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KALENDERGESCHICHTEN/037: 01-2014   Der kleine Wolf - Lautes Knallen und eine holperige Flucht (SB)



Buntstiftzeichnung: © 2014 by Schattenblick

Der kleine Wolf

Lautes Knallen und eine holperige Flucht

Der kleine Wolf erwachte, weil ihm irgendetwas oder irgendjemand auf der Nase herumtanzte. Nachdem er dreimal kräftig nieste, seinen Kopf schüttelte, dass ihm die Ohren schlackerten, setzte er sich auf. "Wer war das", knurrte er ärgerlich und bekam keine Antwort. Vor ihm auf dem Boden aber lag eine schwarze Feder. Neugierig schnüffelte er daran. Die Feder schwebte für einen Augenblick über dem Boden, segelte wieder hinunter und blieb liegen. Der kleine Wolf schnüffelte nochmals und das Schauspiel wiederholte sich. Ärgerlich legte er seine Pfote darauf, die Feder blieb liegen. Er kümmerte sich nicht weiter um sie, kuschelte sich wieder auf seinen Schlafplatz, um kurz danach hochzuschrecken. Was war das? Ein ohrenbetäubender Knall zerriss die Stille. Alle Wölfe sprangen total erschrocken auf ihre Pfoten. Ein weiterer Knall folgte. Die erwachsenen Wölfe schienen wirklich Angst zu haben. Sie heulten auf und rannten so schnell fort, dass der kleine Wolf wie versteinert sitzen blieb und ihnen nachsah. "Rudi, komm, lauf, lauf um dein Leben!", rief ein großer Wolf im Vorbeirennen. Rudi begriff nicht, was hier vorging. Dann wurde es auch noch ganz plötzlich dunkel. Der Himmel verfinsterte sich mit einer schwarzen, tobenden Wolke. Der kleine Wolf sah hinauf - in dem Moment schoss ein großer Vogel aus dieser Vogel-Wolke hinunter, direkt auf ihn zu. Dieser schwarze Rabe hieb seinen Schnabel in Rudis dickes Fell und zog ihn nach vorn. "Lauf, du dummer Wolf, lauf, die Jäger, sie schießen auf alles, was da kreucht und fleucht. Also lauf endlich deinem Rudel hinterher!" Wieder knallte es laut hinter ihm und jetzt rannte er so schnell, wie er in seinem Leben noch nicht gerannt war, in die Richtung, die ihn zu seinem Rudel führen musste. Und noch einmal hallte dieser furchterregende Krach durch die Luft, so dass Rudi sich duckte. Am liebsten hätte er sich versteckt. Der Rabe, der den kleinen Wolf schon einmal am Fell gezogen hatte, stürzte sich wieder von oben auf ihn herab. "Bist du lebensmüde? Nun mach aber endlich, dass du weiter rennst. Sieh zu, dass du deine Gefährten erreichst. Dort findest du Schutz!"

Vor lauter Aufregung und Angst bekam Rudi kaum noch Luft. Er hustete und prustete, rappelte sich auf und lief weiter. Aber er sollte nicht weit kommen, denn ein Graben, randvoll mit moderigem Wasser, machte seinem Lauf ein Ende. "Du musst springen!", rief der Vogel ihm von oben zu. Rudi sah zum anderen Ufer des Grabens hinüber. "Das schaffe ich nie!", brüllte er. Doch der Rabe ließ ihn nicht in Ruhe. "Nimm einen kleinen Anlauf und dann hinüber mit dir!" Der kleine Wolf machte kehrt, sprang in hohen Sätzen eine kurze Strecke, machte jäh kehrt und rannte im vollen Tempo auf den Graben zu, stieß sich kräftig mit den Hinterpfoten ab und flog in hohem Bogen - leider nicht weit genug. Er landete mit einem lauten Platsch mit seinem Hinterteil in dem ekligen Wasser, mit den Vorderpfoten fand er Halt am Grabenrand. "Streng dich an, schlage deine Pfoten ins Gras und dann zieh dich hoch!" Rudi befolgte den Rat sofort, kam ein Stückchen weiter nach oben, doch als er mit den Hinterpfoten nachhelfen wollte, rutschte er wieder ein Stück ins dreckige Nass. Der schwarze Vogel landete direkt vor ihm und schlug mit den Flügeln: "Kleiner Wolf, streng dich an, du musst es schaffen. Los, versuch 's noch einmal!"

Rudi und der Rabe am Grabenrand - Buntstiftzeichnung: © 2014 by Schattenblick

Buntstiftzeichnung: © 2014 by Schattenblick

Rudi winselte leise, er weinte, dann schluckte er schwer, nahm all seine Willenskraft zusammen und diesmal fanden alle Pfoten halt und er konnte sich am Grabenrand nach oben hieven. Er schüttelte sich kräftig und heulte laut auf vor Freude. "Hey, pass auf, spritz mich nicht nass, ich will nicht genauso stinken wie du!", schimpfte der Rabe. "Oh, tut mir Leid. Danke, dass du mir geholfen hast", er wälzte sich im welken Gras und sprang wieder auf: "Wer bist du?" - "Krawell. Und du?" - "Rudi - Ich stinke? Wirklich?"

"Ja, ganz fürchterlich. Aber dort hinten auf einer Weide, dort steht ein Trog mit Wasser, das auf jeden Fall besser aussieht, als das im Graben. Ich zeige es dir." Der Rabe wartete gar keine Antwort ab, sondern flog einfach los. Rudi folgte ihm und musste sich ganz schön beeilen, denn der Rabe flog ziemlich schnell. "Hierher" rief er, "hier kannst du baden."

Rudi erreichte den Trog, legte seine Pfoten auf den Rand und besah sich das Wasser. Es schien in Ordnung zu sein. Doch wie sollte er dort hinein gelangen, der Trog war viel zu hoch. Rudi versuchte sich hochzuhangeln. Als Krawell das sah, schlug er vor: "Aufhören, so wird das nichts! Stell dich einfach ganz nahe an den Trog!" Rudi tat es. Unsicher blickte er zu dem Vogel, der ins Wasser hüpfte und dann mit den Flügeln zu schlagen begann, dass das Wasser nur so spritzte - genau auf Rudi. Nach einer Weile war er abermals patschnass, aber hinterher roch er wieder wie ein kleiner Wolf. Er schüttelte sich ausgiebig und sauste wieder und wieder um den Trog herum. "Das war toll!", jauchzte Rudi. Dann setzte er sich, sah zum Raben hin, der inzwischen aus dem Trog gehüpft war, und beobachtete ihn dabei, wie er sorgfältig sein Federkleid glättete. "Ich bin hungrig!"

Krawell hielt eine Feder im Schnabel, zog sie zurecht und brummte: "Hmmm, und was soll ich dagegen tun - willst du mich vielleicht fressen?" Rudi blickte in die böse funkelnden Augen des Raben und erschrak.

"Nein, nein, bestimmt nicht", rief er eifrig und richtig laut. Der schwarze Vogel wiegte seinen Kopf hin und her: "Gut. Dann bin ich aber beruhigt. Du hättest mich sowieso nicht erwischt", lachte der Rabe.

"Und, wo gibt 's denn was zu essen für mich? Ich hab Hunger!", knurrte Rudi. Er war etwas gekränkt, weil der Rabe so gar keine Furcht vor ihm zeigte.

"Ich weiß es nicht. Magst du Beeren oder Äpfel oder vielleicht Kartoffeln?"

"Hab noch nie welche gegessen, aber ich will sie gerne probieren."

"Nun, wenn das so ist, dann folge mir. Nicht weit von hier steht ein Schuppen. In dem liegen Äpfel auf Regalen, Kartoffeln in Haufen und noch ganz viel anderer Krims Krams."

"Aber fliege nicht ganz so schnell", bat Rudi. Der Rabe lachte sein krächzendes Lachen: "Werde mir Mühe geben, versprochen!"

Fortsetzung folgt ...

zum 4. Januar 2014