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GUTE-NACHT/2643: Ein Pfennig auf Reisen - Telefonkarte (SB)


Ein Pfennig auf Reisen

Was den kleinen Pfennig mitsamt dem an ihm klebenden Kaugummi umgeworfen hat, ist die vom Wind hin und her bewegte Telefonkarte. Ein Windstoß hat sie direkt auf den Pfennig niedergeweht. Doch im nächsten Augenblick reißt ein zweiter Windstoß die Karte wieder von den beiden fort. Weit kommt die Telefonkarte dabei jedoch nicht. Die hohen Gräser versperren ihr den Weg und die Karte rutscht an ihnen hinunter und landet diesmal genau neben dem kleinen Pfennig und seinem Anhängsel.

"Du hast es gut", beginnt der Pfennig, "du kannst fliegen." Darauf ist die Telefonkarte auch sehr stolz. Ärgerlich findet sie allerdings, daß sie mittenmang geknickt worden ist, kurz bevor der vorherige Nutznießer ihrer Telefoneinheiten sie einfach wegwarf. "Dabei bin ich doch ein beliebtes Sammelstück", setzt die Telefonkarte das Gespräch fort. "So wie Briefmarken?" fragt der Pfennig. "Ja, wie Briefmarken oder wie Münzen, zu denen du ja wohl auch gehörst."

"Ach, ich bin doch keine Münze!" winkt der Pfennig ab, "ich bin ein Glückspfennig und auf der Suche nach einem geeigneten Finder, dem ich meine Dienste anbieten kann." Nun ist es an der Telefonkarte abzuwinken: "Deine Dienste anbieten? Das hast du wirklich nicht nötig. Du wirst von den Menschen nur benutzt bis sie dich nicht mehr gebrauchen können, und dann werfen sie dich fort." - "Zum Beispiel in eine stinkende Mülltonne?", mischt sich der Kaugummi ein. Dabei schupst er den kleinen Pfennig ein wenig, sodaß sich dieser zur Seite dreht, damit die Telefonkarte sehen kann, wer da spricht. "Ihr seid mir ja ein seltsames Paar", merkt die Telefonkarte an. "Seltsam, ja", kontert der Kaugummi, "nicht aber wirklich ein Paar. Wir sind nur durch den Sog eines Staubsaugers aneinander gepreßt worden, und nun können wir nicht wieder auseinander. Dabei will doch jeder von uns seine eigenen Wege gehen."

"So, aneinandergepreßt", überlegt die Telefonkarte vor sich hin. Dann fragt sie: "Wo sollen denn eure getrennten Wege hinführen?" Der Pfennig hat bereits erklärt, was er vorhat. Der Kaugummi sagt deshalb: "Ich will hinaus in die Welt, um meine Heimat zu suchen. Ich will wissen, woher ich stamme." - "Weißt du das denn nicht mehr?" fragt die Telefonkarte. "Nein, nachdem auf mir so oft herumgebissen wurde und mich große Steine dermaßen zermalmten und mich auslaugten, habe ich mein Gedächtnis verloren."

"Das ist aber traurig", schaltet sich der kleine Pfennig in das Gespräch ein. Die Telefonkarte fragt: "Wo willst du mit der Suche nach deiner Heimat beginnen?" - "Ja, hier natürlich!" brüstet sich der Kaugummi, "nur da wo ich mich gerade befinde, kann ich mit der Heimatsuche beginnen." Das leuchtet zwar dem Pfennig ein, die Telefonkarte meint jedoch: "Wenn du nur hier suchst, trittst du ja die ganze Zeit auf der Stelle. Du solltest wie ich in die Ferne segeln." - "Wenn ich das könnte, würde ich es vielleicht wagen. Doch zuvor müssen der Pfennig und ich getrennt werden. Hast du dazu vielleicht eine Idee. Oder kennst du dich gar mit Trennungen aus?", so fragt der Kaugummi.

"Ja, was können wir tun?", möchte auch der Pfennig wissen. Die Telefonkarte bittet um etwas Bedenkzeit. Da sie keine Einheiten mehr auf dem Buckel habe, dauerten ihre Überlegung etwas länger. "Ruht euch inzwischen einmal aus", sagt die Karte.


Erstveröffentlichung am 17. September 2003

30. Mai 2008

Gute Nacht