonst nirgendwo mehr zu finden ist. Nun gibt es eine Gruppe, die sich anonym "Die drei Landwirtserben" nennt und sich vorgenommen hat, wieder eine Wanderdüne frei zu setzen. Ob das so funktionieren wird und wie es wirklich funktioniert, ist noch unklar.

SB: Machen Sie durch diese Aktionen auf historische Veränderungen in der Landschaft aufmerksam?

TK: In manchen Fällen sehr explizit, in anderen nur subtil, ja.

SB: Steht dahinter auch ein ökologischer Gedanke in Form eines Hinweises an die Menschen, die diese Aktionen sehen? Ist das Kunst?

TK: Das ist eine gute Frage, denn über einige der Projekte stehen wir mit ökologisch sehr engagierten Menschen in Kontakt, weil wir oft mit Naturwissenschaftlern arbeiten. Mich interessiert dabei, die Grundregeln, nach denen unsere Gesellschaft funktioniert und unsere Landschaft gebaut und orientiert ist, zu beobachten, zu verstehen, sie aber auch in Frage zu stellen. Wenn man über die Befestigung der Dünen nachdenkt, ist auch das eine kulturelle Konstruktion, die ein anderes Bild von Landschaft verursacht, das überhaupt nichts Bewegliches mehr hat. Wenn man überlegt, dass es früher viel mehr Bewegung zwischen Ebbe und Flut oder auf überflutetem Land gegeben hat, ist das eine völlig andere und schöne Vorstellung, weil sie viel reicher, aber eben auch unberechenbarer ist. Als Künstler fasziniert mich allein schon diese unglaubliche Dynamik, ich muss das gar nicht als Ökologe denken, und in diesem Fall interessiert mich die Frechheit, dass da Leute wieder eine Wanderdüne freisetzen, obwohl dieser Bereich heute so sehr reglementiert ist, dass niemand mehr überhaupt auf diesen Gedanken käme. Hier wird ein Bruch vollzogen, den ich auch als ästhetischen Akt total interessant finde. Hinzu kommt natürlich ein ökologisches Bewusstsein, das aber gar keine Rolle spielen muss, denn mich interessiert eigentlich das Freidenkerische. Unsere Landschafts- und Lebensräume sind enge Muster, in denen wir stecken, und die Landschaft ist so stark nach ihrer landwirtschaftlichen Nutzung, nach ihrer Bewegung für Elektrizität, für Verkehr und so weiter geregelt, dass wir uns nur in ganz bestimmten Bahnen bewegen, die hier aufgebrochen werden.

SB: Möchten Sie damit einen Denkanstoß geben, den jeder auch auf sein eigenes Leben anwenden kann? Denn wir treffen ja nicht nur in der Landschaft auf diese Art künstlich angelegter Fremdbestimmung.

TK: Ich glaube, ich möchte vieles auf einmal. Natürlich fürchte ich mich als Künstler immer davor, das offen zu bekennen, um nicht in eine belehrende Funktion zu geraten. Selbstverständlich freut es einen, wenn man in einem interessanten, kribbelnden Gedankenaustausch steht und sich mit anderen gemeinschaftlich um Dinge bemüht. Mir kommt es jedoch nicht auf den erhobenen Zeigefinger an oder darauf zu sagen, da müsst ihr mal alle hingucken, sondern eigentlich auf die Handlungen von Menschen, die an solchen Regeln rütteln und sie vielleicht durch ihre Handlungen verdrehen, das finde ich phänomenal. Das Projekt "illegalevecht" zum Beispiel versucht Gedanken genau in diese Richtung mitanzustoßen, langsam, denn es ist über viele Jahre geplant - aber eben auch Impulse mitzubekommen, die von den Leuten kommen, die sich beteiligen.

SB: Von Leuten, die keine Künstler sind?

TK: Auch Künstler, aber die interessanteren Dinge sind meistens von Nicht-Künstlern. Wenn das Wort "www.illegalevecht.de" da irgendwo steht, extra in Emaille, damit es ganz offiziell aussieht, ist es ja nicht so, dass die Leute, die es lesen, erst durch das Schild auf etwas kommen, sondern meistens haben sie schon irgendetwas im Kopf.

SB: Wird euer Projekt mit Geld unterstützt?

TK: Ja, dieses Projekt ist im Rahmen eines Kunstprojekts der städtischen Galerie Nordhorn entstanden, wo Kunstwerke initiiert wurden, die sich mit planerischen Aspekten aus der Region auseinandersetzen sollten. Das hat aber irgendwann kaum mehr stattgefunden, weil die Künstler es zu einem großen Teil in eine andere Richtung gedreht haben, so dass sich das Projekt nicht mehr so sehr mit den planerischen Prozessen verknüpft hat. Letztendlich sind wieder Kunstwerke aus einer anderen Warte oder aus einer Distanz entstanden. Der niederländische Künstler Arnoud Hollemann und ich waren eingeladen, etwas außerhalb der Reihe zu machen, nicht nur für ein bestimmtes Gebiet, sondern für die ganze Vechte, die auch auf holländischem Gebiet fließt. Wir hatten total freie Hand und haben uns dann überlegt, diesen ungebändigten Impuls im Zusammenspiel mit planerischen Prozessen auszuweiten aus Neugierde, was alles an Ideen vorhanden ist. Und damit meinen wir eben nicht, dass wir nur selbst anregen oder aufmerksam machen, sondern genauso auf etwas aufmerksam gemacht werden, und ein Feld des Austausches mit merkwürdigen, guten Ideen geschaffen wird.


Handlung und Kunst

Mit der Paneldiskussion "Sehr am Rande liegt ein Glück" im Hause der Arthur Boskamp Stiftung wurde dem Publikum der Akt künstlerischen Schaffens in Provinz und Peripherie als autonome und von jedem aufnehmbare Möglichkeit nahe gebracht, neue Perspektiven auf unsere unmittelbare Umgebung zu suchen und sich mit der scheinbaren Ausweglosigkeit unserer fest abgesteckten Alltagsgewohnheiten auseinanderzusetzen. Der Ansatz, die vorherrschenden Verhältnisse, wie im Falle der Wanderdüne, zu umgehen, indem an die Ästhetik vorindustrieller Zustände gemahnt wird, scheint in der Konsequenz allerdings nicht weitreichend genug zu sein, solange sie die Freisetzung zerstörerischer Naturgewalten im Kleinen romantisiert, um sich dann mit dem verklärten Gedanken an eine Flucht ins Chaos zufrieden zu geben.

Das Vorhaben, gerade dort zeitgenössische Kunst zu vermitteln, wo das Wissen um den Selbstzweck von Kunst kein alltägliches ist und Sinn und Nutzen künstlerischer Fragstellungen vielleicht zunächst als ergebnislos abgetan werden, erweist sich auch heute als unverzichtbare Chance, mit einer gesellschaftlichen Verfasstheit in Streit zu treten, die unsere persönliche Entwicklung in Richtungen lenkt, die wir nicht wollen. Für den Beginn solcher Umbrüche ist die Größe des Publikums wahrlich irrelevant.


Anmerkungen:
[1] Gerhard Wietek (Hg.): Deutsche Künstlerkolonien und Künstlerorte. München 1976, S. 6

[2] Webseite des illegalevecht-Projekts: www.illegalevecht.de Webseite der Galerie für Landschaftskunst: www.gflk.de

Foto: © 2012 by Schattenblick

Die Arthur Boskamp Stiftung
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17. September 2012