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GUTE-NACHT/3225: Der kleine Nachtwächter findet einen Unterschlupf (SB)


Gute Nacht Geschichten

Die Laterne in der einen, die Taschenlampe in der anderen Hand und ein kleines weißes Kuschelwesen in der Jackentasche zieht der kleine Nachtwächter los durch die Stadt. "Wohin gehst du?", möchte das Wesen wissen. "Zuerst schaue ich wie jeden Abend nach den Türen der Häuser und den Toren der Stadt, ob sie verschlossen sind", erklärt der kleine Nachtwächter. "Und dann? Was fangen wir danach an? Wollen wir Ball spielen?" Der kleine Nachtwächter schüttelt seinen Kopf: "Nein, zum Ballspielen habe ich keine Zeit, ich werde auf die Stadtmauer gehen und dort meine Runde drehen." - "Aber wann spielen wir denn dann?", fragt das Wesen und streckt den Kopf aus der Jackentasche so weit vor, daß der kleine Nachtwächter Angst bekommt und befürchtet, das Kuschelwesen könnte herausfallen. Er schiebt es unsanft wieder in die Jackentasche zurück.

"Was stelle ich bloß mit dir an?", fragt sich jetzt der kleine Nachtwächter imsgeheim, "ein bißchen Gesellschaft am Abend und in der Nacht ist ja ganz schön." Aber der kleine Nachtwächter befürchtet, daß er gar nicht mehr auf die Stadt und die Bewohner aufpassen kann, wenn er sich die ganze Zeit, um das kleine Wesen kümmert und ihm ständig auf all seine Fragen antwortet. Sicher vergißt er dann sogar nach den Toren zu schauen. Was kann da nicht alles geschehen?

In diese Gedanken versunken, platzt das Kuschelwesen erneut los: "So ein schönes Haus da vorne. Da würde ich auch gern einmal wohnen!" In dem Haus brennt in einem Fenster noch Licht. "Dort wohnt unser Dichter!", erklärt der kleine Nachtwächter. "Ein Dichter? Was dichtet er denn, irgendetwas, das verstopft werden muß?" Zuerst versteht der kleine Nachtwächter nicht, das das Kuschelwesen meint. Dann aber lacht er und erklärt dem Kuschelwesen, daß dieser Dichter höchstens mit Worten eine Geschichte verdichtet.

"Das möchte ich sehen! Erleben! Hören und staunen!", trompetet das Kuschelwesen los. "Vielleicht ist es ja gar keine so schlechte Idee", überlegt der kleine Nachtwächter und schreitet auf das Haus des Dichters zu.

Der Dichter hat auf der Straße Geräusche vernommen und so ist er an das Fenster getreten. "Hallo Nachtwächter! Ist es schon wieder so spät?" Der kleine Nachtwächter nickt. Da fährt der Dichter fort: "Wenn ich so über meinen Zeilen sitze und brühte, dann vergeht die Zeit wie im Flug. Ich bräuchte etwas, daß mich öfter einmal in die Welt zurückruft."

"Da habe ich etwas für dich", entgegnet der kleine Nachtwächter und deutet auf seine Jackentasche, aus dem das weiße, weiche Kuschelwesen hervorlugt. Der Nachtwächter sieht dem Dichter sein Interesse an dem kleinen Wesen an der Nasenspitze an. "Was ist denn das?", fragt er. "Die Frage ist nicht, was das ist, sondern wer das ist und woher er kommt", gibt der kleine Nachtwächter als Antwort.

Das kuschelige Wesen hält sich nicht lange zurück: "Guten Abend, Herr Dichter. Ich möchte ihnen gern einmal beim Dichten zuschauen." - "Da gibt es nicht viel zu sehen, nur Tinte, die auf das Papier fließt. Aber du kannst gern einmal mitkommen." Sofort klettert das kleine Wesen aus der Tasche heraus. Der kleine Nachtwächter kann es gerade noch auffangen und reicht es dem Dichter durch das Fenster.

"Also dann ziehe ich mal weiter meine Runden. Viel Spaß euch beiden. Morgen besuche ich euch wieder!", damit verabschiedet sich der kleine Nachtwächter und verschwindet in der Dunkelheit der Stadt.


2. Juli 2010