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GUTE-NACHT/2991: Hinter der Mauer - Superpower (SB)


Gute Nacht Geschichten


Anselm hat ein Bild gemalt von einem Strichmännchen. Dazu fällt Oma folgende Geschichte ein.


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"Superpower" - das war wohl sein Name. Denn dies stand auf der Plakette zu seinen Füßen geschrieben. Er war ein Strichmännchen mit einem weiß ausgefüllten Kopf und einer Brust, die dem Buchstaben D glich. Wurden die beiden Striche, die seine Beine bildeten, mit einbezogen, hätte der Strichmann auch ein R mit einem Kopf sein können. Der rechte Arm war auf der Plakette nicht zu sehen. Dennoch hatte er einen. Der linke Arm dagegen wies in die Höhe, als wolle er damit auf etwas Wichtiges hinweisen.

In dieser Pose stand der Strichmann Tag für Tag und selbst in der Nacht da. Den drei Lampen und den zwei Lupen, die er von seinem Platz aus gut sehen konnte, ging es genauso. Sie standen da und wurden nicht benutzt. Nur den beiden Lupen ging es etwas besser. An manchen Tagen wurden sie geholt und benötigt, wobei die Handlichere von ihnen beiden öfter um ihre Dienste angehalten wurde.

Die Lampen hätten gern auch ihre Funktion in den Dienst einer guten Sache gestellt. Aber leider wurden sie derzeit nicht gebraucht. Sie hatten schon bessere Tage gesehen, als sie noch in dem Haus ihres eigentlichen Eigentümers standen. Von da hätten sie viel erzählen können. Sie sehnten sich zurück. Aber leider würden sie nie mehr dort hingeschickt werden. Die Menschen für die sie einst wichtig waren und mit denen sie viele Erinnerungen teilten, weilten nicht mehr auf dieser Welt. Die Lampen und Lupen waren aus der Erbmasse übrig geblieben und einem ungewissen Schicksal entgegen gegangen, als sie in einen Karton gesteckt wurden und nicht wußten, was jetzt mit ihnen geschehen würde. Ihr Glück war es, daß sie wenigstens in der Kanzlei des Notars wieder aus dem Karton heraus geholt worden waren und nun sehen konnten, was um sie herum vor sich ging.

Auch sie konnten Superpower auf der Plakette von ihrem Platz aus sehen und wünschten sich sehnlichst, daß endlich wieder jemand auf ihre Knöpfe drücken möge, damit sie erführen, ob sie noch funktionstüchtig waren. Sei es auch nur dieses kleine Männchen, das sie wieder zum Leben erweckte.

Eines Tages geschah es, Superpower fiel einer putzwütigen Büroangestellten zum Opfer. Sie wollte nicht mehr länger auf dieses Strichmännchen auf der Plakette starren. Der Chef hatte ihr eine Abfuhr erteilt und so konnte sie den Schriftzug "Superpower" einfach nicht mehr ertragen, der die ganze Zeit vor ihrer Nase auf dem Firmencomputer zu sehen war. Kurzerhand nahm sie einen Lappen und ein scharfes Mittel und schrubbte nicht nur den Schriftzug, sondern auch das Strichmännchen selbst von der Plakette ab.

"Was soll denn das?", schimpfte Superpower und prustete, weil er durch das scharfe Mittel gar nicht mehr atmen konnte. Aber das half ihm nichts. Es dauerte nicht lange, da war der Strichmann von der Bildfläche der Plakette verschwunden und mit ihm der Schriftzug. Doch seltsamerweise löste er sich nicht wirklich in dem Wasser auf, in den der Lappen getaucht, ausgewaschen und dann fest ausgewrungen wurde. Superpower kam sich vor, als sei er selber der Lappen und werde ausgewaschen und ausgewrungen und dabei so sehr verdreht, daß er fast zu einem Knoten wurde. Dann aber wurde der Lappen wieder auseinandergedreht, ausgeschüttelt und auf die Leine zum Trocknen gehängt.

Beim Ausschütteln des Lappens fühlte sich Superpower durch die Luft geschleudert und es war ihm, als landete er auf dem Computerschreibtisch selbst. Jetzt mußte er erst einmal ein bißchen verschnaufen, bevor er zu neuen Abenteuern aufbrach und seine neue Freiheit genießen konnte.

28. Juli 2009

Gute Nacht