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STANDPUNKT/002: Kult und Wissenschaft - eine Zukunftsentscheidung (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin

Kult und Wissenschaft - eine Zukunftsentscheidung

Von Gabriela Jurosz-Landa, 3. Mai 2016


New York, USA / Pressenza Berlin - 03.05.2016. Gabriela Jurosz-Landa ist Anthropologin, hat an der Ludwig-Maximilians-Universität in München promoviert, und in Wien, Prag und Berlin gearbeitet. Sie hält Vorträge und publiziert über internationale kulturell-politische Themen, Kunst und Museumskunde. Als Gründerin und Präsidentin von Forum of World Cultures [1], engagiert sie sich für inter-kulturellen Austausch. Momentan lebt sie in New York. In folgendem Artikel kritisiert sie die heutige Beschränkung der Präsentationen in Museen auf wissenschaftliche Deutungen, statt dem Kult, dem Mythos und der Kunst ihren eigenständigen Raum zu geben, was die Erkenntnisse bereichern und vertiefen würde.


Die Geschichte eines jeden Volkes beginnt mit der Wahrheitsoffenbarung aus dem Mythos. Aus ihr entwickelt sich kultisches Handeln, das Wissenschaft dann zu erklären versucht.

Überträgt man diese Betrachtung auf die Bedeutung von Kult und Wissenschaft im Museumsbetrieb, zeigt sich die Hierarchie eindeutig. Wissenschaft ist dazu da, den Kult darzustellen. Alle Mittel, die dem Museumsbetrieb zur Verfügung stehen, dienen ihrem zu veräußernden Inhalt.

Was nun verstehen wir konkret unter Wissenschaft im Museumsbetrieb. Zum einen ist es die akademische Disziplin, die den Mythos und seinen Kult analysiert und hinterfragt. Zum anderen drückt sie sich aus in den Methoden, die zur Verfügung stehen, Inhalt mitsamt ihrem Kult im Museum zu präsentieren.

Da wir in Europa seit Descartes in einer wissenschaftorientierten Gesellschaft leben, werden Mythos und Wahrheit immer gegenüber gesetzt, als seien sie Gegensätze. Es ist heute enorm schwierig, sich an Leben anstatt an Verwissenschaftlichung und Technologisierung zu orientieren. Viele Menschen haben bereits eine stärkere Beziehung zu Technik als zu Natur. Wo das hinführt, brauchen wir hier nicht zu schildern. Ob wir diesen Weg wollten, ist tägliche Entscheidung eines jeden.

Um mit Georg Picht zu sprechen, wird Kunst in diesem Jahrhundert rein ästethisch aufgefasst, rein künstlerisch und so in die "Sphäre allgemeiner Unverbindlichkeit" entrückt genossen.

"Die Kunstwissenschaft und die Ästhetik haben [als Wissenschaften] Formen der Betrachtung von Kunstwerken entwickelt, die es erlauben sollten, die Kunst rein als Kunst, also unabhängig von ihrem wirklichen oder vermeintlichem Zusammenhang mit der Welt des Mythos zu betrachten".

Leiter von Museen, die sich mit Persönlichkeiten aus Kunst oder Wissenschaft beschäftigen, müssen sich diesen Fakt vor Augen halten, um der allgegenwärtigen Wissenschaftsanbetung nicht zu unterliegen. Sie sind Vorreiter ihrer Gesellschaft und als erste Bildungsinstanzen verantwortlich für die Entwicklung ihrer Mitmenschen. Wenn wir heute an simplifizierendem Ratio-Wahn leiden, sind es Institutionen wie Museen, in deren Hand es liegt, ein anderes, individuelleres Bild der Existenz und somit eine vielschichtigere und lebendige Vision unserer Welt zu zeichnen. In jeder Entscheidung sollte so der Mensch im Zentrum stehen. Technik steht ihm nach und sollte nicht als billiges und vor allem bequemes Mittel eingesetzt werden, weil einem nichts Kreativeres zur Präsentation eines Themas einfällt.


Problem des Kultus

Richard Schaeffler schrieb schon 1974 in seinem Aufsatz "Der Kultus als Weltauslegung": "Der Kultus pflegt nicht zu kommentieren, was er tut. Es muss aus dem Tun abgelesen werden." Genau dieses Ablesen wird für den heutigen Menschen jedoch eine Schwierigkeit. Um mit Peter Tepe zu antworten: "Aufklärung ist ein ausgekügeltes System des Verdrängens." (Mythologica 8: 2002, 386) und gerade diese vermeintliche Aufklärung macht den Menschen zunehmend blind für das Wesentliche.

Dieses Wesentliche ist mit allen Sinnen besser zu erkennen als mit Vernunftsdenken allein. Das können sich Museumsverantwortliche zu Nutze machen, haben nicht gerade sie es mit materiellen Artefakten oder besser noch direkten Gedanken des auszustellenden Protagonisten zu tun? Hand anlegen und Hand anlegen lassen ist des Museums Devise. Der digitale Knopfdruck kann da nicht mithalten. Was alles kann man durch das Hören etwa der Musik Bachs oder Wagners erfahren. Die evozierten Bilder sind es, die wesentlich sind. Die Darstellung der Bilder und Erlebnisse, die den Künstler inspirierten, lassen den Rezipienten sein Werk und Leben nacherleben. Friedrich Bachmayr scheint dies im Stringbergmuseum in Saxen erfaßt zu haben. Er stellt seelische Abgründe, aus denen das Werk des Schriftstellers schöpft, als Schluchten dar, die Strindberg auch physisch in der österreichischen Landschaft durchging. Und auch in Teilen des Bayreuther Richard-Wagner-Museums hat Volker Staab mit seinen Produzenten Mythos unterhalb der Kopflinie in dunklen Untergeschossen mystisch inszeniert.

Die Kunst, Kunst darzustellen, ist keine Frage des Geldes oder zur Verfügung stehender historischer Artefakte, sie spiegelt die Fähigkeit der Phantasie, die wiederum ein Ausdruck von Freiheit ist.


Anmerkung:
[1] http://www.forumworldcultures.com/


Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

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Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Johanna Heuveling
E-Mail: johanna.heuveling@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Mai 2016

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