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BERICHT/014: Gefesselte Kunst - Integration verschlingt Rebellion (SB)


Projektarbeit in Widerspruchslagen an sozialen Brennpunkten

Workshop am 9. Februar 2012 in Berlin



Was Jugendliche in einem palästinensischen Flüchtlingslager mit ihren Altersgenossen in einem Dubliner Arbeiterviertel gemeinsam haben, ist eine Existenz unter Ausschluß von gesellschaftlichem Reichtum und der Prädominanz sozialer wie kultureller Ausgrenzung. Künstlerisches Engagement, das sich in solche konfliktträchtigen Zonen wagt, steht am Scheideweg: Ein Auftrag, das Aufbegehren gegen die unerträglichen Verhältnisse zu unterstützen und widerständigen Geist zu fördern, wird weder erteilt noch finanziert. Das Gegenteil ist der Fall, alimentieren staatliche Geldgeber und strukturell eingebundene Organisationen doch Zielsetzungen, die sich im Konzept der Integration zusammenfassen lassen. Werden Menschen als "benachteiligt", "randständig" und "Risikogruppen" oder "Risikozonen" zugehörig stigmatisiert, verkehrt man Unterdrückung, Ausbeutung und Marginalisierung in einen persönlichen Makel, den es allenfalls sozialtechnokratisch zu handhaben gilt. Das für gewöhnlich positiv konnotierte Konzept, Konflikte durch integrative Intervention zu befrieden, ergänzt konfrontative und offen repressive Zwangsmaßnahmen um weiche Komponenten der Zügelung unter aktiver Beteiligung der jeweiligen Zielgruppen. Künstlerinnen und Künstler, deren Projekte im Übergangsfeld zur klassischen Sozialarbeit angesiedelt sind, können nicht umhin, sich der Frage zu stellen, inwiefern ihre eigene Position und Tätigkeit über die Grenzen hinausweist, die letztere im gesellschaftlichen Kontext zieht.

Im Rahmen der Konferenz "radius of art" berichteten und diskutierten Alia Rayyan und Fiona Whelan unter Moderation der Künstlerin Susanne Bosch über ihre Projektarbeit an sozialen Brennpunkten. Der Workshop stand unter dem Titel "Practice as way to experience life: Artists engage in critical discussion about the primary issues that face their socially engaged practices" und sollte mithin die Rolle und Verantwortung von Künstlerinnen und Künstlern im Kontext der Widerspruchslage zwischen Geldgebern, Projektleitern, Teilnehmern und deren sozialem Umfeld thematisieren.

Alia Rayyan - Foto: © 2012 by Schattenblick

Alia Rayyan
Foto: © 2012 by Schattenblick

Alia Rayyan hat internationale Politik mit Schwerpunkt Nahost, Soziologie und Kunstgeschichte studiert und war in Berlin, Beirut, Dubai, Amman und Ramallah tätig. Seit 2006 lebt und arbeitet sie in Palästina, wo sie verschiedene Projekte für internationale Institute und Stiftungen wie die Heinrich-Böll-Stiftung, UNESCO und GIZ, aber auch lokale Partner wie die Stadt Ramallah, das Khalil Sakakini Culture Center oder die International Academy of Art durchgeführt hat. Mit ihrer Expertise für kollektive Erinnerung unterstützte sie 2011 das "Palestinian Memory Documentation Project - Talbyeh" in Jordanien als Beraterin und Filmemacherin.

Wie Alia Rayyan ausführte, haben die Menschen in der komplexen palästinensischen Gesellschaft - die 1948 von Vertreibung heimgesucht war, seit 1967 in Teilen in den besetzten Gebieten und nach wie vor in zahlreichen Flüchtlingslagern in verschiedenen Ländern sowie in der Diaspora in Europa und den USA lebt -, unterschiedliche und fragmentierte Identitäten. Bis heute existiert kein allen Palästinensern gemeinsames Forum, in dessen Rahmen die unterschiedlichen Positionen zum Ausdruck gebracht und diskutiert werden könnten. Die Projektarbeit im Flüchtlingslager Talbyeh in Jordanien stelle vor diesem Hintergrund einen Ansatz dar, die Frage der Identität aufzuwerfen und in ihren vielfältigen Aspekten zu vertiefen. Bei der Umsetzung dieses Vorhabens war unter anderem das Problem zu lösen, die Ausbilder aus Ramallah ins Flüchtlingslager zu bringen, was in der Anfangszeit nur einmal die Woche möglich war. Sie mußten dazu das Nadelöhr der Brücke über den Jordan passieren, was aufgrund drangsalierender Kontrollen von israelischer Seite jedesmal mit einem beträchtlichen Aufwand an Zeit und Nervenkraft verbunden war. Da es sich um ein längerfristiges Projekt handelte, galt es, auch die zeit- und terminlichen zeitlichen Möglichkeiten der Teilnehmer, die zwischen 15 und 35 Jahre alt waren, unter einen Hut zu bringen, um die Zusammenarbeit in das alltägliche Leben zu integrieren. Die Kooperation zwischen den Ausbildern aus dem Westjordanland und den Teilnehmern aus dem Flüchtlingslager habe sich unterdessen als fruchtbar erwiesen und bei allen Beteiligten dazu geführt, Auffassungen zu überdenken und weiterzuentwickeln, womit bereits eines der wichtigsten Ziele des Projekts genannt sei.

Nach der ersten Phase wurde eine Ausstellung im Lager organisiert, wofür vordem nicht vorhandener öffentlicher Raum erst einmal geschaffen werden mußte. Auf diesen ersten Höhepunkt des Projekts folgte eine Auswahl, da von den ursprünglich 50 Teilnehmern nur etwa die Hälfte in die intensive Ausbildung des Filmemachens einbezogen werden konnte. Am Ende dieser Schulung waren die Teilnehmer dann in der Lage, ihre eigenen Filme zu drehen. Diese Ausbildung bot die Möglichkeit, sich über die jeweils Neigungen und Talente klarzuwerden. Anfangs wollten alle Regie führen, doch im Laufe der Arbeit nahmen auch andere Aspekte wie Ton oder Produktion Konturen an, so daß nach Ablauf eines Jahres kleine funktionsfähige Teams gebildet werden konnten. Wenn das Projekt demnächst endet, seien diese Teams in der Lage, die Arbeit fortzusetzen, so Alia Rayyan. Es sei im Rahmen dieser Projektarbeit sehr wichtig, Kontinuität zu gewährleisten. Die Teilnehmer haben weiterhin Zugang zur Ausrüstung, die im Frauenzentrum des Lagers, das zu den Partnern des Projekts gehört, aufbewahrt wird, so daß es ihnen möglich ist, auch künftig Filme zu produzieren.

Einige der auf diese Weise produzierten Filme werden auf Festivals wie beispielsweise in Chicago gezeigt, was die erreichte Qualität unterstreicht. Manche Teilnehmer entschlossen sich dazu, ihre berufliche Tätigkeit auf Grundlage der im Projekt erworbenen Kompetenz neu auszurichten. Nach Abschluß der ursprünglich geplanten Projektphase, die Ende März erreicht sein dürfte, soll die Zusammenarbeit auf einer höheren Ebene fortgesetzt werden. An der Grenze zwischen Jordanien und Syrien befindet sich ein neues Lager mit syrischen Flüchtlingen, in dem die Teilnehmer des ursprünglichen Projekts ihrerseits als Ausbilder tätig werden sollen. Auf diese Weise kann eine Brücke zwischen verschiedenen Flüchtlingslagern geschlagen werden.

Abschließend illustrierte Alia Rayyan die Ergebnisse der Projektarbeit anhand einiger Fotos aus dem digitalen Workshop, die Eindrücke aus dem Flüchtlingslager Talbyeh vermitteln und zugleich die besondere Qualität der Arbeiten hervorheben. Zu sehen ist beispielsweise ein Flugzeug, da sich das Lager in der Nähe eines Flughafens befindet und alle zehn Minuten eine Maschine über das Areal hinwegdonnert. Ein kurzer und höchst unterhaltsamer Animationsfilm, den die Teilnehmer produziert haben, zeigt einen Trupp von Vorhängeschlössern, die teils im stampfenden Gleichschritt als Sicherheitskräfte aufmarschieren, in Einzelfällen aber auch ausbrechen und sich aller daraus resultierenden Drangsalierung zum Trotz weiterhin rebellisch zeigen und damit andere inspirieren, sich ihnen anzuschließen.

Fiona Whelan - Foto: © 2012 by Schattenblick

Fiona Whelan
Foto: © 2012 by Schattenblick

Fiona Whelan hat einen Abschluß in den schönen Künsten am National College of Art and Design (NCAD) in Dublin und in Kunst im öffentlichen Raum der University of Ulster. Sie arbeitet seit acht Jahren in Rialto, einem traditionellen Arbeiterviertel der irischen Hauptstadt Dublin, als Künstlerin in einem kommunalen Projekt mit Jugendlichen. In ihrer Tätigkeit befaßt sie sich insbesondere mit Fragen von Macht und Kompetenz und hat sich in den letzten Jahren auf die Beziehungen zwischen jungen Leuten und der Polizei konzentriert. Sie arbeitet im Kollektiv "What's the Story" und hat im Museum of Modern Art (IMMA) und in The LAB in Dublin sowie international beim Festival NEU/NOW in Vilnius ausgestellt. Zudem unterrichtet und koordiniert sie im Postgraduiertenstudium der NCDA.

Die Referentin, die in Dublin lebt und arbeitet, berichtete über ihre Praxis während der letzten acht Jahre. Das politische Klima in der Republik Irland sei feindselig gegenüber Jugendlichen, woraus diverse Konflikte mit staatlichen Stellen resultierten. Polizei und Medien arbeiteten zusammen, um junge Leute vor allem aus der Arbeiterklasse zu unterdrücken, denen kaum Zugang zum öffentlichen Raum gewährt wird und die man ständig unter Beobachtung stellt. Fiona Whelan engagiert sich in einem der traditionellen Arbeiterviertel der Hauptstadt in einem kommunalen Jugendprojekt, das der Arbeit mit jungen Leuten aus sogenannten Risikozonen gewidmet ist. Die Teilnahme ist im Unterschied zu gerichtlich verfügten Kursen freiwillig. Die Projektleiterin wurde nicht eingestellt, um ein vorab festgelegtes Vorhaben umzusetzen, sondern hatte die Möglichkeit, dort als Künstlerin tätig zu werden und verschiedene Möglichkeiten des Engagements zu prüfen und zu entwickeln.

Fiona Whelan, die aus einer Mittelschichtsfamilie in Dublin stammt, konfrontierte sich mit der sozialen Realität marginalisierter Jugendlicher. Sie fühlte sich verantwortlich, diesen Kontakt mit einer anderen Lebenswirklichkeit in seiner Bedeutung für sich selbst wie auch für alle Beteiligten zu klären. Mit ausgebildeten Sozialarbeitern arbeitet sie dabei in einem Kollektiv zusammen, dessen verbindende Interessen Kunst, die Frage der Machtverhältnisse und der Wunsch, die persönliche Geschichte zu teilen, seien. Keiner der Beteiligten habe das ursprünglich so geplant, doch sei diese Form der Zusammenarbeit im Laufe der Jahre aus sich selbst heraus gewachsen. Es liegt auf der Hand, daß bei der Zusammenarbeit mit Jugendlichen zahlreiche Widersprüche auftreten: Auf der einen Seite die Künstlerin, die ihren Lebensunterhalt damit bestreitet, mit Ausgegrenzten zu arbeiten. Auf der anderen die Jugendlichen, die in der Konfrontation mit den existierenden Machtverhältnissen nicht selten hohe Risiken eingehen.

Nachdem man lange über derartige Fragen diskutiert habe, sei man zu dem Schluß gekommen, die persönlichen Geschichten der Teilnehmer zum Inhalt des Projekts zu machen. Diese Geschichten waren anonymisiert - nur Fiona Whelan wußte, von wem sie jeweils stammten. Alle Entscheidungen seien im Kollektiv getroffen worden, was dazu geführt habe, die Positionen anderer zu respektieren. Diese Sammlung wurde zunächst einem privaten Publikum vorgestellt und dann in behutsamen Schritten an die Öffentlichkeit gebracht. Daraus resultierte die zentrale Frage, wen man eigentlich mit solchen Veranstaltungen ansprechen möchte. Wie Fiona Whelan betonte, habe man bei diesem Projekt insbesondere zuzuhören gelernt, was sie für die wichtigste Kompetenz ihrer Arbeit hält. Welchen Sinn mache es zu reden, wenn sich niemand dafür verantwortlich fühlt zuzuhören?

Zu den wichtigsten Themen der Jugendlichen zählten ihre Erfahrungen und Auseinandersetzungen mit der Polizei. Bei der zweiten Veranstaltung wurde im Museum für Moderne Kunst eine Lesung abgehalten, bei der Polizisten die Lebensberichte der Jugendlichen vor einem Publikum junger Leute vortrugen. In monatelangen Verhandlungen mit dem Superintendenten der Polizei waren zuvor die Bedingungen und Umstände dieser Präsentation ausgehandelt worden. Für die Projektleiter sei es nicht nur darum gegangen, den authentischen Stimmen junger Menschen Gehör zu verschaffen, sondern auch ihre soziale Lebenswirklichkeit zur Sprache zu bringen und mögliche Veränderungen zu thematisieren.

Eine weitere Modifikation der Projektarbeit mündete in eine sechswöchige Ausstellung in einer Galerie, die Resultat diverser Workshops über die Beziehungen zwischen den Jugendlichen und der Polizei war. Diese Workshops mit recht unterschiedlichen Teilnehmerkreisen wie Polizisten, Jugendliche, Künstler, Studenten und Sozialarbeiter wurden von den Medien teils verteufelt, teils aber auch mit zugewandtem Interesse aufgegriffen. Dieselbe Gruppe von Polizisten nahm zudem an einem zweitägigen intensiven Dialog teil, bei dem sie den Jugendlichen auf Augenhöhe begegneten, die gleichermaßen an der Diskussion teilnahmen. Dabei sei es auf beiden Seiten zu einer gewissen Nachdenklichkeit und einer humaneren Sichtweise der jeweils anderen Gruppe gekommen. Aus diesen Workshops resultierten regelmäßige Begegnungen zwischen hochrangigen Polizisten, Jugendlichen und Projektleitern in der Galerie. Dabei wurden gemeinsam zwei Ausbildungsmodule für die Polizeiarbeit auf der Straße entwickelt, in denen Verständnis für die Anliegen und Verhaltensweisen der Jugendlichen wie auch deren soziales Umfeld gefördert werden sollten. Auf der persönlichen Ebene vieler Beteiligter habe sich einiges verändert, doch dürfe man die Tragweite der Resultate nicht übertrieben rosig sehen, warnte Fiona Whelan.

Die Beziehungen zwischen dem Polizeiteam und den Jugendlichen gründeten auf gegenseitigem Respekt und Vertrauen, die sich im Laufe der Jahre entwickelten, so die Referentin. Um die erforderlichen Arbeitsvoraussetzungen zu schaffen und die Projektarbeit fortzusetzen, bedurfte es zahlloser Verhandlungen, da es nie eine langlebige Förderung gab. Während die Stadtverwaltung durchaus in langfristigen Zeiträumen agiere, finde das keinen Niederschlag in einer ebensolchen finanziellen Gewährleistung des Projekts. Für Fiona Whelan war das aus einer Reihe von Gründen sehr interessant. Die Kunst sei traditionell auf eine individuelle Förderung und Entwicklung fixiert, während sie eine persönliche Entwicklung in kollektiven Lernprozessen weithin ausblende. Bei der Projektarbeit, die der gemeinsamen Planung und Umsetzung den höchsten Rang einräumte, seien in einem langen Prozeß Mißverständnisse und Fehleinschätzungen korrigiert worden, sowohl in der Herangehensweise als auch im Umgang mit den Jugendlichen. Daraus resultierte eine Entwicklung, die zu unvorhersehbaren Resultaten führte, unterstrich Fiona Whelan zum Abschluß ihres Vortrags.

In der anschließenden Diskussion gingen die beiden Referentinnen auf Fragen der Teilnehmer des Workshops ein, vertieften bereits angesprochene Aspekte ihrer Projektarbeit und erörterten weitere Gesichtspunkte. In beiden Fällen haben sich die ursprünglichen Rollen und Vorstellungen der Projektleiter im Laufe der Zeit beträchtlich verändert. Fiona Whelan subsumierte die jahrelange Auseinandersetzung und Zusammenarbeit mit den Jugendlichen nach wie vor unter künstlerische Tätigkeit und hob in diesem Zusammenhang noch einmal die Bedeutung des Kollektivs hervor. Es handle sich um ein angestrebtes Ideal, dem in der Realität beträchtliche Unterschiede und zu bewältigende Probleme im Weg stünden. Am wichtigsten sei es stets gewesen, alles gemeinsam zu diskutieren, angefangen von kleinen Alltagsproblemen bis hin zu Fragen der Geldbeschaffung. Alia Rayyan kam darauf zu sprechen, daß die Grenzen zwischen den Initiatoren und Teilnehmern im Zuge der intensiven Zusammenarbeit in erheblichem Maße verschwammen wie auch neue Kompetenzen hinzukamen. Da im Flüchtlingslager keine Sozialarbeiter erlaubt seien, hätten die Projektleiter in gewissem Umfang auch solche Aufgaben übernommen. Sie bestätigte aus ihrer Perspektive die Aussage Fiona Whelans, wie wichtig es sei, einander zuzuhören, und hätte sich auch ein Kollektiv gewünscht, das in dieser Form in ihrem Projekt, das zeitlich kürzer angelegt war, nicht existierte.

Das Filmprojekt im Palästinenserlager brachte neue Künstler hervor, die uneingeschränkt über die von ihnen geschaffenen Werke verfügen. Wenngleich die Projektleitung die Ergebnisse sammelt und eine Dokumentation erstellt, sind die Teilnehmer in vollem Umfang Urheber der produzierten Bilder und Filme. Alia Rayyan hält die Idee, ihrerseits einen Film zu drehen, aus heutiger Sicht für sehr interessant, doch sei das in dem Projekt, das auf die Menschen im Flüchtlingslager fokussiert war, nicht vorgesehen gewesen.

Zur Frage der Finanzierung führte Alia Rayyan aus, daß die gesamte palästinensische Gesellschaft auf dem Prinzip des Wohltäters beruhe. Ihm gehöre in diesem Sinne alles, was während der Projektarbeit produziert werde, was natürlich fragwürdig sei und zu Komplikationen führe. Da eine politische Agenda stets mit derartigen Spendengeldern verbunden sei, müsse man schleunigst zusehen, die eigene Unabhängigkeit zu bewahren. Fiona Whelan ist sich vollauf bewußt, daß ihre Projektarbeit aus Steuergeldern finanziert und mit Erwartungen der beteiligten Behörden befrachtet wird. Indessen habe sie als Künstlerin ein Anliegen, nehme das Geld und versuche diese Möglichkeit im Sinne ihrer Interessen zu nutzen. Dabei halte sie Befürchtungen für stichhaltig, Künstler würden vereinnahmt, um Mißstände und Fehler staatlicher Stellen zu vertuschen oder entstandene Probleme zu kompensieren. Die einzige Chance bestehe darin, offen darüber zu sprechen, was allerdings nicht davor schütze, diese Bedenken dann zum ständigen Begleiter zu haben.

Die Quelle gewachsener Kompetenz, mit derart schwierigen Situationen umzugehen und dabei in ihren Projekten fruchtbare Arbeit zu leisten, verorteten beide Referentinnen in ihrem Bestreben, die eigene Funktion zurückzustellen und jedem auf gleicher Augenhöhe zu begegnen. Darin zeichneten sich jene aus, die den anderen ein Vorbild gaben und die gemeinsame Arbeit voranbrachten. Dabei habe niemand im voraus gewußt, was ihn in dieser Situation erwartete, so daß man aus dem Augenblick heraus handeln mußte und dabei aus heutiger Sicht natürlich auch Fehler machte. Man habe durch die Praxis und vor allem die Zusammenarbeit mit anderen Menschen gelernt.

Wie Fiona Whelan unterstrich, seien die meisten im Land lebenden Iren weiß und katholisch, doch unterschieden sich die Bevölkerungsgruppen wesentlich durch ihre Klassenzugehörigkeit. Es wurde in den Jahren der Krise mit besonderer Schärfe deutlich, daß Klassengegensätze die Menschen trennen. Diese Widersprüche fänden nicht zuletzt in einer Zuschreibung der Jugendlichen als "benachteiligt" oder "Risikogruppe" ihren Ausdruck, der spätestens dann unverhüllt zutage trete, wenn ein Projekt die Öffentlichkeit erreiche. Dann legten die Medien die Teilnehmer auf bestimmte negativ konnotierte Rollenmuster fest. Allerdings gebe es im Einzelfall auch Ausnahmen. So sei ein namhafter Journalist zu einem regelrechten Fan des Projekts geworden und habe diesem eine ganze Fernsehsendung gewidmet. Davon abgesehen bleibe jedoch die Ausgrenzung der Jugendlichen in der öffentlichen Wahrnehmung stets präsent und verfehle ihre Wirkung nicht. Dies sei daher ein zentrales Thema, das gemeinsam diskutiert werden müsse.

Alia Rayyan schilderte zu demselben Themenkomplex ihre Situation als Fremde im Flüchtlingslager Talbyeh, die sich durch ihre Herkunft und bis hin in äußere Merkmale wie ihre Kleidung von den dort lebenden Menschen unterschied. Sie habe zu diesem Unterschied gestanden und nicht versucht, ihn zu verwischen, was am besten zu funktionieren schien. Man habe zudem versucht, den Teilnehmern nicht von vornherein eine besondere Benachteiligung aufgrund ihres Lebens im Lager zu attestieren, sondern sie eben wie Jugendliche behandelt. Allerdings sei es eine große Hilfe gewesen, Palästinenserin zu sein. Wenngleich auch unter Palästinensern beträchtliche Unterschiede bestünden, existiere doch ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl: Alle wüßten, was es bedeutet, anders und ausgeschlossen zu sein. An diesem Punkt könne man sich immer treffen.

Eingehend auf die Frage, inwiefern man nicht nur von einem künstlerischen, sondern auch einem politischen Projekt sprechen könne, bezeichnete Alia Rayyan ihre Arbeit als grundsätzlich politisch. Sie befähige die Teilnehmer, Veränderungen herbeizuführen, und greife in die Flüchtlingsfrage wie auch die Haltung der zuständigen UN-Administration (UNRWA) ein. Fiona Whelan schloß sich mit der Positionierung an, daß der Begriff "benachteiligt" der Jargon von Geldgebern und Medien sei. Sie verwende ihn grundsätzlich nicht und spreche statt dessen von "marginalisiert", was impliziere, daß jemand diese Ausgrenzung vornehme. Aus ihrer Sicht repräsentiere die mühsame Arbeit zur Einbindung der Polizei eine politische Dimension, da das System der Unterdrückung strukturell angesprochen werde.

(wird fortgesetzt)

28. März 2012

Vollgeschriebene Wandzeitung - Foto: © 2012 by Schattenblick

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Foto: © 2012 by Schattenblick