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MELDUNG/368: Realismus-Ausstellung noch eine Woche im Bröhan-Museum Charlottenburg (Anja Röhl)


Realismus-Ausstellung noch eine Woche im Bröhan-Museum Charlottenburg

von Anja Röhl, 9. Juni 2018


Im Bröhan-Museum läuft noch bis nächste Woche unter dem Namen "Berliner Realismus" eine richtig gute Ausstellung. Unter dem Titel, "Berliner Realismus, von Käthe Kollwitz bis Otto Dix", werden noch bis 17. Juni, die Großen der Berliner Arbeiterbewegung würdevoll und so wie selten wertgeschätzt, gezeigt. Nicht nur, dass man die Filme "Kuhle Wampe" und "Mutter Krausens Fahrt ins Glück" dort vollständig auf großer Leinwand sehen kann, man sieht dort auch das gemalte Elend der Hinterhöfe, der Straßen und Fabriken, Krieg, Revolution und die Missstände der Weimarer Zeit. Unter dem Satz: "rauh, ruppig, unbequem: Die Berliner Kunst besaß schon zur Kaiserzeit Sprengkraft!" werden 200 Gemälde gezeigt, die die Sozialkritik zu ihrem Thema machten und damit berühren und etwas zeigen wollten, damit es verändert werde.

Die Lebens- und Wohnverhältnisse und das soziale Elend der unteren Klassen sind die beherrschenden Themen, die Gemälde von Hans Baluschek, Heinrich Zille und Käthe Kollwitz im ausgehenden Kaiserzeitalter zeigen. Sie wollen damit aufmerksam machen, dass es dieses Elend gibt, dass man es anschauen und verändern muss. Sie beziehen als Bürgerliche Stellung, nehmen Partei für die Armen. Und was vor einigen Jahrzehnten noch altertümlich, zumindest aber überwunden wirkte, die nackte Armut, die Hoffnungslosigkeit in den Gesichtern der Kinder, Hunger, Abfallsuchen, Verzweiflung, das können wir uns heute schon wieder vorstellen, weil es auch auf unseren Straßen, in unseren Wohnungen, Plätzen, in unseren Bahnen und Bahnhöfen schon wieder dasselbe Elend gibt, das damals die Maler erschütterte. Entfesselter Kapitalismus führte damals zu Pauperismus und führt auch heute dazu. Jeder Mensch, der sich umschaut, kann das sehen. Man wollte uns in den 90ern weißmachen, dass Kapitalismus und "Globalisierung" Glück über die Menschheit bringe, 28 Jahre später wissen wir, dass es das mitnichten tut, stattdessen Elend, Kriege und Vernichtung von Ressourcen bringt.

Damals gab es nach dem großen Krieg, der dem Elend folgte, eine Revolution, in der die alten Kräfte des Militarismus und der Gewalt von den neuen Parteien nicht im Zaum gehalten werden konnten. Eine schwere Phase von politischen Morden begann sogar durch die Sozialdemokratie (Noske) und diese Erfahrung verhinderte später die Einheit des Widerstands gegen die aufkommende rechte, völkische und Nazibewegung. Auch diese für uns heute so aktuellen beiden Themen werden in der Bröhan-Ausstellung aufgegriffen. Die zweite Generation der sozialkritischen Maler des Berliner Realismus, Otto Dix, George Grosz, Otto Nagel, warnen vor den Missständen und fatal negativen Entwicklungen in der Weimarer Republik. Sie zeigen die Lebensumstände der unteren Gesellschaftsschichten jetzt aus einer kämpferischen, selbstgewählten Perspektive. Neue Techniken wie Collage und Fotomontage (John Hartfield), auch Lithografie werden benutzt, um mittels Zeichnungen direkt ins politische Geschehen einzugreifen. Flugblätter, Solidaritätsaufrufe, Plakate einer sehr schnell anwachsenden starken Arbeiterbewegung werden von namhaften Künstlern gestaltet. Sie warnen vor der aufkommenden Naziverbrecherbande und den staatlichen Bedingungen, die den Aufstieg ermöglichten. Die Wirkung der Ausstellung ist ungeheuer, fast nie mehr in den letzten zwei Jahrzehnten sah man solcherart sozialkritischer, inhaltsreicher und politische Kunst, im Gegenteil, derartiges wurde als verpönt, überholt und an die DDR-erinnernd empfunden, meist sogar als unkünstlerisch denunziert. Hier sieht man, wie blödsinnig diese These ist. Die Bilder erschüttern, man bleibt lange vor ihnen stehen, sie fangen Stimmungen der Zeit auf, sie berühren emotional und verstören, sie lassen den Wunsch und den Willen nach Veränderung aufkommen und geben Mut und Kraft dafür.

All das sollte es nicht mehr geben nach der Wende in den Kunsttempeln der nun "neuen Bundesländer". Kunst findet man nach der Wende in den meisten Galerien und Museen der gewendeten DDR, wie es die Doktrin der BRD vorgab, nur noch abstrakt, inhaltsleer und aussageschwach. Dass es auch im Westberlin des Kalten Krieges, auch in Westdeutschland, Künstler des Realismus nach 1945 gab, weiß heute kein Mensch mehr, sie sind versunken. Realismus wurde nach 1990 in Ost und West als System- und Auftragskunst verschrien. Nun kommt es hier im Bröhan-Museum erstmalig wieder zu einer eigenen Würde der realistischen Kunst. Hier kann man sich anschauen, welche großen Vorbilder des Realismus wir in Deutschland haben, denen nachzueifern keine Schande ist. Eine sehr besondere, sehr eindrucksvolle Ausstellung, die sich unbedingt anzusehen lohnt.

Das Erschreckende: Das soziale Elend erinnert fatal an heute, die Stärke der damaligen Arbeiterbewegung ist bisher in keinem Fall erreicht. Jedoch haben wir heute andere Bewegungen, außerparlamentarische, klassenübergreifende, die auch Kunst produziert, Graffiti in Athen und Wohnzimmertheater in Spanien, Theater von Flüchtlingen in Jenin und Theater der Unterdrückten in Afghanistan, das alles lohnt es sich durchaus anzuschauen, auch heute wächst die Pflanze einer Kunst der Aufklärung, Agitation und Solidarität heran. Man kann dies unter anderem in den beiden Filmen von Matthias Coers: "Mietrebellen" und "Die andere Seite von grau", sowie im Film: "A" (über heutigen europäischen Anarchismus/Bewegungen) anschaulich bewundern, auch haben wir in der widerständigen Musik und Karikatur, in Theater und Performances zahlreiche Ansätze sozialkritisch-realistischer Kunst und Kultur, leider ist die nur selten im Fernsehen zu sehen, dazu muss man schon aus dem Haus gehen und sich umschauen. Es wird Zeit, dass sich Galeristen auch heute wieder trauen, das Diktat der abstrakt-inhaltsleeren Kunst zu durchbrechen und wieder realistische Neuzeitmaler und -grafiker zeigen. Zum Beispiel A. Paul Weber, den Karikaturisten und Lithografen des kritischen Kalenders von 1961 bis 1976, die vielen Künstler der Berliner Boheme aus den 60-80er Jahren, wie Herbert Weitemeier, Günter Bruno Fuchs, Sonnenschein und andere, die heute zu Unrecht vergessen sind, weil sie seit der 2000er Wende so gut wie nirgends mehr gezeigt wurden und die vielen anderen teils unbekannten, teils regional noch bekannten Künstlern des Realismus in Hamburg, Bochum, Essen und dem Ruhrgebiet, die heute nur deshalb verpönt sind, weil sie einstmals einen sozialkritischen Blick in ihre Bilder bannten.


BERLINER REALISMUS. VON KÄTHE KOLLWITZ BIS OTTO DIX
22. März bis 17. Juni 2018
BRÖHAN-MUSEUM
Landesmuseum für Jugendstil, Art Deco und Funktionalismus
Schlossstraße 1a, 14059 Berlin

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Quelle:
© 2018 by Anja Röhl
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juni 2018

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