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GUTE-NACHT/3304: Der einsame Pantoffel wird gesucht (SB)


Gute Nacht Geschichten vom einsamen Pantoffel


In dem linken Sessel vor dem Fenster sitzt Oma Erna und schaut in den frostigen Garten hinaus. "Der gerade erst gefallene Schnee bringt mich schon so richtig in Weihnachtsstimmung", sagt sie zu dem rechten Sessel vor dem Fenster gewandt. Mops Bello, der darin liegt, fühlt sich nicht angesprochen, weiß er doch, daß sein neues Frauchen so manches Mal zu diesem Sessel spricht, ohne daß jemand darin sitzt. Leider hat Bello Opa nicht mehr kennengelernt, sonst würde auch er alle Angewohnheiten von diesem kennen und wüßte, warum Oma Erna manchmal mit einem Unsichtbaren spricht.

Den Kopf wieder zum Fenster gewandt überlegt Oma Erna, worüber sich ihre bereits großen Kinder freuen könnten. "Vielleicht sollte ich mir zuerst etwas für unser einziges Enkelkind ausdenken", bei diesem Satz fällt Omas Blick auf das Werbeheft aus dem Lebensmittelladen. "Selbst hier haben sie den Zauberer und seinen besten Freund mit den roten Haaren auf der ersten Seite." Oma schüttelt den Kopf. Was soll die Kinowerbung zwischen all den Lebensmitteln und den Rezepten. Doch sie schaut sich die Bilder genau an, denn sie weiß, auch ihre Enkelin hat bereits den siebten und letzten Band der Geschichte verschlungen. Vor zwei Jahren hatte sie der Kleinen sogar einen passenden Schal zu dieser Geschichte gestrickt, den gleichen, den die beiden Helden auch trugen. Oma sieht sich die beiden noch einmal genau an. "Auch sie sind älter geworden!", stellt sie fest, "die Zeit geht eben an keinem vorbei."

Plötzlich hat Oma Erna eine Idee. Sie entdeckt, daß die beiden Jungen auch dieses Mal einen langen Schal tragen, zwar in den gleichen Farben wie Oma ihrer Enkelin gestrickt hat, doch diesmal ist es ein ganz anderes Muster. "Das ist es", sagt Oma und strahlt den ihr gegenüberliegenden Sessel an. "Ich stricke unserer Hemma einen Schal wie die Kinder ihn in der Zauberschule tragen. Darüber wird sie sich bestimmt freuen. Dann brauche ich nur noch die passende Wolle. Bello, die besorgen wir gleich morgen." Bello spitzt die Ohren. Diesmal ist also er gemeint und nicht der Unbekannte.

Oma Erna steht auf und holt sich eine Tasse Tee. "Möchtest...", da bricht sie ab und lächelt in sich hinein. Nach der Tasse Tee hat Oma den nächsten Einfall. Sie erinnert, ihr Sohn hat immer gern den Hägar-Comic aus der Zeitung gelesen. Zu Opas Sessel schauend sagt sie: "Ich weiß, es wird dir nicht gefallen, was du jetzt zu hören bekommst. Wir haben so viele Tageszeitungen in dem alten Schrank gestapelt. Du hast immer alles aufgehoben. Aber jetzt, wo du nicht mehr da bist, was soll ich damit? Ich werde also die Zeitungen durchsehen und alle Geschichten von Hägar herausschneiden. Bestimmt kann ich sie zu einem Buch binden lassen oder ich lege sie in eine schöne Schachtel. Das ist doch ein sehr persönliches Geschenk, findest du nicht?"

Niemand antwortet, nur Bello gibt ein leises Stöhnen von sich. Sogleich erzählt Oma weiter: "Ulrike interessiert sich für Geschichtliches. Für sie werde ich den täglichen Kalender aus der Zeitung herausschneiden. So bekommen beide etwas ähnliches und dein Zeitungssammeln hat sich sogar gelohnt."

Wieder herrscht Stille, bis Oma Erna auch etwas für ihr drittes Kind eingefallen ist. "Ich glaube, Annette bekommt ein paar rote Hausschuhe, so Pantoffeln wie du sie immer zu Weihnachten getragen hast. Wenn ich das nämlich richtig gesehen habe, hat sie sich gestern einen deiner Pantoffeln unter ihren Arm geklemmt, so daß ich ihn nicht sehen sollte. Vielleicht hat sie sich bereits auch schon den anderen geholt, denn ich kann ihn überhaupt nirgends finden."

Während Oma Erna so erzählt und plant und Bello jetzt die Augen ganz zu einem Schläfchen geschlossen hat, verhärtet sich auch bei dem rechten roten Pantoffel unter dem Bett im Schlafzimmer der Verdacht, daß sein linker Partner gestern unfreiwillig das Haus verlassen hat. "So eine Gemeinheit!", schimpft er vor sich hin, "jetzt werde ich meinen Kumpel wohl niemals wiedersehen!"


*


Zwischen Bergen von Papier sitzt Oma Erna und schnippelt aus jeder einzelnen Zeitung den kleinen Bilderwitz über Hägar, den Schrecklichen, und das tägliche Kalenderblatt aus. "Wann wird Frauchen endlich damit aufhören und mit mir nach draußen gehen?", fragt sich Mops Bello. Dem Pantoffel unter dem Bett macht es allerdings nichts aus, daß Oma Erna sich hier im Schlafzimmer ausgebreitet hat. So ist er doch gleich näher dran am Geschehen und bekommt sogar noch Geschichten vorgelesen. Denn ab und an findet Oma Erna etwas Witziges oder Interessantes, das sie laut vorliest, laut genug, daß man es sogar im Wohnzimmer hören könnte. Anschließend fragt sie dann noch: "Und was meinst du dazu?" Oder: "Kannst du dir das vorstellen?" Bello weiß, daß nicht er damit gemeint ist, und auch der rote Pantoffel ahnt für wen die Geschichten bestimmt sind. Doch, nur ein Mithörer zu sein macht ihm nichts aus. Was ihm allerdings an sein kleines rotes Herz geht, das da als winziger Anhänger an dem roten Stoff angenäht wurde, ist, nicht zu wissen, wo sein linker Kumpane steckt ... Es klingelt an der Wohnungstür. "Komm mit Bello, wir ziehen die Schlafzimmertür lieber hinter uns zu. Diese Unordnung braucht ja keiner zu sehen und auch nicht zu wissen, daß wir an Weihnachtsgeschenken arbeiten."

Daß er nun von den gemeinsamen Geschehnissen ausgeschlossen, ja ausgesperrt ist, findet der Pantoffel nicht in Ordnung. Aber er kann sich ja schlecht zwischen die Tür klemmen, wie er das schon in manchen Gangsterfilmen gesehen hat. Da wäre er bloß leichte Beute für Bello, der sowieso schon ein Auge auf ihn geworfen hat. Also versucht der Pantoffel durch die geschlossene Tür etwas mitzubekommen. Allerdings hierher unter das Bett dringt kaum ein Laut. So beschließt der Pantoffel, sich dicht zur Tür zu begeben. Wenn er die Wohnungstür dann zum zweiten Mal zufallen hört, will er schnell wieder unter dem Bett verschwinden.

Auf der anderen Seite der Tür, also im Flur, öffnet Oma Erna gerade ihrer Tochter Annette. "Na, hast du Sehnsucht nach Bello?", fragt Oma Erna und Annette, erst überrascht, dann aber ganz gelassen klingend: "Nunja, ich dachte, ich hätte gestern meinen Handschuh hier liegenlassen, kann das sein?" Oma Erna entgeht nicht Annettes suchender Blick und sie sagt: "Nein, deinen roten Hausschuh habe ich hier nicht gesehen." - "Soso", sagt Annette, der erst jetzt der Versprecher ihrer Mutter bewußt wird und sie deshalb schnell entgegnet: "Dann habe ich den Handschuh wohl woanders liegengelassen." Das Wort Handschuh spricht sie sehr gedehnt aus. Insgeheim fragt sie sich, ob ihre Mutter weiß, daß sie gestern den einen Pantoffel hat mitgehen lassen. Eigentlich war es nicht ihre Absicht gewesen. Deshalb wollte sie ihn heute auch wieder zurückbringen. Sie hatte gehofft, Oma Erna sei mit Bello im Garten odereinkaufen. Das wäre jetzt eigentlich ihre Zeit. Doch nun hat sie ins Fettnäpfchen getreten. Um den mitgenommenen Pantoffel wieder los zu werden, versucht es Annette deshalb mit der folgenden Ausrede: "Ich schaue nochmal im Schlafzimmer nach, vielleicht ist er mir ja dort heruntergefallen." Oma Erna stellt sich schnell vor die Tür. "Nein, hier brauchst du wirklich nicht zu suchen, da habe ich gerade erst gründlich alles aufgeräumt und nichts entdeckt."

Annette merkt, daß ihre Mutter irgend etwas verheimlichen will. "Bestimmt hat meine Mutter diesen Kissenmann in ihrem Schlafzimmer versteckt und ich soll ihn nicht sehen. Das werde ich gleich meinem Bruder erzählen." - "Aber ich kann doch bloß mal schauen", gibt Annette nicht auf. "Im Moment kannst du das Schlafzimmer aber nicht betreten, ich habe Fliegengift gesprüht und das wirkt noch. Erst in ein paar Stunden darf man wieder hinein. Wenn du warten willst und vielleicht noch mit Bello eine Runde spazieren gehen möchtest?"

Dieser Vorschlag ist gewagt, aber Oma Erna weiß, daß Annette es nie länger als eine Stunde bei ihr aushält. Und richtig. Annette will schon wieder - auch unverrichteter Dinge - losziehen. Also gibt sie sich geschlagen. Oma Erna schummelt jetzt ein bißchen und klagt: "Mir ist heute schwindelig, da wäre es mir sehr lieb, wenn du Bello ausführst." Annette gibt nach und während sie und Bello nach draußen gehen, holt Oma Erna schnell etwas Raumspray aus dem Schlafzimmer und besprüht die Tür, damit es ein bißchen nach Fliegengift riecht. "Das stinkt doch alles gleich", ruft Oma Erna durch den Flur, als wolle sie jemanden auf eine Bemerkung eine Antwort geben.

Daß die Wohnungstür fast gleichzeitig mit der Schlafzimmertür aufgeht, damit hat der Pantoffel hinter der Tür nicht gerechnet und wäre fast noch von der Tür an den Türstopper geknetscht worden. Doch kurz vorher bricht Oma Erna ab, denn ihr fällt ein, daß sie besser die Kette an der Wohnungstür einhängt, damit Annette nicht plötzlich wieder in der Wohnung steht. Sie hat ja schließlich einen Zweitschlüssel. Die Kette verriegelt, geht Oma Erna ins Schlafzimmer und holt das Spray. Inzwischen hat sich der Pantoffel unter das Regal neben der Tür verkrochen. Alles geht recht schnell und die Schlafzimmertür wird wieder verschlossen. Das Spray stellt Oma ins Badezimmer zurück, denn eigentlich hebt sie solche Sachen immer hier auf. Es klingelt.

"Warum hast du die Kette vorgelegt?", fragt Tochter Annette und setzt noch hinzu, "das ist ja sonst nicht so deine Art." Doch ihre Mutter entgegnet: "Bei dem, was alles so geschieht, ist es besser, die Türen geschlossen zu halten, oder nicht?" Annette stimmt zu. Bevor sie ihre Mutter wieder verläßt, geht sie schnell noch ins Badezimmer. Hier verrichtet sie, was sie schon längst machen wollte. Sie versteckt den mitgebrachten, linken Pantoffel zwischen der schmutzigen, roten Wäsche. Dann verabschiedet sie sich.

"Meine Kinder werden auch immer wunderlicher", erklärt Oma Erna ihrem Bello. Dann begibt sie sich wieder ins Schlafzimmer, um weiter an den Weihnachtsgeschenken zu basteln.


*


Am nächsten Tag will Oma Erna in der Stadt Weihnachtsgeschenke besorgen, die sie nicht selber herstellen kann. "Bello, noch ein bißchen Geduld. Wir gehen ja gleich los. Zuerst zum Druckladen und dann noch ein Weihnachtsgeschenk kaufen. Annette soll doch rote Pantoffeln bekommen, so wie die von Opa. Deshalb nehme ich ein Muster mit. Aber ich kann den zweiten der Pantoffeln nicht entdecken, einen hat Annette ja bereits mitgenommen." Während Oma Erna sucht, macht es sich Bello in Opas Lieblingssessel gemütlich. Ihn stört es nicht mehr, wenn Oma Erna mit diesem Sessel spricht, als ob ein anderer darin säße. Daran hat sich der Mops bereits gewöhnt. Und schon ist es wieder soweit. Oma Erna fragt: "Warum ich ausgerechnet die gleichen Pantoffeln kaufen will, wie du sie hast? Na, weil Annette sich genau solche wünscht. Warum hätte sie sonst einen davon mitgenommen?" Oma sucht weiter.

"Pantoffel, wo steckst du bloß?", ruft sie jetzt. Sie kann ihn aber nicht finden. Als ob Oma Erna auf eine Frage eine Gegenfrage stellt, spricht sie nun zum Sessel gewandt: "Ich soll meinen Hund suchen lassen?" Nach einer Pause fügt sie an: "Wirklich eine gute Idee. Aber wie kann er etwas suchen, von dem er nicht einmal eine Geruchsprobe geschnuppert hat. Normalerweise bekommen Hunde vor der Suche etwas hingehalten, um daran zu schnuppern. Dann erst geht die Suchaktion los. Ich aber kann Bello nur sagen: `Such den Pantoffel, such, such schön!' Was soll das bitte schön geben?"

Aber Bello scheint genau Bescheid zu wissen. Er setzt sich im Sessel hoch, springt hinunter und läuft zu Oma. Sie lacht. Damit hat sie nicht gerechnet. "Also schön, dann hilf mir mal den Pantoffel suchen, Opas Pantoffel." Plötzlich fällt Oma etwas ein und sie setzt hinzu: "Such den Pantoffel, such denjenigen, den du zerfetzt hast, such, such!"

Bello läuft los und schnuppert überall. In der Küche vor der Waschmaschine, dann in der Ecke hinter dem Mülleimer und auch hinter dem Kohlenkasten. Doch in der Küche kann Bello den Pantoffel nicht finden. "Siehst du, das wird doch nichts!", sagt Oma Erna. Zwar ist Bello dem Pantoffel bereits auf der Spur, doch Oma will die Suche bereits wieder aufgeben. "Ja, woher sollst du auch wissen, was ich meine?", sagt sie laut.

Bello aber weiß, daß er eine Spur hat und sucht nun um so emsiger. Gerade will er ins Schlafzimmer und unter dem Bett nachsehen, da nimmt er einen passenden Geruch wahr und es zieht ihn ins Badezimmer. Hier fängt er vor dem Wäschekorb ganz fürchterlich an zu bellen.

"Da ist doch nichts", sagt Oma Erna, die dem Mops gefolgt ist. Doch Bello hört nicht auf zu bellen und springt am Wäschekorb hoch. "Also gut, tue ich dir den Gefallen. Siehst du, ni..." Gerade will Oma Erna sagen, daß hier nichts zu finden sei, da fällt ihr der zerfetzte Pantoffel vor die Füße. Tochter Annette hatte ihn ja gestern zwischen der roten Wäsche versteckt, ohne daß Oma Erna davon etwas mitbekommen hatte.

Oma wundert sich: "Na, da hat Opa ja mal recht behalten, du hast ihn wirklich gefunden. Dafür hast du dir aber ein besonderes Leckerchen verdient. Komm mit ins Schlafzimmer." Oma Erna voran, folgt Bello hinterdrein. Aus dem Regal hinter der Schlafzimmertür holt Oma Erna eine Büchse herunter und gibt Bello daraus einen Leckerbissen. Schnell hat Bello den Happen aufgefuttert. Da fällt sein Blick unter das Regal und er fängt erneut fürchterlich an zu bellen. "Was ist denn los?", fragt Oma Erna, "ein Leckerbissen ist wohl noch nicht genug. Na gut, ausnahmsweise." Der Mops bellt nach dem zweiten Leckerchen noch immer und will sich gar nicht beruhigen. Oma Erna nimmt ein drittes Leckerchen und lockt Bello damit auf den Flur. "Damit du nicht gleich noch eine vierte Belohnung einforderst." Vorsichtshalber schließt Oma Erna die Schlafzimmertür. Jetzt will sie wirklich gleich mit Bello in die Stadt losziehen.

Im Schlafzimmer unter dem Regal wird ein Aufatmen laut. "Da hab ich aber noch einmal Glück gehabt", entfährt es dem rechten Pantoffel, "das hätte auch schiefgehen können." Als der Pantoffel hört, daß die Wohnungstür ins Schloß fällt, wechselt er schnell seinen Standort. Ganz hinten unter dem Bett ist der Pantoffel wohl noch am sichersten vor Bello.



30. November 2010

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