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TIERE/090: Dienstbare Geister - domestizieren statt eliminieren ... (SB)


Tierische Helfer - wer denkt schon an die Ratte?


Ratten werden von den meisten Menschen verabscheut, gefürchtet oder zumindest nicht gerade als Haustier geschätzt. Sie haben einen schlechten Ruf. Fragt man jemanden, was er über Ratten weiß, kommt oft zur Antwort, dass sie Krankheiten übertragen, in der Kanalisation leben, dass es ungeheuer viele von ihnen gibt, dass sie ständig Hunger haben, alles mögliche fressen und dabei großen Schaden anrichten. Sie fressen das Korn aus den Speichern oder die Speisen aus Vorratskammern und Kellern. Doch kaum jemand weiß wirklich etwas über ihre Lebensweise und sicher noch weniger über ihre Fähigkeiten.

Eines scheint aber zu stimmen: Ratten sind die meiste Zeit damit beschäftigt, Nahrung zu beschaffen und zu fressen. Dabei gehen sie sehr gezielt vor und man kann sagen, dass sie erstaunlich erfinderisch und schlau sind, wenn es darum geht, an ihr Futter zu gelangen. Sie lernen sehr schnell und wie es scheint, geben sie ihr erlerntes Wissen an ihre Artgenossen weiter. Es kann aber auch sein, dass Ratten gute Beobachter sind und sich bestimmte erfolgreiche Handlungsweisen einfach voneinander abgucken. Wie dem auch sei, von Nutzen sind der Ratte auf jeden Fall ihr gutes Gehör und ihr ausgezeichneter Geruchssinn bei der Futtersuche.

Aufgrund dieser Verhaltensweisen haben Menschen die Ratte als geeignete Helfer ausgewählt und zwar in zwei ganz verschiedenen Bereichen. Zum einen können Ratten lernen, Landminen aufzuspüren, zum anderen sind sie in der Lage, die Erreger der gefährlichen Krankheit Tuberkulose zu riechen, was sehr hilfreich ist, denn mit einer schnellen Erkennung der Krankheit, kann ihre Verbreitung eingedämmt werden.


Ratten stöbern Landminen auf

Kriege finden leider immer wieder und weltweit statt. Unter dem Kriegsgerät und den Waffen, die das Militär benutzt, um Menschen zu töten, kommen in ungeheuer großer Zahl auch Landminen zum Einsatz. Sie werden in bestimmten Landstrichen ausgelegt, um den Kriegsgegner daran zu hindern, eben diese Gebiete zu durchqueren. Doch sind derart verminte Bereiche nicht nur für Soldaten, sondern für alle anderen Menschen auch gefährliches, unbegehbares Sperrgebiet. Auch wenn ein Krieg schon lange vorbei ist, liegen die Minen noch immer verborgen im Boden. Oft ist es fruchtbares Land, auf dem die Bewohner gern wieder Nahrungspflanzen anbauen oder Dörfer wieder entstehen lassen würden. Aber das ist viel zu gefährlich, da die Minen jeden töten, der auf sie tritt, gleich ob Kind oder Erwachsener. Wer nicht gleich durch die Explosion stirbt, verliert oft Arme, Füße oder Beine.

Diese elende Situation hat einen Mann [1] dazu gebracht, Ratten auszubilden. Er trainierte sie darauf, den Sprengstoff (TNT) zu riechen. Wenn eine Ratte unter verschiedenen Proben den Sprengstoff gerochen hat, gab es eine Belohnung - Ratten lieben Futter oder Leckereien. Da sie davon nie genug bekommen können, sind sie ganz begierig darauf, den Sprengstoff zu erschnüffeln und dann die begehrte Leckerei zu erhalten. Immer wieder wird geprüft, ob die Ratte auch die richtige Probe angezeigt hat.



Eine Ratte reckt sich auf ihren Hinterbeinen der verdienten Belohnung entgegen - Foto: 2009, by Gooutside (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons

Foto: 2009, by Gooutside (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons

So eine Rattenausbildung beginnt meist im Alter von 4 Wochen und dauert ca. 4 Monate. Dann wird es ernst und sie geht mit ihrem Betreuer und Teampartner zusammen auf ein vermintes Gebiet, um echte Minen aufzuspüren. So ein Nagetier hat einen großen Vorteil gegenüber den Menschen, es ist zu leicht, um den Sprengmechanismus auszulösen. Bei ihrer Arbeit trägt die Minensuchratte ein Geschirr, an dem eine lange Leine befestigt ist. Sie saust voraus und wittert hier und da. Hat sie den Geruch des Sprengstoffs erkannt, also eine Mine entdeckt, bleibt sie an der Stelle und wartet. Ihr Betreuer gibt ihr die wohlverdiente Belohnung und markiert deutlich erkennbar den Fundort, damit später das Minenbeseitigungsteam sicher auf diese Fundstellen zugehen kann, um die Minen zu entfernen.


Ein Trainer hockt auf dem Boden und füttert eine Ratte mit einem Stück Banane - Foto: 2009, by From one to another (Own work) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0), via Wikimedia Commons]

Foto: 2009, by From one to another (Own work) [CC BY-SA 3.0
(http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0), via Wikimedia Commons]

Ein Mensch mit einem Metalldetektor würde an einem Tag ca. 20 Quadratmeter absuchen können, eine Ratte 20 mal so viel. Eine weitere Belastung für den Menschen ist der große Angststreß, dem er ausgesetzt ist. Der Metalldetektor, den der Minensucher mit sich führt, zeigt nämlich jedes Metall an, also auch Metallsplitter, Patronenhülsen, Nägel oder ähnliches und jedes mal, wenn ein Signal ertönt, rechnet er damit, dass es sich dabei um eine Mine handelt. Er weiß, dass ein falscher Schritt, sein Ende bedeuten kann.



Ein Soldat mit einem Minensuchgerät auf freiem Feld - Foto: 2005, by davric (collection personnelle) [Public domain], via Wikimedia Commons

Foto: 2005, by davric (collection personnelle) [Public domain], via Wikimedia Commons

Die Ratte hingegen findet nur die Minen heraus, weil sie den Sprengstoff riecht, der darin enthalten ist. Jedes andere Metall interessiert sie nicht. Beim Aufspüren der Landminen sind die Nager sehr zuverlässig. In Afrika, beispielsweise in Mosambik oder Tansania, werden gern die Riesenhamsterratten als Minensucher eingesetzt. Ihre Körperlänge beträgt ca. 40 cm ohne Schwanz, der ist noch einmal so lang, dabei wiegen sie ca. eineinhalb Kilogramm. Sie können 6 bis 8 Jahre alt werden und sind in der Lage über lange Zeit viele Minen aufzustöbern. In Mosambik beispielsweise konnten mit Hilfe diese großen Nagetiere seit 2006 über 6 Millionen Quadratmeter Land der Bevölkerung als von Minen gesäubert zurückgegeben werden. Es wurden dabei über 2.400 Landminen gefunden und zerstört.



Eine Ratte an einer langen Leine schnüffelt den Boden nach Landminen ab - Foto: 2009, by Gooutside (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons

Eine ausgebildete Ratte beim Minensuchen
Foto: 2009, by Gooutside (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons

Doch auch die Aufmerksamkeit und die Fähigkeiten dieser tüchtigen Nager lassen im Alter nach, wie auch ihre Sinne schwächer und unzuverlässiger werden. Das ist die Zeit, in der sie von ihrer Aufgabe als Minensuchratte befreit werden und als "Rentner" oftmals bei ihren Betreuern leben, bis sie schließlich sterben. Die Menschen in diesen Ländern sind den Ratten sehr dankbar und behandeln sie mit Respekt. So wundert es auch nicht, dass es hier und da sogar Friedhöfe für diese Tiere gibt, denen man allgemein den Titel HeroRats gegeben hat. Das heißt soviel wie "Rattenhelden" oder "heldenhafte Ratten".


Ratten als medizinische Assistenten im Labor

Gerade in den ärmeren Ländern, in denen es keine hochtechnisierte medizinische Versorgung gibt wie bei uns in Deutschland, kann sich eine weltweit verbreitete tödliche Infektionskrankheit ausbreiten: Tuberkulose. Jährlich erkranken ungefähr 9,2 Millionen Menschen neu, und schätzungsweise sterben 1,7 Millionen jedes Jahr daran.

An Tuberkulose, abgekürzt TBC, erkranken oft Menschen mit einem geschwächten Immunsystem. Hunger und zu wenig Nahrung oder solche mit einem geringen Nährstoffgehalt verursachen Immunschwächen. Mykobakterien verbreiten sich im Körper und schädigen ihn. In den meisten Fällen (ca. 80 %) ist die Lunge der Patienten betroffen, wodurch sie stark geschwächt werden. Übertragen wird Tuberkulose durch Tröpfcheninfektion, also wenn jemand mit dieser Krankheit hustet oder niest, kann das schon ausreichen, einen anderen anzustecken. Die Methode zu prüfen, ob jemand an dieser TBC leidet, wird in einem medizinischen Labor durchgeführt. Dazu benötigt man eine Probe des Auswurfs, der Spucke, also des sogenannten Sputums des Betreffenden. Eine solche Sputumprobe wird auf eine Petrischale mit einem bestimmten Nährboden gegeben. Dort können die Mykobakterien wachsen, wenn sie denn in der Probe enthalten waren. Ob das der Fall ist, wird dann unter dem Mikroskop untersucht. Um 40 solcher Proben auszuwerten benötigt ein Laborant fast einen ganzen Tag.

Und hier kommen die Ratten ins Spiel. Die guten Erfahrungen, die man mit ihnen bei der Minensuche gemacht hat, führten dazu, sie auch als TBC-Spürratten auszubilden. So eine Ausbildung dauert ungefähr 9 Monate und läuft im Prinzip ähnlich ab wie bei den Minensuchratten, nur dass sie lernen, einen anderen Geruch zu erkennen. Seit 2007 trainieren Mitarbeiter von APOPO [2] die Nager darauf, bei der Diagnose von TBC zu helfen, indem sie die Tiere auf den Geruch des Mycobacterium tuberculosis spezialisierten - mit gutem Erfolg: die Ratten können es unter den Proben in den Petrischalen mit unglaublicher Sicherheit aufspüren. Für die Untersuchung von 40 Proben benötigen sie nur ca. 7 Minuten. Selbstverständlich werden die Ergebnisse der TBC-Spürer nochmals von einem Labormitarbeiter überprüft. Man konnte aber immer wieder eine sehr gute Treffsicherheit der Ratten nachweisen. Die Unterstützung der Labortechniker durch die großen Nagetiere mit dem extrem guten Geruchssinn ist besonders in den Ländern, die über weniger gute medizinische Ausstattungen verfügen können, von großem Vorteil. Nach einer abgeschlossenen Lehrzeit zur Tuberkulose-Spürratte kann sie um die 100 Proben in nur 20 Minuten prüfen. Je schneller eine TBC-Erkrankung festgestellt wird, desto rascher kann auch eine weitere Ausbreitung der Mykobakterien verhindert wie auch eine frühe Behandlung des Patienten eingeleitet werden. Die TBC-Spürratten helfen also, die Ausbreitung dieser sehr ansteckenden Krankheit einzudämmen.


Anmerkungen:

[1] Bart Weetjens, ein buddhistischer Mönch und Gründer von APOPO, das sind die Anfangsbuchstaben der Organisation, deren Name ungefähr bedeutet: Anti-Personenminen-Beseitigungsprojekt Entwicklung (Original: (niederländisch) Anti-Persoonsmijnen Ontmijnende Product Ontwikkeling

[2] APOPO - eine in Belgien registrierte Nicht-Regierungsorganisation (NGO), die afrikanische Riesenhamsterratten (Giant Pouched Rats) darauf trainieren Sprengstoff (TNT) in Landminen und Tuberkulose Bakterien (Mycobacterium tuberculosis) aufzuspüren.



Diesem Artikel liegen folgende Quellen zugrunde:

http://www.nytimes.com/2015/04/19/opinion/sunday/nicholas-kristof-the-giant-rats-that-save-lives.html?_r=0

http://www.takepart.com/article/2015/05/27/hero-rats-sniff-out-tuberculosis-and-land-mines-africa

https://en.wikipedia.org/wiki/APOPO



25. September 2015


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