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BUCHTIP/031: Kaukasische Baukunst des Mittelalters hat europäische Wurzeln (idw)


Friedrich-Schiller-Universität Jena - 19.05.2008

Die kaukasische Baukunst des Mittelalters hat europäische Wurzeln

Archäologin der Universität Jena veröffentlicht Buch über die Architekturdenkmale Kaukasiens


Jena (19.05.08) Zu den faszinierenden Phänomenen der europäischen Kultur gehört die spätantik-frühchristliche Architektur, weil sie Erfahrungen der antiken Baumeister schöpferisch in neue Formen umsetzt. Formen, die bis heute von Bedeutung geblieben sind. Baudenkmäler jener Epoche in Kaukasien hat Dr. Annegret Plontke-Lüning von der Friedrich-Schiller-Universität Jena untersucht. Die Privatdozentin am Lehrstuhl für Klassische Archäologie veröffentlichte jetzt ihre Forschungsergebnisse im Buch "Frühchristliche Architektur in Kaukasien. Die Entwicklung des christlichen Sakralbaus in Lazika, Iberien, Armenien, Albanien und den Grenzregionen vom 4. bis zum 7. Jh.". Der Band mit auf CD-Rom beigegebenen Katalogen und Tafeln ist im Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erschienen.

Das neue Buch behandelt die gesamte südkaukasische christliche Sakralarchitektur innerhalb der Architekturentwicklung der spätantiken Ökumene, mit der vielfältige Beziehungen bestanden. In den Fokus rücken Saalkirchen, Basiliken, Kreuzbauten sowie einfache und gegliederte Zentralbauten - Typengruppen, die in der Architektur der gesamten frühchristlichen Welt verbreitet waren.

Die Jenaer Archäologin tritt in diesem Handbuch zum spätantiken Kaukasien den Thesen des Wiener Kunsthistorikers Josef Strzygowski (1862-1941) entgegen. Dieser hatte 1918 in seinem für die Armenien-Forschung heute noch bedeutsamen Werk "Die Baukunst der Armenier und Europa" postuliert, die armenischen Baumeister hätten eine herausragende Rolle für die Entwicklung der mittelalterlichen europäischen Baukunst gespielt. Dem widerspricht Plontke-Lüning: "Auch in Kaukasien wurden die neuen Typen des christlichen Sakralbaus aufgenommen, wie sie im Umfeld des Kaiserhofs aus spätantiker Tradition entstanden waren", ist die Jenaer Archäologin überzeugt.

Insgesamt hat Plontke-Lüning 262 Bauten untersucht, die auf den Territorien der heutigen Staaten Armenien, Georgien und Aserbaidschan zu finden sind. Die erhaltenen Bauwerke wurden auf manchmal abenteuerlichen Reisen in Augenschein genommen. Andere Bauten konnten nur noch dank literarischer Zeugnisse beschrieben werden, weil sie nicht mehr existieren. Eine Pionierleistung ist das neue Buch, weil die Bauwerke der Region vorher niemals im Zusammenhang untersucht worden waren. "Bislang wurde die Architektur immer von Land zu Land betrachtet", sagt Plontke-Lüning. Dabei seien die unter wechselnden Herrschaften stehenden Grenzregionen meistens mit vereinnahmt worden.

Brisanterweise lassen sich die Ursachen einiger nationaler Konflikte bis in die Antike zurückverfolgen, so etwa der Streit um Bergkarabach oder um die Gogarene, ein Gebiet im heutigen Südgeorgien und Nordarmenien. Folglich verwundert es nicht, wenn die jetzt vorgelegten Erkenntnisse der Jenaer Wissenschaftlerin nicht überall auf Gegenliebe stoßen. So schreibt Plontke-Lüning, die von der armenischen Forschung favorisierte These, die armenische Basilika sei aus dem heidnischen Tempel hervorgegangen, könne aus mehreren Gründen nicht bestätigt werden. Diese These basiert auf der Annahme, in Armenien habe eine eigenständige christliche Kultarchitektur entwickelt werden müssen, weil dort schon 301 n. Chr. das Christentum zur Staatsreligion erhoben wurde. Aus archäologischer Sicht könne die Umwandlung von heidnischen Tempeln in christliche Kirchen so früh nicht belegt werden, widerspricht die Jenaerin. Zudem sei für keine der armenischen Basiliken eine wirklich gesicherte Datierung zu gewinnen.

Ideal ergänzt wird Plontke-Lünings neues Buch durch ein Kapitel über die Geschichte Kaukasiens, in dem die historischen Entwicklungen in der Region nachgezeichnet werden. Deutlich werden dabei die vielfältigen Kontakte zum Römischen und zum Byzantinischen Reich, durch die es einen regen Austausch von Ideen, Technologien und auch Bauplänen gab.

Weitere Informationen unter:
http://www.uni-jena.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution23


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Stephan Laudien, 19.05.2008
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Mai 2008