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MUSIKKOFFER - KOMPONISTEN/013: Peter Iljitsch Tschaikowsky. Der Nußknacker (SB)


P J O T R   I L J I T S C H   T S C H A I K O W S K Y

Teil 2

Die Geschichte von Klara und dem Nußknacker



Oh, wie war ich aufgeregt, als ich mit neun Jahren zum ersten Mal ein Theater besuchen durfte. Es wurde das Ballett "Der Nußknacker" mit der Musik von Peter Tschaikowsky aufgeführt. Das alte Märchen, zu dem er diese wunderschöne Musik schrieb, hieß "Nußknacker und Mäusekönig". Die Geschichte hat E.T.A. Hoffmann geschrieben. In Rußland kannten sie viele Kinder und auch Erwachsene. Für mich war es nicht nur aufregend, ins Theater zu gehen und ein Ballett zu sehen, auch meine Liebe zum Märchen wurde gestillt. Nie werde ich die Musik vergessen und die Tänzer, die ich bewundernd mit großen Augen verfolgte, und deshalb möchte ich euch hier auf jeden Fall vom Nußknacker und Tschaikowskys Nußknackersuite erzählen.

Nun fragt ihr euch sicher: Wieso Suite? Was ist eine Suite? Im Zusammenhang mit Peters Musik und seiner Zeit ist eine Suite einfach nur die frei zusammengesetzte Folge von musikalischen Stücken (man nennt das Sätze), zum Beispiel hier die Tänze eines Balletts.

Am besten wäre es natürlich, ihr könntet euch die Musik von euren Eltern auflegen lassen und dann - hört gut zu! Jeder Satz, das heißt jedes Stück, jeder Tanz ist deutlich vom nächsten zu unterscheiden. Ich habe sie der Reihe nach für euch numeriert und benannt.


1. Schon wenn die Musik beginnt, wissen wir: Ein Abenteuer erwartet uns. Hier nennt man den Anfang, die Eröffnung des Bühnenstückes, die Kleine Ouvertüre. Die Musik der kleinen Ouvertüre ist fröhlich und beschwingt. Die Geiger eilen mit ihren Bögen über die Saiten, die Bläser blasen auf ihren verschieden heller und dunkler tönenden Instrumenten. Anmutig erklingen schließlich die glöckchenartige Triangel und die gezupften Saiten der Streicher.

Hier die Geschichte: Es ist Weihnachten. Die Eltern haben begonnen, den Weihnachtsbaum zu schmücken. Aufgeregt stürmen die Kinder ins Weihnachtszimmer und fangen zu tanzen an. Sie tanzen einen lebhaften Marsch.


2. Marsch kommt von dem französischen Wort marcher und bedeutet marschieren oder gehen. Mit dem Marsch ist ein Musikstück gemeint, das die Bewegung des Gehens und Marschierens im Gleichschritt unterstützt. So tanzen also unsere Kinder Klara und ihr Bruder Franz einen Marsch um den Weihnachtsbaum herum.

Fanfarenartig läßt Peter Tschaikowsky nun die Blechbläser aufblasen und hält das Marschmäßige aufrecht durch die immer wiederkehrenden Läufe der Streicher und des gezupften Cellos. Die Fanfare war ursprünglich ein trompetetes Signal. Zum Beispiel bedeutete das Erklingen einer Fanfare beim Kampf auf dem Schlachtfeld, daß sich die Soldaten zum Angriff bereit machen sollten. Auch an den Höfen der Adligen blies man Fanfaren. Sie kündigten ein besonderes Ereignis an. In unserer Musik leitet die Fanfare ein Abenteuer ein.

Zur Bescherung bekommt Klara einen Nußknacker geschenkt. Nachts, als sie vor Aufregung nicht schlafen kann, stiehlt sie sich zurück ins Weihnachtszimmer, um ihren Nußknacker noch einmal anzusehen. Erschrocken bleibt sie stehen, denn sie schaut mitten auf ein Kampfgetümmel. Vom Mäusekönig angeführt, kämpft eine Horde von Mäusen gegen ihren geliebten Nußknacker und seine Spielzeugsoldaten. Ängstlich betrachtet sie das Geschehen. Schließlich sieht es so aus, als ob der Nußknacker den Kampf verliert. Das kann Klara nicht zulassen. Sie erschlägt den Mäusekönig mit ihrem Pantoffel und beteuert dem Nußknacker ihre Liebe. Was denkt ihr, was nun passiert? Unser Nußknacker verwandelt sich in einen Prinzen, der Klara ins Königreich der Süßigkeiten einlädt. Klara nimmt die Einladung an und folgt ihrem Prinzen. Im Süßigkeitenreich wird sie mit einem Fest geehrt, bei dem ihr zahlreiche Tänze vorgeführt werden.


3. Der erste Tanz ist der "Tanz der Zuckerfee". Er beginnt mit gezupften Celli. Unmittelbar folgen die Klänge der zarten, glockenähnlichen Celesta, und die Zuckerfee tanzt zum perlenden Klang dieses damals ungewöhnlichen Instruments. Eine Celesta hat wie ein Klavier Tasten und sieht auch aus wie ein Klavier. Wenn man diese Tasten anschlägt, hört man allerdings den Klang eines Glockenspiels. Es heißt, Peter Tschaikowsky habe dieses Instrument als eine Überraschung heimlich aus Frankreich mitgebracht. Er befürchtete, jemand könnte ihm zuvorkommen und die Celesta in einer Komposition verwenden. So beschloß er, vor der Uraufführung des Balletts aus den Sätzen des Nußknackers erst einmal eine Suite zusammenzufügen und zu veröffentlichen. Das Publikum war begeistert!

Während wir das glockenartige Spiel der Celesta hören und die zarte, feine Zuckerfee tanzt, setzt ein Bläser mit seinem Fagott ein. Volle, tiefe Töne erklingen und verstärken den Zauber, verbreiten eine unheimliche Stimmung.


4. Dem Tanz der Zuckerfee folgt nun ein temperamentvoller, russischer Kosakentanz, der "Trepak". Hier hat Tschaikowsky eine lebhafte russische Volksweise eingearbeitet. Das schnelle, energiegeladene Tempo, das uns mitreißt, wird durch den Einsatz von Streichern, Geigern, erreicht. Das Tambourin mit seinen Schellen lädt durch seine schwungvolle Untermalung zum Tanz ein.

Klara schaut bewundernd zu und auch sie würde sich am liebsten mitdrehen. Aber da wechselt die Art des Tanzes schon wieder. Eine etwas unheimliche, düstere Atmosphäre entsteht, die den bedrohlichen Angriff des Mäusekönigs und seiner Mäusescharen versinnbildlicht.


5. "Der arabische Tanz" hat begonnen. Auf den Celli werden tiefe gleichbleibende, dunkle Töne gestrichen. Auch das klangvolle, tiefklingende Fagott wird wieder eingesetzt, um das Düstere des Geschehens an uns heranzutragen. Habt ihr schon einmal einen arabischen Schlangentanz gesehen? Ich finde, den könnte man sich hier gut vorstellen. Die Schlange wird mit einer Flöte aus ihrem Korb herausgelockt und mit den ertönenden Trillern der Oboe, dadidadida, windet sie sich in die Höhe. Wir stehen staunend im Orient und schauen dem Schauspiel zu. Wenn wir das Fagott hören, zieht sich die Schlange folgsam, den tieferen Tönen der Flöte folgend, in den Korb zurück.


6. Der nächste Tanz heißt "TEE" und ist ein "chinesischer Tanz". Im Hintergrund hören wir gleichmäßig die tiefen Töne des Fagott, während die helle Piccoloflöte in den Vordergrund tritt. Sie wechselt sich mit den gezupften Celli ab, die uns gleich an kleine, tänzelnde Chinesen denken lassen. Das Tempo ist ein sogenanntes Allegretto (ein mäßig bewegtes Musikstück). Hier ist das schön erkennbar, sowohl an den gemächlichen Tönen des Fagott, den etwas schnelleren Klängen der Piccoloflöte, als auch an den Bewegungen der Tänzer. Für das Allegretto ist nämlich typisch, daß es wechseln kann - gemächlich unter den schnelleren, aber auch flüssig unter den langsameren Tempi. Die Streicher zupfen ihre Instrumente, und gegen Ende werden noch kleine Glocken eingesetzt, die uns an das im Sonnenschein erstrahlende China denken lassen.


7. Vor Klara wechselt erneut die Szene und sie sieht den "Tanz der Rohrflöten". Das ist ein leichter, ländlicher Tanz mit kleinen Spielzeugflöten. Auch hier erklingen neben den Geigen gezupfte Celli. Eine Oboe setzt ein und wird von der tieferen und volleren Klarinette abgelöst. Beim "Tanz der Rohrflöten" hören wir die verschiedensten Flöten.


8. Als letztes tanzt die Zuckerfee zusammen mit ihrem Gefolge den "Blumenwalzer" und auch den Pas de deux, den Tanz zu zweit, mit dem hübschen Prinzen. Das Stück beginnt mit einem Harfenglissando ("glissando" kommt von dem französischen Wort "glisser" und bedeutet gleiten). Wie ihr deutlich hören könnt, gleitet der Harfenist mit seinen Fingern erst zart, dann anschwellend, von den tiefen zu den hohen Tönen über die Saiten. Es klingt perlend, als ob sich die Blumen im Morgentau öffneten und ihre Farbenpracht zeigten. Der Tanz heißt "Blumenwalzer". Für einen Walzer ist der Dreivierteltakt typisch. Eindeutig spielen die Streicher in diesem Takt, und die Waldhörner leiten eine neue Melodie ein. Mit ihren Instrumenten hellen die Holzbläser die Musik auf.

Das ganze Streichorchester ertönt jetzt im Walzertakt. Wenn ihr genau hinhört, könnt ihr im Hintergrund eine Tuba mit ihrem tiefen Rum-Tum-Ta hören. Sie betont den Takt des Walzertanzes noch. Waldhörner, Flöte und Oboe führen im Wechsel eine Melodie, die sich nun durch den ganzen Blumenwalzer hindurchzieht. Im Hintergrund können wir leise, zusammen mit der Oboe, eine Triangel erlauschen, und wieder denken wir dabei an die bunten, zarten Blumen.

Verschiedene Instrumente rufen verschiedene Stimmungen in uns hervor. Ein Komponist kennt sich damit genau aus. Gezielt setzt er Blechbläser, Holzbläser oder die verschiedenen Streichinstrumente ein. Für uns ist es zwar nicht einfach, die einzelnen Instrumente heraus zu hören und zu erkennen, aber ihre Wirkung auf uns empfinden wir deutlich. Ein Fagott z.B. benutzt Tschaikowsky, wenn es unheimlich wird, die Celesta mit ihrem Glockenklang, damit wir uns die süße Zuckerfee vorstellen können. Und, wenn ihr aufpaßt, werdet ihr wahrscheinlich merken, daß ihr euch ein wenig traurig zu fühlen beginnt. Das erreicht Tschaikowsy durch den Einsatz der Celli. Das Streichinstrument hat hier die Melodie in einer für ein Cello hohen und eher ungewöhnlichen Tonlage aufgegriffen.

Noch einmal erklingt die Melodie des Blumenwalzers, geblasen von den Waldhörnern mit dem Rum-Tum-Ta der Tuba im Hintergrund, selbstverständlich im steten Dreivierteltakt, ehe das ganze Orchester die Melodie übernimmt. Mit kraftvollen Klängen geht schließlich der Walzer zu Ende.

Wer kann sich dem berauschenden Tanz je entziehen? Klara jedenfalls nicht. Auch sie tanzt nun wie alle im Süßigkeitenreich. Die Anwesenden drehen sich gemeinsam mit der Zuckerfee und dem schönen Prinzen im Walzertakt.


Diese Darstellung der Geschichte vom Nußknacker und dem Mäusekönig ist nur eine Möglichkeit, die Musik von Tschaikowsky als Ballett tanzen zu lassen. Es gibt zahlreiche unterschiedliche Ausführungen - in der Ballettsprache nennt man das Choreographien. Ihr müßt euch also nicht wundern, wenn ihr die Geschichte anders kennen lernt.

14. März 2014