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ELTERN/287: Rezension - Frank Thies, Martin Breuer. Die neun bunten Königinnenreiche (Märchen) (SB)


Frank Thies (Text), Martin Breuer (Bilder)

Die neun bunten Königinnenreiche

Queere Märchen - nicht nur für Kinder

Buchcover: © 2018 by Martin Breuer

Cover: © 2018 by Martin Breuer

Queere Märchen - ein neues Genre? Der Leser darf gespannt sein, denn hier scheint eine ganz besondere Botschaft verborgen zu sein, die wohl abweicht von den alt bekannten Märchen-Erzählweisen, in denen das Schicksal von Prinzessinnen, Königen, Zauberern, Hexen, Zwergen, oder Riesen mit dem von armen Bauernsöhnen, Müllerstöchtern oder Schneidern in der einen oder anderen dramatischen Weise verwoben wird, wobei sich der Kampf zwischen Gut und Böse zuspitzt und schließlich das Gute über das Böse obsiegt. In dem vorliegenden Buch "Die neun bunten Königinnenreiche" sollen Menschen mit Besonderheiten, mit Schwierigkeiten, mit Anderssein eine Rolle spielen, die ihren Kummer haben und ausgegrenzt oder mißachet werden. Für sie wurde der Begriff queer [1] geschaffen und der Autor bemüht sich, den Jüngsten einen politisch und moralisch korrekten Umgang zu vermitteln - wie es den Märchen seit jeher eigen ist: "...und die Moral von der Geschicht'..."

Mit Wundersamen und Zauberhaften wird in diesem Buch nicht gespart, obgleich sämtlich Seltsames sich auf ein Wechselspiel der Farben beschränkt, wenn es um die Ausgestaltung der Königinnenreiche geht. Dort trifft man auf strohgelbe Flüsse, rot-lila Wälder, blaue Wiesen mitsamt grünem Sonnenlicht und dem orangen Mondschein. Bevölkert werden sie von großen Riesen, kleinen Zwergen, dicken Moppels, dünnen Strolchis, von Feen und Feenrichen.

Bei fortgesetzter Lektüre wird der Leser mit einer überbordenden Pracht an Merkwürdigkeiten konfrontiert, mit riesigen gelben Torten, die in den Himmel wachsen, mit Blättern, die einem beim Klettern behilflich sind, mit blauen Blätterseilen und vielem mehr, doch bleiben sie Staffage, ebenso wie etliche Märchenwesen wie die Tanztruppe Fliegender Bär, die uralte Bürgermeisterin und ihre Ehefrau, Kuscheligel Raphael mit Gummistacheln, die verrückten Feenriche, die Zwanziglinge aus Xixi oder die lila Giraffe. Sie alle werden nur kurz erwähnt, tauchen aber nirgends wieder auf. Sie dienen als bunte Ausschmückung ohne weitere Bedeutung. Wie aus einer überdimensionalen Bonbontüte purzelt eine enorme Zahl an entrückten, eigenartigen Wesen hinunter auf den Text und überschütten das löbliche Anliegen des Autors, die ungewöhnlichen Lebenssituationen von Menschen, die hier unter Queere subsummiert werden, zu beschreiben. Eine vielfarbige Palette ergießt sich zudem noch über Landschaft und Gebäude und bildet gleich einem Bühnenbild den Hintergrund der einzelnen Königinnenreiche, wie in dem folgenden Beispiel:

Der Zwerg machte die für ihn viel zu hohe Tür auf und sah eine wunderschön gekleidete junge Frau und einen ebenso feschen mittelalten Mann im Gang vor dem Eingang in sein Heim unter der Erde stehen. Im Reich der Erzgebirge, im Boco del Tierra war so vieles, die Erde, der Stein, in der Farbe Magenta, manche würden es ungenau als pink bezeichnen. Doch in der Höhlenwohnung der Zwergenwesen war alles superschön bunt: grün, blau, violett, rot, orange, gelb, braun, silber, magenta! (S. 42) 

In dem Kapitel "Verwirrung bei den Zwergenwesen", aus dem das eben genannte Zitat stammt, geht es um die verschiedenen, vielfältigen Beziehungsmöglichkeiten und um Barrierefreiheit. Überdeckt wird all das durch die vielen Namen der Zwergwesen, die alle mit dem Buchstaben N beginnen (Nonil, Naunil, Nunil, Nenil, Nonile, Nunule, Neinäule, Ninile) und in so verwirrender Weise genannt werden, daß weder die Protagonisten noch der Leser wirklich den Überblick behalten. Das vielleicht unterhaltsam oder lustig angelegte Szenenbild steht der eigentlichen Botschaft im Weg.

Das Buch läßt keinen Zweifel daran, daß es dem Autor ein inneres Anliegen ist, sich der Queer-Problematik zu widmen und auch die ganz jungen Leser damit zu konfrontieren, um ihnen Umgangsmöglichkeiten zu eröffnen, denen Achtung und Respekt innewohnen.

Als Rezensent muß ich einräumen, daß die kurzatmige Erzählweise, die schnellen kurzgegriffenen Textentwürfe nicht nach meinem Geschmack sind. Eine Überlegung sei hier allerdings erlaubt. In mehreren Studien wird eine Zunahme der Aufmerksamkeitsstörungen insbesondere bei Kindern und Jugendlichen festgestellt. Zudem werden in anderen Untersuchungen vermehrt auftretende Leseschwächen angeführt, das heißt, den Lesern fällt es schwer, den Inhalt langer Sätze zu erfassen und zu begreifen. In Anbetracht dessen führen vielleicht also gerade die Vielfarbigkeit und die, um es einmal umgangssprachlich zu formulieren, "vielen Fässer, die aufgemacht werden" dazu, den Leser in möglichst kurzen Intervallen mit Neuigkeiten zu versorgen und ihn so an den Text zu binden? Doch könnte es nicht ebenso genau das Gegenteil bewirken - ein endloses, nichtssagendes Feuerwerk bindet nicht wirklich. Das sollte doch eher eine spannende Erzählung bewirken, oder ein gewichtiges Thema, das entsprechend dargestellt oder problematisiert wird. Hier ist der Autor meines Erachtens seinem Anliegen, den Kindern die vielen Unterschiede, die unter Menschen vorkommen können, wie auch die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten ihrer Lebensweisen und -situationen nahezubringen und gleichwohl zu erklären, daß diese Unterschiede unwichtig sind, weil alle Menschen gleich sind oder gleich behandelt werden sollten, nicht gerecht geworden. Aus meiner Erfahrung haben gerade kleine Kinder keine Probleme mit Menschen verschiedenster Art oder Hautfarbe. Sämtliche Vorbehalte gegenüber Anderen oder Fremden werden durch das Verhalten und die Einstellung der Erwachsenen vermittelt. Insofern wäre dieses Märchenbuch für kleine Kinder kaum erforderlich gewesen und ob Erwachsene für das Begreifen der Queer-Problematik ein solches Märchenbuch brauchen, sei dahingestellt.

Immerhin erhalten die vielen kleinen märchenhaften Episoden dann doch noch einen Zusammenhang. Das unscheinbare farblose Eichhörnchen hält so etwas wie den roten Faden und übernimmt den Part des Bösewichts oder besser des Unruhestifters, der am Ende die Chance bekommt, sich dem Guten zuzuwenden, konnte es doch erstmals seine Beweggründe kundtun, die es zu den Missetaten verleiteten. Selbst lange Zeit ungerecht behandelt und ausgegrenzt, wurde es ihm erlaubt, nun Mitglied der neuen Gesellschaft werden. Am Schluß heißt es dann auch:

Aber wir, die jungen Wesen dieser Länder wünschen uns das Ende der Königinnenreiche, denn wir wünschen uns ein gemeinsames Entscheiden: Wir möchten, daß Arm und Reich, Groß und Klein, Weiblich, Männlich, Dazwischen oder Ganz-anders, Schlau oder Nicht-so-schlau, Alt und Jung gemeinsam entscheiden und regieren. Wir sind eine Gemeinschaft und eine Familie. Was haltet ihr davon? Alle applaudierten und fanden es gut. (S. 86) 

So erhält auch dieses Märchen ein gutes Ende und hier möchte ich den Autor sprechen lassen, der selbst Vater zweier kleiner Kinder ist und sich in einem Arbeitskreis Vielfalt in Hamburg engagiert, wo er als Lehrer tätig ist: "Dieses Märchenbuch soll zum einen ein Buch voller Geschichten sein, die einfach Spaß machen, zum anderen soll es eine gleichberechtigte, LSBTI* [2] -freundliche, antirassistische, Behinderten-freundliche Alternative sein."

Zudem können sich Groß und Klein an den Illustrationen erfreuen, die von dem Grafiker Martin Breuer angefertigt wurden. In bunten Regenbogenfarben zeichnet er lustige und teils sehr munter dynamische Bilder, die die jeweiligen Szenen der einzelnen Kapitel in liebevoll gestalteter Weise darstellen.


Hier noch ein HINWEIS:
Am 6. Juni 2019 um 20:00 Uhr liest der Autor Frank Thies im "Kulturcafé Komm du", Buxtehuder Str. 13, 21073 Hamburg-Harburg aus seinem Queere-Märchenbuch.

Das Buch ist bereits in der zweiten Auflage mit 54 Bildern erschienen. Und Schleswig-Holstein (Ministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren) hat im Rahmen von "Echte Vielfalt" ein Minibuch (enthält 2 Kapitel) finanziert, das man kostenfrei mitnehmen kann.
Mehr Informationen auf www.queerqueendoms.de


Anmerkungen:

[1] queer: queer sein, queer leben
Herkunft: englisch queer und bedeutet: sonderbar, merkwürdig; andersartig. Eine genauere Herkunft ist ungeklärt und das Wort könnte seinen Ursprung im späten Mittelniederhochdeutschen haben und mit "quer" verwandt sein.
(Quelle: https://www.duden.de/rechtsschreibung/Queer#herkunft)

[2] LGBT: Wortbedeutung: Es handelt sich um eine Sammelbezeichnung für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transsexuelle, vermutlich wählte der Autor entsprechend die deutsche Abkürzung LSBTI, wobei das "I" für Intersexuell steht.
(Quelle: https://www.wortbedeutung.info/LGBT/)


Frank Thies (Text)
Martin Breuer (Bilder)
Die neun bunten Königinnenreiche
Queere Märchen - nicht nur für Kinder
Herstellung und Verlag, BoD - Books on Demand, Norderstedt, 2018
88 Seiten
9,99 Euro
ISBN 978-3-7460-9937-8


22. Mai 2019


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