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KALENDERGESCHICHTEN/092: 08-2018   Verkehrte Welt - Hundeschrecken ... (SB)


Die Entenschar flüchtet Richtung Teich, Gina dreht sich verwundert zu Henry und dem Marderhund um - Buntstiftzeichnung: © 2018 by Schattenblick

Die kleine Ente Gina und Henry Maus waren auf dem Weg zum Nachbarhof. Dort lebten viele große Enten an einem Teich. Da Gina nun erfahren hatte, dass sie eine Ente war, wollte sie gern wissen, wie sie später aussehen würde und was sie alles konnte oder auch nicht. Doch auf dem Weg dorthin trafen sie auf einen gefährlichen Marderhund, der allerdings gar nicht mehr gefährlich war, denn er hatte eine verletzte Pfote und bat die beiden um Hilfe.

Lukas, der Marderhund, humpelte neben Ente Gina und Henry Maus her und ab und zu stöhnte er leise, denn er hatte ziemlich große Schmerzen. Er tat den beiden Helfern leid, doch es half nichts, die Strecke bis zum Nachbarhof mussten sie nun einmal zurücklegen. Als sie endlich ankamen, bot sich ihnen ein Bild munteren Treibens. Viele große Enten liefen um einen kreisrunden Futterplatz herum und hin und her, um möglichst viel von den dargebotenen Köstlichkeiten zu ergattern. Als die auf dem Teich schwimmenden Enten das aufgeregte Geschnatter hörten, paddelten sie flugs zum Ufer und watschelten eiligst auf das Getümmel zu.

Gina staunte: "Oh, so groß werde ich auch mal sein?"

"Klar doch, vielleicht dauert es noch ein Weilchen, aber wenn du so weiter wächst wie bisher ...", fügte Henry hinzu, "... wohl doch nicht mehr so lange." Er hatte sie erst jetzt genau betrachtet und festgestellt, dass sie schon ein ganzes Stück größer geworden war, und er entdeckte in ihrem gelben Daunenkleidchen die ersten kleinen, weißen Federn.

Gina hatte den Marderhund ganz vergessen, so begeistert war sie von der weißen Federpracht und der kräftigen Gestalt ihrer Verwandtschaft. Freudig eilte sie auf die Menge zu, Henry folgte ihr dichtauf, um auf sie aufzupassen, denn wer weiß, vielleicht hieß die Entengemeinschaft sie gar nicht willkommen.

Gina hatte sich schon in Rufweite gebracht und wollte gerade ein "Hallo" hinüber schicken, als die Entenschar auf einmal in wilder Hast auseinanderstob. Welch ein Geflatter und Geschrei. Doch wenige Augenblicke später versammelten sich die aufgebrachten Enten schon wieder am Teichufer, weit entfernt von der drohenden Gefahr.

"Oh je", dachte Ente Gina, "bin ich denn so furchteinflößend? Sehe ich so schrecklich aus, dass alle vor mir weglaufen?"

Sie drehte sich zu Henry Maus um, sah ihn fragend an und erblickte ganz dicht hinter ihm den Marderhund Lukas. "Puuuh, ein Glück, die Enten sind gar nicht vor mir geflüchtet, sondern vor Lukas", erklärte sich Gina. Doch sie fühlte sich trotzdem gar nicht wohl, denn einerseits wollte sie gern zu ihrer Verwandtschaft hinübergehen, um mit ihnen zu sprechen, sie alles fragen, um all die Dinge von ihnen zu erfahren, die für ein Entendasein wichtig waren. Andererseits musste sie sich auch um Lukas kümmern und das bedeutete, dass sie und Henry mit ihm den Teich erreichen mussten, um seine kranke Pfote zu kühlen. Doch dort hatte sich die ängstliche Entenschar versammelt. Gina wusste nicht, wie sie dieses Problem lösen sollte und seufzte leise aber vernehmlich.

"Was ist mit dir?", wollte Henry wissen, der ihren Sorgenlaut wohl gehört hatte. Gina schluckte schwer und platzte dann mit ihrem Kummer heraus. Doch Henry schien gar keine Schwierigkeit zu erkennen, denn er schlug ihr vor, ganz einfach allein zum Teich zu gehen und den Enten die Lage zu erklären oder sie sogar um Hilfe zu bitten. Einen Moment lang überlegte Gina, dann fasste sie sich ein Herz, nickte Henry zu und stapfte entschlossen in Richtung Teich. Als die großen Enten sie erblickten, rückten sie noch enger zusammen und reckten ihre Hälse neugierig vor. Gina konnte ihr leises und erstauntes Gemurmel hören, wusste aber nicht recht, ob das gut oder schlecht war, ob sie doch lieber umkehren sollte oder nicht. Mutig setze sie einen kleinen Entenfuß vor den anderen, bis sie schließlich dicht vor den großen Enten Halt machte. Sie hatte sich schon viele Worte zurechtgelegt, um ein Gespräch mit ihren Verwandten zu beginnen, doch als sie die weißen Federkleider aus der Nähe betrachtete, staunte sie nur: "Oh, seid ihr aber schön!"

Da stimmten die Enten ein leises Gelächter an, ein freundliches, das noch etwas lauter wurde, als Gina ihren Schnabel auf und zu machte und doch kein Wort mehr heraus brachte. Eine ganz besonders dicke Ente, die zudem auch noch sehr groß war, setzte sich in Bewegung und als sie dicht vor Gina stand flüsterte sie: "Du brauchst dich nicht zu fürchten, kleines Küken!"

"Ich bin kein Küken, ich bin eine Ente!", warf Gina sich stolz in die Brust.

Da schmunzelte die große, dicke im weißen Federkleid und sprach mit sanfter Stimme weiter: "Sicher bist du eine Ente, noch eine ganz kleine und du scheinst mir irgendwie verloren gegangen zu sein, oder warum bist du ganz allein hier?"

"Ich bin gar nicht ganz allein hier!", protestierte Gina, dort hinten ist mein Vater, Henry Maus. Er passt auf mich auf und ich lebe schon immer bei ihm."

"Und wer ist denn der riesige und ziemlich gefährlich anzusehende Geselle da hinter deinem Vater?"

"Das ist Lukas, seine Pfote ist kaputt und er bat uns um Hilfe und hat versprochen, uns nicht zu fressen", erklärte Gina.

"Na, da bin ich aber beruhigt, denn ich muss sagen, dass uns allen ...", dabei wandte sie sich zu der schnatternden Entenschar am Teich um, "... ein ganz schöner Schrecken in die Glieder fuhr, als wir euch immer näher kommen sahen. Aber nun gut, was denkst du, was können wir tun?"

"Ich glaube, es wäre gut, wenn wir Lukas' Pfote ins Wasser halten."

"Ja, gute Idee, waschen und kühlen, ich verstehe. Aber warte hier, ich werde erst den anderen Enten Bescheid geben, dass keine Gefahr droht und ihnen erklären, was wir vorhaben!", forderte sie, drehte sich um und war auch schon auf dem Weg zum Teich. Wenige Momente später winkte sie Gina, Henry und Lukas heran. Der Marderhund humpelte und jaulte ganz leise, bis er sich ganz nah am Teichufer ins Gras fallen ließ. Die große, dicke Ente, die sich inzwischen als Oberhaupt der Entengemeinschaft und mit Namen Rebecca vorgestellt hatte, wagte sich als einzige ganz nah an Lukas heran und betrachtete seine Verletzung sehr genau. Dann entschied sie: "Da müssen Blätter drauf, von dem Busch dort drüben! Aber erst muss die Pfote gut gewaschen werden."

"Das übernehme ich", meldete sich Henry Maus und las eine der herumliegenden Federn auf. Dann bat er Lukas seine Pfote ins Wasser zu halten, tauchte die Feder ebenfalls hinein und strich damit sorgfältig den Schmutz aus der Wunde.

"Ich laufe und hole die Blätter", erbot sich Gina und eilte auch schon los. Als sie die Blätter schon beinahe greifen konnte, raschelte es im Busch und zwei dunkle Augen blitzen zwischen dem Blattwerk auf.

Fortsetzung folgt ...



zum 1. August 2018


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