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PONYFREUND/006: Aufzäumen oder das tägliche Rodeo auf der Koppel? (SB)


Aufzäumen leicht gemacht

... ohne Streß für Pferd und Reiter


Hallo Freunde, wie geht's,

ich stehe gerade in den Startlöchern für - dreimal könnt ihr raten - das herrlich belebende, witzige, dreckspritzende Aufzäum-Rodeo, was sich jedes echte Pony von Zeit zu Zeit einmal gönnen sollte. Eigentlich sollte jedes Pferd jeden Tag in Rodeolaune sein, denn was macht schon mehr Spaß, als den Reiter mit Sattel auf den Schultern und Zaumzeug in der Hand über die Weide zu hetzen - zum Wiehern komisch. Aber schließlich ist er ja derjenige, der etwas von   m i r   will, oder?

Nachdem Sabine mich rundherum gestriegelt und poliert hat, ist sie nun noch einmal losgegangen, um Sattel und Zaumzeug zu holen. Normalerweise bin ich ja brav. Sabine und ich sind aber auch inzwischen so gute Freunde geworden, daß es mir schwerfällt, ihr einen Gefallen auszuschlagen ... und umgekehrt. So bindet sie mich - im Vertrauen auf meine Anständigkeit - nach dem Striegeln immer los, damit ich noch den einen oder anderen Grashalm genießen kann, während sie unser Reitgeschirr herbeischleppt. Schließlich weiß sie, daß ich sonst immer gleich zur Stelle bin, wenn sie mich ruft. Warum? Nun, ehrlich gesagt hat sie auch immer irgend eine unwiderstehliche Überraschung für mich in der Tasche. Und wir Pferde sind von Natur aus äußerst neugierige Gesellen. Nichts interessiert uns mehr, als der Inhalt von Reitertaschen. Da kommt sie gerade um die Ecke. Was sie wohl diesmal in den Taschen hat? Diese Beule an ihrem Hosenbein sieht doch verdächtig nach Möhre aus! Hmmm, ich liebe Möhren sehr ...

Hat hier irgendjemand was von Rodeo gesagt? Also ich finde, daß ist eigentlich nicht fair gegenüber dem Reiter. Dann muß er sich ja so lange mit meinen Mohrrüben abschleppen. Also Sabine ruft, ich geh mal schnell und frag, was sie will.


*


Unter uns, daß Sabine und ich uns so gut verstehen, liegt zum großen Teil an dem enormen Vertrauen, das sich in den langen Jahren unserer Bekanntschaft zwischen uns aufbauen konnte. Wir Pferde sind von Natur aus sehr schreckhaft. Das hängt damit zusammen, daß wir keine angeborenen Verteidigungsmöglicheiten haben, außer der Flucht. Und so versteht es sich von selbst, daß wir bei jedem plötzlichen, erschreckenden Geräusch erstmal Fersengeld geben und uns die Sache mit einem gewissen Sicherheitsabstand erneut besehen.

Die erste Begegnung zwischen Pferd und Mensch ist deshalb für die weitere Beziehung sehr entscheidend. Mancher unerfahrene Anfänger hat sich seine Pferdefreundschaft dadurch verdorben, daß er sich an ein friedlich grasendes Pferd anschleicht, um ihm dann blitzschnell das Zaumzeug überzuschmeißen oder gar laut zu Schnalzen oder "Ho, ho" oder irgend etwas anderes zu rufen, das er vielleicht für Pferdesprache hält. Ein neuer Pferdefreund sollte daher einige Spielregeln beachten:

Das wichtigste bei der ersten Begegnung ist, daß sich der Reiter von vorn nähert und daß er mit seinem Pony spricht. Der Klang der menschlichen Stimme hat auf jedes Pferd etwas ungemein Beruhigendes, sofern sie nicht ins Hektische überschlägt. Wir sind von Fohlenbeinen an gewöhnt, einlullende menschliche Laute zu hören, denn auch schon unsere Mütter wurden meist von freundlichen Betreuern verwöhnt, als sie mit uns trächtig waren.

Während also ein rechter Ponyfreund ununterbrochen freundlich auf sein Pferd einredet - Komplimente hören wir besonders gern -, tritt er an die Schulter des Pferdes heran und streicht es zunächst über den Hals. Auf diese Weise wird der erste Schnupperkontakt gestattet. Das Pferd kann die Witterung seines neuen Reiters aufnehmen und spürt seine Absichten. Pferde untereinander kommen sich in entsprechender Weise entgegen, wenn man Gelegenheit hat, sie zu beobachten. Und die gleiche freundlich zuvorkommende Weise sollte der Reiter auch für alle weiteren Begegnungen beibehalten. Sie können sich im Laufe der Zeit ruhig zu etwas längerem "Schmusen" und Mähnekraulen ausdehnen. Erst nach dieser Pferdebegrüßung ist der richtige Zeitpunkt gekommen, das Halfter oder den Pferdezaum anzulegen.

Zum Auflegen eines Halfters schnallt man den Nasenriemen auf und legt die Führleine über den Hals des Pferdes, damit man es gut festhalten kann. Dann legt man den Nasenriemen vorsichtig über das Maul und zieht das Kopfstück über die Ohren. Doch immer schön vorsichtig bleiben und keine überstürzten Bewegungen machen. Dann schließt man den Nasenriemen wieder und prüft abschließend, ob das Halfter nicht zu stramm sitzt und die empfindliche Pferdehaut scheuert. Heutzutage gibt es häufig Halfter, die keinen oder nur einen aufschnallbaren Riemen am Kopfstück besitzen. Dann wird das Halfter mit entsprechender Vorsicht über den Kopf gestreift oder die Schnalle am Kopfstück verwendet. Jetzt kann der neue Reiter sein Pferd am Führstrick zum Striegelplatz oder zum Aufsatteln führen. Später, wenn sich beide besser kennen, wird das Halfter nur noch dann zum Schutz des Pferdes angelegt, wenn man z.B. eine Straße überqueren oder in einen Transporter steigen muß oder wenn man sich überhaupt auf unbekanntem Terrain befindet.



A U F Z Ä U M E N

Zunächst muß der Reiter prüfen, ob Nasenriemen, Kehlriemen und Zügel nicht verdreht sind, da verdrehte Geschirrteile empfindlich scheuern und die Haut des Pferdes verletzen können. Er nimmt dann das Halfter ab und führt die Zügel mit der rechten Hand über den Kopf und den Hals des Pferdes. Sollte es jetzt in Unruhe geraten oder etwas Erschreckendes passieren, so hat der Reiter über die Zügel am Hals eine Möglichkeit, einzugreifen und das Pferd wieder zu beruhigen.

Das Kopfstück des Zaumes nimmt er in die rechte und das Gebiß in die linke Hand. Abgesehen davon, daß auch ein Pferd ein Gewohnheitstier ist und vertraute Abläufe am liebsten immer wieder auf die gleiche Weise erwartet, ist es uns Pferden natürlich eigentlich ganz egal, auf welcher Seite der Reiter steht. Doch sollte ein Pferdefreund anstreben, mit seinem Pony später an irgendwelchen Turnieren oder Prüfungen teilzunehmen, dann tut er gut daran, sich von vornherein anzugewöhnen, sein Pferd von links aufzuzäumen. Dabei stellt er sich links an den Kopf des Pferdes und zieht das Kopfstück ganz über Kopf und Ohren. Gleichzeitig schiebt er seinen linken Daumen sanft in den Maulwinkel. Das ist das Zeichen für ein Pferd, sein Maul zu öffnen, damit der Reiter das Gebiß hineingleiten lassen kann.

Kein Pferd aus meiner Bekanntschaft ist von diesem metallenen Dings im Maul begeistert. Deshalb lassen wir uns ganz gerne erst dazu überreden, das Maul aufzumachen. Außerdem ist es ganz wichtig, daß dieser Eingriff äußerst rücksichtsvoll und vorsichtig gemacht wird. Der Reiter sollte aufpassen, daß mit dem Gebißstück nicht an die Zähne geschlagen oder die Ohren zwischen Kopfstück und Stirnriemen eingequetscht werden. Ein wirklicher Pferdefreund überlegt sich jedoch, ob er auf Kosten der eigenen Bequemlichkeit sein Pferd gleich an eine gebißlose Trense gewöhnt. Dazu müssen Pferd und Reiter jedoch lernen, sich auf andere Weise miteinander zu verständigen, als über das Gebiß im Pferdemaul. Doch davon später. An diese klassische Reiterweise werden praktisch alle Reitpferde von Anfang an gewöhnt.

Ist der Trensenzaum angelegt, kann der Kehl- und der Kinnriemen geschlossen werden, sofern sie vorhanden sind. Viele Ponytrensen besitzen keinen Kehlriemen, da er eigentlich überflüssig ist. Der Kehlriemen stammt noch aus der Zeit, als Pferde im Krieg eingesetzt wurden. Da konnte es schon geschehen, daß ein Pferd so erschöpft war, daß es von seinem Reiter, im wahrsten Sinne des Wortes, an den Zügeln zu Fuß zurück ins Lager geschleift werden mußte. Damit dabei die Trense dem ebenfalls müden Krieger nicht über die Ohren rutschte und der kostbare Freund auf der Strecke blieb, wurde der Kehlriemen ganz eng verschnallt.

Ansonsten bleibt der Kehlriemen immer so locker, daß die aufrecht gehaltene Reiterhand zwischen Riemen und Kehlgang Platz hat. Der Kinnriemen, d.h. der Anschluß des Nasenriemens wird auch nur so eng geschnallt, daß man mit dem Handrücken zwischen Riemen und Unterkiefer fassen kann.

Diese Maße werden - laut Sabine - in allen Reitlehren genannt und auch bei den verschiedenen Reiterprüfungen immer wieder gerne abgefragt.

Beim Abzäumen wird beinahe der ganze Ablauf praktisch in umgekehrter Reihenfolge wiederholt, d.h. zunächst den Kehlriemen, dann den Nasenriemen aufschnallen (soweit vorhanden). Anschließend den über dem Hals liegenden Zügel in der Mitte mit der rechten Hand fassen und zum Kopfstück führen. Darauf greift der Reiter mit der gleichen Hand unter das Kopfstück und zieht dem Pferd alles ganz vorsichtig und immer noch mit der rechten Hand über die Ohren. Die linke Hand ist dann frei, um das Gebiß aufzufangen, sobald das Pferd es freigibt. Die meisten sind regelrecht froh, wenn sie es endlich loswerden, aber es gibt auch seltsame Gesellen unter uns, die gerne darauf herumkauen und es nicht hergeben wollen. Dann hilft wieder der besagte Daumen am Maulwinkel, der automatisch oder reflexartig unseren Unterkiefer löst.

Ist die Trense herunter, bestehen einige Pferdebesitzer darauf, daß dem Pony ein Stallhalfter angelegt wird (siehe oben). Das ist bei auf der Weide lebenden Tieren jedoch ziemlich überflüssig und wenn tiefhängende Äste von Bäumen oder Büschen sich darin verheddern, sogar ziemlich gefährlich. Ponyfreunde verzichten also darauf, es sei denn, daß man sich als Mensch beim nächsten Aufzäum-Rodeo einen unfairen Vorteil verschaffen will.

Damit dem Pferd nicht vor seiner eigenen Spucke graut, die, unter uns gesagt, ziemlich schleimig und klebrig ist, sollte der Reiter zumindest das Gebißstück nach jedem Gebrauch gründlich mit heißem oder warmem Wasser abspülen und anschließend trocknen. Ansonsten reicht es aus, die Trense alle 14 Tage vollkommen auseinanderzuschnallen und gründlich mit warmem Wasser und Sattelseife zu reinigen. Dazu werden das Kopfstück, alle Riemen und die Zügel von allen Seiten mit einem feuchten Schwamm abgewischt. Sind alle Teile des Zaumes wieder trocken, taucht man einen zweiten Schwamm in Sattelseife und reibt sämtliche Lederteile damit gut ein. Die Sattelseife zieht anschließend vollständig ein, so daß man sie nicht wieder abwaschen muß. Soweit - so gut! Ich glaube, das Aufsatteln spar ich mir heute. Soviel Reitertheorie hält ja kein Pferd aus!

Bis später Silver



Erstveröffentlichung im Jahr 2000

23. März 2009