Schattenblick →INFOPOOL →KINDERBLICK → GESCHICHTEN

KALENDERGESCHICHTEN/002: 02-2011   Das Wechselufer (SB)

BUBL: © 2011 by Schattenblick

Das Wechselufer


"Wiltrud, ich weiß wirklich nicht, was du hast. Wir haben doch alles, was wir brauchen. Essen, Trinken, große grüne Wiesen und im Winter einen warmen Stall. Na ja, dass der Bauer morgens und abends unsere Milch haben will, ja, stimmt schon, das nervt ..." Gerda sprach gar nicht weiter, weil sie wieder einmal an ihre Kälbchen denken musste. Jedes Mal, wenn sie gerade eines zur Welt gebracht hatte, wurde es ihr wieder weggenommen. Sie war ziemlich traurig darüber. Der Bauer wollte auf diese Weise verhindern, dass ihr Kind, ihr eigenes Kind, die Milch trank. Er wollte alle Milch für sich haben, um sie zu verkaufen.

Wiltrud regte sich immer wieder darüber auf, schimpfte und fluchte. All das Geschimpfe endete dann meistens damit - wie auch heute -, dass Wiltrud sagte: "Ach, Gerda, ich verspreche dir, wenn ich einen Plan habe, wie ich von hier fortkomme, frage ich dich bestimmt, ob du mitkommen willst."

Die beiden unterhielten sich noch über allerlei andere Dinge und kauten dabei das saftige Gras. Ihr Gespräch wurde von lautem Bellen, Schnattern und Miauen unterbrochen. Gerda und Wiltrud sahen sich an und lächelten. Vom hinteren Rand der Weide stürmte eine kleine Horde tollender Spielgefährten auf sie zu. Stets mit dabei waren Hanno, ein großer dunkelbrauner Hund, Annelie, die Hofkatze, die drei Enten Else, Telse und Ilse und das Kaninchen Patty.

Wiltrud und Gerda kannten das schon. Meistens rannte Hanno hinter den Enten her, die in alle Richtungen auseinanderstoben und sich dann wieder zusammen fanden. Annelie bemühte sich, Hanno das Jagen so schwer wie möglich zu machen. Sie sprang ihm direkt vor die Pfoten. Dann kam es schon mal vor, dass Hanno stolperte und einen Satz machte, um nicht ganz hinzufallen.

Patricia, das Kaninchen - alle nannten es nur Patty -, machte sich einen Spaß daraus, über Annelie zu hüpfen oder aber Hanno zu necken, dann schnell wegzulaufen und viele Haken zu schlagen. Hanno erwischte Patty nie. Patty war ziemlich groß und im Hakenschlagen war sie wirklich Spitze. Aber von ihr hörte man nie ein Wort. Sie sprach nicht. Stets war sie mit ihren Freunden zusammen und die verstanden sie auch ohne Worte.

Eine besondere Freundschaft bestand zwischen dem Kaninchen und Annelie, der Katze. Als Patty noch ganz klein war, kuschelte es sich gern an den weichen Bauch der Katze. Patty liebte es, wenn Annelie dann vernehmlich zu schnurren begann. Die Katze wiederum freute sich über das Kaninchenbaby und fühlte sich ein wenig wie eine große Schwester. Auch als Patty schon groß war, und selbst dann noch, als sie sogar noch größer war als Annelie, lagen die beiden oft dicht nebeneinander und dösten in der Sonne. Dabei erzählte Annelie gerne Geschichten und das Kaninchen hörte aufmerksam zu.

Aber heute stimmte irgendetwas nicht, irgendetwas war anders.

Wiltrud blinzelte und reckte ihren Kopf weiter vor. Einer fehlte da doch. Ja, wo war Patty heute? Weder Gerda noch Wiltrud konnten sie entdecken. Das Getolle der kleinen Bande war ganz merkwürdig. Irgendwie schien es mehr so zu sein, als würden sie ganz gezielt auf Wiltrud und Gerda zu rennen, aber nicht um zu spielen und die beiden zu ärgern, wie sie es sonst immer gern taten. Wiltrud hob ihren Kopf. Gerda drehte ihre Ohren soweit sie konnte nach vorn, aber noch konnte sie nicht hören, was die Tiere riefen. Ganz ruhig gingen die beiden Kühe den aufgeregten Kleinen entgegen. Sie wollten jetzt Ruhe bewahren, nur nicht noch mehr Aufregung stiften, und endlich konnten sie hören, was gerufen wurde: "Habt ihr Patty gesehen?" - "Wir können Patty nirgends finden!" - "Wisst ihr wo sie sein kann?"

Als die kleinen Freunde die beiden großen Kühe erreicht hatten, waren sie ganz außer Atem und setzten sich ins Gras. Annelie weinte und leckte sich aus Ratlosigkeit ihr Fell. "Ruhig, ihr Lieben, ganz ruhig, bitte. Erzählt mal genau, was eigentlich vorgefallen ist", bat Wiltrud. Nun fingen alle gleichzeitig zu reden an. War das ein Durcheinander. "Nein, nein, halt, so geht es nicht, wir verstehen ja kein Wort", muhte Gerda etwas lauter. Mit einem Mal war es wieder ganz still. Annelie aber weinte immer noch und deshalb begann Hanno zu erzählen: "Gestern waren Annelie und Patty noch lange draußen. Sie hatten es sich an dem großen Baumstumpf gemütlich gemacht. Patty schlief in der kleinen Kuhle, die mit Moos bedeckt war und Annelie lag lang ausgestreckt auf dem Stamm. Die Sonne wärmte ihr Fell und alles war gut." - "Welchen Baumstumpf meinst du denn?", wollte Wiltrud wissen. "Na, der am See, wo abends immer so viele Mücken sind und die beiden Boote vom Bauern festgebunden liegen."

Annelie nahm sich zusammen und berichtete nun selbst weiter: "Patty wollte so gerne mit dem Boot fahren, wenn ich sie richtig verstanden habe. Aber ich mag Wasser nicht und wollte auch nicht in so ein Boot steigen. Ehrlich gesagt, fürchte ich mich regelrecht vor Wasser", erklärte Annelie bedrückt und fuhr dann fort, "Paddy wollte einfach nicht locker lassen. Immer wieder hoppelte sie auf das eine Boot zu, hüpfte wieder zu mir und wieder zum Boot. Dann wurde mir das zu bunt und ich habe gesagt, dass ich ganz bestimmt nicht in ein Boot springe und auf's Wasser hinaus fahre, und dann ..." Nun stammelte Annelie verlegen: "Habe ich geschimpft, sie solle doch allein fahren. Ich jedenfalls werde nach Hause gehen, habe ich ihr zugerufen ..."

"Das ist aber blöd, das ist aber doof, das ist aber gemein", schnatterten nun die drei Enten aus ihren Schnäbeln gleichzeitig. Ilse fragte außerdem: "Nur weil du Angst vor Wasser hast ... hast du sie allein gelassen?" Annelie ärgerte sich zwar über das Geschnatter der drei, antwortete aber kleinlaut: "Ja, und nun kann ich sie nirgends finden und, und, wenn sie, wenn sie jetzt allein mit dem Boot ...?"

"Halt, halt, ganz langsam", unterbrach Gerda alle, "habt ihr schon nachgesehen, ob ein Boot fehlt?" - "Ich nicht", bellte Hanno. "Wir auch nicht", bekannten die Enten. Und Annelie meinte: "Ich habe nur bei ihrem Stall nachgesehen, da war sie nicht."

"Gut, gut, ganz ruhig, das werden wir jetzt zuerst herausfinden", bestimmte Gerda und Wiltrud stimmte ihr zu, "genau. Hanno und Annelie sind die schnellsten, also worauf wartet ihr. Lauft zum See, seht nach und kommt sofort zurück, um zu berichten, was ihr herausgefunden habt!"

Hanno und Annelie sprangen auf ihre Pfoten und rannten nebeneinander her, sprangen über den kleinen Graben und dann waren sie verschwunden. Gerda, Wiltrud und die Enten berieten unterdessen, was sie unternehmen könnten.

"Wir können den Bach hinunter schwimmen, der führt doch zum See," schlug Else vor. "Und dann, was sollen wir dann da?", wollte Telse wissen. "Na ja, wenn tatsächlich ein Boot fehlt, dann schwimmen wir los und suchen es", meinte Else nun sehr entschlossen. "Tolle Idee!? Wie sollen wir denn ein Boot finden? Der See ist groß und vielleicht erinnerst du dich daran, was über diesen See erzählt wird ...", warf Ilse ein. "Du meinst doch nicht etwa die Geschichte mit dem Wechselufer?", überlegte Else nun schon etwas unsicher. "Doch, genau diese Geschichte meine ich und ich weiß nicht, ob es wirklich nur eine Geschichte ist ...", antwortete Ilse. "Dann bleiben wir lieber gleich hier. Wozu erst da hin schwimmen. Mir ist das zu gefährlich. Außerdem wissen wir noch gar nicht, ob ein Boot fehlt", quakte Telse jetzt dazwischen.

"Was für eine Geschichte meint ihr denn", wollte Wiltrud wissen, "ich kenne sie nicht, ich kenne überhaupt keine Geschichten über den See - ehrlich gesagt, bin ich auch noch nie dort gewesen! Also, was hat es mit dem Wechselufer auf sich?" Keine der Enten wollte beginnen. Sie schnatterten unverständliches Zeug und endlich begann Ilse zu erzählen: "Also, man munkelt, dass sich mitten im See, oder auch weiter hinten, eine Stelle befindet, also wie soll ich das sagen, wenn man dort hinüber paddelt, dann ist man verschwunden, ja, einfach so, verschwunden."

"Wohin verschwunden? Das verstehe ich nicht ganz", regte Wiltrud sich nun auf, "erklär' mir das doch bitte, das begreife ich nicht." - "Wenn das so einfach wäre", quakte Ilse, "aber ich will dir alles erzählen, was ich gehört habe. Also, es heißt, wenn man über diese bestimmte Stelle fährt, dann landet man genau an dem Ort, an dem man beim Überfahren gedacht hat. Man ist also nicht richtig weg, weil man sich ja an dem gedachten Ort wiederfindet. Für alle anderen ist man aber verschwunden."

"Ohjee, und kann Patty, falls sie so etwas getan hat, wieder zu uns zurückkommen?", fragte Gerda. "Das ist das Problem, oder besser, das ist das große Geheimnis, das ich leider auch nicht kenne", antwortete Ilse.

Nun mischten sich auch Else und Telse ein. "Annelie ist so traurig", meinte Else, und Telse erklärte, "ja, sie fühlt sich schuldig, weil sie Paddy fortgeschickt hat und nicht auf Paddy aufgepasst hat. Sie wollten immer aufeinander achtgeben." - "Ja, das hatten sie sich versprochen", bestätigt Else.

"Nun hört mal mit dem Gequake auf", fuhr Wildtrud dazwischen. Aber Gerda blickte sie streng an und beruhigte die Enten: "Vielleicht können wir Patty ja doch zurückholen. Jetzt sollten wir uns Mühe geben und überlegen, was wir unternehmen können." Die Enten nickten.

"Kennt ihr jemanden, der von diesem Geheimnis weiß?", wollte Wiltrud nun von den Enten wissen. "Vielleicht der dicke Riesenfrosch, ja, der könnte das wissen. Der ist bestimmt schon hundert Jahre alt und weiß sicher über alles Bescheid, was in dem See vorgeht", schlug Telse aufgeregt vor.

"Oh, lieber nicht. Der ist so was von grantig und übellaunig. Dem traue ich nicht über den Weg", warf Else ein. "Stimmt genau, aber haben wir eine Wahl? Wen sollen wir sonst fragen? Hat noch einer einen Vorschlag?" Bei diesen Worten blickte Ilse in die Runde, aber niemand sagte etwas. "Also gut, dann gehen wir zu dem Frosch und fragen ihn", bestimmte Wiltrud.

"Ich komme nicht mit", druckste Gerda herum, "ich habe Angst vor dem, was mit dem See los ist. Mir ist das nicht geheuer und am liebsten würde ich wieder im Stall stehen. Da fühle ich mich sicher."

Aufgeregt quakten die Enten und wunderten sich über die große Kuh. Sie ist so groß und hat Angst? Aber Wildtrud kannte ihre Freundin und riet ihr, ruhig wieder zurückzugehen und meinte: "Dann weiß wenigstens jemand, was mit uns geschehen ist, falls wir auch nicht wiederkommen. Dann allerdings bitte ich dich, zum Frosch zu gehen und ihn um Hilfe zu bitten, damit du uns dann zurückholen kannst. Nur für den Fall, dass etwas schiefgehen sollte."

"Gut, wenn es dann nicht anders geht, will ich meinen Mut sammeln und euch suchen und zurückbringen, das verspreche ich", gelobte Gerda und begab sich nach einigen Momenten auf den Weg zum Hof. Die anderen liefen weiter in Richtung See. Als sie den Bach erreichten, hüpften die drei Enten hinein und schwammen eilig voraus. Doch auch Wildtrud war nicht gerade langsam und so trafen sie fast gleichzeitig am Seeufer ein. Dort warteten auch schon Hanno und Annelie, die ihnen zuriefen, dass ein Boot fehle.

"Und wo finden wir nun diesen gräßlichen Frosch", wollte Wiltrud wissen. "Seid mal alle ganz, ganz still. Wir müssen ihn hören und dann in die Richtung gehen, aus der er quakt", flüsterte Ilse. Auf einmal war es mucksmäuschenstill, niemand gab einen Laut von sich. Die Spannung wuchs. Telse konnte es nicht mehr aushalten und wisperte: "Vielleicht ist er ja gar nicht hier ..." - "Psst", ermahnte Ilse ihre Gefährtin.

"Quaaak, quaaak, Quuuaaaak", alle konnte es hören, keiner regte sich. "Aus der Richtung" - "In diese Richtung" - "Dorthin müssen wir" - "Da lang", alle zeigten in die gleiche Richtung. Sie sahen einander an und lenkten ihre Schritte dann genau dorthin. Zweige und Blätter schlugen Wiltrud ins Gesicht. Die drei Enten liefen unter und neben Wiltrud her. Hanno und Annelie waren geschickt im Durchstöbern von Gestrüpp. Wildtrud fluchte ein paar mal recht derbe, ging aber ohne Zögern weiter.

Ziemlich schnell hatten sie den Wohnort des Froschs erreicht. Als er sie erblickte, zeterte er los: "Was wollt ihr denn hier, hat man denn nirgends seine Ruhe. Los verschwindet, oder habe ich euch etwa eingeladen? Keinen Schritt näher, haut hier ab und lasst mich zufrieden!"

Mit soviel Unfreundlichkeit hatte die kleine Bande nicht gerechnet. "Der ist aber ekelig und gemein", zischte Annelie leise zu Hanno. "So ein grober Knilch, was bildet der sich ein, den erledige ich doch mit einem Happs", drohte Hanno. "Bist du verrückt, wer soll uns denn dann das Geheimnis verraten", stoppte Annelie ihn. "Da hast du auch wieder recht. Ich hoffe nur, dass er noch umgänglicher wird, sonst könnte ich mich vergessen und ihn doch in meinem Bauch verschwinden lassen", gab Hanno eindringlich zu bedenken. "Seid still, ich werde mit ihm reden", fuhr Wiltrud dazwischen. "Wenn man freundlich ist, dann ist der andere das auch, passt mal auf!"

"Hallo, lieber Herr Frosch, wir hätten eine Frage ...", weiter kam sie nicht. Da polterte der Frosch auch schon los: "War das nicht deutlich, was ich gesagt habe, verschwindet und lasst mich in Ruhe!"

Hanno, Annelie und die drei Enten zuckten zusammen und Telse konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen und äffte Wiltrud nach: "Wenn man freundlich ist ..." - "Sei still, Telse. Wiltrud hat recht, aber manchmal gibt es eben Ausnahmen", wies Ilse sie zurecht. Wiltrud aber ließ sich von dem Gebaren des Froschs nicht beeindrucken.

"Lieber Frosch, wir können leider nicht verschwinden, ohne dich um Rat gefragt zu haben. Es ist mir ganz gleich wie unfreundlich und gemein du bist. Du hast sicher deine Gründe. Aber wir müssen eine Freundin von uns retten und dabei brauchen wir deine Hilfe. Wie mir scheint, bist du der einzige, der um das Geheimnis des Wechselufers weiß. Wir werden also auf keinen Fall verschwinden. Nun bitte ich dich noch einmal, uns Antworten zu geben, wenn du sie denn kennst."

Der Frosch sah die Gefährten erstaunt an. Er richtete sich auf, hob den Kopf und war wie verwandelt. Seine Stimme klang fast sanft, als er sprach: "Ist das wirklich wahr, eure Freundin ist in das Wechselufer gefahren, ganz allein? Oh, das tut mir aber leid. Ich werde euch natürlich helfen. Wisst ihr, vor vielen Jahren ist meine Frau aus Versehen dort hineingeraten. All meine Kraft habe ich darauf verwendet, einen Weg zu finden, um sie wieder zurückzuholen. Als ich sie schließlich gefunden hatte, wollte sie nicht mehr mit mir zurückkommen. Sie hatte sich nach all der langen Zeit an dem Ort ein neues Zuhause eingerichtet - mit einem anderen Frosch. Ich kehrte also ohne sie zurück und bin seit dem etwas ungesellig und grantig. Aber eigentlich bin ich nur so furchtbar enttäuscht."

"Oh, armer Herr Frosch", sprach Wiltrud ganz sanft zu ihm, "das ist ja eine traurige Geschichte." - "Ach, das ist schon lange her, nur wenn ich mich daran erinnere, bin ich ganz betrübt. Aber Schluss jetzt damit. Ich will euch helfen. Schließlich habe ich lange genug gebraucht, um den Weg hin und den Weg zurück zu finden. So viel Zeit habt ihr nicht, wie ich mal vermute", sprach der Frosch nun in einem freundlichen Ton.

"Wir wissen nicht, wohin Patty sich gewünscht hat, sie wusste ja nicht einmal, dass sie sich etwas wünschen kann ...", gab Ilse zu bedenken.

Die drei Enten waren aufgeregt und plapperten wild durcheinander. "Wie können wir sie denn bloß finden ...", quakte Telse und Else stöhnte, "ohje, ohje, es könnte ja passieren, dass wir ganz, ganz woanders landen und, und, und ... Herr Frosch, finden wir je wieder zurück ...?"

"Nur keine Sorge, so schwierig ist das gar nicht. Ihr habt eigentlich nur eine Aufgabe. Fahrt mit dem Boot hinaus auf den See und denkt dabei ganz fest an eure Freundin. Ihr dürft aber nicht an etwas anderes denken, hört ihr, nicht an irgendetwas anderes denken. Wenn euch das gelingt, landet ihr genau dort, wo auch eure Patty ist. So habe ich es selbst damals gemacht, als ich meine Frau gesucht habe - es funktioniert."

Wiltrud wollte noch gerne von dem Frosch wissen, auf welchem Weg sie zurückkommen könnten und wandte sich mit ihrer Frage an ihn. Er atmete tief ein und erklärte: "Oh, nun ja, also. Habt ihr hier am Ort denn jemanden, den ihr alle gut kennt und auch leiden mögt? Das ist nämlich ganz wichtig. Ich hatte damals an unsere Froschkinder gedacht - die sind inzwischen alle schon erwachsen, aber damals waren sie der Grund dafür, dass ich zurückgekommen bin. Also so jemanden solltet ihr schon kennen!"

Hanno, Annelie, Wiltrud und die drei Enten sahen sich an und dachten nach. Dann muhte Wiltrud: "Was gibt 's da zu überlegen. Gerda natürlich. Wir alle kennen sie gut und gern haben wir sie auch. Sie wollte im Stall auf uns warten. Besser geht 's doch gar nicht, oder?"

"Das ist gut, das ist sehr gut. Denn wenn ihr nun an diesem Ort angelangt seid, an dem sich eure Freundin befindet und ihr wollt wieder nach Hause, dann müsst ihr ganz fest an Gerda denken. Ihr fahrt mit dem Boot wieder auf das Wasser -, ach je, fast hätte ich das vergessen, ihr werdet immer an einem Ort landen, der sich am Wasser befindet. Entweder am Meer, an einem Fluss oder einem See. Und ihr braucht immer ein Boot. Gebt also gut acht, dass es euch nicht verloren geht."

"Kommst du denn nicht mit?", wunderten sich die Enten und blickten den Frosch ungläubig an. Sie hätten ihn schon gerne als eine Art Fremdenführer dabei gehabt. Ihnen war nämlich ein bisschen mulmig zumute. Der Frosch brummte Quaklaute vor sich hin und schüttelte den Kopf. Sie waren über seine Entscheidung zwar nicht erfreut, bedankten sich aber alle bei ihm und winkten zum Abschied.

"Na denn, lasst uns aufbrechen", schlug Hanno vor und Annelie wies mit ihrer Tatze in Richtung Boot. "Halt", rief Hanno, "sollten wir Patty nicht was zu essen mitnehmen? Vielleicht ist sie irgendwo gelandet, wo 's nichts Essbares gibt. Ich renne zum Hof und hole eine Kiste Karotten. Bin gleich wieder da." Und so war es. Tapfer schob Hanno die Kiste voller Wurzeln vor sich her und packte sie mit Wildtruds Hilfe ins Boot. Dann kletterten alle hinein. Als Wiltrud einstieg, fing das Boot bedenklich an zu schwanken. Immerhin war Wiltrud eine große Kuh. Sie war aber auch sehr geschickt und so schaffte sie es, sich genau in die Mitte zu stellen und bald ruhig zu stehen, dass das Boot nicht mehr wackelte. Hanno und Annelie ruderten los auf die Mitte des Sees zu.

© 2011 by Schattenblick

"Jetzt müssen wir alle an Patty denken. Macht bloß keinen Fehler. Ich möchte nicht, in einem Haufen Knochen landen oder einem Keller voller Mäuse oder einem Teich, reichlich zugewachsen mit Entenschnatter, oder gar einer saftigen Wiese, bloß weil einer von uns an so etwas gedacht hat. Also strengen wir uns an!", gab Wiltrud das Kommando. "Das wird nicht einfach."

"Wann fangen wir denn mit dem Drandenken an?", wollte Telse wissen. "Am besten jetzt schon, wir sind schon ziemlich in der Mitte angelangt", schlug Hanno vor. Das war genau der richtige Zeitpunkt. Um sie herum wurde es ganz still. Kein Geräusch drang an ihre Ohren, nichts, aber auch gar nichts war zu hören. Die drei Enten hatten die Augen geschlossen, um besser denken zu können. Hanno, Annelie und Wiltrud taten es ihnen gleich.

"Patty, Patty, Patty, Patty", wiederholten alle immer wieder leise ihren Namen. Sie wollten ganz sicher sein, dass sie an nichts anderes denken konnten. Als sie nach einer Weile, die Augen öffneten, waren sie total überrascht. Ihr Boot dümpelte vor einer weiten Sandküste. Sie erkannten merkwürdige Bäume, solche gab es bei ihnen zu Hause nicht. Aber was sollten sie hier. Nirgends eine Spur von Patty. Hatte doch jemand an etwas anderes gedacht, eben an diesen Strand? Als Wiltrud alle danach befragte, schüttelte jeder den Kopf und versicherte, nur an Patty gedacht zu haben. Wo aber war sie? Sie hielten Ausschau und strengten sich an, Patty ausfindig zu machen.

Plötzlich fing Annelie an zu schreien: "Das Boot ist kaputt, das Wasser, das Wasser kommt herein ... Hilfe, wir sinken!" Tatsächlich, das Boot hatte ein Leck. Genau unter Wiltruds linkem Vorderfuss, sprudelte und spritze Wasser ins Boot. Hanno brüllte Annelie an: "Sei still, Annelie, sei endlich still. Wenn du nicht untergehen willst, müssen wir so schnell wir nur können zum Strand paddeln," und den Enten befahl er: "raus aus dem Boot, ihr könnt selber schwimmen! Entschuldigt, aber so ist das Boot leichter und wir schaffen es vielleicht." Völlig erschöpft und durchnässt vom hoch spritzenden Wasser landeten sie schließlich sicher am Strand. Sie kletterten aus dem Boot, oder aus dem, was von ihm jetzt noch übrig war, und ließen sich in den Sand fallen. Wiltrud stieg ebenfalls aus, schüttelte sich und prustete erschöpft: "Puuh, das war knapp! Aber wir haben es geschafft. Wo sind die Enten?"

Alle drei schwammen noch im Wasser. Sie sahen gespannt in eine Richtung - aber vom Strand aus war nichts genaues zu erkennen.

Wiltrud und Hanno begutachteten inzwischen das Boot. "Da ist nichts mehr zu machen, das ist total hinüber", wuffte Hanno brummig vor sich hin. "Wir brauchen aber ein Boot, jedenfalls hat der Frosch das gesagt. Was machen wir denn jetzt nur ...?", seufzte Annelie. "Wir werden ein Floß bauen. Seht doch, da hinten liegen lauter Baumstämme. Da seht ihr, da bei diesen merkwürdigen Bäumen", schlug Hanno vor. "Ich glaube die heißen Palmen", meinte Annelie. "Ja, kann sein, also mit den Stämmen können wir bestimmt ein Floß bauen", schlug Hanno noch einmal vor.

"Ich meine ja nur, vielleicht ist Patty hier gelandet, weil ich ihr von den Inseln mit Palmen erzählt habe, und sie hat dann daran gedacht und ...", schluchzte Annelie ganz leise vor sich hin. Es hatte wohl keiner gehört.

"Weißt du denn wie das geht mit dem Floßbauen und was wir noch brauchen?", wollte Wiltrud wissen. "Ja, ein Tau wäre gut, um die Stämme zusammen zu binden." - "Oh, so etwas haben wir. Da lag doch ein Seil im Boot. Damit müsste es gehen, oder?", erinnerte sich Annelie. "Denke schon. Also Wiltrud, du bist die Stärkste. Würdest du die Stämme schon mal in eine Reihe legen, damit wir sie zusammenbinden können", bat Hanno die Kuh. "Natürlich. Also, auf geht 's!"

Emsig gingen sie zu Werke und vergaßen alles um sie herum. Sie hievten und wuchteten, banden und knoteten, bis das Floß endlich fertig war. Stolz betrachteten sie ihr Werk. Erst jetzt fiel ihnen auf, dass die Enten immer noch nicht bei ihnen waren.

Schwammen sie noch immer im Wasser? Was taten sie dort? War ihnen vielleicht ein Unglück geschehen? Nun wurden die drei an Land doch ziemlich unruhig und rannten hastig zum Wasser. Dort entdeckten sie tatsächlich die drei Enten. Aber nicht nur sie. Zwischen ihnen schwamm ein riesiges Tier. So eines hatte noch keiner von ihnen zuvor gesehen. Irgendwie ähnelte es einem sehr, sehr großen Fisch. Das Allermerkwürdigste aber war der Hut, den dieses Tier trug. Natürlich war dieser Hut kein Hut, er sah von weitem nur so aus.

Es war, sie konnten es kaum glauben, es war Patty. Ja, Patty saß auf dem Kopf des großen Fischs. Jetzt konnten Wiltrud, Hanno und Annelie auch das Geschnatter der Enten hören. Die hatten sich in der Zwischenzeit schon mit dem großen Fisch bekannt gemacht. Es sah nicht so aus, als sei er unfreundlich oder gefährlich. Die Enten zeigten jedenfalls keine Furcht.

"Hallo ihr drei, was geht hier vor und was macht Patty auf dem Fisch?", brüllte Hanno hinaus aufs Wasser. Telse tat sich mächtig wichtig und antwortete: "Das ist kein Fisch. Er sagt, er ist ein Orca, so eine Art Wal und er heißt Philip, ja, das hat er gesagt."

Else und Ilse waren inzwischen etwas näher an den Strand geschwommen und erklärten Wildtrud, Hanno und Annelie die Situation. Der Orca hatte berichtet, wie er Patty gefunden hatte. Sie lag auf einem Brett, das aussah, als stamme es von einem Boot und paddelte in Richtung Strand. Aber sie kam kaum voran. Die Wellen waren zu stark. Da habe er sie angesprochen und sie beruhigt. Dann ist er unter das Brett getaucht, so dass Patty auf seinen Kopf klettern konnte. Er wollte sie gerade ganz nahe am Strand absetzen, als er uns entdeckte. Leider hatte Patty ihm auf keine seiner Fragen geantwortet, so dass er nicht wusste, was mit ihr geschehen war. Und er wusste natürlich auch nicht, ob wir alle, die wir so plötzlich hier aufgetaucht sind, Freunde oder Feinde waren. Deshalb ist er lieber wieder vom Strand weg geschwommen.

"Und dann kamen wir und haben ihm alles erzählt", sagte Telse vorlaut, "nun müssen wir nur noch Patty einsammeln und wieder nach Hause finden." Annelie hüpfte vor Freude: "Aber wie kann ich Patty von Philip Orcas Kopf bekommen?" Sie dachte nach, überlegte, kratzte sich hinterm Ohr, rannte am Strand auf und ab und miaute schließlich ganz laut: "Ich hab 's, ich habe eine Idee!" Dann lief sie zum Floß, sammelte die restlichen Strickenden ein und hielt Ausschau nach Zweigen. Daraus baute sie einen großen Käscher, ein Fangnetz. "Schnell, lasst uns das Floß ins Wasser schieben, dann halte ich den Käscher soweit ich kann nach oben und Patty kann hineinhüpfen. Kommt schon, ich kann es kaum abwarten", rief Annelie den anderen zu.

Und genauso wurde es gemacht. Die Enten übernahmen die Aufgabe Philip Orca zu informieren, damit er sich nicht um Patty sorgen musste. "Ist alles gut", meinte Philip, "ich bin froh, wenn Patty wieder nach Hause kommt und festen Boden unter ihren Füßen hat. So ein Meer ist nichts für einen Hasen. Schließlich kann sie ja nicht auf meinem Kopf wohnen ...", dabei lachte Philip Orca laut und Patty hatte alle Mühe sich festzuhalten, denn sein Kopf erbebte durch das Lachen.

"Oh, Entschuldigung", sagte der Orca etwas verlegen, als er das bemerkte. Patty, der das ein wenig unheimlich wurde, sah das Fangnetz, erblickte die Freundin, die es hielt und sprang ... mitten in den Korb. Fast wäre Annelie umgefallen, weil Patty doch nicht so leicht war, aber sie hielt sich wacker und Patty konnte auf dem Floß landen. Als sie die Kiste mit den Karotten entdeckte, machte sie einen Luftsprung und stürzte sich auf ihre Lieblingsspeise, begann zu knabbern und es schien, als sei sie damit erst einmal lange beschäftigt. Sie hatte mächtigen Hunger. Die anderen freuten sich und bedanken sich herzlich bei Philip Orca. "Wir werden nun von hier verschwinden, vielleicht kommen wir ja mal wieder. Jetzt, da wir dich kennen, müssten wir den Weg hierher wiederfinden."

"Macht 's gut, und gebt auf Patty acht", verabschiedete sich der Orca. Anschließend paddelten sie aufs Meer hinaus und dachten ganz doll an Gerda. Sie halfen sich damit, dass sie immerfort "Gerda, Gerda, Gerda ...", murmelten. Dann waren sie verschwunden und tauchten ganz plötzlich wieder in dem heimischen See auf. Ihr Floß hatte auch alles gut überstanden und war heil geblieben. Als sie am Ufer angekommen waren, kam ihnen der Frosch entgegen und freute sich, die kleine Bande wiederzusehen. Sie grüßten ihn und bedankten sich nochmals bei ihm für seine Hilfe. Der Frosch bot an, auf ihr Floß zu achten, falls sie noch einmal über das Wechselufer fahren wollten.

Die Freunde rannten in Richtung Hof und als Gerda das Getrappel und das Rufen hörte, lief sie eilig aus dem Stall. "Wie schön, dass ihr wieder hier seid. Ich hatte solche Angst. Eine böse Vermutung wurde von einer schlimmeren gejagt, mein Kopf war ein Karussell von üblen Ahnungen ..., welch ein Glück ..., welch ein Glück!", stammelte Gerda wieder und wieder.

"Ist ja gut, ist ja gut, meine Liebe", versuchte Witrud ihre Freundin zu beruhigen, wir sind ja wieder hier." - "Weißt du, Wildtrud, am meisten habe ich mich davor gefürchtet, selber über das Wechselufer fahren zu müssen. So ist es total absolut super gut, dass ihr nicht verschwunden seid und ich euch nicht suchen muss", atmete Gerda auf. - "Ach Gerda, wir sind ja so froh, dass du hier geblieben bist. Wir brauchten doch jemanden, den wir lieb haben und an den wir denken konnten, um zurück zu kommen."


14. Februar 2011