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KALENDERGESCHICHTEN/016: 04-2012   Grimbart Wohlgemut - Gretchens Geschichte (SB)



Buntstiftzeichnung: © 2012 by Schattenblick

Gretchens Geschichte

"Hast du dich etwa auch verlaufen?", wollte Grimmy wissen, der nun doch neugierig geworden war, warum Gretchen, das Eichhörnchen, nicht wie ihre Artgenossen in den Bäumen lebte. Dabei tat er einen riesigen Schritt nach vorne über das Wurzelholz hinweg auf einen der leckeren Zapfen zu. Gierig knusperte er daran. Es gab so viel zu essen, dass es eine reine Freude war. Auch Gretchen ließ es sich schmecken. Kauend und mit dicken Bäckchen versuchte sie zu erklären: "Mmmmh, neee, üch, üch bün, hoob müch verschteckt...", dann unterbrach sie ihren Versuch gleichzeitig zu kauen und zu reden, kaute zu Ende, schluckte und setzte ihre Rede fort: "Tschuldige, also noch einmal von vorn. Ich habe mich nicht verlaufen, sondern versteckt!" Der kleine Dachs wunderte sich: "Vor wem denn ...?"

"Das ist nun schon einige Male Hell- und Dunkelwerden her. Ich kletterte auf einen wirklich riesigen, weit verzweigten Baum hinauf - erst bis an die Astspitzen der einen Seite, dann auf die, die noch viel, viel höher ragten. Das war toll. Du musst wissen, dass ich unbedingt herausfinden wollte, wie lange mich die Zweiglein noch tragen konnten, also, wie weit ich bis ans äußerte Ende eines Astes klettern konnte. Nachdem ich total viele Äste ausprobiert hatte, verschnaufte ich eine Weile. Plötzlich hörte ich ein leises Knacken in den Zweigen hinter mir ..."

"Oh!", schreckte Grimmy laut auf.

"Du sagst es. Was meinst du wohl, mir ist angst und bange geworden. Blitzschnell blickte ich in die Richtung, aus der das Geräusch kam und starrte direkt in die bösen, gierigen Augen von Baummarder Max!"

"Ist der gefährlich?", Der kleine Dachs war total aufgeregt. "Ich meine, kann er dir etwas antun?"

"Na, aber ganz sicher. Baummarder Max ist total berüchtigt dafür. Jedes Eichhörnchenkind wird vor ihm gewarnt. Kleine Eichhörnchen frisst er hin und wieder ganz gern. Dieser Max machte jedenfalls einen sehr hungrigen Eindruck auf mich. Doch wohin sollte ich mich retten? Das Ende des Zweiges hatte ich ja schon erreicht und zurück, nein, da lauerte der Marder. Kannst du dir vorstellen, wie ich vor lauter Angst zu zittern anfing?"

"Ja, ich glaube schon, em?", flüsterte Grimmy. Wieder hatte er dieses Gefühl, dass die Welt, die er nun gerade kennenlernte, lauter bösartige Wesen beheimatete. "Und was hast du getan, wie bist du entkommen?"

"Ich bin gesprungen, na, eigentlich fallend gesprungen. Der Zweig war so dünn und mir blieb keine Wahl. Ich fiel und landete schließlich auf den Boden, mitten in einem Berg von Laub. Und gleich ging es weiter. Mit vielen, vielen Sprüngen erreichte ich diesen Holzhaufen und versteckte mich. Puuh, ich war vielleicht aus der Puste. Aber ich hatte solche Angst, dass ich mich kaum zu atmen traute", endete Gretchen ihre Erzählung und langte nach einer weiteren Nuss.

Grimmy hatte vor lauter Zuhören gar nicht weiter gegessen. Nun aber angelte er sich einen besonders schrumpeligen Apfel und biss hinein. Nach dem Essen berichtete Gretchen weiter, wie sie Vorräte in den Holzhaufen geschafft hatte. Sie wollte nicht wieder auf einen Baum zurück klettern - nie wieder. Inzwischen gefiel es ihr hier unten ganz gut.

Aber einen weiteren riesigen Schrecken musste sie noch über sich ergehen lassen. Nach einigen Tagen, in denen sie sich schon ein wenig sicherer fühlte, hörte sie spät in der Dämmerung ein wühlendes Geräusch zwischen den Hölzern ihres Haufens. Erde wurde zur Seite gegraben und ein leises Schnaufen konnte sie deutlich vernehmen.

"Was meinst du wohl, Grimmy, ich dachte sofort an den Baummarder Max. Ich glaubte, er hätte nach mir gesucht und nun gefunden. Das war schrecklich, furchtbar schrecklich. Denn nun konnte ich wirklich nirgends mehr hinlaufen. Gefangen, ich war gefangen und würde gleich gefressen werden ... ja, da war ich mir sicher. Also, sagte ich mir, dann gibt 's nur eins: Angriff!"

"Was? Du wolltest gegen den Marder Max kämpfen?", der kleine Dachs konnte es nicht fassen.

"Nein, nicht so. Der hätte mich doch total fertig gemacht, das wusste ich ja, ich bin ja viel kleiner und leichter als er. Nein, ich brauchte eine List. Also verstellte ich meine Stimme, sprach ganz tief und drohte: "Hallo, wer da? Ich warne dich Eindringling, ich bin riesig und gefährlich, gefräßig und böse. Verschwinde lieber, wenn dir dein Leben lieb ist!"

Grimmy überlegte: "Das hast du auch zu mir gesagt. Ich muss schon sagen, dass ich mich gefürchtet hatte und lieber schnell verschwinden wollte."

"Ja, ich weiß. Als ich merkte, dass du nicht Baummarder Max bist, habe ich dich ja auch zurückgerufen."

Jetzt begriff der kleine Dachs alles. Gretchen hatte ihn für den Marder gehalten. Beide sahen sich an und mussten lachen. Als sie sich wieder beruhigt hatten, meinte Gretchen, dass sie etwas trinken möchte: "Lass uns raus gehen zum Bach, ich bin so durstig nach all den Nüssen, die ich gegessen habe."

"Ja, gut, ich habe auch Durst", stimmte Grimmy zu. "Ich werde mal vorsichtig aus unserem Bau hinausschauen, ob die Luft rein ist!" Er zögerte keinen Moment und tapste zum Eingang, zwängte sich bis zur Hälfte hindurch und spähte die Umgebung aus. Dann rutschte er wieder in den Holzhaufen-Bau zurück, um Gretchen Bescheid zu sagen: "Kannst kommen, Gretchen, kein Marder in Sicht."

Dann drehte Grimmy sich um, schlüpfte etwas behäbig durch den Eingang und Gretchen trippelte leichtfüßig hinterdrein.

Nachdem sie schon eine Weile gelaufen waren, erkundigte Grimmy sich: "Ist es noch sehr weit bis zum Bach?"

Gerade wollte Gretchen antworten, als es oben in einem der hohen Bäume raschelte. Vor lauter Schreck, sprang sie schutzsuchend an Grimmys Seite. Am liebsten hätte sie sich unter seinem Bauch versteckt. Der kleine Dachs suchte die Baumwipfel ab. Schließlich entdeckte er einen Vogel, einen ziemlich jungen. "Gretchen, brauchst keine Angst zu haben, es ist nur ein kleiner Vogel. Für mich sieht es so aus, als ob er gerade fliegen übt."

"Ach, das ist gut." Das Eichhörnchen löste sich von Grimmys Seite und blickte selbst in die Baumwipfel. "Oje, ich bin ein ganz schöner Angsthase geworden", murmelte Gretchen vor sich hin. Für Grimmy war die Sache erledigt, zügig stratzte er voran. Gretchen holte ihn mit wenigen Sprüngen ein.

"Eigentlich hätten wir schon längst auf den Bach treffen müssen. Ich versteh das nicht", wunderte Gretchen sich.

"Bist du sicher, dass wir in die richtige Richtung laufen?", erkundigte sich Grimmy etwas besorgt.

"Doch, ja, sicher, ich versteh das nur nicht. Wo ist der Bach geblieben? Verdammt!", schimpfte das Eichhörnchen.



zum 2. April 2012