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GESCHICHTE/032: Von biblischen Meistererzählungen und Atlanten (Uni Bielefeld)


BI.research 39.2011
Forschungsmagazin der Universität Bielefeld

Von biblischen Meistererzählungen und Atlanten
Wie Bilder Vergleiche transportieren

von Jens Burnicki



Wenn es heutzutage um Vergleiche geht, denkt man schnell an Tabellen oder Diagramme, in denen statistische Zahlen gegenübergestellt werden. Doch es geht auch anders: mit Bildern - etwa wenn der Reformator Martin Luther als Dudelsack des Teufels gezeigt wird oder wenn in einer Illustration Mensch und Affe zu sehen sind und so ihre Gegensätze und Gemeinsamkeiten anschaulich werden. In der Geschichte finden sich unzählige Beispiele für Vergleiche, die mit Bildern übermittelt werden. Der Kunsthistoriker Dr. Joachim Rees beschäftigt sich deswegen für den geplanten Exzellenzcluster zur Kommunikation von Vergleichen mit der Frage: "Was leisten visuelle Darstellungen für die Kommunikation von Vergleichen?" Rees vertritt derzeit die Professur für Historische Bildwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Bielefeld.


Die Wurzeln systematischer Vergleiche

Um zu den Wurzeln systematischer Vergleiche in der bildenden Kunst zu gelangen, erklärt Rees, muss man bis zu den biblischen Meistererzählungen zurückgehen. Zwischen dem sakralen alten und neuen Bund, der jeweils zwischen Gott und Menschen geschlossen wurde, werden permanent Vergleiche gezogen. Laut Rees geschieht das folgendermaßen: Es gibt eine Verheißung im Alten Testament und eine Erfüllung im Neuen. Dies ist schon früh bildhaft gemacht worden, zum Beispiel in den Glasmalereien mittelalterlicher Kathedralen. "Wenn man so will, ist so ein Kirchenfenster ein statischer Split-Screen", so Rees, "der von den Betrachtern eine hohe Deutungskompetenz verlangt." Split-Screens werden heute besonders im Film verwendet, um das Bild in zwei oder mehr Bereiche aufzuteilen. Damals wurde die architektonische Teilung der Fensterfelder geschickt für die Gegenüberstellung von Typus und Antitypus genutzt. Die Zielgruppe für solche Darstellungen waren auch Analphabeten, ergänzt Rees und weist auf Ähnlichkeiten der Szenen hin: "Wenn Moses die bronzene Schlange am Pfahl aufrichtet, dann ist das eine Vorausschau auf die Kreuzesaufrichtung im Neuen Testament."


Des Teufels Dudelsack

"Wir wollen unter anderem der Frage nachgehen", sagt Rees, "wie sich die eben beschriebene Form der Gegenüberstellung allmählich vom Religiösen abgelöst hat." Einen entscheidenden Einschnitt stellt die Zeit der Reformation dar. Nicht nur wegen des konfessionellen Widerstreits, sondern auch wegen des fortschreitenden Medienwandels. Man denke hier zum Beispiel an den Einsatz von Flugblättern, betont Rees. Zusätzlich bekommt der Vergleich von Typus und Antitypus eine polemische, diffamierende Note: "Den Papst mit dem Antichristen zu vergleichen, war bis dahin undenkbar", so Rees. Alte Vergleichsmuster werden auf einmal für reformatorische Überzeugungszwecke eingesetzt. Anhand eines Holzschnitts aus dem 16. Jahrhundert von Erhard Schön mit dem Titel "Des Teufels Dudelsack" demonstriert Rees, dass es auch eine päpstliche Propaganda gab, die viel weniger bekannt ist. Die Abbildung zeigt den Teufel, der Martin Luther als seinen Dudelsack nutzt. Die schon damals bekannte Korpulenz Luthers wird genutzt, um daraus eine Bildaussage zu formen, die in der Pointe gipfelt, dass Luther nur ein "Resonanzkörper" ist, der den Schall des Teufels verstärkt. Über formale Ähnlichkeiten werden inhaltliche Aussagen transportiert. "Dies ist eine frühe Stufe von bildlichen Vergleichsmustern, die dann vor allem in der grafischen Satire und später in der politischen Karikatur ihren Höhepunkt fanden", erklärt Rees und fügt hinzu, dass diese Art der Struktur immer paarweise funktioniert: sei es die Gegenüberstellung von Gut und Böse oder eben Versprechung und Erfüllung.


1750 bis 1850: Zeiten des Wandels

Es gibt visuelle Vergleichsformen, die im Grunde textlich Fixiertes nur noch einmal verstärken und einprägsamer machen. Darüber hinaus, so Rees, gibt es oftmals eine nicht beabsichtigte Eigendynamik. Durch die figürliche Darstellung werden plötzlich Zusammenhänge und Unterschiede erkennbar, die so vorher nicht gesehen werden konnten. "Der bildliche Vergleich von Mensch und Affe zum Beispiel existierte lange vor Darwin", sagt Rees. Doch Darwin war es, der sich vor allem für die "unsichtbare Lücke" zwischen den beiden Vergleichsgrößen interessierte, nämlich die fehlenden gemeinsamen Vorfahren von beiden Spezies. Hier schließt sich indirekt auch die Frage an, warum manche Illustrationsweisen nicht mehr weitergeführt wurden. Die Wissenschaft beginnt, den augenfälligen Ähnlichkeiten und der Statik des Bildes zu misstrauen. Der Schwerpunkt der bildwissenschaftlichen Forschung im Rahmen des Exzellenzclusters liegt grob zwischen 1750 und 1850. "Dieser Zeitraum, der in der Bielefelder Terminologie auch Sattelzeit genannt wird, ist die Schnittstelle", sagt Rees. Hier beginnt die Gesellschaft mit ihren verschiedenen Ständen sich umzubauen; die Arbeitsteilung wird immer bestimmender. Im Fokus liegen diese Prozesse des Wandels.


Atlanten im Zentrum des Startprojekts

Innerhalb der Initiative soll es in einem möglichen Startprojekt um Atlanten gehen. "Im Atlas werden komplexe Sachverhalte grafisch so vereinheitlicht, dass sie vergleichbar werden", sagt Rees. Maßstab und Skalierung spielen eine wichtige Rolle, damit Äpfel nicht mit Birnen verglichen werden. Rees interessiert vor allem die Kopplung zwischen immer präziserem geographischem Wissen und den hochgradig ideologisch geprägten Einteilungen und Kartografierungen. Als Beispiel nennt er Heinrich Berghaus' "Physikalischen Atlas" von 1845, in dem die Verteilung der "geistigen Bildung" auf der Erde dargestellt wird. Die hellsten Punkte, vornehmlich in den protestantischen Ländern Europas, symbolisieren hohes geistiges Entwicklungsniveau. "Der Herausgeber macht keinerlei Angaben über die Kriterien, die zu dieser Einschätzung geführt haben", bemerkt Rees. "Der Atlas wird somit machtpolitisch instrumentalisiert." Diese "ideologischen Karten" profitieren von dem seriösen Gesamteindruck der anderen Darstellungen des Atlasses. Rees: "Die historische und aktuelle Reichweite solcher visuellen Mitnahme-Effekte auseinanderzuklamüsern, ist spannend und wichtig."


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

  • Den Split-Screen gab es schon im Mittelalter: In seinem Triptychon "Das Jüngste Gericht" stellte der Maler Hans Memling deutliche Kontraste zwischen den Figuren her - in der Mitte Jesus Christus als Weltenrichter, rechts die Verdammten, links die Glückseligen auf dem Weg ins Paradies.
  • Erhard Schön setzte um 1530 in seiner Karikatur Martin Luther mit einem Dudelsack gleich. Das Bild legt nahe, dass der Reformator sagt, was der Teufel ihm "einbläst".
  • Durch die figürliche Darstellung werden Zusammenhänge sichtbar, sagt der Kunsthistoriker Joachim Rees.

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Quelle:
BI.research 39.2011, Seite 16-19
Herausgeber:
Referat für Kommunikation der Universität Bielefeld
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BI.research erscheint zweimal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. August 2012