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GUTE-NACHT/2401: Miranda auf der Suche (SB)


Am Morgen als Miranda erwachte, stand das Puppenbettchen noch immer neben ihrem eigenen Bett. Das erinnerte Miranda daran, daß ein kleines Wesen namens Arim in diesem Bett geschlafen hatte. Doch jetzt war das Bettchen leer. Wo steckte Arim oder war es nur ein Traum? War sie schlafgewandelt, wie Mama und Papa das immer nannten, wenn sie nachts zu ihnen ins Bett schlüpfte? Doch diese sogenannten Schlafwanderungen hatte sie schon länger nicht mehr unternommen. Seitdem es zwischen Mama und Papa so eine merkwürdige Anspannung gab, hielt sich Miranda lieber in ihrem eigenen Zimmer auf, selbst am Tag. Miranda begann nach Arim mit ihren Blicken zu suchen. Sie konnte das nicht geträumt haben, denn das Puppenbett stand normalerweise neben dem Schrank und nicht hier.

Leise rief Miranda Arims Namen. Sie flüsterte fast, denn sie wollte nicht von Mama und Papa gehört werden. Am Ende hielten die beiden sie noch für verrückt. Soetwas hatte sie schon einmal im Fernsehen gesehen. Wenn Kinder von etwas erzählten, daß die Eltern nicht kannten, sagten sie stets, das sei der Phantasie entsprungen. Doch Arim war nicht aus einer Phantasie entstanden. Er kam vielleicht aus einer phantastischen Welt - viel hatte Arim ja noch nicht darüber erzählt -, doch ein ausgedachtes Wesen war er bestimmt nicht. Er hatte sie sogar berührt und sie hatte niesen müssen. Das war ein sicheres Zeichen, daß Arim existierte. Doch wo steckte er jetzt? Vielleicht war es ihm zu hell hier im Zimmer. Auch Miranda mochte es nicht, wenn die Sonne gleich am Morgen so grell ins Zimmer schien. Sie fand Regenwetter viel angenehmer. Da machte es viel mehr Spaß, noch ein bißchen im Bett zu kuscheln. An diesem Morgen aber hatte Miranda gar keine Lust zu kuscheln. Sie stand auf und suchte im ganzen Zimmer nach ihrem kleinen neuen Freund. Arim war doch ihr Freund oder? Er sah etwas anders aus als sie und war viel kleiner. Aber das machte einer Freundschaft nichts aus. Miranda hatte schon Freundschaften mit viel kleineren Wesen geschlossen, mit Vögeln, die im Winter an ihr Fenster kamen und sich füttern ließen, mit Schnecken in ihren wunderschönen Häuschen, die sie mit sich herumtrugen oder auch einmal mit einem Silberfisch. Doch Mama hatte ihn vor die Tür gesetzt. Miranda konnte es gerade noch verhindern, daß Mama ihn plattdrückte. Aber im Haus durfte "Fischi", so hatte Miranda ihn genannt, nicht bleiben. "Deine Tierliebe geht manchmal einfach zu weit!" hatte Mama gesagt. Doch Miranda hatte nur geantwortet: "Du hast gesagt, daß Gott alle Tiere geschaffen hat. Dann will er bestimmt nicht, daß sie getötet werden." Mama wußte darauf keine Antwort. Es war ein guter Schachzug von Miranda. Sie dachte oft über das was Mama von Gott erzählte nach. Vieles konnte sie gar nicht glauben, aber wenn sie damit einem Tier das Leben retten konnte, dann war dieser Gott doch zu etwas nütze.

Den ganzen Tag über hatte Miranda nach Arim gesucht. Das war sogar Mama aufgefallen und sie fragte immer wieder, was Miranda denn vermisse? "Ach nichts, ich schaue nur mal so herum", hatte Miranda geantwortet und sich gleich darauf über diese Antwort geärgert. Mama war gut im Aufspüren von Dingen, die sie eigentlich gar nichts angingen. Als Miranda einmal ein kleines Kätzchen mitgebracht hatte, dauerte es keine Stunde und Mama hatte es gefunden. Vielleicht lag es daran, daß Mama eine Katzenallergie hatte. Aber wie auch immer, wenn Miranda nicht wollte, daß Mama von Arim erfuhr, mußte sie einfach vorsichtiger sein. Im Laufe des Tages war sie sich immer weniger sicher, ob Arim überhaupt existierte.

Das Puppenbett stand auch nicht mehr vor Mirandas Kinderbett. Doch das kleine Bettchen hatte sicher Mama zurückgestellt. Sie konnte es nicht aushalten, wenn die Sachen nicht an ihrem Platz standen, selbst in Mirandas Zimmer räumte Mama immer alles wieder zurück. Das haßte Miranda wirklich an ihrer Mutter.


Jetzt liegt Miranda wieder in ihrem Bett. "Es ist Schlafenszeit", hatte Mama gesäuselt und ihre Tochter damit aufgefordert ins Bett zu gehen, natürlich mit vorherigem Zähneputzen. Miranda blickt sich im Schein des Dimmerlichtes in ihrem Zimmer um. Den ganzen Tag hatte sie nach Arim gesucht und ihn nicht gefunden. Wahrscheinlich nutzte die ganze Suche nichts, wenn sich Arim nicht finden lassen wollte. Sie konnte also nur warten. "Warten ist ganz schön langweilig", meint Miranda. Deshalb denkt sie an gestern Nacht und daran, was Arim von seinem Zuhause erzählt hat. Er habe gerade vor seinem Haus gestanden, als sich der Himmel über ihm öffnete und es ganz dunkel wurde. Lag über dem Himmel in Arims Welt auch das dunkle All wie bei Miranda? Dann aber schien sich die Dunkelheit erneut zu öffnen und Licht war auf Arim gefallen. War Arim vielleicht aus der Erde gekommen? Gab es da unten noch eine andere Welt mit einem Himmel? Mama und Papa hatten einmal einen Film gesehen. Da waren Menschen tief in die Erde hinabgestiegen und fanden dort eine richtige Welt mit einem Himmel und so. Dort lebten sogar noch Dinosaurier. Miranda hatte sich hinter dem Sessel versteckt gehalten bis Mama sie entdeckte und wieder in ihr Bett schickte.

Ob Miranda auf ihre Fragen wohl eine Antwort erhält? Sie kann nur hoffen, daß Arim wieder auftaucht. Aber was ist, wenn sie dann bereits eingeschlafen ist? Miranda hat eine Idee. Zuerst holt sie das Puppenbett wieder herbei und stellt es neben ihr eigenes Bett. "Dann sieht Arim, daß ich auf ihn gewartet habe", denkt Miranda. Nun nimmt sie ihren Zeichenblock und malt ein Bild. Sie malt ein großes Mädchen und ein kleines Wesen an deren Hand. Dieser kleine Kerl soll Arim darstellen und das Mädchen ist selbstverständlich Miranda. Daß sich die beiden an der Hand halten, soll Arim zeigen, daß sie beide Freunde sind. Miranda findet dieses Bild in Ordnung. Hätte sie Arim etwas aufgeschrieben - wir sind Freunde oder so - hätte sie gar nicht gewußt, ob er es verstehen würde. Schließlich, auch wenn Arim Mirandas Sprache versteht, weiß sie doch nicht, ob Arim lesen kann. Das können schließlich nicht einmal alle Menschen. Das weiß Miranda aus der Werbung.

Miranda blickt sich noch einmal um und wünscht ihren verborgenen Freund herbei.

14. August 2007

Gute Nacht