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KALENDERGESCHICHTEN/039: 03-2014   Der kleine Wolf - Rufus, der Fuchs (SB)



Buntstiftzeichnung: © 2014 by Schattenblick

Der kleine Wolf

Rufus, der Fuchs

Rudi und Krawell hatten im Schuppen Schutz vor dem Schneesturm gefunden. Nachdem sie beide mit Äpfeln und Kartoffeln ihren Hunger gestillt hatten, schliefen sie im warmen Heu ein. Als sie erwachten, lag draußen eine dicke Schneedecke. Sie wollten hinaus, doch der viele Schnee hatte die Schuppentür versperrt. Nun war guter Rat teuer.

Krawell sah zum kleinen Wolf hinüber: "Hey, Rudi, ich hab' doch nur einen Spaß gemacht. Ich habe schon eine Idee." Rudi hob den Kopf und blickte erwartungsvoll zum Raben.

"Nun, wir haben ja noch das Fenster. Ich fliege hinaus und versuche herauszufinden, warum die Tür sich nicht öffnen lässt."

"Ja, und ich springe gleich hinterher", rief der kleine Wolf und tapste mit beiden Pfoten auf das Sims. Dabei bemühte er sich, mit den Hinterpfoten an der Wand Halt zu finden. Es gelang ihm aber nicht, sich weiter hochzuhangeln.

"Nein, nicht doch, Rudi, wenn du dort hinunter springst, versinkst du. Ich kann dir dann nicht mehr heraus helfen."

"Oh", erschrak sich der kleine Wolf, "dann warte ich lieber hier auf dich."

"Genau, bin gleich wieder da", versprach der Rabe und flog durchs Fenster.

Rudi sah ihm nach. Doch was tat Krawell? Wo wollte er hin? Direkt auf eine Baumkrone steuerte er zu und ließ sich im Geäst nieder. Der Rabe sah nun ganz winzig aus. Rudi wurde unruhig. Was, wenn er gar nicht nach der Tür sehen, sondern sich nur auf und davon machen wollte? "Aber ich kann ihm nicht hinterher laufen, der Schnee, Krawell hat gesagt, ich versinke darin und dann bin ich weg, weg, wie alles andere auch", überlegte Rudi. Traurig wandte er sich vom Fenster ab und taperte unschlüssig in der Scheune umher. "Und jetzt, wie komme ich nun hier heraus?"

Schließlich wühlte er sich im Heu eine Mulde und legte sich hinein. "Wenigstens ist es warm hier drinnen. Aber an die schönen Äpfel reiche ich nicht ran, das Regal ist viel zu hoch, schade. Na, dann esse ich noch ein paar Kartoffeln."

Schmatzend kaute er eine nach der nächsten und als er endlich satt war, überfiel ihn ein ganz schrecklicher Durst. "Ich muss was trinken, Wasser, ich will Wasser trinken", jaulte er laut auf. Im Schuppen gab es kein Wasser. Rudi fühlte sich total verlassen, einsam und hilflos. Immer wieder musste er an Krawell denken. Er konnte nicht verstehen, warum der Rabe erst so freundlich zu ihm gewesen war, ihm das Leben rettete und ihn dann im Stich ließ. Verzweifelter als der kleine Wolf konnte wohl kaum jemand sein. "Gefangen bin ich, eingesperrt und verdursten muss ich wohl auch", grämte er sich.

Nach einer Ewigkeit, jedenfalls erschien es Rudi so, klopfte es kräftig und ungeduldig an der Tür. "Rudi, hörst du mich, ich bin zurück. Jetzt schaffen wir den Schnee fort, damit wir die Tür öffnen können. Hast du mich verstanden?"

"Ja, ja, bist du es wirklich? Krawell, bist du das?", aufgeregt japste der kleine Wolf.

"Wer denn sonst?"

"Als ich gesehen habe, wie du in die Ferne geflogen bist, dachte ich, du kommst nicht mehr wieder", schluchzte Rudi.

"O je, was du von mir denkst. Ich erkläre dir alles später. Jedenfalls habe ich Hilfe geholt. Der Fuchs ist ein wahrer Meister im Buddeln. Er wird in Null Komma Nix den Schnee weg gegraben haben!"

"O, das ist, das ist ..., ich bin am verdursten ...", stöhnte der kleine Wolf.

"Na, Rufus, dann mal los. Fang an den Schnee beiseite zu schaffen", forderte der Rabe den Fuchs auf.

"Ja, ja, ich bin schon dabei, aber vergiss du nicht, was du mir versprochen hast!", mahnte der Fuchs. Er buddelte und buddelte und türmte hinter sich einen großen Schneehaufen auf. In seinem Eifer landete plötzlich auch Schnee auf Krawell. "Pass doch auf, sonst werfe ich auch gleich mal nach dir ..."

Mit einem merkwürdigen Grinsen drehte sich der Fuchs zum Raben um: "Los, dann versuch 's doch!"

Krawell war ärgerlich. Hätte Rufus, der Fuchs, sich nicht einfach entschuldigen können? "Na warte, du denkst wohl, ich kann nicht mit Schnee werfen, ja?", krächzte er ihm entgegen und breitete seine Schwingen aus, holte aus und schaufelte eine gute Menge der weißen Pracht in die Höhe.

Einen winzigen Moment später fielen kleine Schneeklümpchen auf den Fuchs nieder. Der schüttelte sich und lachte, buddelte dann wie verrückt, warf den Schnee hinter sich und bemühte sich diesmal regelrecht, den Raben zu treffen. Krawell, nicht minder wild entschlossen, den Fuchs mit Schnee zu bewerfen, schaufelte mit seinen Flügeln wie von Sinnen. Auf einmal fing auch Krawell herzlich an zu lachen.

Rudi konnte nicht sehen, was sich da draußen abspielte. "Hey, was treibt ihr da?", rief er so laut er konnte durch die Tür. Er musste allerdings dreimal laut brüllen, bis sie ihn endlich hörten. Krawell hielt im wilden Toben inne. Er sah sich um und erkannte ziemlich schnell, wie blöd sein Schneewerfen war. Rufus hatte schon viel Schnee abgetragen, die Schuppentür war beinahe ganz zu sehen, doch Krawell hatte immer wieder den Schnee zurückgeworfen. So waren sie nicht wirklich weit gekommen mit ihrer Befreiungsaktion. Betreten sahen sich die beiden Schneewerfer an.

"Rudi, einen kleinen Augenblick musst du dich noch gedulden. Gleich legen wir die Tür frei und dann kannst du hinaus, verstanden?", rief Krawell ihm zu. Dann wandte er sich wieder an Rufus und sprach ganz leise: "Los, komm, wir schaffen den Schnee gemeinsam fort, dann geht 's schneller."

"Geht klar, aber du hältst trotzdem dein Versprechen?"

"Klar doch, was denkst du denn? Ein Rabe, ein Wort!", entgegnete er und so machten sie sich ans Werk. Der Schnee flog nur so hinter sie und in kürzester Zeit hatten sie es geschafft. Die Schuppentür ließ sich öffnen.

"Danke", seufzte Rudi, als er seine beiden Retter erblickte. "Ich muss unbedingt etwas trinken, Milch oder Wasser."

Rufus und Krawell sahen sich an: "Na, denn", meinte der Fuchs, "wo wir Milch für dich finden, weiß ich. Vielleicht gibt es dort auch Wasser."

"Hey, ich dachte du wolltest unbedingt Schnee sehen und jetzt denkst du an nichts anderes als an Trinken?", wunderte sich der Rabe lauthals.

Vorsichtig setzte Rudi eine Pfote vor die andere und tapste so das erste Mal in seinem Leben in Schnee. Er fühlte sich kalt an und war ganz weich. Rudi schnupperte und stupste seine Nase in das weiße, kalte Etwas. Wie das in der Nase kitzelte. Er musste niesen und schüttelte sich.

"Na, komm schon, hinein in den Schnee! Wenn du etwas trinken willst, folge mir!", forderte ihn der Fuchs auf.

"Aber Krawell sagte, dass ich im Schnee versinke und dann bin weg", protestierte der kleine Wolf.

"Ach was, du bist viel zu leicht. Sieh her!", rief Rufus ihm zu und sprang in das weiche Weiß. Rudi staunte. Nur mit den Pfoten sank der Fuchs ein. Behende hüpfte er weiter, drehte sich zum kleinen Wolf um: "Nun komm schon!" Einen kleinen Moment zögerte Rudi, dann wagte er sich in das Abenteuer und lief hinter Rufus her.

"Na, gefällt es dir?", rief Krawell.

"O, Schnee ist wunderbar", quieckte Rudi. Auf diese Weise tobten sie eine ganze Weile durch das weiße Pulver, bis sie schließlich auf ein großes Gehöft stießen. Viel war von dem Bauernhaus und dem Stall nicht zu sehen. Auch der Hofplatz war zugedeckt. Der Schnee reichte bis zur Mitte der Fenster und Türen des Hauses.

"Wir müssen in den Stall!", kommandierte der Fuchs.

Rudi erschrak. "Nein, nein, niemals, dann bin ich ja wieder gefangen! Vielleicht komme ich da nie wieder raus - ich habe genug von Schuppen!", protestierte er. "Ich bin auch überhaupt nicht mehr durstig."

Irgendwie konnte Krawell den kleinen Wolf verstehen. "Reg dich nicht auf, Rudi, ich habe eine Idee. Warte hier einfach auf mich." Dann flog der Rabe los, hielt Ausschau nach einem offen stehenden Stallfenster, flog hinein und fand die Katzenschüssel im Kuhstall vollgefüllt mit Milch. Mit seinem kräftigen Schnabel packte er sie, steuerte sicher durchs Fenster und landete direkt vor Rudi. "Hier", lass es dir schmecken", forderte Krawell den kleinen Wolf auf. "Wenn du fertig bist ..."

Buntstiftzeichnung: © 2014 by Schattenblick

Buntstiftzeichnung: © 2014 by Schattenblick

Lautes Bellen unterbrach den Raben. Ein riesiges knurrendes Ungetüm mit einer noch viel riesigeren Schnauze stürmte durch den Schnee, der an den Seiten weithin auseinander stob.

Rufus ergriff als erster die Flucht, Rudi blieb wie festgefroren sitzen, stierte auf die Milch, beugte sich vor, trank gierig ein paar Schlucke ...

"Rudi, bist du verrückt, lauf, lauf!", kreischte der Rabe. Der kleine Wolf erstarrte voller Angst aufs Neue. Er konnte sich nicht mehr bewegen. Krawell packte ihn am Nackenfell, hob ihn an und flog mit ihm in die Höhe. Jetzt strampelte Rudi wie wild mit seinen Pfoten. "Halt still, verdammt, du sollst stillhalten!", schrie Krawell laut und wütend. Als der kleine Wolf endlich aufhörte zu zappeln, sprach der Rabe ganz sanft zu ihm: "Rudi, du brauchst keine Angst zu haben, sei einfach ganz ruhig, ich fliege uns von hier fort ..."

Fortsetzung folgt ...

1. März 2014