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BERICHT/103: Restauratorin - Aus Leidenschaft für Tizian (welt der frau)


welt der frau 4/2007 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Aus Leidenschaft für Tizian

Von Michaela Herzog


"Im Mittelpunkt meiner Arbeit steht das Kunstwerk und eine behutsame Annäherung an den vom Künstler beabsichtigten Zustand", sagt Mag.a Elke Oberthaler. Mit dem nötigen Respekt geht die Chefrestauratorin an ihre Arbeit. Und kommt dabei wertvollsten Gemälden des Kunsthistorischen Museums in Wien so nah wie sonst niemand.


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Gedämpftes Licht dringt durch das hohe Fenster in die Werkstatt. Sonnenstrahlen dürfen keine auf den Arbeitstisch fallen. Dort liegt, nur mit einer durchsichtigen Folie abgedeckt, ein Gemälde von unschätzbarem Wert. "Nymphe und Schäfer", gemalt von Tizian, dem wohl berühmtesten venezianischen Renaissancemaler. "Das Wiener Kunsthistorische Museum besitzt eine der weltweit bedeutendsten Sammlungen venezianischer Malerei, darunter 27 Werke von Tizian", erklärt Elke Oberthaler, Chefrestauratorin der Gemäldegalerie. Es ist ihr Arbeitstisch, auf dem der über 400 Jahre alte "Tizian", aus dem Rahmen genommen, liegt. Einige Stunden pro Tag arbeitet Elke Oberthaler an der Restaurierung des großen Leinwandbildes. Diese muss bis zum Sommer abgeschlossen sein. "Nymphe und Schäfer" wird dann neu restauriert als eine der Hauptattraktionen in der Ausstellung "Der späte Tizian und die Sinnlichkeit der Malerei" ab 18. Oktober im Kunsthistorischen Museum wieder der Öffentlichkeit präsentiert.


Wissen und Erfahrung

Mit einer Mischung aus naturwissenschaftlichem und kunsthistorischem Wissen, hohem handwerklichem Können und viel Erfahrung geht Elke Oberthaler an ihre Tätigkeit als Restauratorin heran. Seit über 20 Jahren arbeitet die 44-jährige Absolventin der Hochschule für angewandte Kunst im Wiener Museum am Maria-Theresien-Platz, unterbrochen von einer zweijährigen Tätigkeit in der Gemälderestaurierung am New Yorker Metropolitan Museum of Art. Das Gemälde "Nymphe und Schäfer" hat die Chefrestauratorin in einem optisch schlechten Zustand übernommen. Grau und trüb in den dunklen Farbzonen. Mit ästhetisch unbefriedigenden Ergänzungen. Die letzte Restaurierung des Bildes ist mit 1936 datiert. "In der uns vorliegenden Dokumentation ist auch eine Regenerierung vermerkt, das heißt, blinde, trübe Firnisse sind damals mit Lösungsmitteln transparent gemacht worden", so die Expertin. Ölgemälde sind mit einem Harzüberzug, Firnis genannt, geschützt, der wie alle Materialien Abbauprozessen unterliegt und nach vielen Jahrzehnten zu erneuern ist. "Firnis hat aber auch eine ästhetische Funktion, er sättigt die Farben, verleiht ihnen Glanz und verstärkt so für den Betrachter die räumliche Dimension eines Bildes."

Auf einer Staffelei vis-à-vis ihres Arbeitstisches steht das Röntgenbild des "Tizian" in Originalgröße. Dieses ermöglicht den Blick durch alle Schichten des Bildes "und macht Übermalungen und Schäden sichtbar". Elke Oberthaler verweist auf die dunklen Flecken, die Fehlstellen am Gemälde markieren. Und zeigt auf weiße "Inseln", die Kittungen aus Bleiweiß zwischen originaler Farbe vermuten lassen. Mittels Infrarotreflektografie sind Unterzeichnungen und Pentimenti, "das sind nicht ausgefertigte, sehr frühe Bildentwürfe des Künstlers", zu sehen, die mit freiem Auge nicht sichtbar wären.

Ist das Bild in seinen Originalfarben beschädigt worden? Kann der milchig und grau erscheinende Firnis entfernt werden? Antworten auf diese Fragen finden sich im naturwissenschaftlichen Labor des Museums. Dafür müssen dem Bild unter Anleitung der Restauratorin winzigste Malschichtproben entnommen, in Harz gebettet und dann angeschliffen werden. Der sogenannte Querschliff gibt unter dem Mikroskop Auskunft über die Malschicht. "Bei 'Nymphe und Schäfer' stellte sich eine scharfe Abgrenzung zwischen Firnis und Originalmalerei heraus, die eine Reinigung des Bildes möglich macht, ohne dass das Bild weiter beschädigt wird", fasst Elke Oberthaler zusammen. Alle Ergebnisse aus den kunsttechnologischen Untersuchungen wurden mit namhaften Tizian-Experten aus Madrid, Venedig, London, Florenz, München und Maastricht diskutiert. Die Diagnose lautete: Dieser "Tizian" braucht eine behutsame Restaurierung.


Zeit, handwerkliches Können, Feingefühl.

Seit mehreren Jahren restauriert Elke Oberthaler "Nymphe und Schäfer". Ausschließlich bei Tageslicht, da es ihr die beste Ausleuchtung des Gemäldes ermöglicht. Ganz bewusst ist die Chefrestauratorin bei der Arbeit in Schwarz gekleidet, um ein Reflektieren zu vermeiden. Nur wenige kommen dem Bild so nahe wie sie. Ehrfurcht und Respekt sind wichtige Kriterien für ihre Arbeit, "die aber nicht dazu führen dürfen, dass der Pinsel in der Hand zu zittern beginnt". Restaurieren hat mit Malen nichts zu tun. Nach der Reinigung des Gemäldes, der Festigung und Stabilisierung werden die neu gekitteten Fehlstellen mit feinen Punkten und Strichen aus Lasurfarben retuschiert.

In konzentrierter Feinarbeit mit dem Skalpell unter dem Elektronenmikroskop hat Elke Oberthaler im Inkarnat der Nymphe, "so nennt man die Darstellung von Haut in Gemälden", Patinierungsreste aus dem 19. Jahrhundert reduziert. Eine vollständige Entfernung würde dem Gemälde optisch schaden. "Letztlich geht es in meiner Arbeit darum, ein Bild für die Augen des 'normalen' Betrachters lesbar zu machen, und nicht um eine mikroskopisch perfekte Oberfläche." Manchmal, verrät die erfahrene Restauratorin, vergisst sie, ganz in ihre Arbeit vertieft, auf Zeit und Raum. Oder hält in bestimmten Momenten den Atem an. Dann wird es für sie Zeit, "auf Distanz zu gehen" und sich den vielen anderen Tätigkeiten zu widmen, die zum Aufgabenbereich der Chefrestauratorin der Gemäldegalerie gehören.


Ein Kommen und Gehen

Aus der Londoner Tate Gallery ist das Bild "Jane Seymour" von Hans Holbein dem Jüngeren zurückgekommen. Daneben steht ein Bildnis Erzherzog Ferdinands II., eine Leihgabe, die aus dem Verwaltungsgerichtshof retourniert wurde. Tintorettos Gemälde "Susanna im Bade" muss noch fotografiert werden, bevor eine spezialisierte Verpackungsfirma das Kunstwerk für die Fahrt in den Prado reisesicher macht. "Ein Kollege wird das Gemälde nach Madrid begleiten und die Leihgabe nach Ende der Ausstellung wieder abholen", erklärt Elke Oberthaler. Dabei verweist sie auf die sogenannten präventiven Restaurierungsmaßnahmen. "Durch sichere Verpackungen, gute Klimabedingungen, sorgfältiges Handhaben, Entstauben bis hin zur richtigen Lagerung im Depot sollen Schädigungen so gut wie möglich vermieden werden."

In den weitläufigen Hallen der Restaurierwerkstätte der Gemäldegalerie arbeiten acht RestauratorInnen, zwei Rahmenspezialisten und für Forschungsprojekte und wissenschaftliche Kataloge zwei weitere Restauratorinnen. Zwei Registrarinnen betreuen den gesamten Leihverkehr und die über tausend Standortveränderungen innerhalb des Hauses. Die auf die Kunstsinnigkeit und Sammelleidenschaft der Habsburger zurückgehende Gemäldegalerie umfasst zirka 8.000 Bilder, von denen um die 1.000 ausgestellt sind. Um den Überblick zu erhalten, müssen alle Bilder dokumentiert, ihr Zustand überprüft und Veränderungen registriert werden. Nicht nur das Bilderdepot wird laufend überprüft. Einmal täglich macht Elke Oberthaler einen Kontrollgang durch die Gemäldegalerie. Dorthin, wo ab Oktober Tizians Spätwerk "Nymphe und Schäfer" neu restauriert zu bewundern sein wird.


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Ausbildung und Beruf

Die Tätigkeit eines Restaurators besteht in der Erhaltung und Pflege, der Restaurierung und technologischen Erforschung von Kunst- und Kulturgütern. Für Restaurierungsarbeiten sind wissenschaftliche Aufarbeitung, naturwissenschaftliche Analyse, kunsthistorisches Wissen und handwerkliches Können notwendige Voraussetzungen.

Obwohl der Beruf des Restaurators/der Restauratorin in Österreich zu den sogenannten "freien" Berufen zählt - jeder kann sich als Restaurator/Restauratorin bezeichnen und als solche/r arbeiten -, plädiert Mag.a Elke Oberthaler, die Restaurierung und Konservierung an der Hochschule für angewandte Kunst studiert hat, für eine fundierte Ausbildung.


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Ausgabe 4/2007, Seite 36-38
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juni 2007