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GUTE-NACHT/2798: Weihnachtsmärkte mit Martha (SB)


Gute Nacht Geschichten - Wilhelm Wunderlich


Parkwächter Wilhelm Wunderlich freut sich über das bißchen Sonnenlicht, das sich heute hinter den Wolken hervorschiebt. Dieses Licht läd zum Spaziergang ein. Doch die meisten Spaziergänger zieht es jetzt nicht in den Park. Ihre Schritte tragen sie hinüber in die Stadtmitte, dorthin wo der Weihnachtsmarkt seine Buden geöffnet hat. Ja, mag sein, daß auch die Sonne nur wegen des Duftes und des Zaubers dieses nur wenige Tage dauernden Marktes aus ihrem Versteck hervorgekommen ist.

Auf einen hat dieser Zauber jedoch keine anziehende Wirkung. Das war einmal. Wilhelm Wunderlich sieht auf der letzten Bank, die er für Besucher noch hat stehenlassen, einen alten Mann sitzen, eingehüllt in seinen dunklen Mantel. Den Hut hat er tief ins Gesicht gezogen. Seine Hosen reichen nur bis zum Knie, denn es sind Knickerbocker. Der Alte stützt sich auf den Stock in seinen Händen und denkt an andere verzauberte Märkte...


*


... Ja damals, als seine Frau noch lebte, sind sie viel gereist. Besonders auch in der Adventszeit. Martha liebte den Duft von Honigkuchen und Glühwein. Sie konnte sich nicht satt sehen an den vielen Lichtern. Es wurde ja auch schon früh dunkel in der Adventszeit. In diesen Abendstunden liebte Martha es besonders über einen Weihnachtsmarkt zu gehen. Wie viele hatten sie doch besucht.

In Augsburg war es der Christkindlesmarkt. Am letzten Donnerstag vor dem ersten Advent wurde er jeweils feierlich eröffnet. Er fand wie viele andere Weihnachtsmärkte auch auf dem Rathausplatz statt. Inmitten der vielen dort aufgebauten Buden konnten sie jedes Jahr die wertvolle Weihnachtskrippe bestaunen. Das Rathaus verwandelte sich dann in einen großen Adventskalender, in dem die "Musizierenden Augsburger Weihnachtsengel" erschienen. Besuchten er und Martha die Stadt Augsburg am dritten Advent oder gar am Heiligen Abend, konnten sie die Turmbläser auf ihren Instrumenten vom Perlachturm blasen hören.

Auch nach Dresden zog es die beiden zum Dresdener Striezelmarkt, wo sie die Waren vieler Händler aus ganz Sachsen begutachten konnten. Da gab es Töpfer aus Meißen mit ihrem berühmten Meißener Porzellan. Leineweber aus der Lausitz boten ihre Webwaren an. Glasbläser aus Böhmen zeigten ihre einzigartigen Werke, und auch die Spielzeugmacher aus dem Erzgebirge präsentierten ihre Schnitzereien. Das beste war jedoch der Dresdener Christstollen. Martha kaufte jedesmal gleich vier Stück. Kamen sie am Samstag vor dem zweiten Advent nach Dresden, konnten sie das Stollenfest mitfeiern. Die Bäcker der Stadt buken dafür extra einen drei Tonnen schweren Riesenstollen.

Es gab auch kleine Weihnachtsmärkte, die sie besuchten. Im Kinzigtal im Ort Gengenbach gab es einen dieser Art. Klein, aber voller Adventsstimmung war er. Auch hier war das Rathaus in einen riesigen Adventskalender verwandelt worden. Jeden Abend wurde in einer feierlichen Zeremonie ein Türchen geöffnet. Was sich für eine Geschichte dahinter verbarg, wurde von einer kleinen Theatergruppe aufgeführt. Marthas Schwester wohnte in Kassel. So war es klar, daß sie auch dort jedes Jahr den Märchenweihnachtsmarkt besuchten. Wieso er Märchenweihnachtsmarkt hieß? Nun, auf diesem Markt begegneten die beiden vielen in Lebensgröße gemalten Märchenfiguren. Das war ja auch kein Wunder. Ist die Stadt Kassel doch stolz auf ihre einstigen Bürger, die Brüder Grimm. Besuchten Martha und er an Sonntagen diesen Markt, begegneten ihnen auch die ausländischen Kollegen des Weihnachtsmannes. Da waren La Befana aus Italien, Väterchen Frost aus Rußland, Santa Claus aus Finnland und Lucia aus Schweden. Diese Vier kamen aus Florenz, Jaroslawl, Rovaniemi und aus Västeras. Denn diese Städte waren Kassels Partnerstädte.

Ach, er könnte noch von so vielen Märkten berichten, die er und Martha besuchten - vom Lauschaer Kugelmarkt, vom Weihnachtsmarkt in Lüneburg, vom Münchner Christkindlmarkt oder vom Nürnberger Christkindlesmarkt und noch so einigen mehr. Ob es dort wohl heute noch so zugeht, wie damals als er Arm in Arm - wenn dies denn überhaupt möglich war bei so vielen Besuchern - mit Martha über die Märkte pilgerte?...

... Die Sonne hat sich zurückgezogen. Der Alte folgt jetzt ihrem Beispiel.

2. Dezember 2008

Gute Nacht