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GUTE-NACHT/2924: Abgeholt (SB)


Gute Nacht Geschichten


Gunnar überreicht seinem Freund George den bereits ausrangierten und jetzt wieder hervorgekramten Hamsterkäfig, der in den vergangenen Tagen einem Mäuserich namens Sokrates als Behausung gedient hat. George wird die Maus wieder mit nach Hause nehmen und ihn zurück in seinen dunklen Schrank sperren. "Ob sich Sokrates da noch immer wohl fühlen wird?", fragt sich Gunnar, der den kleinen Kerl oft dabei beobachtet hat, wie er sehnsüchtig in den Garten schaute. "Ach Quatsch", glaubt Gunnar, "das bilde ich mir alles nur ein. Mäuse sind doch eher Nachttiere. Da leben sie viel geschützter als am Tag." Gunnar hat wohl die großen Tiere vergessen, die einer Maus auch in der Nacht gefährlich werden können wie beispielsweise eine Eule und ihre Verwandtschaft. Keine Angst, einer Eule wird Sokrates bestimmt nicht begegnen.

Ein bißchen einsam fühlt sich Gunnar schon jetzt, wenn er daran denkt, daß der kleine Kerl bald aus dem Haus ist, hatte er sich doch wirklich an den Winzling gewöhnt. Sogar das Quietschen des Laufrades machte ihm am Ende der wenigen Gasttage nichts mehr aus.

"Hat er denn etwas angestellt?", fragt George ohne zu glauben, daß dem so sein könnte. Jetzt ist der passende Zeitpunkt, von dem Sturz auf der Treppe zu berichten. "Nein", beantwortet Gunnar die Frage und ergänzt, "aber mit ihm wurde etwas angestellt." George spitzt die Ohren: "Was ist passiert?"

Gunnar gesteht, daß er Sokrates mitsamt dem Käfig vor die Wohnungstür gestellt hatte. "Du hast was? Ihn auf der Fußmatte schmoren lassen?" - "Es sollte doch nur für kurze Zeit sein. Ich war an diesem Tag einfach sehr genervt. Da habe ich mir auch gar nicht ausgemalt, was dem Kleinen so alles passieren kann. Schließlich saß er ja in einem Käfig. Daß ein Hund gleich den ganzen Käfig samt Inhalt die zwei Meter entfernte Treppe hinunter schmeißen würde, damit hab ich doch gar nicht gerechnet." George schüttelt den Kopf, was so viel heißen soll wie: "Das kann doch nicht wahr sein. Sokrates ist doch nur seinen schönen dunklen Schrank gewöhnt, wo er sich immerzu verstecken kann, und dann ist er plötzlich allen möglichen Blicken ausgesetzt von Besuchern, neugierigen Hausbewohnern und irgendwelchen Hunden und Katzen."

Anstatt dies laut auszusprechen fragt er nur: "Wie ging es dann weiter?" - "Ich brachte Sokrates natürlich gleich zum Tierarzt. Und die Ärztin meinte, daß ihm nichts fehlt." Daß sich George so aufregen würde, hätte Gunnar nicht gedacht. Darum will er Genaueres lieber ein paar Tage später beichten, wenn sich Sokrates zuhause bei George wieder richtig eingelebt hat.

Etwas kühler als sonst verabschiedet sich George. Gunnar versucht sich gleich noch mit ihm für den nächsten oder übernächsten Tag zu verabreden. Wegen des Vorfalls mit der Maus soll die Freundschaft doch nicht in die Brüche gehen. "Wir werden uns sehen!", sagt George nur und verläßt mit Sokrates im Käfig die Wohnung. Gunnar bringt die beiden noch zum Auto und hilft beim Türe öffnen. Dann winkt er den beiden noch nach. "Vielleicht ist so ein dunkler Schrank für eine Maus doch viel besser als ein Hamsterkäfig", überlegt jetzt Gunnar und geht zurück in seine menschen- und tierleere Wohnung.

4. Mai 2009

Gute Nacht