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GUTE-NACHT/3438: Knopf und Knöpfchen lernen den Mann im Ohr kennen (SB)




K N O P F   &   K N Ö P F C H E N

lernen den Mann im Ohr kennen


Die gestrige Dankesrede des Schotten hatte allen Knöpfen äußerst gut getan. Sie fühlten sich nicht mehr so nutzlos in der Knopfkiste, hatten sie doch einem von ihnen geholfen, seine Lage zu verbessern. Die Aussicht, noch mehr gute Taten über sich selbst zu erfahren, von denen vielleicht noch keiner von ihnen etwas ahnte, brachte die Knöpfe an diesem Tag gleich nach dem Aufwachen wieder dazu, sich zusammenzufinden, um der nächsten aufbauenden Geschichte zu lauschen.

Diesmal meldete sich das "Auge" zu Wort. Das Auge war kein wirklicher Knopf. Es war im wahrsten Sinne des Wortes ein AUGE und zwar eines, das früher einmal einen dicken, harten Teddybär das Licht der Welt erblicken ließ. Das Auge hatte so viel in seinem Leben gesehen, daß es viele Tage und Nächte hintereinander hätte erzählen können, ohne daß ihm die Geschichten ausgegangen wären. So war es nicht verwunderlich, daß das Auge schon gleich nach dem Aufwachen mit einer Geschichte begann und erst tief in der Nacht seinen Vortrag unterbrach, um allen Knöpfen eine kleine Ruhepause zu gönnen, bevor es später den Vortrag fortsetzen wollte.

Was hatte dieses alte Schlitzauge, denn so zu erzählen? Das interessierte alle Knöpfe sehr. Besonders da das Auge seine Abenteuer so spannend auszumalen verstand. Begeistert hörten auch Knopf und Knöpfchen zu.

"Da war ich also, das linke Auge am Teddy eines kleinen Mädchens. Sie hatte den Teddy erhalten, weil sie in Erholung fahren sollte. So nannten die Eltern die geplante Reise, die ihr Kind ohne sie unternehmen würde.

Für die Reise wurde alles gut vorbereitet. Alle Kleidungsstücke wurden beschriftet und erhielten den Namen des kleinen Mädchens - Maria-Luisa - den zweiten Namen habe ich leider vergessen. Der Vor- und der Nachname wurden auch auf die Fußsohlen des Teddybären geschrieben."

"Komisch", dachte Knöpfchen, "Vorname, Nachname, vor was kommt denn der Vorname und nach was kommt der Nachname." Doch bevor er sich die Frage beantworten konnte, lauschte Knöpfchen schon wieder gebannt den Worten des Auges.

"Maria-Luisa war ganz aufgeregt. So eine lange Reise würde sie unternehmen und alles ohne ihre Eltern. Zum Trost hatte sie extra den Teddybär bekommen. Ich war sein linkes Auge. Spannend würde es schon werden, eine weite Reise zu unternehmen. Doch Maria-Luisa war noch nie so weit fort und getrennt von ihren Eltern gewesen. Irgendwie fand sie das bedrohlich!"

"Woher weißt du das alles?", fuhr Knopf dazwischen.

"Maria-Luisa besprach all ihre Sorgen und Ängste mit ihrem neuen Teddybär, also auch mit mir. Sie freundete sich ganz schnell mit uns an. So würde sie sich auf der Reise nicht mehr so allein fühlen. Doch Teddy hatte selbst Angst, was er aber vor Maria-Luisa nicht zugeben wollte. Schließlich war auch er noch nie weit fort gewesen. Bislang hatte er nur die Fabrik und den Spielzeugladen kennengelernt. Und wie da die Menschen mit einem Teddy umgingen, war manchmal ganz schön gemein. Sie knufften die Stofftiere, um zu sehen, ob sie auch etwas aushalten konnten. Einmal wurde Teddy sogar auf den Boden geworfen, weil der kleine Junge in dem Laden ihn nicht behalten durfte. Teddy war also nicht sehr erbaut, eine lange Reise zu unternehmen.

Maria-Luisa und Teddy unterhielten sich Tage und Nächte lang. Das kleine Mädchen wurde immer aufgeregter und konnte nachts gar nicht einschlafen. Sie wollte einfach nicht fort von zuhause. So besprach sie es mit ihren Eltern. Doch die zeigten gar kein Verständnis. Die Reise würde ihr doch gut tun. Maria-Luisa dachte aber nur daran, daß sie allein wäre, ohne die Eltern, sechs Wochen lang, während ihre drei Schwestern schön zuhause bleiben durften. War sie denn ungezogen gewesen?

"Hast du vielleicht etwas ausgefressen?", fragte da eine Stimme in ihrem Ohr. Maria-Luisa erschrak. Wer sprach da mit ihr? Wenn Teddy sprach, hörte sie ihn nur in ihren Gedanken. Doch diese Stimme vernahm sie genau in ihrem Ohr. Sie hörte sich an wie die Stimme von dem Mann aus dem Nachbarhaus."

Alle Knöpfe hörten gespannt zu, was konnte das für eine Stimme sein? Wer steckte dahinter?

Das Auge fuhr fort: "Maria-Luisa erzählte alles, was sie hörte, ihrem Teddy, also auch mir. Sie erklärte, sie höre die Stimme in ihrem Ohr ganz deutlich. Beide - das Mädchen und der Teddy - grübelten darüber nach, was es mit dieser Stimme im Ohr wohl auf sich haben konnte. Die Stimme meldete sich noch einige Male bei Maria-Luisa. Und jedes Mal wurde sie bissiger und gemeiner. "Hast wohl heute deine Suppe nicht aufgegessen. Tja, wenn du auch so viel Salz hinein schüttest. Deine Mutter hat es dir ja gesagt, du sollst nicht so viel nehmen. Ungezogenes Kind!"

Maria-Luisa wurde ganz traurig. Teddy tröstete sie. Doch die Stimme quälte das kleine Mädchen immer weiter. "Vielleicht lassen sie dich in dem Heim ja gar nicht mehr nach Hause?" Maria-Luisa hielt es nicht mehr aus. Sie regte sich so über den kleinen Mann in ihrem Ohr auf, daß sie Fieber bekam. Das sah auch ihre Mutter. Sie bemerkte wie das Gesicht der Kleinen mächtig glühte. Sogleich wurde Fieber gemessen. "Was hast du denn bloß?", fragte die Mutter. "Ich habe einen kleinen Mann im Ohr!", antwortete Maria-Luisa. "Sie phantasiert", flüsterte die Mutter dem Vater zu, der zur Tür hereinschaute. Er machte sich sogleich auf den Weg zur Telefonzelle und rief den Arzt an."

"Und was geschah dann?", wollte Knöpfchen unbedingt wissen, "hat der Doktor den kleinen Mann aus dem Ohr herausgeholt?"

"Der Doktor gab der Kleinen ein Zäpfchen gegen das Fieber und etwas zur Beruhigung. Dann sagte er: "Jetzt ist es Zeit, den kleinen Mann zu verjagen. Das geht aber nur, wenn du keine Angst zeigst. Laß dir nichts von ihm weismachen und vertraue einfach darauf, was deine Eltern dir gesagt haben. Nur du kannst den kleinen Kerl verjagen!"

"Mensch Auge, was haben die Eltern ihr denn erzählt", fragte der Major.

"Maria-Luisa erklärte ihren Eltern, daß sie Angst davor habe, sie würden sie zur Erholung fortschicken, weil sie unartig gewesen sei und daß sie vielleicht nie mehr wiederkommen dürfe. Das habe ihr der kleine Mann so erzählt."

Die Eltern waren geschockt und zeigten Maria-Luisa, daß sie sie sehr lieb hatten und niemals weggeben würden, es sei denn, sie wolle selber fort. Maria-Luisa war froh, und je froher sie wurde, um so leiser wurde die Stimme des kleinen Mannes in ihrem Ohr bis sie ganz verschwand."

Knöpfchen fragte: "Und was war nun mit der Reise?"

"An der kommenden langen Reise nahm Maria-Luisa nicht teil. Sie fuhr nicht mit in die Berge. Doch die Erholungsheime werden auch wieder leer, und so fuhr die Kleine beim nächste Mal mit. Das war sechs Wochen später. Teddy und ich kamen auch mit!

Doch jetzt wünsche ich euch erst einmal eine Gute Nacht."

Knopf und Knöpfchen - Buntstiftzeichnung: © 2011 by Schattenblick

zum 26. Juli 2011